17.09.2015, Hannover. Schon fast einen Monat ist es wieder her, dass meine Maschine aus Istanbul wieder deutschen Boden unter die Räder bekommen hat. Mein Abenteuer Tadschikistan ist damit offiziell beendet.
Ich entschuldige mich bei allen Lesern meines Blogs, dass leider in den letzten Monaten keine neuen Einträge mehr gekommen sind und versuche jetzt noch einen kurzen Abriss über die verbliebene Zeit zu formulieren. Es folgen also die aus meiner Sicht wichtigsten Ereignisse.
Nachbereitungsseminar (31.05.-09.06.2015)
Früh am Morgen, nach wenig Schlaf, geht es los zum „furudgoh“, dem internationalen Flughafen von Duschanbe, in dem Dana, Christin, Antonio und meine Wenigkeit ein Flugzeug der kasachischen Linie Air Astana besteigen, das uns über imposante Berglandschaften nach Almaty bringt. Das Sim-Sim von gestern zeigt seine Nachwirkungen und der Druckabfall in der Kabine tut sein Übriges, um den Flug in eine absolute Tortur zu verwandeln. Gut, dass wir jetzt acht Stunden Aufenthalt haben, um eine Ibuprofen in der Blutlaufbahn abzubauen. Wir treffen uns im Zentrum der größten kasachischen Stadt (eine Stadt!!!!) mit der dort eingesetzten kulturweit-Freiwilligen und machen eben so viel Sightseeing, wie die Zeit es zulässt.
Um 22 Uhr geht der Anschlussflug nach Peking, die kasachische Pferdewurst, eine echte Delikatesse, lasse ich schweren Herzens am Duty-free Shop zurück. Landung ist morgens früh um vier in Peking am riesigen Capital Airport. Der Wechsel des Terminals dauert so lange wie eine Marschrutkafahrt durch ganz Duschanbe. Was auffällt, sind die vielen verschiedenen Leute, die sich unterschiedlich anziehen, und alles ist so bunt und groß – eine echte Sinnesberauschung. Trotzdem können wir den kurzen Aufenthalt gar nicht so richtig genießen, weil wir alle fast sterben vor Müdigkeit. Ein gutes chinesisches Frühstück weckt uns nur vorübergehend. Nach endlosen neuen Sicherheitskontrollen und drei neuen Stempeln im Pass stehen wir vor der letzten Maschine des Hinflugs – Miat Mongolian Airlines bringt uns mit einer Boeing 757 aus den Siebzigerjahren zum Chengis Khan International Airport in Ulaanbaatar, auf dem wir um 12 Uhr Ortszeit landen (Fun fact: Der Zeitunterschied zwischen Deutschland und Tadschikistan beträgt drei Stunden, der zwischen Tadschikistan und Ulaanbaatar vier).
Der erste Eindruck von der Mongolei ist umwerfend, trotz Müdigkeit: Absolute Steppe umgibt die Hauptstadt, die gerade in den Vororten wie eine Mondlandschaft wirkt, in die ein verrückter sowjetischer Architekt mit Stolz seine Platten gebaut hat. Dazu noch der Verkehr, in meinem ganzen Leben habe ich noch nichts Chaotischeres gesehen.
Nach einem ausgeprägten Mittagsschläfchen erkunden wir nun die Stadt, den Sukhtbaatar Platz, das Gandan Kloster (das wirklich, wirklich beeindruckend ist – die Gebetskurbeln lassen mich die gesamte Zeit nicht mehr los). Zufällig treffen wir dort auch Philipp, den Freiwilligen aus Bischkek, mit dem wir später in den Dschingis Khan Irish Pub gehen und Dschingis Khan Bier trinken – alles unter dem Bild von Dschingis Khan, der uns von überall zu beobachten scheint. Die Mongolen mögen den anscheinend.
