1 Jahr Montenegro oder "Jana, wie heißt das Land nochmal"

Dunkle Wolken im Paradies

Bei der Auswahl meines Wecktons an meinem Handy bin ich wählerisch. Nachdem ich es mal mit „Keine Macht für Niemand“ versucht hatte, im meinem Leben aber nie wieder so erschrocken bin wie an jenem Tag, habe ich mich, um einigermaßen sanft geweckt zu werden, für „Castle on a cloud“ aus Les Miserables und „Sound of Silence“ entschieden. So werde ich behutsam vom Reich der Träume in die Realität begleitet.
Heute Morgen hätte ich ausschlafen können, da ich erst um 11 Uhr mit Armin verabredet war, um für den Videoworkshop Kabel mit bunten Fähnchen zu versehen, um sie, wie Entdecker mit der Fahne ihres Heimatlandes, hier mit ZfA-Aufkleber zu brandmarken und fremde Annexionen zu verhindern.
Weil ich gestern Abend lange geschrieben habe, stellte ich den Wecker sicherheitshalber doch auf 10 Uhr. In Erwartung einer verhältnismäßig langen, gemütlichen Nacht schlief ich beseelt ein.
Ein paar Stunden später: Ich träume gerade wahlweise von der großen Liebe, dem ewigen Glück oder anderen Verrücktheiten, als ich mit einem unbeschreiblichen RUMMMS! sehr unsanft auf den Boden der Tatsachen und meiner kleinen Wohnung zurückgeholt werde. Ich stehe senkrecht im Bett und versuche, die Ursache dieses Höllenlärms zu ergründen. War es ein Erdbeben, wie damals in den 70er Jahren, welches die gesamte Stadt zerstört hat? Oder Gottes (oder Allahs) Zorn, weil es ihm um die geopferten Schäfchen Leid tut? Ein panikartiger Blick auf die Uhr bringt mich in meinen Spekulationen ein gutes Stück voran. Halb acht, eigentlich müsste es schon längst hell sein. Doch draußen herrscht Finsternis! Vielleicht ein Vulkanausbruch mit Aschewolke? Oder doch die Apokalypse?
Nein, denn plötzlich durchdringt mein noch müdes Gehirn die Erkenntnis, dass nicht nur das omnipräsente Meeresrauschen an meine malträtierten Ohren dringt, sondern auch Regen. Aber wie! Da scheint Petrus (oder Allah oder Buddha oder das fliegende Spaghetti-Monster, um die religiöse Neutralität zu wahren) seine Gießkanne aber ganz schön zu schütteln. Aus gut unterrichteter Quelle, nämlich meiner Erinnerung, weiß ich, dass man von meinem Balkon das Meer sehen kann, doch kann ich meinem Gehirn dieses Wissen leider nicht durch visuelle Impulse bestätigen, man sieht nämlich das Meer vor lauter Wasser nicht mehr!
Nachdem ich schlaftrunken erkannt hatte, dass an diesem Umstand unmittelbar nichts zu ändern war, der Meerblick schien unwiederbringlich verloren, fuhr ich fort mit meiner Suche nach der Ursache des Lautes, der mich um meine Fensterscheiben fürchten ließ.
Plötzlich, Helligkeit! Wie ein Blitz durchzuckte, nun ja, ein Blitz, die finstere Nacht. Verdammt, hatte mir jemand Paparazzi auf dem Hals gehetzt? Ach nein, ich bin ja gar nicht berühmt. Kurz darauf erneut ein Grollen, als würde ein riesiger Riese an Keuchhusten leiden. Wieder klirrten die Scheiben und ich drehte schon mal in Gedanken mein Zimmer auf den Kopf, um zu berechnen, was Dr. Walter alles bezahlen würde. Ich wollte meine Gebete sprechen, bis mir auffiel, dass ich nicht religiös bin und gar nicht wüsste, welchen Gott ich denn jetzt um Vergebung für welche Sünden bitten sollte.
