1 Jahr Montenegro oder "Jana, wie heißt das Land nochmal"

Neue tierische Freunde und neue tierische Feinde

Es war soweit: Ein halbes Jahr, nachdem uns eine Gruppe deutscher Schüler aus Freudenstadt im Schwarzwald in Ulcinj besucht hat, stand (endlich) der Gegenbesuch an. Das hieß für mich im Vorfeld, dass viel zu erledigen und zu organisieren gab, z.B. mussten alle Schüler krankenversichert werden, wir mussten alle Passnummern und auch das Geld einsammeln. Doch dafür war die Vorfreude dann umso größer. Hauptgrund dafür war, dass ich mich am Wochenende mit meiner Familie und meiner besten Freundin in Karlsruhe bei meinem Bruder zum Geburtstag-Feiern verabredet hatte. Wenn es dieses Jahr schon keinen unserer legendären Casa-Abende geben sollte (Gruß an meine Mädels nach Deutschland!), wollte ich doch an meinem Geburtstag nicht ganz alleine da sitzen, also nutzte ich mein freies Wochenende perfekt aus.

Vorher gab es allerdings noch die eine oder andere Hürde zu nehmen. Ich war schon fasziniert bis begeistert, dass alle Schüler pünktlich und mit Reisepass am Bus erschienen. Nach langen Verabschiedungszeremonien und einem kurzen Tetris-Spiel der Busfahrer, um das Gepäck unterzubringen, ging es auch schon los. Die Wettervorhersage prophezeite Schnee für Freudenstadt. Das erwähne ich nur, um das Opfer deutlich zu machen, das ich zu bringen bereit war, fuhren wir doch bei etwa 20°C und strahlendem Sonnenschein in Ulcinj los.
Egal, in Aussicht einer 28h-Busfahrt machte ich es mir bequem. Ich stellte mich auf das Schlimmste ein, wird mir doch beim Busfahren für gewöhnlich schlecht. Wohlweislich hatte ich nur wenig zu essen dabei, denn im Normalfall denke ich auf solchen Busfahrten an vieles, nur nicht ans Essen. Der kurvenreiche Anfang unserer Reise entlang der atemberaubend schönen montenegrinischen Küste schien mich in diesem Plan zu bestätigen, doch als wir erstmal die Autobahn erreicht hatten, fuhren die Busfahrer so sensationell gut, dass ich doch ein bisschen hungrig in FDS ankam.
Sonstige Erkenntnisse der Busfahrt: Es gibt keine Schlaf- oder Sitzposition in der nicht mindestens ein Körperteil wehtut, Tee an Raststätten trinken ist ein Teufelskreis, verursacht das doch nur immer häufigere Stopps, es gibt auf der ganzen Welt kein ekelhafteres Klo als das auf der Fähre in der Bucht von Kotor, aber wenn es dringend ist, hört man schlagartig auf, wählerisch zu sein, in Kroatien ist es nicht ratsam, mit einem abgelaufenen Feuerlöscher im Bus zu fahren, es könnte sein, dass der Fahrer für eine halbe Stunde verhaftet und von Polizisten im Auto weggefahren wird ( war so, kein Witz 😀 ), in der Zwischenzeit sollte man für Passkontrollen mehr Zeit einplanen, wurden wir doch um 5 Uhr morgens an der österreichisch-deutschen Grenze von zwei bemitleidenswerten Polizisten aufgeweckt, weil sie unsere Pässe kontrollieren mussten. Witzige Anekdote am Rand: Als sie die Schüler fragten, wer wir sind und was wir machen, gerieten sie an Schüler, die so gut Deutsch sprechen, dass die Polizisten glaubten, wir kämen vom Austausch von irgendwo her zurück nach Hause. Trotzdem war es insgesamt ziemlich unlustig.