Am Montag geht dann auch das Zwischenseminar los, und alle zentralasiatischen und mongolischen Freiwilligen kommen zusammen, um über ihre bisherigen Erfahrungen zu sprechen und zu diskutieren, wie es noch weitergeht. Dabei entstehen auch sehr interessante Projektideen. Jonas, der Kollege aus Samarkand, sprüht nur so vor Kreativität, was seine Einsatzstelle angeht, und ich hole mir noch ein paar Inspirationen für die kommenden Projekte in den Sommerferien. Dazu hat das Seminar echt was gebracht – und ich glaube, den Schülern haben die Projekte hinterher Spaß gemacht :))). Das transkulturelle Training bringt eher weniger für mich. Der ex-sowjetstaatenerfahrene Trainer hat andere Vorstellungen von Tadschikistan als ich, und so kommen wir nicht wirklich auf einen gemeinsamen Nenner.
Trotzdem war das Seminar höchst spannend und hat mir viele neue Impulse gegeben. Nochmals danke dafür an kulturweit!
Erwähnenswert ist definitiv noch die Exkursion in den Terech Nationalpark, den wir am Mittwoch machten. Das Essen mit einer mongolischen (oder eigentlich kasachischen) Familie in der Jurte, Reiten auf mongolischen Pferden (die zum Teil ganz schön Feuer unterm Hintern haben – unser schwäbischer Kollege hat das am eigenen Pferde feststellen können) und einfach die umwerfende Landschaft haben mich tief beeindruckt. Bailala.
Nach viel zu kurzen sechs Tagen in diesem beeindruckenden Land und einem reichhaltigen Abschiedsessen ging auch schon wieder der Rückflug – diesmal allerdings nur einer – nach Peking. Erneut der bunte Kulturschock nach der offiziellen Einreise, und nun ging es mit dem Capital Airport Rapid Train direkt rein in die chinesische Metropole (bei einem kleinen Größenvergleich kam heraus, dass allein die Stadt an sich mehr Einwohner als Tadschikistan hat, ganz zu schweigen vom gesamten Verwaltungsgebiet, welches fast dreimal so viele Einwohner hat). Man stelle sich also nun drei Freiwillige vor, die im Zentrum dieses pulsierenden Schmelztiegels aus verschiedenen Nationalitäten, Gerüchen und inmitten einer umhupten Ringstraße aus der U-Bahnstation treten und komplett vom ersten Eindruck erschlagen werden. Alles ist bunt, laut und blinkt, und wo du auch hinsiehst – überall stehen große, unentzifferbare chinesische Zeichen. Ein wahres Paradies.
Wir bahnen uns den Weg zum Hostel, durch Fahrräder und Mofas – Holland und Italien treffen mit exotischem Touch aufeinander.
Die nächsten drei Tage verbringen wir mit viel Staunen, Bahnfahren und vor allem Laufen (meine Schuhe fielen danach buchstäblich auseinander, eine Reparatur ist laut der Verkäuferin nicht mehr in Betracht zu ziehen). Wir steigen auf die chinesische Mauer, besuchen den Himmelstempel und etliche Parks sowie die Künstlerviertel im Zentrum und die Studentenviertel etwas außerhalb. Dort treffen wir auch Phuong, die Freiwillige vom Goethe-Institut in Peking, die uns in die deliziösen Kochkünste südchinesischer Provinzen einführt.
Was wir nicht schaffen, sind das große Künstlerviertel 708 Art District und die verbotene Stadt, da diese dummerweise montags geschlossen hat – noch ein Grund, schnellstmöglich zurückzukommen; außerdem sind auf meiner Beijing Subway Card noch 15 Yuan, die müssen ja auch verbraucht werden.
Dienstagmorgen müssen wir dann wieder zum Flughafen, weil unser temporary entry permit nach drei Tagen ausläuft, und zum wiederholten Mal frage ich mich, warum zum Teufel ich mir kein anständiges Visum geholt habe, mit dem ich länger in dieser genialen Stadt hätte bleiben können.