Dann kehrte aber doch der Realismus zurück, und ich fand mich in einem schnöden Gewitter wieder. Aber was für eins, alle obigen Schilderungen sind keineswegs übertrieben. Ich kuschelte mich also wieder in mein Bett und döste noch ein bisschen vor mich hin. Irgendwann stand ich auf, um zu frühstücken, kochte mir Tee und checkte mal eben, was es so Neues in der großen, weiten Welt des Internets gab. Um mir neues Müsli zu holen, legte ich das Handy kurz aus der Hand. Als ich wiederkam, funktionierte das Internet nicht mehr. Naja, nicht so tragisch, das soll ja vorkommen. Weil ich aber eine wichtige Nachricht von Armin erwartete, wann wir uns denn treffen würden, schrieb ich ihm eine altmodische SMS, dass er mir doch bitte auf diesem Wege Bescheid geben soll, weil WhatsApp eben ausfällt. Seine Antwort ließ mich stutzen: „Hier ist der Strom weg. Hat im Moment keinen Sinn. Ich melde mich.“ Plötzlich vermisste auch ich das sonore Brummen meines Kühlschranks, das Blubbern des Boilers und das rote Licht am Fernseher. Stromausfall, scheinbar im ganzen Viertel! Also doch die Apokalypse!
Geschlagene 7 Stunden saßen wir elektrizitätsmäßig auf dem Trockenen. Das hieß für mich: mir Sorgen um meine Eier und Milchprodukte im Kühlschrank machen, keine Essen kochen, im Dunkeln aufs Klo gehen (#festerlosesBad) und kein Internet, was mich mit der Heimat verbindet. Ganz ehrlich, ich war entsetzt über mich selbst. Ich dachte immer, ich gehöre nicht zu diesen degenerierten Wesen, die keine Sekunde ohne ihr Handy ertragen, die immer Input und ständig Entertainment brauchen und ohne sofort unruhig werden. Und ja, es stimmt, ich hänge nicht ständig am Handy, aber dass man mir die Möglichkeit weggenommen hat, es theoretisch zu tun, dass man Angst haben musste, jetzt gerade eine wichtige Nachricht zu bekommen, machten mich total nervös. Ich konnte mich zwar noch ganz gut so beschäftigen, so viel Phantasie habe ich noch, aber ich kontrollierte ständig, ob der Strom nicht doch schon wieder geht. Ich kann nicht in die Zukunft schauen, aber wenn da noch ein Rest verkümmerter Konsequenz in mir ist, dann sollte ich mein Medienverhalten mal grundlegend überdenken. Ich hasse es grundsätzlich, von etwas oder jemandem abhängig zu sein, und diese 7 Stunden haben mir tatsächlich die Augen geöffnet.
Mittlerweile ist alles wieder gut, der Strom ist in die verdorrten Steckdosen zurückgekehrt. Mein Essen ist noch gut, verhungert bin ich dank Brot und Müsli auch nicht und auch im Bad findet man sich mit Handytaschenlampe ganz gut zurecht. Als ich auf mein Handy schaute, hatte ich eine, in Zahlen 1, in Worten auch, neue Nachricht, die man nun nicht gerade als weltbewegend bezeichnen kann. Beschämt legte ich mein Handy aus der Hand und schrieb (erstmal per Hand, also ganz analog!!!) diesen Blogeintrag.
Auch die Sonne ist zurückgekehrt und bescherte mir als Entschädigung gleich noch ein tolles Fotomotiv von Himmel und Meer.
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So saß ich auf dem Balkon und betrachtete lange, wie sich die Wolken verzogen, bis am Himmel nichts mehr von den Naturgewalten zeugte, die hier noch kurz zuvor gewütet hatten. Dabei ließ ich das Handy Handy sein, interessierte mich nicht für WhatsApp, Facebook oder sonst was, sondern genoss den Moment, ohne ihn sofort mit jemandem teilen zu müssen.
Ich habe immer gesagt, dass ich während dieses Jahres etwas Neues lernen möchte, und wenn es das war, dann bin ich schon ganz glücklich!

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