Während der gesamten Zeit in Deutschland sind mir immer wieder Sachen aufgefallen, die sich verändert haben oder die ich nicht mehr verstehe. Das bereitet mir großes Unbehagen, so großes, dass ich in Kürze darüber einen eigenen Blogeintrag verfassen will, sofern es mir gelingt, nicht allzu dramatisch zu werden.

Wie dem auch sei, als wir um ein Uhr mittags des darauffolgenden Tages dann endlich in unserem Hotel gelandet waren, war meine Devise „Duschen-Mama anrufen-Oma anrufen-Schlafen-Essen-Schlafen“. Das führte ich genauso durch, sodass ich am nächsten Tag einigermaßen wiederhergestellt war.

Das war auch, wie sich herausstellte, bitter nötig, beginnt doch die Schule in FDS um 7.35 Uhr. Weil unsere Schüler logischerweise mit ihren Austauschpartnern kamen, hieß das für uns, dass wir um 5.30 Uhr aufstehen mussten. Eigentlich unmenschlich, aber das wundervolle Frühstück in unserer Pension (mit angeschlossener Bäckerei! DEUTSCHES BROT!!!) schaffte es immer wieder, die Lebensgeister auch am frühen Morgen zu wecken.

Am ersten Tag stand zuerst einmal die Begrüßung durch die Schulleiterin auf dem Programm.
An dieser Stelle müsst ihr mir einen Einschub gestatten, über ein Thema, welches mich die ganze Zeit über begleitet hat. Damit ich es nicht immer wieder erklären muss, werde ich an den entsprechenden Stellen immer nur mit dem Schlagwort „baden-württembergisches Schulsystem“ auf die Problematik verweisen. Ich weiß nicht, was normal ist, aber ich erinnere mich an einige Austausche an meiner alten Schule. Egal ob ich daran teilgenommen habe oder nicht, ich erinnere mich ziemlich genau, dass ich meine teilnehmenden Mitschüler in dieser Zeit nur in großen Ausnahmen in der Schule gesehen habe. Sie machten gemeinsame Ausflüge, organisierten irgendwelche Sachen und mussten anschließend wie die Verrückten lernen, um den verpassten Stoff nachzuarbeiten. Das ging aber auch immer irgendwie, weil die Lehrer größtenteils Verständnis hatte und man bei uns auch erkennt, welchen Wert solche transkulturellen Erfahrungen haben. Man lernt sich gegenseitig kennen, kommuniziert in allen Sprachen, zur Not mit Händen und Füßen und freundet sich mit Menschen an, denen man vor ein paar Jahrzehnten vielleicht noch auf dem Schlachtfeld gegenüber gestanden hätte. Nicht so in diesem Fall. Ich muss vorneweg sagen, dass ich von den deutschen Schüler nicht so begeistert war und bin, sodass ich es für mich persönlich nicht schade fand, dass sie genau einen Ausflug mitmachten. Aber das entspricht doch absolut nicht dem Sinn eines Schüleraustauschs, für den immerhin von den Schülern aber auch von den entsprechenden Stellen beider Staaten, viel Geld bezahlt wird. Als wir an einem Tag Projektarbeit hatten, für die die Schüler eigentlich freigestellt waren, mussten einige trotzdem in die Schule, weil sie irgendeinen Test schreiben mussten und der Lehrerin die Freistellung egal war. Ich weiß nicht, ob es an G8 liegt, am Zentralabitur, das sowohl Lehrer als auch Schüler unter Druck setzt, oder an anderem Kram, den wir in Rheinland-Pfalz Gott sei Dank nie hatten, aber ich wurde von Tag zu Tag dankbarer, dass ich nicht in Baden-Württemberg in die Schule gehen musste. Die Stimmung in der Schule war allgemein schlecht, die Lehrer überarbeitet, die Schüler ohne Hobbys und Leidenschaften, weil dafür keine Zeit ist. Ich weiß, dass ich mal wieder alles über einen Kamm schere, dass ich von einer Schule auf alle schließe, ich sehe aber deutlich den Vergleich von meiner eigenen Schulerfahrung zu dem, was ich in Freudenstadt gesehen habe.

