Nach jetzt über zwei Wochen komme ich wohl auch nicht mehr herum einen Blogeintrag zu schreiben. (Man muss ja auch mit seinen Mitbewohnern und vor allen Dingen mit seiner Mitbewohnerin mithalten.)
Was sind meine Eindrücke nach jetzt tatsächlich 16 Tagen Riga? Tja das ist nicht so einfach. Mein persönliches Leben hier ähnelt meinem Leben in Deutschland schon sehr. Ich lebe mit anderen Deutschen zusammen, ich spreche in der WG und auf der Arbeit nur Deutsch und ich zahle ähnliche Preise für ähnliche Sachen.
Also was ist anders? Welches sind die ganz besonderen Eindrücke, die Riga von einer anderen deutschen Großstadt unterscheiden? Es sind viele Kleinigkeiten. Zum einen hat Riga tatsächlich eine Altstadt. Ich weiß, das ist für Leute, die aus anderen deutschen Städten kommen jetzt ein völlig dummer Fakt aber für jemanden, der in Kiel studiert hat, ist das was besonderes. Zum anderen sind es die Einwohner. Allein die Vorstellung, dass der Anteil der russischsprachigen Bevölkerung ca. 40 % ausmacht, ist schon komisch. Jetzt sagen natürlich einige: „Völlig normal! Hat ja mal dazu gehört!!“ Aber trotzdem ist es irgendwie verrückt, denn nur mal angenommen der Anteil einer anderssprachigen Minderheit wäre in einer deutschen Stadt so hoch. Das heißt außerdem nicht, dass die russischsprachige Bevölkerung kein Lettisch spricht. Der Hauptteil kann es und hat es auch in der Schule gelernt. Der Unterschied zu einer deutschen Großstadt ist gerade in diesen Tagen an zwei Beispielen zu merken:
- Frauentag: in Deutschland ein völlig vernachlässigter Tag. So ähnlich war es auch innerhalb der lettischen Bevölkerung. Sicher wurden auch Blumen verschenkt aber dafür braucht man in Lettland eigentlich keinen besonderen Anlass. Blumen kann man hier immer verschenken (in der Innenstadt von Riga gibt es einen Blumenmarkt, der 24 h am Tag und das ganze Jahr geöffnet hat). Seit 2009 ist ein russischstämmiger Lette Bürgermeister der Stadt und seit dem wird dieser Tag doch etwas mehr ins Rampenlicht gerückt. In Russland ist der 8. März nämlich arbeitsfreier Feiertag. In Lettland nicht. Es wurden im Vorfeld dieses Feiertages in der gesamten Innenstadt Rigas große Plakate aufgehängt, die an den 8. März erinnern sollten. Die Wirkung hat es nicht verfehlt. Ich habe in meinem ganzen bisherigen Leben noch nie so viele Frauen mit Blumen in der einen und ihren Partner in der anderen oder Männer mit Blumen gesehen, die sich auf den Weg irgendwohin gemacht haben. Freunde der Blumenindustrie vergesst den Valentinstag!!! Natürlich hat mich die Werbung nicht verfehlt und nach einem eleganten Hinweis habe ich auch Blumen gekauft und sie den Damen aus meinem Büro geschenkt, denn arbeiten musste man in Lettland trotzdem.
- Legionärstag: für alle Unwissenden unter euch: der Legionärstag ist ein Gedenktag in Lettland und es wird den gefallenen Soldaten einer lettischen Waffen-SS Division gedacht, die sich am 16. März 1944 erfolgreich gegen ein Angriff gegen die Rote Armee zu wehr gesetzt haben. Das geschieht, indem einige Letten am Freiheitsdenkmal Blumen niederlegen. Der Aufwand für dieses Gedenken ist sehr groß, denn wie ihr euch sicher denken könnt, findet dieser Tag nicht gerade Anhänger in der russischen Bevölkerung (die feiern ihr eher das Inkrafttreten der bedingungslose Kapitulation Deutschlands am 9. Mai). Deshalb musste das Freiheitsdenkmal auch weiträumig abgesperrt werden. Zu Zwischenfällen ist es aber nicht gekommen. Das soll nicht heißen, dass die Letten alle Nazis waren bzw. dass die Männer, die in dieser Division alle Nazis waren. Viele haben sich nicht freiwillig gekämpft oder hatten nicht das großdeutsche Reich im Sinn, sondern vielmehr ein von der Sowjetunion und vom Hitlerdeutschland unabhängiges Lettland. Lettische Soldaten gab es außerdem auf beiden Seiten.
