1 Jahr Montenegro oder "Jana, wie heißt das Land nochmal"

Der kuschelige Boden der Tatsachen

Juhu, ich habe es endlich geschafft! Nach drei Wochen in Montenegro war ich jetzt auch endlich das erste Mal in der Schule! Dazu gleich mehr, zuerst möchte ich noch mal kurz auf den Videoworkshop und damit auf meinen letzten Blogeintrag zurückblicken.
Der Workshop ging bis Donnerstag. Dann reisten die Schüler ab und weil ich wohl doch einen äußerst erschöpften Eindruck machte, musste ich am Freitag nur ganz kurz ein paar Rechnungen zusammenstellen und hatte sonst bis heute frei. Mir blieb also genug Zeit zum Reflektieren. Ich habe meinen doch sehr euphorischen Beitrag nochmal gelesen, kann euch aber sagen: Ich habe nicht übertrieben. Der Film ist zwar nicht fertig geworden, aber Siniša wird ihn in den nächsten Wochen zusammenschneiden und dann gibt es auch einen Link, damit ihr nicht nur mein Gerede (bzw. Geschreibe) habt, sondern auch mal seht, worum es eigentlich ging.
Das Wochenende nutzte ich dann mal, um nichts zu tun, mich von der doch sehr anstrengenden Woche zu erholen und mich ausführlich über den FCK-Sieg am Freitag zu freuen (warum muss ich eigentlich das Land verlassen, dass die mal wieder gewinnen???). Auch wenn es wirklich sehr entspannend war, hatte ich doch ein äußerst unschönes Erlebnis. Hierzu eine kleine Geschichte. Als ich am Donnerstag unterwegs war, um mich nochmal mit Kurt, Jakob und Siniša zu treffen und den Workshop zu besprechen, wurde ich auf dem Weg mehrmals auf Deutsch angesprochen. Es hat sich scheinbar mittlerweile rumgesprochen, dass diese komische Frau mit dem Strohhut die neue deutsche Assistentin ist. Ich kann euch sagen, dass es wahrlich nicht leicht ist, diesem extrem gastfreundlichen Völkchen zu erklären, dass man gerade keine Zeit hat, die Einladung zum Kaffee anzunehmen, weil man verabredet ist. Als ich allerdings doch ziemlich verspätet am Treffpunkt ankam, war keiner mehr in Sicht. Mein montenegrinisches Handy hatte ich leider vergessen, also konnte ich auch nicht anrufen. So machte ich mich schon leicht genervt auf den steilen Heimweg. Damit ich den Berg nicht nochmal runter musste, wollte ich gleich noch das Geld für meine Miete abheben. Ich geriet allerdings an einen Geldautomaten, der kein Deutsch sprach. Schade, denn ich verstand nichts mehr und drückte einfach mal alle Tasten. Ein Wunder, dass ich nicht aus Versehen 123456€ abgehoben habe. Nach ca. drei Panikattacken kriegte ich doch meine Karte wieder und lief dann endgültig unverrichteter Dinge nach Hause. Dort wollte ich mich mit meinem letzten deutschen Buch, das ich von meiner Vorgängerin geschenkt bekommen habe, auf den Balkon setzen und meine Ruhe haben. Plötzlich bekam ich Besuch. Eine Katze ließ sich mal wieder blicken und überraschenderweise auch streicheln. Dabei blickte sie mich aber immer so verdächtig an, mir schwante nichts Gutes. Zu Recht, dann plötzlich machte die Katze seltsame Geräusche. Seit Donnerstag habe ich am Computer eine Worddatei offen, weil ich einen Blogeintrag schreiben wollte mit dem Titel: „Hilfe, mir hat gerade eine Katze auf den Balkon gekotzt!“ Das entsprach auch der WhatsApp-Nachricht, die ich an sämtliche Adressen versendete, von denen ich mir Hilfe erwartete. Um meine treuen Leser nicht gleich am Anfang zu verschrecken, änderte ich den Titel jedoch noch in den „kuscheligen Boden der Tatsachen“, weil ich dieses Bild ganz toll finde. Ich war hier zum ersten Mal in meinem Leben in einer Moschee, und obgleich ich, wie vielleicht schon bemerkt, Religionen allgemein sehr kritisch gegenüberstehe, und auch ungerne eine der anderen vorziehen will, so muss ich doch sagen, dass der Teppichboden der Moschee doch schon eher zum Verweilen einlädt, als die harten Kirchenbänke. Ich bin also nach den tollen Workshop-Tagen wieder im Alltag angekommen, weiß, dass das hier nicht Utopia ist, aber ich finde es trotz kotzender Katzen immer noch ganz toll.