Damit kommen wir auch zurück zum Programm. Am ersten Tag sollte uns also die Schulleiterin begrüßen. Ich weiß nicht, was ich mir vorgestellt habe, es muss ja kein Staatsempfang sein, aber dass man uns einfach in ein Klassenzimmer setzt, die Direktorin mit dem Schlüssel in der Hand reinkommt, weder mir noch Luljeta, der montenegrinischen Deutschlehrerin, die Hand gibt, fünf Minuten ein paar Floskeln und Allgemeinplätze in den Raum stellt und dann sofort wieder verschwindet, habe ich dann doch nicht erwartet. Mir wurde hinterher noch mitgeteilt, sie hätte einen guten Tag gehabt, dann will ich nicht wissen, was passiert wäre, wenn es ein schlechter gewesen wäre. Dass der Austausch von der Schulleitung nicht sonderlich unterstützt wird, wusste ich vorher schon, deshalb steht die Zukunft des Austauschs auch momentan in den Sternen.

Wie auch immer, ich wollte mich nicht gleich am ersten Tag entmutigen lassen, guter Dinge besuchten wir noch die Experimenta in FDS, eine Art Mitmachmuseum, das den Schülern sehr gefallen hat. Zwischendrin hatten wir eine kleine Pause, in der es uns, wie noch öfter in diesen Tagen, in eine kleine Bäckerei am Marktplatz verschlagen hat. Einige Schülerinnen waren auch da, und als sie sich auf Montenegrinisch unterhalten haben, wurde eine Gruppe von alten Männern aufmerksam. Da saßen doch tatsächlich fünf Serben am Nachbartisch, die unsere Mädels direkt ausquetschten, wo sie denn her kämen und was sie hier machten.

In derselben Bäckerei hatte ich einige Tage später eine nette Begegnung. Ich saß mit Kurt am Tisch und wir unterhielten uns über Gott und die Welt und im Besonderen über Deutschland, deutsche Politik und die Problematiken, über die ich im bereits versprochenen nächsten Eintrag berichten möchte. An diesem Tag trug ich meinen Abipullover mit der Aufschrift „Abitur 2015 – Karolinen-Gymnasium Frankenthal“. Wir diskutierten so vor uns hin, als mich plötzlich ein Mann ansprach, der die ganze Zeit zwei Tische entfernt seinen Kaffee getrunken hatte. Er fragte mich, ob ich auch auf meinem Pullover stehe, zwischen den Namen aller meiner Stufenmitglieder. Ich bejahte das und er sagte nur: „Herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen alles Gute auf Ihrem zukünftigen Lebensweg!“ Ich war ein bisschen perplex, bedankte mich artig und der Mann ging. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich das einordnen konnte, was da passiert war. So eine Begegnung wäre für Ulcinj absolut typisch gewesen, da passiert mir sowas öfter. In Deutschland rechnet man jetzt nicht unmittelbar damit, aber es hat mich im Nachhinein so gefreut, dass ich feststellen konnte, dass es auch in Deutschland total nette Menschen gibt, die vor allem auch zu Wildfremden nett sind. Kurt vermutete, der Mann hätte unser Gespräch mitbekommen und war froh, dass es auch noch ein paar „Gutmenschen“ in Deutschland gibt, denen ja neuerdings viel weniger Gehör geschenkt wird als den Brandstifter, ob real oder geistig. Ich war auf jeden Fall entzückt und konnte bei all den nicht so tollen Sachen noch ein bisschen von dieser Begegnung zehren.

