Ein Tag in Tadschikistan

8:00

Der Wecker klingelt. Das nervtötende Piepen holt mich aus nicht allzu tiefem Schlaf, da mein Rücken regelmäßig von den herausstehenden Federn des echt sowjetischen Qulitätsbettes malträtiert wird. Trotzdem schalte ich den Wecker nochmal auf Schlummern, quäle mich aber dennoch langsam aus dem Schlafsack.

Ich gehe runter zum Frühstück. Es besteht aus zwei Eiern, Brot und selbstgemachter Marmelade – sehr gut. Die andere Variante wäre Wurst und Käse, mit diesen beiden Dingen konnte ich mich hier noch nicht wirklich anfreunden. Nicht so schlimm eigentlich, der Käse ist sowieso importiert und die Wurst lassen wir mal beiseite (es weiß niemand wirklich wo sie herkommt). Die Marmelade dagegen ist immer lecker – Glück gehabt.

 

9:10

Ich breche auf Richtung Marschrutka-Treff 22. Er befindet sich ungefähr zehn Gehminuten entfernt von meinem Zuhause im Norden von Duschanbe und bringt mich zur Schule Nr. 89, meinem Arbeitsplatz in der Oststadt. Auf dem Weg lächelt mir der Straßenkehrer wie jeden Morgen freundlich zu und begrüßt mich wie jeden Morgen mit einem „Assalom Aleikum Sir“. Gut gelaunt lächle ich auch den nächsten vorbeikommenden alten Mann an, er wirft mir einen Todesblick zu und geht an mir vorbei. Nett und so.

Als ich bei der letzten Marschrutka ankomme, die grade abfahrtsbereit ist, ist schon jeder Sitzplatz belegt. Marschrutkas sind hier chinesische Kleinbusse der Marke Starex, die gewöhnlich billig in China erworben und ebenfalls dort mit preiswerten Nahrungsmitteln und anderen für Tadschiken minderwertigen Dingen vollgestopft werden, bevor sie die beschwerliche Reise über den Pamirhighway auf sich nehmen und schließlich (falls sie ankommen) mit Sack und Pack in Duschanbe verscherbelt werden. Gewöhnlich sind die Busse nach dem Ritt nicht mehr besonders funktionstüchtig, werden also als Marschrutkas verwendet.

In solch einem Seelenverkäufer befinde ich mich nun also, den Kopf eingezogen, zwischen einem Geschäftsmann im Anzug und einem Mann mit traditioneller Kopfbedeckung und einem sehr langen Rauschebart. Die Fahrt geht los und es wird schon unbequem – ein Somoni für zwanzig Minuten hat auch seinen Preis.  Wir überholen eine Mercedes Limousine mit abgedunkelten Scheiben, die grüne Plakette in der Windschutzscheibe ist trotzdem noch gut zu erkennen (zur Erklärung einfach mal Stichwort Tadschikistan bei Youtube suchen und sich den Beitrag der ARD zu Gemüte führen).

Nach zwanzig Minuten sage ich die magischen Wörter „man kuned“ und steige aus.

 

9:45

Der Wächter schließt mir das Tor der Schule auf, seit kurzen ist es aus noch nicht geklärten Gründen immer verriegelt. Die ersten kleineren Kinder kommen mir entgegen, ich kenne sie nicht. Trotzdem werde ich mit einem zackigen „Guten Tag“ begrüßt, das an der Schule jeder drauf hat – ob Deutschschüler oder nicht, wenn ich mit einem tadschikischen Gruß erwidere wird verschämt gekichert, vor allem bei kleineren Mädchen.

Die Kleiderordnung an der Schule ist schwarz-weiß, Jungen tragen Anzug und Krawatte. Das einzig bunte in manchen Outfits sind die Nationalfarben auf der Krawatte – grün, weiß, rot und potenziell das goldene Wappen. Ein Kauf den ich unbedingt auch noch auf einem Basar tätigen muss.

Das Deutschzimmer ist schon offen, ich schleiche mich rein und gehe durch die Tür zum Büro. Hasan und Mansur, zwei Schüler der DSD2 Gruppe begrüßen mich dort mit fließendem Deutsch. Es ist wirklich beeindruckend, dass sehr viele der Schüler, ohne jemals in Deutschland gewesen zu sein fließend sprechen und zum Teil ohne groß hörbaren Akzent (eine Sache die mir trotz fast vierjährigem Spanisch Sprechen wahrscheinlich nicht mal ansatzweise gelingt). Die Beiden machen ab Oktober ein FSJ in einem Klinikum in Chemnitz und müssen ihre Visa beantragen – eine wirklich nervenaufreibende Angelegenheit.