Der Rückflug verläuft ruhig, ich verschlafe ihn eigentlich komplett. Bloß über der Taklamakan-Wüste werde ich kurz geweckt, weil es Essen gibt und der Blick wieder umwerfend ist. Nach dem obligatorischen Umstieg in Almaty und einem kurzen Gang zum Duty-free Shop ebendort landen wir um drei Uhr nachmittags wieder in Duschanbe. Der schnoddrige Taxifahrer will uns wieder abziehen, deshalb laufe ich die letzten Meter. Es fühlt sich an wie nach Hause kommen.
Theaterprojekt, Sommerschule und Sommerkurs (10.06.-14.07.2015)
Um nach dem großartigen Zwischenseminar nicht in ein Loch zu fallen, organisiere ich mit tatkräftiger Hilfe von Munawara, Shiringul und Mohinav – den besten Deutschlehrerinnen an der Schule!! – ein Theaterprojekt für die fünften Klassen. Eigentlich war der Plan, meine Kindheitshelden Tiger und Bär auf die Bühne zu bringen. Da wir aber nur wenig Zeit haben, wird letztendlich das Stück „König Adalbert und das Gespenst“ aufgeführt – die Kinnings sind begeistert! Kronen, Umhänge und Zepter werden gebastelt und fleißig Texte gelernt. Dabei fällt auf, dass einige der Kinder wirklich ein Riesentalent fürs Schauspielern haben und dabei richtig aus sich rauskommen. Das macht nicht nur uns Spaß, sondern auch den Zuschauern – obwohl die Eltern und Lehrer, die im Publikum sitzen, wenig bis gar kein Deutsch verstehen.
Als nächstes steht die „PASCH-Sommerschule“ an – vom DAAD organisiert, wird sie zu einem Heidenspaß für die SchülerInnen der neunten und zehnten Klassen der Schulen Nr. 89 und Nr. 28. Tanzen, Singen, Schattentheater und ein Ausflug in den Erholungsort Romit bringen die Kreativität und den Lerneifer ganz nach oben. Am Ende sind alle traurig, denn nicht nur die Sommersschule ist vorbei, sondern auch die Zeit von Arthur, dem Leiter des DAAD-IC’s in Duschanbe, er geht zurück nach Deutschland. Ein echter Verlust für sämtliche Beteiligten, vor allem auch für die kulturweit-Freiwilligen.
Nach der Sommerschule gibt es ein verlängertes Wochenende mit kleinem Ausflug nach Khujand, wo Christin und ich endlich mal die Kollegen aus dem hohen Norden besuchen und Antonios Geburtstag am Stausee mit Schaschlik (und ohne Plov) feiern.
Wieder zurück in Duschanbe, fange ich an, einen Kurs für die zukünftigen DSD2 Schüler zu geben, bei dem allerdings letztendlich nicht mehr viele Schüler kommen, weil die meisten mit ihren Eltern über die Sommerferien auf ihre Dörfer fahren. Trotzdem lernen die Schüler, die da sind, eine ganze Menge über die deutsche Sprache, die Evolutionstheorie und warum Deutsche verdammt nochmal so viel Fahrrad fahren. Und nach dem Unterricht gibt es jeden Tag noch eine Runde Volleyball, da der Ramadan bei Temperaturen um die 43° Celsius ein anständiges Fußballspiel verhindert (Außerdem müssen die Schüler ja nicht unbedingt sehen, wie schlecht ich spiele :D).
So langsam nähert sich auch mein Geburtstag und damit ebenfalls der nächste tadschikische Urlaub. An dem Tag selber entdecke ich auf dem Schulhof ein riesiges Graffiti, auf dem ein paar Schüler mir zu Geburtstag gratulieren – supernett, aber gefährlich: Die Direktorin hat einen großen Wutanfall bekommen, glücklicherweise kann sie die Buchstaben aber nicht lesen…
Pamir 15.07.-21.07.2015
Frühmorgens geht es los: Antonio, der gerade am Vortag wieder aus Deutschland eingetrudelt ist, und ich begeben uns zum Taxistellplatz in der Nähe des Flughafens. Wir angeln uns den besten Jeep, der noch verfügbar ist – um halb sieben Uhr morgens sind die meisten schon abgefahren. Nach einer dreiviertel Stunde Wartezeit im Auto kommt ein Soldat mit Familie und verlangt vom Fahrer, dass wir unsere Plätze zu verlassen hätten, damit er seine Familie positionieren kann. Der obrigkeitshörige Fahrer teilt uns also mit, wir hätten nun hinten zu sitzen, und nach kurzer Diskussion verlassen wir das Fahrzeug mitsamt unserem Gepäck.
