Sightseeing, die Erste

Neun Wochen und ich kann behaupten: Eingelebt in einer Megacity – check. Allerdings hat der ersehnte Alltag auch einen Nachteil. Ich verpasse die aufregenden und spannenden Seiten meiner neuen Heimatstadt, weil ich nach 18 Uhr einfach nur nach Hause will und am Wochenende zwischen Feiern und Schlafen bzw. Entspannen keine Lust für Sightseeing bleibt.

Exponiert

Trotzallem habe ich mich am letzten Sonntag aufgerafft und bin zum ehemaligen Expogelände gefahren. Das liegt im Süden der Stadt, auf der Pudong-Seite des Huang He, und eigentlich hätte mich der Fakt schon stutzig machen müssen, dass die eine Metro-Station immer noch nicht fertig ist – die U-Bahn fährt einfach durch. Schließlich angekommen bin ich bei sengender Hitze eine elend lange Straße Richtung Fluss gelaufen. Links gab es auch eine wunderbar mit hellen Segeln überspannte Promenade, an der wurde aber immer noch oder schon wieder gebaut. Mein Ziel war der chinesische Pavillon, ein monumentales Bauwerk, das vielen bestimmt ein Begriff ist. Erstaunter Weise war der zu – so wie ziemlich alles andere auch. Nur das „Moonboat“ war geöffnet – gegen 100 RMB Eintritt, och nö! Also weiter die Straße entlang, immer das UFO vor Augen. Also die Mercedes-Arena, die am Ufer steht und auch irgendwie verlassen wirkt. Innen schien eine Mall zu existieren, mit Kino, Läden aller Couleur und Rolltreppen. Inzwischen ist alles zu, wirkt irgendwie verlassen und nur wenn man sich ins Innere des gestrandeten Raumschiffes traut, gelangt man bei 33°C Außentemperatur zu einer – Schlittschuhbahn! Ich dachte mich trifft der (Kälte-)Schlag.

Hätte ich nicht anschließend den kleinen, aber sehr schönen Expo-Park besucht, hätte die Expo-Organisation heute einen bitterbösen Brief in den Händen: So sehr habe ich mich über die überdimensionierten Gebäude aufgeregt. Nachhaltigkeit in der Nutzung dieser Infrastruktur – never! Aber der Park war schön.

Janz Weit Oben

Um tolles Sightseeing zu erleben braucht es also gut vorbereitete Lonely-Planet-Besitzer. Deswegen ein Hoch auf Besucher. Freunde, die noch nie in einer Megacity waren und begeistert alles innerhalb von nur wenig Zeit sehen wollen. Menschen, die sich an den bunten Lichtern auf der Nanjing Dong Lu nicht satt sehen können. Denen Starbucks oder Skyscrapers verwehrt sind; und mich mit schleppen.

Da wäre zum Beispiel Simon, ein Freund, der mich vor dem Zwischenseminar in Shanghai besuchte. Innerhalb von 18 Stunden habe ich auch den Bund bei Nacht inzwischen gesehen und war in fast 500 Meter Höhe über der Stadt, im World Financial Center. Eigentlich nenne ich es den „Flaschenöffner“, aber wahrscheinlich nur, weil ich mich vor diesem beeindruckenden Gebäude nicht einschüchtern lassen will. Trotzdem war ein extrem komisches Gefühl, fünf Meter UNTER der Erde in einem dunklen Raum auf den Lift zu warten. Hatte mehr was von einer ziemlich abgefahrenen Achterbahn. Schließlich standen wir drin und immer öfter ertönte das unaufdringliche „Bing“, das pro zurückgelegten Meter erklang. Dann das Knacken in den Ohren. Ziemlich lustig, auf so engem Raum beobachten zu können, wie die „Passagiere“ mit Grimassen den Druck auszugleichen versuchen (Sorry, Simon, aber du hast wirklich wie eine Schlange mit ausgehängtem Kiefer ausgesehen, hehe).

Oben angekommen fährt man noch ein Mal mit einer Rolltreppe hoch und ist auf dem unteren Teil des Flaschenöffners. Trotzdem schon beindruckend, auch weil es eine nette Fotoausstellung gibt. Ziemlich kreative Köpfe haben das WFC in einem Regentropfen oder beim Aufbau dokumentiert. Anschließend geht es mit einem Fahrstuhl noch ein Stückchen höher und über 474 Meter wird der geneigte Besucher auf den „Skywalk“ entlassen. Naja, also der Glasboden ist nicht durchgängig und unter einem ist ja noch der Steg. Aber mulmig war mir doch ein bisschen. Fun Fact: Weil wir ja noch am gleichen Tag zum Zwischenseminar nach Hangzhou wollten, rannte Simon mit einem riesen Rucksack rum und ich mit meinem kleinen, blauen Köfferchen. Der kennt jetzt also nicht nur Croix Rousse in Lyon, sondern auch die Aussicht von einem der höchsten Gebäude; herzlichen Glückwunsch.