Jetzt kommt auch Munawara herein, die Fachbeauftragte für Deutsch und meine Vertrauensperson an der Schule. Sie hat netterweise Joghurt und Käse mitgebracht (guten Käse!). Ich erzähle ihr von dem Spielenachmittag, den Christin gestern an der Schule organisiert hat. Er war ursprünglich als Aktivität von einer bis anderthalb Stunden geplant, zog sich dann aber ordentlich in die Länge bis wir nach drei Stunden bemerkten, dass es bald dunkel werden würde. UNO und Mensch ärgere dich nicht in Verbindung mit deutscher Musik machten anscheinend nicht nur den Lehrern Spaß.

Leider geht es demnächst erst mal nicht mehr so spielerisch weiter – als nächstes mache ich einen Workshop über die Studienfachwahl in Deutschland. Das heißt ein Thema, das mich persönlich auch betrifft, deshalb muss ic h mich bei der Recherche ein bisschen am Riemen reißen um nicht ständig abzuschweifen. Zwischendurch unterhalte ich mich mit den Schülern oder Herrn Spahn, dem ZfA-Beauftragten für Tadschikistan, der auch an meiner Schule ist oder schreibe Mails mit dem Praktikanten der deutschen Botschaft, wegen den Visaanträgen.

Außerdem bekommen Herr Spahn und Munawara eine Einladung für die Eröffnung der „Deutschen Woche“ im Spracheninstitut nebenan. Ich soll anscheinend auch mit. Außerdem ist der deutsche Botschafter eingeladen.

 

13:00

Mittagessen. Suppe mit Brot. Sehr lecker!

 

13:50

Wir gehen los ins Spracheninstitut. Als wir ankommen blafft uns ein alter Wächter mit Sowjetuniform an, was wir wollten, als wir ihn passieren kommen zwei lächelnde Studentinnen mit traditionellen Kleidern und Brot und Honig in der Hand auf uns zu. Als klar wird, dass wir nicht der Botschafter sind, ziehen sie sich zurück. Trotzdem werden wir nett empfangen, als Praktikant halte ich mich aber dezent im Hintergrund und bin heilfroh dass ich morgens doch noch ein Hemd in den Rucksack gesteckt habe. Den Anlass im Lieblingsschlabber –T-Shirt zu verbringen wäre vielleicht schlecht gewesen.

Jetzt kommt auch der Botschafter an im weißen Geländewagen mit Deutschlandfahne (Obwohl gestern noch der heiße Tipp einer GIZ-Praktikantin kam, die Fahne nicht rauszuholen àhttp://www.news.tj/en/news/protest-rally-held-outside-german-embassy-dushanbe). Wir werden in ein kleines Konferenzzimmer geleitet und an einen Schreibtisch gesetzt. Die Präsidentin des Instituts, Munawara und eine Deutschprofessorin auf der einen Seite, Herr Spahn, der Botschafter und ich auf der anderen. Warum ich dort sitzen darf und alle anderen stehen oder woanders sitzen geht mir nicht so auf – wahrscheinlich geht es bloß darum Deutsch auszusehen und ich versuche gerade zu sitzen und nicht schlecht aufzufallen.

Nach einer kleinen Unterredung geht es weiter in die Aula, wo unter dem obligatorischen Bild des Präsidenten Reden geschwungen werden und Lieder und Theatereinlagen von den Studenten gezeigt werden. Der Sketch heißt „Ein Tadschike kommt nach Deutschland“ und ist echt ganz lustig. Bei den Liedern ist alles dabei, von „Grün, grün, grün sind alle meine Kleider…“ bis zu Udo Lindenbergs „Mädchen aus Ostberlin“. Die Musik kommt vom Band und man kann Udos markante Stimme durchhören, wenn der Sänger das Mikro nicht richtig hält. Vor allem die Stelle mit dem „ganz heißen Mädchen“ kommt mir in Tadschikistan seltsam vor – sowas wird hier prinzipiell gar nicht in den Mund genommen und ich bin mir nicht sicher, ob der Sänger den Text richtig versteht.

Zum Schluss, nachdem die letzte Rede der Rektorin den Grund des TamTams enthüllt hat (die Entsendung eines deutschen Professors an das Institut), kommt der Sänger wieder und singt diesmal auf Tadschikisch. Alle Mitwirkenden tanzen und fordern auch die Gäste auf mitzumachen. Da Tanzen in Tadschikistan eine spezielle und von mir noch nicht ganz durchdrungene Kunstform ist, halte ich mich wieder zurück – eigentlich blöd, sorry.

Nach der Bambule folgen uns noch zwei Studentinnen und Herr Spahn organisiert, dass sie meine E-Mailadresse bekommen um mal mündliche Kommunikation zu üben (Was hier relativ normal ist, es kommen öfters mal Leute auf der Straße an die mit dem Ausländer ihr Englisch aufbessern wollen).