„Kleiner Exkurs – Reisen in Tadschikistan.
In Tadschikistan besteht für Langstreckenreisen keine touristische Infrastruktur. Man fährt entweder mit dem eigenen Wagen oder mietet sich eine Marschrutka. Man kann auch fliegen, das ist allerdings teuer und auf dem Weg in den Pamir gibt es bloß eine Maschine, die manuell geflogen wird, also bloß bei gutem Wetter startet – am 15. Juli war es leider stark bewölkt.
Das Prozedere der Marschrutkafahrt geht ungefähr so: Der reisewillige Tourist kommt auf einen Parkplatz, auf dem viele fahr(un-)tüchtige Wagen stehen. Sofort kommt eine Traube aus Menschen auf ihn zu, die versuchen, ihn zu einem Auto zu ziehen, ihm manchmal schon das Gepäck aus der Hand nehmen wollen. Die meisten lehnt man freundlich ab, bis sich jemand findet, der ein Auto besitzt, welches dem zentralasiatischen Straßensystem gewachsen ist. Dann heißt es warten. Bis sich Menschen finden, die ebenfalls in dieselbe Richtung wollen (und wahrscheinlich bloß die Hälfte bezahlen), können zwischen 30 Minuten und vier Stunden vergehen. Die Zeit nutzt man am besten, um es sich im Auto bequem zu machen und Sitze zu reservieren. Vorne neben dem Fahrer ist sehr gefragt, außerdem der Platz hinter demselben – bei einem potenziellen Unfall ist man dort auf der sichersten Seite. Nach der Losfahrt am besten versuchen, sich mit den übrigen Reisenden gut zu stellen, für die 600km Pamir Highway bis nach Khorugh braucht man mindestens 15 Stunden.“
Nach dem Rausschmiss finden wir ein neues Auto, ein uralter Toyota Rav4 ohne Kopfstützen – das fällt uns allerdings erst später auf. Schließlich fahren wir mit zehn Leuten im Auto los. Der Pamirhighway ruft. Das erste, was man davon vernimmt, ist allerdings eher der kleine Schreihals auf dem Schoß meiner Sitznachbarin, der die ersten zwei Fahrstunden keine Ruhe gibt. Wir versuchen ihn mit M&M’s ruhigzustellen, die schmeißt er allerdings lieber seiner Mutter an den Kopf. Der kleine Junge, der mit seinem Vater vorne sitzt, schafft es schließlich, ihn mit einem Schokoriegel zum Schweigen zu bringen. Er ist auch der Gesprächigste von allen Mitreisenden und interessiert sich ungemein für meine Kamera, die er für zahllose Selfies gebraucht.
Die Straße ist super bis Danghara – hier hat der Präsident seine familiären Wurzeln, danach erinnert sie eher an einen ungepflegten Feldweg. Nach einer kurzen Rastpause mit großen Gläsern Kompot (das Beste, was es gegen die trockene Hitze gibt), gelangen wir an die Grenzstation, die die Autonome Provinz Badakhshon vom Rest von Tadschikistan trennt. Passkontrolle. Die deutschen Pässe werden natürlich ausgiebigst betrachtet, jeder Stempel fachmännisch analysiert. Der Fahrer erzählt dem Soldaten, an dessen Rücken ein unsympathisches Kalaschnikow-Maschinengewehr baumelt, dass ich ein wenig Tadschikisch spräche. Der Soldat fragt mich die Standardfragen, woher, wieviel, Familie, Kinder. Dann befiehlt er dem Fahrer stehenzubleiben und verschwindet hinter der Grenzstation. Unsere Pässe hat er mitgenommen. Leicht ungutes Gefühl überkommt mich. Wir warten.
