Täglich grüßt der Ararat

Kleines Abenteuer

Letztes Wochenende bin ich weggefahren. Ich wolllte mal raus aus der Großstadt, in die Natur, und etwas Ruhe und Zeit für mich haben. Das Ziel war Dilijan, eine Region im Nordosten Armeniens, auch als „Armenische Schweiz“ angepriesen. Einen Wochenendausflug wert, dachte ich mir. So stieg ich erwartungsvoll in die Marschrutka, tuckerte zwei Stunden durch das Land, vorbei an Feldern, Schluchten und Gebirgsketten. Wie vom Taxifahrer, der mich zur Busstation in Jerewan brachte, versprochen, eröffnete sich mir nach Durchquerung eines zwei Kilometer langen Tunnels eine wunderschöne Aussicht auf die Berge und Wälder Dilijans. Prägten gerade noch kahle Felder und Berge das Landschaftsbild, herrschte hier auf der anderen Seite des Tunnels eine völlig andere Vegetation. Ich malte mir aus, wie viel schöner es vor einigen Wochen gewesen sein musste, als die Wälder noch in rot, gelb und grün strahlten.

Doch auch jetzt war das Bild, das sich mir bot, eindrucksvoll. Über lange Serpentinen gelangten wir in das tiefer gelegene Dilijan. Als Kurort bietet es nicht viel mehr als ein paar Restaurants, Geschäfte mit handgemachten Produkten, ein Museum und natürlich ganz viel frische Luft. Angekommen, machte ich mich sofort auf die Suche nach dem Apartment, das ich für eine Nacht gebucht hatte. Da mich sowohl booking.com als auch Google Maps in die Irre führten, musste ich drei Mal durch die Stadt laufen, um endlich das Haus zu finden. Meine Gastgeberin, eine ältere äußerst sympathische Frau, empfing mich und begann, als sie merkte, dass ich etwas Russisch verstehe, mich auf ebendieser Sprache zuzutexten (jedoch positiv gemeint!). So kam ich sehr schnell in einen Redefluss und konnte eine einigermaßen inhaltsvolle Unterhaltung führen. Nachdem sie mir zahlreiche Fotos und Videos von ihrer Tochter, ihrer Familie, Bekannten und ehemaligen Gästen zeigte, organisierte sie mir ein Taxi zu Parz Lich, einem kleinen, im Wald versteckten See. Die Autofahrt gestaltete sich aufgrund unzähliger Bodenwellen und Krater aufregend. Der See an sich war jedoch nichts Besonderes. Es gab Tretboote, einen kleinen Hochseilgarten, und einen Wanderweg um den See herum, für den ich mich entschied. Währenddessen wartete mein Fahrer geduldig auf mich.

Abends kam ich zurück zum Haus und unterhielt ich mich mit meiner Gastgeberin und ihrer Tochter, die in der Zwischenzeit vom Musikcollege zurückgekommen ist. Sie spielte mir einige Stücke auf dem Klavier vor, und als ihrer Mutter eine Gitarre hervorholte, versuchten wir sogar ein Duett, das aber wegen meiner schwindenen Fertigkeiten mittelmäßig klang…Als es dunkel genug war, machte ich einige Fotos vom Sternenhimmel, der mich wirklich umhaute!

Am nächsten Morgen fuhr ich mit einem Bekannten meiner Gastgeberin, ein Priester aus Dilijan, zum Kloster Haghardzin – die Hauptsehenswürdigkeit dort. Das Kloster lag mitten im Wald auf einem kleinen Hügel, von allen Seiten von Gebirge umgeben.

Von dort machte ich mich auf zu einer zwölf Kilometer langen Wanderung durch Berge und Wald, die mich fast zur Verzweiflung brachte. Ich war nur mit einer ungenauen Karte aus meinem Reiseführer ausgestattet, Schilder gab es unterwegs nicht. Bei den ersten Weggabelungen war ich noch ziemlich sicher, wo ich abbiegen musste, doch nach einigen Kilometern kam ich ins Grübeln. Der Weg links führte scheinbar ins Nichts, der Weg rechts führte noch weiter von der Route auf der Karte ab. Bin ich den vorletzten Pfad falsch abgebogen? Oder den letzten? Zurück konnte ich nicht, denn dann würde ich mit Sicherheit die letzte Marschrutka zurück nach Jerewan verpassen. Ich musste weitergehen, in der Hoffnung, dass ich doch richtig lag. Die befestigten Wege mussten doch irgendwohin führen. Ich ging weiter, weiter bergauf, hechelnd, alle paar Meter eine kurze Verschnaufpause machend. Ich erreichte den höchsten Punkt, eine idyllische Weide, sah das Panorama und warf mich erschöpft auf den Boden. Die Aussicht war fantastisch, die Ruhe war unendlich. Hier oben schien die Natur in purer Harmonie zu liegen. Das Gefühl war unbeschreiblich.

Nachdem ich den Moment genossen und einige Fotos geschossen habe, machte ich mich wieder auf den Weg. Schließlich musste ich noch die Marschrutka bekommen! Ich erreichte den Gebirgskamm von der einen Seite, blickte auf die andere herab und sah…Häuser! Ich war richtig! Die ganze Zeit. Erleichterung durchdrang mich, ich schrie laut durch die Weite. Froh trottete ich den Pfad bergab, meine Beine waren mittlerweile so erschöpft, dass ich ständig ins Wankeln kam. Links vereinzelt Felsen und Bäume, rechts ein weites Tal und dahinter eine Gebirgskette. Die Natur war wunderschön. Dafür hat sich die Anstrengung gelohnt. Unten im Tal kam ich an einen kleinen Bach, füllte meine Flasche und nahm einen großen Schluck vom eiskalten, frischen Gebirgswasser! Ein großartiges Gefühl.

Ich kam ein paar Arbeitern entgegen, die mitten im Nichts Bäume kleinsägten. Sie waren leicht erstaunt, mich zu sehen. An einem Hof begrüßte mich ein Hund mit aggressivem Bellen und hielt mich unschuldigen, friedlich wirkenden Spaziergänger offenbar für eine so große Gefahr, dass er mir kurzerhand ins Bein biss. Ich, davon völlig überrumpelt, machte einen Satz nach vorne, bereite mich auf einen Kampf vor, doch die Besitzerin kam dazwischen und verscheuchte den Bösewicht. Mein Bein war zum Glück unversehrt, also ging ich weiter meines Weges. Abenteuerlich. Ich durchquerte ein kleines Dorf, in dem weitere bellende Hunde auf mich warteten. Dieses Mal kam es aber nicht zu einer Auseinandersetzung. Spielende Kinder begrüßten mich auf Englisch und riefen mir noch lange „Maaaaartin!“ hinterher. Ich hielt einen an mir vorbeifahrenden Wagen an, bat um eine kurze Mitfahrgelegenheit zur Busstation nach Dilijan und erreichte pünktlich die Marschrutka. Was für ein Wochenende. Etwas leichtsinnig, aber es war eine spannende und lehrreiche Erfahrung…

 

 

 

 

 

 

 

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