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Von unerwarteter Toleranz, freundschaftlichen Begegnungen sowie meiner 2. Woche

Hallo Freunde,

nun ist es schon 2 Wochen her, dass ich mit wehmütigen Gedanken in den Bus nach Belarus stieg und der unbestimmten Zukunft leicht ängstlich entgegenblickte. Davon ist jetzt nichts mehr da – ich bin endgültig angekommen in dem Land, von dem ich im Voraus nichts wusste!

Als ich meinen letzten Blogeintrag verfasste, saß ich gerade in einem Bus in die Landeshauptstadt Minsk – ein lustiges Unterfangen, da aufgrund der miserablen Straßenqualität in jedem 2. Wort ein Tippfehler nachkorrigiert werden musste. Am Ziel angekommen, traf ich kurze Zeit später auf die anderen Freiwilligen – insgesamt sind wir 9 in Belarus, wobei ich der einzige Hahn im Korb bin 🙂 Es war ein schönes Wiedersehen, bei dem wir uns in die Arme fielen, als hätten wir uns nicht erst vor einer Woche zum letzten Mal gesehen. Zusammen ging es Einkaufen und dann in das Trinity- Hostel, in welches uns das Goetheinstitut freundlicherweise einquartiert hatte. Das Hostel liegt im Zentrum der Stadt, ist international geprägt und besticht durch seine familiäre Atmosphäre – neben knuffigen Zimmerchen mit Betten aus Holz und traditionellen Deckenmustern gibt es eine gemeinsames Wohnzimmer mit Küche, Sofalandschaft, kostenlosen Tee und freiem WLan. Hier hatte ich auch gleich die Möglichkeit, mit meinen Sprachkenntnissen zu glänzen, da es sofort nach dem Einchecken galt, unseren Hunger zu stillen und 5 Tiefkühlpizzen in einer Mikrowelle mit kyrillischer Beschriftung aufzuwärmen. Nach dem kalorienreichen Mahl ging es dann für die eine Hälfte auf die Zimmer, während die anderen nochmal auf Stadtbesichtigung gingen – ratet mal, wo ich dabei war 🙂 Nach einem kurzen Spaziergang sowie reichlich Trubel an der Supermarktkasse ( Amelie trat unbeabsichtigt ins erste Fettnäpfchen und füllte sich an einer Do it Yourself – Süßigkeitentheke alle Bonbons zusammen in eine Tüte – schwerer Fehler) trafen wir endlich auf Lotti, auf deren legendären Sarkasmus und schwarzen Humor wir aufgrund einer Verspätung ihres Zuges aus Gomel  bisher verzichten mussten. Um dies schleunigst nachzuholen, verschlug es uns in eine Shisha-Bar, wo wir den Abend mit Cocktails, Häppchen und Pfeife gemütlich ausklingen ließen.

Mit reichlicher Verspätung sowie getrennten Gruppen aufgrund von Meinungsverschiedenheiten bezüglich des besten Anfahrtweges liefen wir am nächsten Morgen zum Goetheinstitut Minsk, wo wir von den Koordinatorinnen Marina und Tanja herzlich empfangen wurden. Hier wurden Fragen zum Land geklärt, mit Klischees aufgeräumt sowie Ängste und Sorgen angesprochen. Nach einem gemeinsamen Mittagessen kamen die Ansprechpersonen von den Goetheschulen vorbei, um ihre neuen Zöglinge kennenzulernen und am Ende des Tages mit an ihre neue Einsatzstelle zu nehmen. Dies alles war für die PAD -Leute (für die nicht primär das Goetheinstitut sondern der Pädagogische Austauschdienst zuständig ist) Lotti, Henrike und mich natürlich alles nicht so relevant, da wir im Gegensatz zu den Goethe-Leuten schon eine Woche im Land verbracht hatten und unsere Einsatzstelle sowie die Ansprechpersonen  bereits kennengelernt hatten. Dennoch war es ganz schön, sich in gemeinsamer Runde offen zu unterhalten und bewusst zu werden, dass man in diesem fremden Land nicht auf sich allein gestellt ist!

Mit dem Bus ging es dann abends wieder 300 km in den Süden nach Pinsk, was ich jetzt sogar schon als Zuhause bezeichne. Der Sonntag verlief relativ unspektakulär, ich schlief lange aus, ging einkaufen, versaute eine ganze Packung Spaghetti und skypte mit meinen Eltern. Nachmittags besuchte ich erstmals den ehrenamtlichen Klub „Pinsk spricht Deutsch“ auf Einladung der Clubvorsitzenden Olga. Hier treffen sich jeden Sonntag Leute der verschiedensten Altersklassen und Sprachniveaus in der Fremdsprachenabteilung der Zentralbibliothek mit dem Ziel, zusammen auf Deutsch zu kommunizieren, sich auszutauschen und dabei besser in der Sprache zu werden. Als ich davon hörte, war ich sofort Feuer und Flamme und bat an, mich zu engagieren und so gut wie möglich in den Klub einzubringen. Die Leute waren auch sehr herzlich, und so ging es bei Kaffee und Kuchen ans gegenseitige Vorstellen und Kennenlernen. Hierzu sei gesagt, dass während die jüngsten Teilnehmer in der Runde noch selbst zur Schule gehen die ältesten schon über 70 Jahre auf dem Buckel haben – trotzdem werden die Leute durch ihre Faszination für die Deutsche Sprache vereint und jeder trägt seinen Teil dazu bei. Ich freue mich schon sehr auf die Arbeit mit den Pinskern! Heute werde ich zum Beispiel für die fortgeschrittenen Deutschlerner (wozu vor allem Deutschlehrer an Pinsker Schulen sowie die DSD2-Schüler zählen)  eine Projekteinheit veranstalten, bei der wir gemeinsam den Film „Die Welle“ gucken und anschließend darüber debattieren. (Update: Es war ein voller Erfolg – aus geplanten 2 Stunden wurden fast 4)