Als der Soldat zurückkommt, hat er eine große Honigmelone in der Hand – er gibt sie uns durch das Fenster und fügt noch freundlich hinzu „Welcome in Tajikistan“. Die Kalaschnikow sieht auf einmal sehr viel netter aus.
Weiter geht es, wir stoßen an den Pandsch, den Grenzfluss zu Afghanistan, der im Moment viel Wasser führt und damit eine illegale Überquerung ziemlich unmöglich macht. Das ist ganz sympathisch, da in letzter Zeit Nachrichten von der Frühlingsoffensive der Taliban umgingen. Trotzdem sind wir zum Teil nicht mehr als 20 Meter von einem der angeblich gefährlichsten Länder der Welt entfernt, was in sich eine gewisse Faszination ausübt. Von Burkas auf kleinen Eselchen und Maschinengewehrsalven, wie uns prophezeit wurde, sehen wir allerdings wenig. Trotzdem sind die Treppendörfer auf den kargen Felshängen interessant anzusehen, und ab und zu sehen wir auf dem Weg am anderen Ufer ein Mofa mit langgewandeten Menschen vorbeifahren.
Wir kommen gut durch, nach etwa 15 Stunden sind wir in Khorugh angekommen und fallen erstmal todmüde ins Bett.
Am nächsten Tag wachen wir auf mit dem Blick auf riesige Felshänge und gehen nach unten zum Frühstücken. Im kleinen Café treffen wir George aus Australien, der versucht, in einem Monat von Duschanbe über den Pamir Highway nach Osch in Kirgistan zu kommen – und das mit dem Fahrrad. Wir beschließen, dass das ziemlich cool klingt und versuchen, uns ein Fahrrad auszuleihen. Leider finden wir heraus, dass es keinen Fahrradverleih gibt.
Dafür gehen wir dann halt ein bisschen wandern und wandern zum botanischen Garten. Einst der höchstgelegene botanische Garten der Sowjetunion, ist er heutzutage allerdings zum Teil etwas verwildert, trotzdem noch sehr schön.
Am Abend kommen wir zurück und stellen fest, dass der Strom nicht funktioniert. Auch das Wasser streikt. Und zwar nicht nur im Hotel, sondern überall. George klärt uns auf, dass eine Stunde östlich der Stadt ein Berg runtergekommen und jetzt das Kraftwerk abgeschaltet worden sei. Außerdem ist bei der Lawine die Nordroute des Pamir Highways einfach mitgerissen worden, was zur Folge hat, dass die Straße bis heute gesperrt ist.
Einen Vorteil hat das Ganze, denn während wir mit einem dreizehnjährigen Tadschiken reden, der mehr Allgemeinwissen über Gott und die Welt hat als jeder andere Dreizehnjährige, den ich jemals getroffen habe, und das letzte gekühlte Bier genießen, sieht man am Himmel mehr Sterne als irgendwo sonst.
Am nächsten Tag geht es nach Ishkashim, von dort könnten wir auch ohne Visum auf den afghanischen Grenzmarkt, der jeden Samstag abgehalten wird. Leider werden wir informiert, dass ausgerechnet diesen Samstag Eid, das Ende des Ramadan ist, und die Händler deshalb ausschlafen. Also nichts mit Afghanistan, schade.