So eine nicht so tolle Sache ereignete sich am Donnerstag, als wir nach Stuttgart fuhren. Ich war bisher nicht durchgängig Fan dieser Stadt, was sicherlich total ungerecht ist, aber ich habe in Stuttgart bisher nun mal nichts anderes gemacht, als im Stau zu stehen. Nachdem wir das Mercedes-Museum besichtigt hatten, das wirklich toll war, ließen wir die Schüler von der Leine, zum Shoppen gehen, und ich spazierte ein bisschen durch die Innenstadt. Ich ahnte nichts Böses, genoss die Sonne und war gerade dabei, meine Antipathie gegen diese Stadt zumindest zu relativieren, als es RUMMMS machte. Leute, die mich kennen, könnten vermuten, dass ich mal wieder gegen ein Straßenschild gelaufen bin, wäre ja nicht das erste Mal, aber diesmal war ich völlig unschuldig! Mir war doch tatsächlich eine Taube vollkaracho gegen den Kopf geflogen! Mal davon abgesehen, dass Tauben als „Ratten der Lüfte“ bezeichnet werden und dass es echt weh getan hat, war die Situation auch sehr peinlich, so dass ich es versäumte, mit der Taube Versicherungsnummern auszutauschen und nur schaute, dass ich weiterkam. Tja, Stuttgart, du hast mal wieder eine Chance versäumt, dich bei mir beliebt zu machen, mir scheint, du willst mich von dir fernhalten. Kannst du haben! Tauben füge ich unterdessen auf meine Liste der gehassten Tiere hinzu, auf der schon Mäuse, Ziegen mit Bart und Kellerasseln stehen.

Während der Fahrt im Zug kamen unsere Schüler mit einem dunkelhäutigen Mann aus dem Senegal ins Gespräch. Er erzählt, woher er kommt, und ein Schüler fragte ganz naiv: „Senegal, wo liegt das, auf welchem Kontinent?“ Hier zeigt sich mal wieder, aus welchem Holz meine Schüler geschnitzt sind. Dass der Mann schwarz war, ist für sie so wenig von Bedeutung, dass sie dadurch nicht auf die geographische Lage seines Heimatlandes schließen können. Das finde ich irgendwie beeindruckend.

Am nächsten Morgen wurden wir vom Bürgermeister begrüßt. Ein netter Mann, der uns einiges über Freudenstadt erzählte und auf die Frage, wie das denn hier mit den Flüchtlingen sei, antwortete: „In Freudenstadt leben über 3000 Menschen ohne deutschen Pass, die super integriert sind, da werden wir die 450 Flüchtlinge auch noch unterbringen können.“ Schön, so eine Stimme zu hören!

Dann war auch schon Wochenende. Mein Chef hielt mich netterweise immer über die Wetterlage in Ulcinj auf dem Laufenden („die Narzissen blühen… 23 Grad“) und erwiderte auf meine Antwort „Du bist gemein, wir rutschen hier über gefrorene Straßen“ nur ein freches „Guten Rutsch“. Trotz aller Widrigkeiten entschloss ich mich, am Samstag wandern zu gehen. Ich kann euch sagen, es war wirklich wunderschön. Ich lief erst von Baiersbronn, wo unsere Pension war, 4km nach Klosterreichenbach, wo der Rundweg, den ich mir ausgesucht hatte, losging. Dann stapfte ich ca. 13 km durch den wundervoll verschneiten Schwarzwald.

Um mich herum war keine Menschenseele, den Spuren im Schnee nach zu urteilen, hatten gerade mal ein paar Rehe an diesem Tag den Weg gekreuzt. Sonst war ich die erste, die ihre Fußstapfen im ca. 10cm tiefen Schnee hinterließ. Eine zauberhafte Ruhe umgab mich, ich war zwar klitschnass und abgekämpft als ich wieder zurück kam, meine Schuhe haben den Ausflug nicht überlebt, aber das war es trotz allem wert.

