Wo wohnen zwischen 20 Millionen?

Einige wissen, dass ich richtig schon tief im Stress stand. Warum? Wohnungssuche in einer Millionenstadt ist die HÖLLE! Eine gute Vorbereitung für das weitere Leben nehme ich an. Aber fang ich doch mal ganz von vorn an 🙂

Als ich vor zwei Wochen ankam, war ich einfach nur geflashed – und bin es immer noch. Die Stadt ist… enorm! Man bekommt tatsächlich eine Genickstarre, weil man die ganze Zeit nach oben schaut. Es gibt so viele Hochhäuser, nicht nur Banken oder Bürotürme, einfach unglaublich viele Wohnungen sind selbstverständlich im 22. oder 26. Stock. Zwischen ihnen verlaufen Hoch-Autobahnen, darunter weitere große acht- oder zehnspurige Straßen und auf einer Ebene dazwischen gibt es Fußgängerbrücken. Unter diesen Straßen und Häusern befinden sich zum Teil U-Bahnstationen, bei denen man zum Umsteigen 20 Minuten einplanen muss. Zum Teil, weil sie so groß sind und ewig weitläufig, aber auch, weil so viele Menschen aussteigen, dass es Staus auf Roll- und normalen Treppen sowie vor den Aufzügen gibt.

Als ich im Hostel eincheckte, wusste ich noch nicht viel davon. Was ich allerdings gemerkt habe, war die Kälte. Es sind immer noch zwischen 0° und 10°C tagsüber – und alles ohne Heizung und Isolation. Zum Glück gab es in meinem Hostelzimmer, dass ich mir mit drei anderen Chinesinnen geteilt hab, eine Heizung. Außer dieser äußerlichen Wärme ist mir vor allem auch aufgefallen, wie unglaublich hilfsbereit die Menschen hier sind! Wer gehört alles dazu? Meine Co-Praktikantin beim DAAD, Yu Weina oder auch Immi. Sie war für ein Jahr in Bamberg an der Uni, spricht super gut Deutsch und hat ihren ersten Arbeitstag mit mir zusammen Handykarte und Wohnungen besichtigt. Telefonieren ist hier so unglaublich billig, das kann man sich gar nicht vorstellen! Zudem braucht man hier einfach jemand, der chinesisch lesen und reden kann, damit man sich in der Stadt zurecht findet. Zwar sind alle Straßennamen „übersetzt“, also in unsere Zeichen transkripiert. Das hilft allerdings oft nicht, weil vieles sehr ähnlich klingen kann. Anekdote dazu: Immi und ich hatten uns für eine Metrostation verabredet, von der wir zusammen die Wohnung ansehen wollten. Linie 7, alles klar, dachte ich. Schließlich stand ich an der Changshou Lu, Exit 7 (essentielle Angabe, manche Stationen haben bis zu 20 Ausgänge!) und wartete… Irgendwann, nach vielen SMS und Telefonaten, wurde uns klar: Ich stand an Changshou Lu und Immi drei Stationen südlicher an der ChangshU Lu. Common mistake, wie mir später viele ExPats erzählten.