Heute war ich dann wie gesagt das erste Mal in der Schule. Ich wurde zu einer sehr humanen Zeit, um halb zehn, ins Deutschzimmer bestellt. Auf meine verängstigte Frage, wie ich denn dieses Zimmer finden sollte, kam die Antwort, ich solle doch Schüler fragen. Hmm, ok, ich habe zwar die Erfahrung gemacht, dass die alle total nett sind, aber wie finde ich jetzt heraus, welche Schüler Deutsch sprechen? Aus einem bei mir eigentlich seltenen Mangel an Entschlusskraft blieb ich einfach mal vor der Schule stehen und wartete, was passiert…
Da kam ein Mädchen, vielleicht 12 Jahre alt, aus der Schule und lief zielstrebig auf mich zu. „Jana? Can I bring you? Herr Schlegel?“ Ok, hier war ich schon mal richtig. Ich folgte dem Mädchen und erklärte ihr noch auf Deutsch, wo ich herkomme und dass sie doch bitte Deutsch mit mir reden soll. Dann kamen wir Gott sei Dank schon an und ich wurde mit großem Hallo begrüßt. Eine 7.Klasse wartete auf mich. Ich durfte mich kurz vorstellen, wie noch ziemlich oft an diesem Tag, und dann veranstaltete Herr Schlegel ein kleines Quiz, in dem die Schüler mein Lieblingsessen, meine Lieblingsmusik, meine Hobbys usw. erraten sollten. Klappte ganz gut und war sehr lustig, als mir einer der Jungs unterstellte, ich würde gerne Helene Fischer hören. Ich kuckte kurz sehr böse, aber dann haben wir uns wieder vertragen. Anschließend schrieb die Klasse einen Vokabeltest, der sich sehr lustig gestaltete, da Kurt ja kein Albanisch kann und deshalb keine stumpfen Übersetzungstests schreiben kann. Er turnte also alle Vokabeln eigenhändig vor, brach in Tränen aus, als er das Wort „traurig“ hören wollte, beschimpfte einen Schüler, als es um „böse“ ging und schmiss Bücher durch die Gegend, als das Verb „liegen“ gefragt war. Ich bin mal gespannt, wie sich diese Tests gestalten werden, wenn er mal Ölpest, Wahrsager oder Kartoffelsalat erklären muss 😀 Nach dem Test machten die Schüler eine Übung, bei der sie ihr Traumzimmer beschreiben sollten. Ich war geschockt, denn die ersten Antworten waren: „ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett, eine Lampe, ein Schrank und ein Regal.“ Erste Frage: Wie sehen denn bitte ihre Zimmer in der Realität aus, wenn das das Traumzimmer ist? Zweite Frage: Warum sind die Schüler hier so genügsam? Nach und nach stellte sich aber heraus, dass es wohl hauptsächlich an der Sprachbarriere gelegen hat. Als sich die Schüler nämlich gegenseitig halfen, bekamen wir doch noch Antworten wie ein Whirlpool, ein Fußballfeld und ein Ferrari-Bett. Dem Himmel sei Dank, auch die Jugend hier hat noch Träume!
Dann kamen die nächsten Klassen: eine Achte, eine Neunte und dann noch eine Achte. Es war nicht mehr viel Neues, ich stellte mich wieder vor, wir machten ein Quiz, während diese Klassen ebenfalls Tests schrieben, korrigierte ich jeweils den Test der vorherigen Klasse. So richtig mit Rotstift und Häkchen und so, ich habe mich richtig wichtig gefühlt. Anschließend an den Unterricht traf ich den montenegrinischen Deutschlehrer Artan, der mir auch Sprachunterricht geben wird. Nächste Woche geht es los, dann gibt es keine Ausreden mehr, dann muss ich mich mal unter die Leute trauen und nicht immer nur hilflos stammeln, wenn ich auf Montenegrinisch angesprochen werde.