Am nächsten Morgen machte ich mich früh auf den Weg nach Karlsruhe zu meinem Bruder. Als ich dort ankam, waren auch meine Eltern schon da. Wir feierten erstmal Wiedersehen, ich bekam meine Briefwahlunterlagen und konnte meiner demokratischen Pflicht nachkommen (im Übrigen immer noch ein erhebendes Gefühl!), dann trafen wir uns mit meiner besten Freundin und ihrer Mutter zum Mittagessen…

…und gingen dann noch ein bisschen spazieren. Als alle wieder gefahren waren, blieb ich noch bei meinem Bruder. Da ich am nächsten Morgen sowieso nach Karlsruhe gemusst hätte, übernachtete ich bei ihm. Wir redeten über Studium und solche Sachen und da ich akut auf der Suche nach meiner Zukunft bin, googleten wir ein bisschen rum und fanden, tadaaa, den perfekten Studiengang: Wissenschaft-Medien-Kommunikation. Vereint alle meine Leidenschaften, von Chemie bis zum Schreiben! Ich warte mit meiner endgültigen Entscheidung noch, bis sich die Euphorie gelegt hat, aber es passt wirklich beängstigend gut!

Montags fuhr ich mit der Bahn zum Zoo, wo ich mit meinen Kollegen und meinen Schülern verabredet war. Da ich ein bisschen zu früh war, setzte ich mich auf eine Bank und beobachtete die Flamingos. Das nahm mich anscheinend so in Beschlag, dass ich nicht merkte, was sich hinter mir zusammenbraute. Meine Schüler, die sonst in keiner Situation wirklich hundertprozentig still sein können, stellten sich hinter mir auf und fingen plötzlich in einer unfassbaren Lautstärke an, „Zum Geburtstag viel Glück“ zu singen. Ich erlebte den Schock meines Lebens, freute mich dann aber doch sehr!

Im Zoo entdeckte ich meine Leidenschaft für Seelöwen, die aber nur so lange vorhielt, bis mich einer sowas von nass gespritzt hatte, dass ich echt getropft habe. Ich schloss ewige Freundschaft mit einem Affen, der durch die Glasscheibe seine Hand gegen meine legte und alle Grimassen nachmachte, die ich ihm schnitt.

Dann beobachtete ich noch einen Eisbären, der einen enormen Bauchklatscher machte, dann war die Zeit auch schon rum und wir fuhren in die Innenstadt.

Shopping ist für die Schüler eine ganz wichtige Sache in Deutschland, gibt es hier doch viele Sachen, die man in Montenegro nicht so ohne Weiteres kriegt. Wir gingen aber nicht davon aus, dass wir uns mit etwas beschäftigen müssen, dass verursacht, dass wir zwei Schülerinnen auf der Polizeiwache abholen mussten. Der Sachverhalt ist nicht zu hundert Prozent geklärt, aber die eine wollte auf jeden Fall aus jugendlichem Übermut einen Lipgloss klauen, die andere packte ein Parfum aus der Verpackung, weil sie es kaufen wollte. Das ist in Montenegro wohl so üblich, wirkte aber in Zusammenhang mit dem geklauten Lipgloss nicht unbedingt vorteilhaft. Sie haben anscheinend keine größeren Konsequenzen zu befürchten, aber es machte natürlich keinen guten Eindruck. Es tat ihnen alles schrecklich leid, wir werden in den nächsten Tagen mit den Eltern reden, aber die Polizisten meinten, das Verfahren würde wahrscheinlich eingestellt werden.