Damit komm ich auch gleich auf ein weiteres Shanghai-Phänomen zu sprechen: Die Stadt ist super international. Das kann man positiv wie negativ sehen, denn so genannte ExPats (Ex-Patriots, also Ausländer) machen das Einleben zum Teil einfacher, weil es hier alles für sie gibt: Irish Pubs, internationale Marken (Mode, Essen, Autos, etc.) Aber es nimmt ihnen auch die Herausforderung, sich anzupassen. Als Folge bleiben viele Ausländer unter sich und benehmen sich dementsprechend gegenüber den Chinesen. Beispiel?
Zwei Dinge: An einem Abend nahm mich eine Kollegin mit zu einer Lesung, es war eine Art Open-Mic-Night – natürlich auf Englisch… Dort traf ich Alex, ein Deutscher aus Darmstadt. Seines Erachtens nach ist Shanghai nicht international, weil die Taxifahrer kein Englisch verstehen könnten und man so immer die chinesische Adresse bei sich haben muss. Während er das sagte, saß er mitten zwischen anderen Deutschen, Amerikanern, Finnen und Briten in einer Bar, die von der Ausstattung genauso gut in London, Berlin oder sonst wo hätte sein können, allein die Bedienung war ausnahmslos asiatisch, aber wahrscheinlich nicht nur chinesisch. Was ist daran nicht international? Aber er konnte sich nicht verständigen und für die kommenden fünf Monate sah er es auch nicht ein, Chinesisch zumindest ansatzweise zu lernen. Ganz ehrlich: Ich fand ihn einfach nur mega arrogant.
Genauso war es auch auf einem Alumni-Abend hier auf Arbeit. Die alte Villa, wo ich arbeite, steht mitten im Zentrum Shanghais. Für die Wartung des Gebäudes ist ein chinesisches Ehepaar zuständig. Er ist der Wachmann, sie reinigt alles: die Toiletten, Böden, unser Geschirr, das wir während der Arbeit benutzen. Mir ist es immer noch super unangenehm, wenn sie in unsere Büro kommt, niemand schaut hoch, sie nimmt das Geschirr, geht, und kommt nach einer Weile wieder und räumt die sauberen Teller und Tassen wieder in den Schrank. Ich denk dann immer an die Spülmaschine zu Hause… Auf jeden Fall war eben dieser Alumni-Abend und da gab es Bier und einen Vortrag. Die Leute, die dem Vortrag lauschten, stellten notgedrungener Weise ihr Bier neben ihre Stühle auf den Boden und wie es kommen musste, fiel irgendwann eines um. Manche suchten schnell nach Taschentüchern und der Schaden war eigentlich keiner. Aber etwa zehn Minuten später stand die Frau – sie werden hier AYI genannt – an der Tür mit einem Lappen und wischte den Rest sauber, nahm die Taschentücher und verschwand. Das war gegen acht Uhr abends, die Frau wahrscheinlich schon längst zu Hause eingerichtet, aber irgendwer hatte sie wieder herbestellt. Ganz ehrlich, ich fan es furchtbar. Fast alle Anwesenden waren Westler und niemand half ihr, mich eingeschlossen! Sie ignorierten sie vehement und hörten dem Vortrag zu. Ihr könnt mir gern sagen, dass das ja der Job von der Frau ist und sie sicher auch etwas dabei verdient. Aber sorry, abends um acht schafft man es doch auch, selbst einen Lappen zu holen und das kurz weg zu machen. Verzeiht mir diese Moralpredigt, aber ich war wirklich geschockt, denn vor meinen Augen fand da grad Klassengesellschaften im wahrsten Sinne des Wortes statt – und zwar live und Farbe mit hauptsächlich Deutschen in den Hauptrollen.

Nun ja, so viel zu dem Thema radikale Unterschiede in Shanghai: Sie springen einem jeden Tag ins Auge. Oft fallen mir dabei auch immer wieder Situationen von zu Hause ein. Sei es nun, ob hier behinderte Menschen in den U-Bahnen mit einen Mikro und Radio laut singen und betteln, in Frankreich sind es Roma und Sinti, die durch Lyons Metro singend gebettelt haben. Sei es die willkürlichen Infos, die ich bei meiner Registrierung von meiner Mitbewohnerin erhalten habe. Sie ist Brasilianerin und macht ein Praktikum bei einem IT-Unternehmen. Als sie gestern in die gleiche Polizeistation gegangen ist, wie ich heute, sagte ihr die einzig englisch sprechende Mitarbeiterin, sie müsse 10 Euro zahlen, damit sie registriert werde. Heute war ich bei der Mitarbeiterin: Ich musste nichts bezahlen. Aber vielleicht ist es auch die Sonntagsgebühr? Hier hat nämlich alles und jeder jeden Tag, jede Stunde geöffnet. Das wird für mich unglaublich schwierig, wenn ich wieder in Deutschland bin 🙂

Gut, außer diesem ganzen soziologischen und philosphischen Geplänkel hier noch kurz ein paar knallharte Fakten: Für meinen Arbeitsweg in die Stadt brauch ich etwa 50 Minuten, obwohl ich gar nicht umsteige, und bin immer noch im Zentrum der Stadt. Eine Fahrt kostet mich etwa 4 Yuan, also 50 Cent. In der nächsten Umgebung gibt es Carrefour, Pizzahut und McDoof, die auch liefern. Jede Straße hat eine extra Spur für Verkehrsteilnehmer mit weniger als vier Rädern. Die und Taxis halten sich eigentlich gar nicht an die Ampelphasen, die hier aber alle runterzählen, bis sie wieder auf Grün schalten. Da ich als notorische Bei-Rot-Über-die-Ampel-Geherin immer gucke, ob was kommt, ist das keine große Herausforderung. Auf Arbeit organisiere ich gerade einen Stammtisch für deutsche und chinesische Studenten, der erste findet übermorgen statt. Außerdem werde ich am Freitag beim Studientag der Tongji-Universität dabei sein, eine der beiden Exzellenzunis hier in Shanghai. In Zukunft soll ich außerdem ein Tutorium für chineische Studenten, die Deutsch lernen, machen, um ihnen zu erklären, wie man Referate hält und korrigieren. Wenn ich Glück habe, bin ich Ende des Monats in der Nachbarstadt Nanjing auf einer Messe.

Einfach über die Straßen ist eigentlich nicht drin: Obacht ist gefragt!

 

Hier noch der obligatorische Kulturtipp:
Das Buch "Wild Swans" von Jung Chang, gibts auch auf Deutsch. 
Chinas Geschichte des letzten Jahrhunderts anhand einer Familienbiographie 
über drei Generationen, sehr spannend geschrieben!