Dafür treffen wir uns mit den anderen DAAD- und kulturweit-Praktikanten und verabreden uns um sechs an der einzigen Ampel Ishkashims. Kaum dort angekommen, werden wir von freundlichen Männern mit einer Bestimmtheit, der nichts entgegen zu setzen ist, aufgefordert, uns mit ihnen an einen Tisch zu setzen, welcher vor ihnen aufgebaut ist – es gibt Plov, was wäre auch anderes zu erwarten gewesen. Sie freuen sich total, dass wir ein wenig Tadschikisch sprechen und fordern uns auf, mehr Plov zu essen. Schließlich tauchen auch die Mädels und Faridun auf, die für uns übersetzen. Der Anlass der Feier ist, wie wir jetzt herausfinden, dass ein Nachbar aus dem Gefängnis entlassen wurde. Der Präsident hatte in der vorigen Woche etwas in der Art angekündigt; zum 20. Jahrestag der Verfassung würden einige Verbrecher begnadigt. Sehr beruhigend, aber der Plov war lecker!
Am nächsten Tag fahren wir weiter. Der Plan ist, zur Festung von Yamchun zu gelangen und von dort aus die 80km zurück zu wandern. Wie immer sind aber Plan und Realität nicht ganz leicht unter einen Hut zu bringen – der Fahrer weiß nicht so ganz, wo er uns raus lassen soll. Zu guter Letzt stranden wir irgendwo am Straßenrand und müssen sieben Kilometer bergauf laufen, um zur Festung und zu den heißen Quellen von Bibi Fatima zu kommen, die im Reiseführer empfohlen werden. Nach ca. einem Kilometer werden langsam die Rucksäcke schwer, und außerdem haben wir nicht gerade üppig gefrühstückt. Ich gehe in einen Laden, um ein Brot zu kaufen – wir sind in der absoluten Einöde. Der zehnjährige Junge hinter dem Tresen guckt mich an wie einen Alien, Faszination mischt sich mit Bewunderung und Furcht. Wahrscheinlich hat er noch nie jemanden gesehen, der so bleichgesichtig ist wie ich. Bei der Frage, wie viel das Brot koste, haucht er nur „bepul“ – kostenlos.
Zwei Kilometer weiter und noch ein bisschen fertiger kommt von hinten ein Auto auf uns zugeröhrt. Das Nummernschild weist den Fahrer als waschechten Augsburger aus. Die beiden Insassen heißen Lukas und Thomas, ein Deutscher und ein Tscheche, die mit ihrem Sann Yong Musso von Prag bis Wladiwostok fahren und in die gleiche Richtung wollen. Freundlicherweise nehmen uns die beiden mit, und die restlichen Höhenmeter werden uns erspart. Nach dem Bad in den heißen Quellen, von dem man annimmt, dass es die Fruchtbarkeit fördere, entscheiden wir, das mit dem Wandern an den Nagel zu hängen und lieber noch weiter mit dem Auto zu fahren. Abends bauen wir das Zelt auf, machen ein Lagerfeuer und kochen Pasta mit Tomaten-Salamisoße, ca. 50 Meter von der Grenzlinie.
Natürlich regnet es die ganze Nacht und wir haben keine Isomatten, deshalb ist der nächste Morgen nicht so tatendrangbehaftet wie geplant war. Deshalb versuchen wir erst mal weiter zu fahren nach Langar, dort eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden und uns dann aufzumachen, den Pik Friedrich Engels zu besteigen. Der Pik Engels ist bloß unwesentlich kleiner als der direkte Nachbar (der natürlich Karl Marx heißt, Sozialismus muss sein), aber wesentlich interessanter, da man während des Aufstiegs an den Petroglyphen von Langar vorbeikommt. Außerdem gibt es von weiter oben ein hervorragendes Echo mit den gegenüberliegenden Bergen des Hindukush.
Leider kommen wir nicht so weit, da das Wetter schlechter wird und auch die Höhe so langsam spürbar wird. Also verabschieden wir uns von unseren neuen Freunden, die noch bis zum ersten Camp klettern wollen, und machen uns auf den Abstieg.
Am nächsten Tag geht es zurück nach Khorugh, der Urlaub muss schon ein bisschen früher beendet werden, auch weil die Lage im Pamir sich zuspitzt. Der Regen löst zahlreiche Lawinen aus, und man weiß nicht, ob und wie Rettungsfahrzeuge durchkommen können. Trotzdem steige ich in Namadgut noch einmal aus, um die letzten zwanzig Kilometer nach Ishkashim zu laufen und mir vor allem noch einmal die alte Festung aus der Zeit Alexanders des Großen anzusehen – sehr beeindruckend.