Nach dieser Geschichte waren wir einigermaßen froh, dass wir am nächsten Tag (fast) frei hatten. Die Schüler sollten ihre Projekte bearbeiten. Beim Blick aus dem Fenster entschloss ich mich, zu Hause zu bleiben, zu lesen, zu schreiben und nichts zu tun, denn einmal vom Schnee, einmal vom Seelöwen nass zu werden, reichte mir vorerst aus. Abends mussten wir dann in die Schule zur Präsentation. Wir hatte ja wirklich nichts Tolles erwartet, da die deutschen Schüler vorher schon angekündigt hatte, dass sie keine Lust haben und da ja eh nur unsere Schüler Noten bekommen sollten, hielten sie es nicht für nötig, sich groß mit den Themen zu beschäftigen. Es gab einige mittelmäßige bis erträgliche Präsentationen übers Kochen oder über Sagen und Märchen des Schwarzwalds. Dann gab es aber zum Beispiel die Gruppe „Sport in Freudenstadt“, in den eine Schülerin folgenden Vortrag hielt: „Ich habe hier vier Tennisplätze an die Tafel gemalt, in Freudenstadt kann man Tennis spielen, dafür muss der Ball von der einen auf die andere Seite.“ Das war das Projekt, für das sie einen ganzen Tag Zeit hatten. Sie war auch noch stolz darauf. Andere Gruppen waren nicht viel besser, so dass am Ende die Nerven bei allen blank lagen. Die Schüler schnauzten die Lehrer an, die Lehrer schnauzten die Schüler an, wir schnauzten uns gegenseitig an und keiner hatte mehr auf irgendwas Lust. Nachdem sich die Gemüter ein bisschen beruhigt hatten und wir auf dem Heimweg waren, bekam ich die Aufgabe, für die Projektarbeit ein neues Konzept zu entwerfen, weil die deutsche Lehrerin ankündigte: „Für sowas stelle ich meine Schüler nicht mehr frei, das kann ich nicht verantworten.“ Mit dieser Aussage kann ich nicht so viel anfangen, erstens, weil ich nicht weiß, was daran so schlimm sein soll, aber: „baden-württembergisches Schulsystem“, und zweitens, weil doch ihre Schüler alleine schuld an diesem Ausmaß an Blödheit und Unmotiviertheit waren. Wie auch immer, ich werde mir was überlegen, denn noch so eine Präsentation will ich weder meinem Nachfolger/meiner Nachfolgerin noch meinen Kollegen zumuten.

Ich versuchte wirklich, mir nicht die Laune verderben zu lassen, aber meine Lust auf den gemeinsamen Ausflug mit den Deutschen nach Baden-Baden hielt sich ehrlich gesagt in Grenzen. Im Vorfeld bat mich Kurt, mir eine kleine Stadtführung zu überlegen. Hätte ich auch sehr gerne gemacht, nur schrieb die deutsche Lehrerin auf diese Ankündigung hin, sie hätte jetzt auch mal nachgeschaut, man könne dies und dies und das machen und anschauen, sie könnte auch zu allem was sagen. Ich fragte Kurt, ob ich denn jetzt noch was machen sollte, er meinte, das würde ja reichen, also freute ich mich stattdessen über einen freien Nachmittag. Als wir dann in Baden-Baden ankamen, fragte sie mich, was ich mir denn jetzt überlegt hätte. Ich sagte (noch ganz ruhig), dass sie das doch machen wollte. Jaaaa, das wäre ja nur ein Vorschlag gewesen, sie dachte jetzt, dass ich das machen würde…
Ich fing an, die Faust in der Tasche zu ballen. Erst nimmt sie mir meine Aufgabe weg, weil sie es mir scheinbar nicht zutraut und dann macht sie mir Vorwürfe, weil ich mir nicht trotzdem was überlegt hatte. Auf meinen vorsichtigen Vorschlag hin, wir könnten es doch einfach bleiben lassen, die Schüler hätten sowieso keine Lust, meinte sie, sie bräuchten eine Rechtfertigung für diesen Ausflug („baden-württembergisches Schulsystem“). Es scheint nicht auszureichen, dass wir nachmittags den SWR besichtigten, Einblicke bekamen, die man sonst nie bekommt und wirklich was gelernt haben. Mit einer mir neuen Weisheit beschloss ich, dass es keinen Sinn macht, mit ihr zu streiten. Also ertrug ich Schimpf und Schande, wusste, dass ich nicht schuld an dem ganzen Schlamassel war und genoss den Rest des Ausflugs, bei dem ich immerhin ein Foto für meine Oma in den Kulissen der Fallers schießen konnte.

