Gedanken über Städte und Dörfer. Oder: Tokio

Vorwort

Ist ne weile her, dass ich das letzte mal gebloggt habe, und ich wollte nach meinem letzten Beitrag weiter über die „große Reise“ und Tokio berichten. Keine Ahnung was ich damals im Sinn hatte, vergessen ist’s. Deshalb ein neuer Gedanke. Tokio, aber kontrastiert mit der Sicht von Chudschand.

Lebensräume

Die Woche in Tokio hat auf mich einen großen Eindruck gemacht. Während die Tage und Wochen davor in Chudschand ein verworrenes und bewegtes Durcheinander in meiner Gefühlserinnerung sind, war Tokio ein sehr klares, kühles Erlebnis. Im Nachhinein wirkt es auf mich so, als ob es kaum unterschiedlichere Lebensräume als Tokio und Chudschand geben kann. Zu beiden Städten hatten wir, Adrian und ich, hauptsächlich einen Zugang durch einen Freund oder eine kleine Zahl von Freunden, die unsere „Guides“ waren, wenn man das so nennen möchte. Denn beide Städte haben für mich eine große Gemeinsamkeit: eine sehr hohe „Einstiegshürde“. Durch die fremde Sprache und die für mich als DorfundKleinstadt-Jungen unbekannten und anfangs befremdlichen Systeme und Sitten war es schwer einen Zugang in diese Städte zu erhalten. Hinter der „Hürde“, über die wir dankenswerterweise getragen wurden, sehe ich jedoch zwei stark verschiedene Lebensräume. Beschreiben kann ich dies vielleicht, in dem ich einzelne Dinge oder Systeme betrachte:

Wie man fährt

In beiden Städten gibt es ein Verkehrssystem, dass die meisten Menschen von a nach b Transportiert. In Tokio: die Metro. Ein gigantisches Schienennetz, in dem alleine der Bahnhof Shinjuku täglich von mehreren Millionen genutzt wird. Mehr als zehn mal so viele Menschen, als überhaupt in Chudschand leben. Man bezahlt normalerweise mit PrePaid-Karten, die man auf die Durchgangskontrollen am Eingang und Ausgang legt. Durch Nahfunk wird der Eingang in den Bahnhof registriert, beim Verlassen des Bahnhofs wird dann das Geld abgebucht. Die Kartensysteme sind in jedem System und sogar in manchen Schnellrestaurants einsetzbar.
In Chudschand: die Marshrutkas. Mercedes Sprinter und GAZelle’s (sprich: Gasels), wie diese hier.Marshrutka

Das Bild ist von Wikipedia, könnte aber definitiv aus Chudschand stammen. Die Marshurkas haben eine Nummer, die die Linie kennzeichnen. Außerdem stehen wichtige Punkte der Linie ebenfalls auf dem Schild. Wenn man in eine Marshrutka einsteigen will, winkt man. Wenn man aussteigen will, sagt man in Chudshand „dorit“ und der Wagen hält. Es gibt neben dem Fahrer oft einen zweiter „Mitarbeiter“, der die Tür bedient und kassiert. Alternativ haben einige Marshutkas automatisierte Türen. Beim bezahlen gibt man das Geld während der Fahrt durch die Sitzreihen, bis es entweder beim „Kassierer“ oder Fahrer angelangt. Falls die Marshrutka keinen „Kassierer“ hat, und ein zu großer Schein beim Fahrer angelangt, ruft dieser durch den Bus, wo denn der Zehn-Somoni-Schein hinfahren möchte.
Hier, bei den Transportsystemen, hat man auf der einen Seite ein vollautomatisiertes und auf der anderen Seite eins, dass auf menschlicher, persönlicher Interaktion basiert. Dies sieht man auch in den „Fahrzeugen“, Waggons und Bussen respektive, selbst: Die Waggons in Tokio unterscheiden sich nur in der Farbe des Liniebetreibers. In Chudschand haben die Busse alle ihre persönliche Note. Die meisten Busse haben einen aufwendig gestalteten Innenraum. Die ursprünglichen Innenräume der Busse sind stark verändert. An der Decke ist eine Haltestange und die gesamte Decke ist bei vielen Marshrutkas verziert. Ich hab leider noch keine Bilder davon gemacht. Die Verziehrungen sind schlicht, manchmal werden LED-Bänder zur Beleuchtung eingesetzt. Doch jede Marshrutka hat ihren eigenen Charakter.

Wie man isst

In den meisten Tokioter Restaurants findet man irgendwo am Eingang das hier:

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Der Automat ist in gewisser Weise das Zentrum des Restaurants. Man Wählt sein Essen, bezahlt, drückt die passende Taste. Dann ein kleiner Zettel, den die Maschine freigibt. Den an die Bedienung reichen, die kurz nickt. Man nimmt platz und wartet aufs Essen. Wieder ein automatisierter, unpersönlicher Vorgang.
In Chudschand dagegen: Man geht ins Restaurant. Falls man nicht in einem der teuren Restaurants ist, nimmt man Platz und sieht meist, wie sich an einem der anderen Tische jemand erhebt. Die Bedienung. Dies ist bereits ein großes Unterschied zu Tokio: Dort sind die Räume klar getrennt. Wenn die Bedienung keine Arbeit hat, steht oder sitzt sie hinter der Theke. In Chudschand ist ein „Mischen der Rollen“; Ein Bediensteter, der an Tisch, also dem Platz der zu Bedienenden, sitzt, ist keine Seltenheit, im Gegenteil. Oft sitzen Bedienstete mit Kunden zusammen, manchmal wird gemeinsam ein Vodka getrunken. Die Bedienung hat oft ein freundschaftliches Verhältnis zu den Kunden.

Wie man einkauft

In Tokio: Malls. Kaufhäuser. Stilvolle, große Gebäude, die für jeden Wunsch eines oder mehrere Geschäfte haben. Schaufenster, Auslagen, Werbeposter, Preisschilder, Kartenzahlung.
In Chudschand: Die Basare. Pandschanbe:basar

De größte Basar der Stadt, hier die Haupthalle. Der Basar streckt sich außerdem über zwei Straßen und ein weiteren teilweise überdachten Bereich. Außerdem liegt am Pandshanbe eine der größten Haltestellen der Stadt. Wenn man etwas kaufen möchte, fragt man nach dem Preis, verhandeln kommt vor, aber eher selten im Vergleich zu Basaren in der Türkei oder Israel.

wie ich fühle

Tokio und Chudschand sind für mich zwei große Gegensätze. Auf der einen Seite eines der größten bewohnten Gebiete der Welt, wobei die meisten alltäglichen Interaktionen absolut entpersonifiziert sind. Auf der anderen Seite Chudschand, wo persönlicher Umgang allgegenwärtig ist.
In der Tokioter Metro sieht man die Menschen; es wird auf ein Smartphone gestarrt oder geschlafen. Wenn man in Tadschikistan beim Friseur oder im Fitnessstudio ist, und ein fremder den Raum betritt, schüttelt er erst jedem die Hand.

Während die automatisierte alltägliche Interaktion in Tokio wahrscheinlich „die Zukunft“ ist, hat das Leben in Chudschand durchaus seinen Charme. Die persönlich gestalteten Marshrutkas, das Händeschütteln mit absolut Fremden und noch so vieles mehr waren am Anfang für mich sehr befremdlich, aber inzwischen bin ich daran gewöhnt und finde diese lebendige Art des öffentlichen Lebens deutlich angenehmer als die Blasiertheit, die oft in Großstädten zu spüren ist.

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