Von Ishkashim nehme ich noch ein Taxi, der Fahrer ist gutmütig und nimmt mich mit, obwohl er seinen Wagen nicht mehr vollbekommt. Zum Dank schenke ich ihm, als wir ankommen, noch eine Schachtel Zigaretten.
Am nächsten Morgen dann die Nachricht: Nicht nur östlich von Khorugh ist die Straße verschwunden, sondern jetzt auch westlich. Die Strecke nach Duschanbe ist also abgeschnitten, und wir drohen festzusitzen. Nicht nur wir, sondern natürlich auch die Fahrer sind nervös. Schließlich spricht uns ein gemütlicher Herr an, der uns in seinem Land Cruiser Prado mitnehmen möchte, und das nach nur kurzer Preisverhandlung und nur zwei anderen Mitfahrern. Wer kann da schon nein sagen? Also steigen wir in den Luxuswagen, und es geht los. Erstmal nur zum anderen Ende der Stadt. Dann wieder zum Ausgangspunkt. Dann nochmal woanders hin. Und wieder zurück. Nach ca. anderthalb Stunden, die wir so verbringen, geht es dann doch richtig los – allerdings weiß immer noch niemand genau, wie es mit den verschütteten Straßen aussieht. Wir haben aber diesmal Glück gehabt, der Fahrer ist sehr nett und spricht sogar ziemlich fließend Englisch. Er hat wohl zehn Jahre für UNHCR und die amerikanische Botschaft gearbeitet.
Als wir durch Rushon fahren, sehen wir die erste verschüttete Stelle, kommen aber dank des hochgelegten Luxusautos problemlos durch. Mittagsessen gibt’s im Geburtsort vom Fahrer, in dem auch seine Familie noch lebt. Erst gegen Nachmittag kommen wir zur zweiten Gefahrenstelle, wo wir von einem Soldaten zum Stehenbleiben aufgefordert werden. Wir sind nicht die Ersten. Schon etwa 15 Fahrzeuge warten zum Teil seit den Morgenstunden auf Durchlass, doch die Straße ist noch nicht freigegeben, und auch die Militärs können keine Auskünfte geben. Es heißt also warten, und die Hitze bemächtigt sich des Autos genauso wie der schattenlosen Umgebung. Die einzige Quelle der Abkühlung wäre der Fluss, es gibt aber ein Problem, das in den nicht geräumten sowjetischen Landminen liegt, vor denen ab und zu gewarnt wird. Wir warten inzwischen seit viereinhalb Stunden, und ein Ende ist nicht in Sicht. Unser Fahrer rauft sich die Haare und ruft Gott an, warum er nicht einfach in seinem Dorf geblieben ist. Es ist inzwischen ziemlich klar, dass wir es heute nicht mehr nach Duschanbe schaffen werden. Nach sechs Stunden am Schlagbaum werden sämtliche Passagiere wieder eingesammelt, und wir fahren zehn Kilometer zu einem Notlager. Leider ist dieses schon ziemlich überfüllt, anscheinend waren wir mit die Letzten, die die Hoffnung aufgegeben haben. Also geht es weiter, noch einmal 15 Kilometer, und wir kommen in ein winziges Dorf, bestehend aus drei Häusern und einem Garten mit zwei Tischen und zwei Tapcans. Hier warten wir nun, jetzt aber bei angenehmeren Temperaturen und einem exzellenten Plov.
Der Fahrer erzählt Geschichten aus dem Bürgerkrieg, wir spielen das mongolische Knochenspiel und trinken schwarzen Tee, bis es dunkel wird. Von der Straße gibt es immer noch keine Nachrichten. Angeblich ist am vorigen Tag eine Marschrutka mit einem Kran zusammengestoßen. Sowohl die Marschrutka mit sechs Insassen, als auch der Kran seien in den Fluss gestürzt und hätten einen ganzen Straßenabschnitt mitgerissen. Überlebende hat man nicht gefunden.