Ich war aber trotzdem irgendwie froh, wieder zurück zu fahren. Ich war eben versucht, „nach Hause“ zu schreiben. Das trifft zwar ein bisschen das Gefühl, das ich hatte, als wir nach einer erneut anstrengenden Busfahrt wieder in Ulcinj ankamen, aber es kommt mir trotzdem (noch?) nicht über die Lippen, um nicht zu sagen, über die Finger.
Die Schüler vergossen einige Tränen, als sie sich in der großen Pause von ihren Austauschpartnern verabschiedet haben. Es war leider nicht viel Zeit dafür, die Schüler mussten ja pünktlich wieder in den Unterricht und durften nicht mal mit zum Bus („baden-württembergisches Schulsystem“). Einige taten es trotzdem, was mir außergewöhnlich sympathisch war.

Die Rückfahrt verlief ohne weitere Zwischenfälle. Am Anfang standen wir im Stau, überraschenderweise auf der Höhe von Stuttgart, doch dieser Stau hielt noch zwei schöne Erkenntnisse bereit. Um mir die Zeit zu vertreiben, notierte ich alle Länder, aus denen ich Autos sah. Es waren in dem kurzen Stück in Deutschland sage und schreibe 26 Länder. Offene Grenzen und Reisefreiheit sind einfach eine tolle Sache!

Außerdem wurde mir wieder einmal die wundervolle Internationalität des Lachens bewusst, von der sich schon mal erzählt hatte. Die beiden Busfahrer konnten zusammen noch weniger Deutsch als ich Montenegrinisch, eine Unterhaltung, die über „Dobro jutro“ bei der morgendlichen Begegnung im Frühstücksraum hinausging, war also nicht möglich, obwohl es zwei echt nette Kerle waren. Als wir allerdings im Stau standen und in Schrittgeschwindigkeit an einem auf dem Seitenstreifen geparkten Auto vorbeifuhren, aus dem gerade eine Frau ausstieg, überwanden wir ratzfatz alle Sprachbarrieren. Die Frau hielt nämlich die Büsche neben der Leitplanke für blickdichter als sie tatsächlich waren, sie stand wohl auch schon etwas länger im Stau. So kam es, dass sie uns ihren nackten Hintern entgegenstreckte. Ich saß relativ weit vorne, die Busfahrer vergewisserten sich mit einem Blick über die Schulter, dass ich das auch gesehen habe und dann kicherten wir los, als wären wir Fünftklässler, die mal ein bisschen in ihrem Biobuch geblättert haben. Total albern, aber es war schön zu sehen, dass man nicht eine Sprache sprechen muss, um miteinander zu lachen und sich sympathisch zu finden.

Als wir gestern nach diesmal nur 25h in Ulcinj ankamen, wiederholte ich meine Devise nach der Hinfahrt: Duschen-Mama schreiben-Schlafen-Essen-Schlafen. Heute schleppten wir mit Hilfe einiger Schüler die 30 Kisten Bücher, die wir vom SWR geschenkt bekommen hatten, in die Bibliothek, wo ich sie in den nächsten Wochen (oder Monaten oder Jahren oder Jahrzehnten) sortieren werde, damit die Schule welche bekommt und in der Bücherei eine deutsche Abteilung angelegt werden kann. Kurt lud die Jungs (und mich) noch zum Pizzaessen ein und wir unterhielten uns über ihren Eindruck von Deutschland, was sehr spannend und sehr interessant war.

Jetzt kann ich entspannt auf dem Sofa sitzen, der Koffer ist ausgepackt, die Wäsche gewaschen und ich kann in aller Ruhe im Frühling ankommen! 🙂

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