Generell hat die russischsprachige Bevölkerung seit der Bürgermeisterwahl (Die Betonung ist jetzt extra für Tim) ein ganz anderes Selbstbewusstsein bekommen, zumindest wurde mir das so berichtet. Das war auch zu merken bei der Bildungsmesse skola 2011 in Riga. Oft kamen Menschen an den Stand, die darauf bestanden haben, russisch beraten zu werden, die aber als sie gemerkt haben, dass die Standbetreuung nicht genug russisch beherrscht, in nahezu perfektes Lettisch wechseln konnten. Bevor jetzt aber der Eindruck entsteht, Lettland stehe kurz vor einem Bürgerkrieg oder einer Teilung muss ich sagen, dass die Menschen hier einfach ganz normal zusammen leben. Darauf angesprochen, antworten mir die meisten: „Naja, machen wir ja auch schon seit Jahrzehnten ohne große Probleme so.“
Ach ja weil wir gerade bei Sprachen waren. Haltet euch fest! In Lettland spricht man eine andere Sprache!!! Ich weiß, Schock für alle aber es ist so! Kein Witz! Und jetzt kommt ja der Spruch: „Na komm! Englisch funktioniert doch überall! Auch in Lettland!“ Japp, das ist wohl auch so aber Engländer oder Briten allgemein sind nicht gerade beliebt in Riga. Das liegt daran, dass einige von ihnen, die Billigfluglinien dazu nutzen, zum Partymachen nach Riga zu fliegen und sich unter Alkoholeinfluss sehr grenzwertige Mutproben auszudenken wie z.B. ans Freiheitsdenkmal zu urinieren. Das finden die Letten verständlicherweise nicht so toll und reagieren deshalb manchmal etwas allergisch auf Englisch. Aber auch nicht so, dass man Angst haben müsste, Englisch zu sprechen. Der Gesichtsausdruck einiger Einwohner verändert sich nur etwas.
Ich muss aber sagen, die Letten sind mir von Grund auf sympathisch. Ich meine, ich bin in Norddeutschland groß geworden und bin zum Studieren nach Kiel gegangen. Da hat man schon als Quasselstrippe gegolten, wenn man statt „Moin!“ „Moin, Moin!“ gesagt hat. Hier kann das aber noch übertroffen werden, so zumindest mein Eindruck. Ich habe sehr selten so ruhige Busfahrten erlebt wie hier. Also man hat irgendwie das Gefühl, dass man die anderen auch stört, wenn man sich unterhält, egal, ob die etwas verstehen oder nicht. Busfahren generell ist in Riga auch eine Sache der Ellenbogen: hier wird nicht gefragt, ob man vorbei kann oder es wird sich entschuldigt; nein, hier wird gegangen! Das ist aber auch ok. Nach zwei Tagen macht man es genauso. Aber bevor jetzt ein falscher Eindruck entsteht, wenn man die Menschen näher kennenlernt, sind sie unglaublich nett und hilfsbereit. Da wird man angelächelt und sie freuen sich einen zu sehen. Also alles Coconut-People… Was soll ich sagen, ich mag die Menschen hier einfach, es macht Spaß hier zu leben, zu arbeiten und auch die Sprache zu lernen, auch wenn das noch dauern kann.
Also Freunde, wenn das hier auch nur irgendjemand liest: Visu labu!