 

16:00

Ich breche die Zelte in der Schule ab und fahre mit dem Sammeltaxi Nummer 8 in die Südstadt zu meiner Tadschikisch-Lehrerin. Der Fahrer fragt mich, wo ich her käme und als ich Germaija sage, zeigt er anerkennend auf die grüne Plakette im Fenster.

Die Stunde fängt nicht gut an, ich habe die Hausaufgaben nicht erledigt. Trotzdem gelingt es mir ein bisschen was zu stammeln, in der Stunde ist das normalerweise effektiver als im real life auf dem Basar oder in der Marschrutka. Außerdem ist die Lehrerin echt nett. Als ich gerade gehen will, kommt ihr Vater nach Hause (unverheiratete Frauen bleiben hier länger bei ihren Eltern) und lädt mich zum Essen ein. Er stellt sich vor und sagt, er arbeite beim ICRC (Internationales Rotes Kreuz, stark vertreten in Duschanbe, auch aufgrund der strategisch guten Lage bloß anderthalb Flugstunden von Kabul). Es gibt erst Tee, dann Tadschikische Nudeln  unter Gebrauch von sehr viel Öl (Böse Stimmen behaupten, die tadschikische Küche zeichne sich ausschließlich durch die Überbenutzung von Sonnenblumenöl aus. Mir schmeckt‘s trotzdem). Nach dem Essen möchte ich mich dann wirklich verabschieden, Papa möchte mich aber noch bis zur Marschrutka bringen. Auf halbem Weg lädt er mich auf ein Bier ein und wir gehen in eine kleine Bar gegenüber vom Bahnhof. Freundliche Proteste wirken nicht. An den Wänden hängen ausgestopfte Köpfe und Gewehre, im Fernseher laufen russische und tadschikische Musikvideos und ein paar Typen tanzen auf Tadschikisch. Gemütlichkeit pur. Wir trinken ein Bier. Kommunikation ist schwierig, weil die Bässe der russischen Rapper zu laut donnern. Schließlich zahlt Abdul und wir gehen auf die Straße, wo ich mir so langsam Sorgen mache, dass es zu spät sein könnte für eine Marschrutka, ich habe kein Geld für  ein Taxi und meine Bleibe liegt am anderen Ende der Stadt. Aber meinem Gastgeber sind diese Sorgen noch nicht gekommen, also lotst er mich weiter in einen Kiosk, in dem man von Fischkonserven über Wäscheklammern bis Zigaretten alles bekommt was das Herz begehrt. Er sagt, er möchte mich einem Freund vorstellen. Sein Freund steht in einem kleinen Raum hinter der Bar, in dem viele Bärtige Männer sitzen und Domino spielen. An der Wand hängt ein Regal das vollgestellt ist mit Flaschen der Marke „Vodka Todschikiston“. Man trinkt ihn verdünnt mit Seven up green apple und man trinkt ihn anscheinend nicht zu knapp. Der Freund kommt aus dem Pamir spricht leider kein Englisch, hat aber vierzehn Jahre in Moskau auf dem Bau gearbeitet und hat drei Frauen. Eine im Pamir und zwei in Duschanbe. Er bietet mir Vodka an. Unter dem Verweis darauf, ich trinke keinen harten Alkohol holt er eine Einliterflasche Bier unter der Theke hervor und schenkt mir ein. Ich trinke, man will ja nett sein und er ist begeistert zu hören, dass ich auch in den Pamir fahren möchte. Er lädt mich ein wiederzukommen und schenkt mir wieder Vodka ein. Ich bedaure, aber ich trinke keinen Vodka, also kriege ich noch ein Bier. Schließlich verabschieden wir uns und ich werde in ein Taxi gesetzt. Abdul hat den Fahrer sogar auf drei Somoni runtergehandelt, auf halber Strecke will er aber nochmal drei. Ich erkläre ihm, halb auf Tadschikisch/halb auf Deutsch, dass ich schon gezahlt habe und es nicht nochmal tun würde, außerdem lächle ich ihn freundlich an und zeige ihm den Daumen nach oben – das findet er lustig und bringt mich bis vor die Haustür. Rahmat!

 

22:30

Gute Nacht, Todschikiston 🙂

 

Die Ereignisse dieses Berichtes sind alle wirklich in der Form passiert, ich habe mir aber erlaubt hier und da etwas zu kürzen, natürlich ohne die Umstände zu verzerren. Außerdem ist die letzte Episode nicht am selben Tag geschehen, thematisch passte sie aber gut.

Ich bemühe mich ums faire Berichten. Trotzdem basiert der Text auf meinen eigenen subjektiven Eindrücken, die ich versuche bestmöglich zu vermitteln. Die Bewertungen, die sich an manchen Stellen nicht vermeiden lassen sollen aber keinen Grund für Pauschalurteile sein.

Insofern,

Salomad bosched,

Lukas 🙂

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