Wo bin ich eigentlich grade?

Noch zwei Tage, und es sind sieben Wochen. Das ich schon seit mehr als acht Tagen in Chudschand bin, ist wohl offensichtlich, aber waren die Tage doch durchaus ein permanenter Strom der erst jetzt langsam überschaubar wird.

So viel ist passiert. Vier Tage Panik-WG-Leben in der Hauptstadt, zwei Fahrradstürze, einer witzig, einer ärgerlich. Ja ich hatte den Helm auf Papa. Tage der Hitze, Tage mit „deutschem Wetter“, eine Woche Deutschcrashkurs für die Schülern von drei Gymnasien, Elftklässler, die das DSD-II ablegen wollen. Ein Besuch beim Kairakum, dem „Meer“ hier. Es ist ein Stausee. Aaaber ein sehr, sehr schöner Stausee. Und halt das einzige, was hier so in den nächsten paar hundert Kilometern an Meer oder Seen erinnert. Mein Russisch wächst wie Schimmel. Langsam, aber ich bin doch immer wieder erstaunt, wenn plötzlich was da ist.

"Meine Tasse". Jedes mal in der Mensa suche ich nach ihr und wenn ich sie nicht finde werde ich traurig oder bockig.

„Meine Tasse“. Jedes mal in der Mensa suche ich nach ihr und wenn ich sie nicht finde werde ich traurig oder bockig.

Der Blick vom Arbob

Der Blick vom Arbob

Gestern bin ich umgezogen, und heute sitze ich nun in einem neuen Zimmer und blicke auf die letzten Wochen zurück. Irgendwie hab ichs die letzten fünf Wochen immer geschafft, etwas zu tun zu haben, und wenn’s die digitale „Beschriftung“ der Pink Floyd-Alben ist, die ich von Gary, dem amerikanischen Gasthausbetreiber, in dessen Gasthaus Adrian, Wiebke und Frank wohnen, bekommen habe. Und jetzt müsste ich eigentlich meinem Vater ein Datum für meinen Rückflug nennen, n Hostel für meinen Kurzaufenthalt in Peking suchen und und und…

Aber jetzt erstmal #bloggen..

Was mache ich denn so derzeit?

Ich laufe durch die Schule und unterstütze die Deutschlehrer. Ich sitze mit im Unterricht, zeige, wie man „surfen“ ausspricht und so weiter. Auch eine Vertretungsstunde ist ganz leicht gemacht: „Auf welcher Seite seid ihr? Blättert eine Seite weiter und macht die erste Aufgabe! Gibt es Fragen?“ Nebenbei korrigiere ich ein bisschen die Hefte der Schüler, während ich im Deutschlehrerkabinett sitze und von den Lehrerinnen mitgebrachtes Essen esse, bevor ich eine kleine Salatpause einlege, um in der Kantine eine Hauptmahlzeit zu mir zu nehmen. In der Kantine sitze ich bei den 11. Klässlern, in gewisser Weise das erste mal, dass ich mit den „Coolen Leuten“ an einem Tisch sitze..
Neben der Schule und dem im konfusen „Intro“ erwähnten Russisch gibt’s natürlich noch das wohnen. Das spielte sich bis Gestern bei den Abdurakhmanovs ab. Der Abschied ist mir schwer gefallen, auch wenn ich insgeheim sehr Stolz war, wie herzlich ich verabschiedet wurde. Es ist irgendwie immer komisch, wenn man die Gastfamilie wechselt, obwohl alles super ist. Aber Inna, meine derzeitige Gastschwester, wollte unbedingt, dass ich zu ihr ziehe. Vielleicht, weil ich einfach sehr sympathisch bin, vielleicht, weil es nun mal von Vorteil ist, wenn man zuhause einen Deutsch-Muttersprachler hat, wenn in einem Monat die Prüfung fürs DSD ist..
Ich hab auf jeden Fall in der ganzen Situation das typisch-deutsche Gummirückrat bewiesen und einfach dass gemacht, was man mir gesagt hat. Also nun aus Schkalovsk die Retrospektive auf „Wodnik“, so hieß der kleine Ort..

Chudschand vom Dach von Garys Gasthaus aus.

Chudschand vom Dach von Garys Gasthaus aus.

Vier Szenen aus Wodnik:

Am Essenstisch.
Zumindest in den ersten Wochen wurde bekam ich mindestens einmal pro Tag den besorgten Blick von Fotehs Großmutter oder Mutter zu spüren, die befürchteten, dass ich nicht „satt“ würde..
So wie man es zuhause von Großmutter kennt.. Und wie wir alle wissen: Da hilft kein Reden, nur Taten können die „(groß)mütterliche“ Sorge stillen. Verhungert bin ich also nicht. Neben exzellentem Plov durfte ich, wie schon erwähnt an der Schlachtung teilnehmen (-> siehe weiter vorne im Blog) und auch das frisch geschlachtete Schafsfleisch und viele andere Leckereien genießen.

Foteh und Ich, irgendwo:
„Hast du einen Plan für heute nachmittag/abend“
„nö, du?“
„nö“
Man sieht: Foteh und ich waren hundertprozentig auf einer Wellenlänge! Ob wir nun stundenlang über Gott und die Welt geredet haben, über Assassins Creed oder wir einfach nur aufs Dach geklettert sind um Chudschand bei Nacht zu sehen.. Gastbruder ist der richtige Begriff.

Das „Klettern“. Oder: Anpassung ans Gastland
Da Garys Gasthaus, in dem auch Adrian wohnt, gar nicht so weit weg mit dem Fahrrad ist, durchaus ein zwei Nachmittage mit Adrian gekocht und oder abends in der unglaublich netten „geselligen Runde“ gesessen.

Wenn "Männer" kochen..

Wenn „Männer“ kochen..

Wenn man dann nun mal um 22:00 nach Hause kommt, also das öffentlich Leben eigentlich seit 4 Stunden vorbei ist, ist die Lösung einfach: Das Fahrrad und den Rucksack in den Vorgarten legen, auf den Zaun steigen, von dort aufs Vordach, dann das richtige Dach. Dann mein Balkon, die Tür ist immer offen, und zu guter letzt in Fotehs Zimmer, um zu prahlen, dass es mir wieder mal gelungen ist, ins Haus zu klettern. Und dann halt noch schnell runter, kurz das Lächeln der kopfschüttelnden Großmutter erwiedern und dann Rad und Rucksack durch das von innen zu öffnende Tor holen. Ein Klassiker.

„Der Großvater“
Vielleicht vor zwei Wochen, ich weiß es nicht genau, kam ich von der Schule wieder, stand im Hof, hab natürlich sofort den Großvater begrüßt, aber er war nicht ganz zufrieden. Nach kurzer Unklarheit dann: Ein Kuss rechts, ein Kuss links, ein Kuss rechts. Erst war ich irritiert. Und dann verdammt Stolz. Die von dem Zeitpunkt an etablierte Begrüßungszeremonie ist wohl das, was mich am meisten bei Foteh bewegt hat.

Chudschand vom Dach von Garys Gasthaus aus.

Chudschand vom Dach von Garys Gasthaus aus.

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