Am Montag lernte ich die Austausschüler aus der deutschen Partnerstadt Altena kenne, die im Rahmen eines Partnerschaftsprojektes für eine Woche nach Pinsk gekommen sind. Gemeinsam mit ihnen und ihren weißrussischen Patenkindern nahm ich die komplette letzte Woche an einem Kulturprogramm teil, in dessen Rahmen Projektarbeit zum Thema Sauberes Wasser und Naturschutz, der Besuch der Biofakultät, gemeinsames Rudern auf der Pina sowie Ausflüge in den Nationalpark  Belovezhskaya Pushcha, zur Brester Festung, an den Augustow-Kanal sowie in die historische Stadt Grodno fielen. Ich wurde spontan in die Programmbetreuung eingebunden, so durfte ich zum Beispiel 3 Vorträge zu einzelnen Sehenswürdigkeiten erstellen sowie eine spontane und äußerst fordernde Simultanübersetzung eines Unistudenten zum Fachthema „Exkurs über Technologien zur provisorisch-nachhaltigen Abwasserklärbehandlung“ halten (ja, der Name sagt denke ich alles aus; jedenfalls sind meine russischen Fachvokabeln im biotechnologischen Bereich spürbar angestiegen XD). Natürlich gab es auch jede Menge Spaß; zum Beispiel bei den täglichen Freizeitunternehmungen mit der deutsch-belarussischen Gruppe (Funfact: Die Deutschen sprechen kein Wort russisch, was die einheimischen Jugendlichen natürlich nutzen, um sich im Falle von „interkulturellen Schwierigkeiten“ ausführlich über die komischen Deutschen auszulassen – ich höre alles mit und lache bei einigen Aussagen tief in mich hinein) sowie auf den langen Busfahrten (bei denen gerne mal der eine oder andere „Kaffee“ gekippt wird, aber psssst).

Hierzu muss ich sagen, dass es neben ausgelassener Stimmung und Helene Fischer-Chorgesängen auch zu sehr tiefsinnigen und interessanten Gesprächen kam. Die weißrussischen Jugendlichen sind mir gegenüber sehr aufgeschlossen und neugierig – so führte dieser Umstand  zum Beispiel zu einer 3 Stündigen Diskussion, bei der Fragen aufkamen wie „Was würdest du als erstes in Belarus verändern, wenn du es könntest“, „Wie hat es Deutschland geschafft, aus einem faschistischen Land zur florierenden Wiege der Demokratie zu werden“, „Was würdest du uns raten für unsere Zukunft“, „Wieso findest du Donald Trump schlecht, obwohl er im Gegensatz zu Hillary Clinton gute Beziehungen zum Osten pflegen möchte“ und immer so weiter – Fragen, bei denen man erst einmal schlucken muss; denn wie antwortet man darauf am Besten? Ich muss sagen, dass mich die Offenheit und Verständnis der Kinder im Alter von grade mal 15/16 Jahren tief beeindruckt hat! Im Voraus hat man uns allen eingetrichtert, wir würden in Länder fahren, wo es von Taboo-Themen nur so wimmelt, wo die Menschen komplett anders über europäische Ansichten und Werte denken und wo wir uns in erster Linie mit allem was irgendwie tiefer geht zurückhalten sollen. Dem ist nicht so! Natürlich muss man aufpassen, dass man sich in der Öffentlichkeit oder Bildungseinrichtungen nicht kontrovers äußert; doch dies hat mit der Regierung des Landes zu tuen… Die jungen Menschen dagegen sind genau dieselben Menschen wie wir drüben im „Aufgeklärten Europa“, sie beschäftigen die selben Dinge und sie haben genauso einen Sinn für Ehrlichkeit, Toleranz und Demokratie! Selbst über Homosexualität wurde gesprochen, wobei mir zu meinem großen Erstaunen keine homophoben Menschen, sondern wissbegierige Jungen und Mädchen gegenüber saßen, die aus eigener Überzeugung gleiche Meinungen vertreten wie ich! Es gibt natürlich auch Meinungsverschiedenheiten, aber die Gespräche waren durchgehend geprägt von Toleranz und Akzeptanz für alle Teilnehmer und Aussagen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle das Klischee, in der „letzten Diktatur Europas“ säßen nur hartgesottene Nationalisten und Patrioten, ein für alle Male über Bord werfen! Natürlich gibt es auch Menschen dieser Sorte, aber mal ehrlich – gibt es die in Deutschland nicht auch? Ich sage nur AFD,…

Besonders viel Freude hatte ich bei der Organisation der Abschlussparty am Freitag, bei der ich die 4 größen Quatschköpfe der Klasse in Röcken auf die Bühne geschickt und sie zu einem wilden Mix verschiedener Songs und Musikstile tanzen ließ (von WakaWaka über Macarena und Schwanensee bis zu BarbieGirl und wieder zurück zu ACDC). Insgesamt hat die Woche sowohl mir als auch den Schülern sehr viel Spaß bereitet (trotz den strengen Lehrern wie auf jeder Klassenfahrt) und ich bin glücklich darüber, von den Jugendlichen als einer von ihnen behandelt zu werden. Nach einem tränenreichen Abschied gestern am Bahnhof von Grodno kann ich sagen, dass ich sehr froh darüber bin, nicht mit den Deutschen in den Zug steigen zu müssen – während die Anderen fahren, hat meine Zeit hier erst begonnen und ich glaube, es wird eine sehr geile Zeit…

Bis dahin machts gut und habt euch lieb!

 

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