Doch auch ohne Sprachkenntnisse hatte ich wieder viele sehr schöne Begegnungen. Von den Einladungen zum Kaffee, die ich leider nicht annehmen konnte, hatte ich ja schon berichtet. Die Frau in dem kleinen Laden gegenüber, die kaum Deutsch spricht, kratzte für mich ihre letzten Sprachkenntnisse zusammen, um mir zu erklären, wie toll sie es findet, dass ich hier bin und dass ich freiwillig hier arbeite. Ich lernte einige Kollegen an Grundschule und Gymnasium kennen, die alle sehr freundlich und nett waren, ihr Englisch oder Deutsch für mich entstaubten und mich in Ulcinj willkommen hießen. Auch den Direktor des Gymnasiums lernte ich kennen, ein dicker, alter, sehr gemütlicher Mann, der mir strahlend die Hand reichte, sich ehrlich zu freuen schien, mich kennenzulernen und auch gleich noch meinen Tee im Lehrerkaffee bezahlte. An dieser Stelle bin ich noch nicht wirklich voran gekommen, bezahlen darf ich immer noch sehr selten, aber ich habe zumindest die Unart abstellen können, dass ich manchmal mit mehr Geld nach Hause gekommen bin als ich vorher im Portemonnaie hatte.
Am Nachmittag hatte ich dann noch zwei Stunden mit der zweiten Klasse am Gymnasium (kurze Erläuterung: Grundschule – 1. bis 9. Klasse, Gymnasium nochmal 1. bis 4. Klasse). Die Schüler kannte ich schon vom Austausch, wir besprachen ihre wirklich katastrophalen Aufsätze, die sie zum Austausch schreiben sollten. Hierbei fiel auf, dass die Schüler zwar teilweise fast perfekt Deutsch sprechen können, beim Schreiben tun sich die meisten aber wirklich schwer. Als Kurt dann sagte, keiner dieser Aufsätze wäre besser als eine 3, schöpfte ich noch keinen Verdacht, als er aber sagte, natürlich wollt ihr alle lieber eine 5, musste ich kurz (oder ein bisschen länger) stutzen, bis mir wieder einfiel, dass das Notensystem von 1 bis 5 geht und genau umgedreht ist. Daran werde ich mich erst noch gewöhnen müssen, dass man abschreibenden Schülern mit Einsen droht und fleißigen Schülern eine 5 in Aussicht stellt. Klingt für meine deutschen Ohren extrem seltsam!
Wenn das allerdings, neben der Sprache natürlich, mein größtes Eingewöhnungsproblem ist, dann kann ich mich glücklich schätzen!
Während ich auf Armin wartete, der mich mit nach Hause nehmen sollte, lernte ich noch den Parkplatzhund kennen. Die Straßenhunde werden hier oft nicht sehr gut behandelt. Ich hatte Zeit und wollte nicht doof rumstehen, also kraulte ich den Hund ausführlich hinter den Ohren. Armin versprach, ich hätte einen Freund fürs Leben gewonnen. Hunde sind scheinbar doch netter als Katzen, oder zumindest dankbarer. Sollte mich dann doch irgendwann mal die Einsamkeit übermannen, dann habe ich jetzt zumindest einen Ansprechpartner, der mir nicht widerspricht (an dieser Stelle hatte sich ein Tippfehler eingeschlichen – „wiederspricht“ – und nicht mal 10 Minuten, nachdem ich den Artikel veröffentlicht hatte, schreibt mir meine Mutter, ich solle doch bitte diesen schrecklichen Fehler verbessern! Danke liebe Mama!) und gegen eine kleine, streichelnde Gegenleistung meinem Kummer so lange lauschen wird, wie es nötig ist.
Im Moment gibt es dazu allerdings noch recht wenig Anlass. Drückt mir die Daumen, dass es so bleibt!

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