Schließlich legt die nette Frau, der das Etablissement gehört, uns Baumwollmatten auf den Tapcan, und wir versuchen zu schlafen. Leider versuchen wir das bloß, weil auf einmal etliche Ameisen und andere kleine Tierchen um uns herumkrabbeln – dementsprechend eine eher schlaflose Nacht.
Am nächsten Morgen wecken mich die ersten Sonnenstrahlen, die durch die Zweige brechen (ich habe also doch ein bisschen geschlafen). Zum Frühstück gibt es frittiertes Ei oder Milchtee. Der Milchtee klingt einladender und macht satter.
Wir warten weiter. Um elf kommen zwei niedersächsische Motorräder vorbei – Frank und Petra sind auf dem Weg von Gifhorn nach Vietnam.
Nach ungefähr sieben weiteren Kannen Tee kommt endlich die erlösende Nachricht – die Straße sei frei. Wir schwingen uns wieder in Auto und fahren zurück zum Ausgangspunkt. Noch eine Stunde warten, und die Militärs lassen uns durch, wir rumpeln über die provisorisch aufgeschichtete Sandstraße, die noch nicht ganz festgefahren ist, das stört den Fahrer aber gar nicht, und er drückt nochmal ordentlich auf die Tube, um den Musso vor uns von links zu überholen. Links rauscht übrigens zwanzig Meter unter uns auch der Pandsch entlang, ein wundervolles Gefühl der Schwerelosigkeit überkommt mich, und ich kann schon fast das Licht am Ende des Dunkels sehen. Wie durch ein Wunder überleben wir das Manöver und rumpeln weiter über zahllose Schlaglöcher. Am Nachmittag halten wir, um schnell etwas zu essen. Ich habe noch nicht aufgegessen, da geht es schon wieder weiter. Wir lassen Afghanistan hinter uns und fahren durch das südtadschikische Flachland, nach Danghara fallen mir aufgrund der verbesserten Straßensituation die Augen zu. Halb ein Uhr morgens kommen wir in Duschanbe an – für die 523km haben wir geschmeidige 39 Stunden und 47 Minuten gebraucht.

Mit den niedersächsischen Bikern – lustigerweise trafen wir uns später zufällig in Kirgistan wieder, wo sie mir erzählten, dass sie neulich zufällig meinen Blog gefunden hätten (Auf der Google-Suche nach Kurutob)
25.07.-15.08.2015
Hier kommt jetzt doch nur noch eine Kurzfassung der Ereignisse: La familia (oilai man) kommt am 25.07. in Tadschikistan an und besichtigt erst mal für ein paar Tage Duschanbe, Plov und daraus folgend einige tadschikische Toiletten und Apotheken. Anschließend fahren wir nach Panjakent, Artuch, Istaravshan und Khujand. Von dort geht es weiter über die amüsante Grenze nach Kirgistan, wo wir Osh, Özgen und den Pik Lenin erobern. Der Rückweg geht dank geschlossenem Grenzübergang bei Obi Garm (bei dem sich in der vorigen Woche wieder ein paar Idioten gegenseitig erschossen hatten) wieder über Khujand zurück nach Duschanbe.
Allgemeiner Eindruck der älteren Generation ist durchweg positiv, auch wenn das Marschrutkafahren auf Dauer eher anstrengend wird. Aber die wunderschöne Landschaft, das leckere Essen und die freundlichen Menschen machen das auch wieder wett.
Der Kollektivbeschluss lautet: Nächstes Mal mit Fahrrädern.
Die letzten Tage:
Mit den letzten Tagen im schönen Tadschikistan kommen leider auch die letzten Tage an der Schule. Noch ein „Grafitti Projekt“ machen wir, leider doch auf Papier, da die Direktorin das Herumschmieren an den Mauern nicht duldet. Außerdem gibt es noch die internationale Ausschreibung, für Pasch-Net eine Reportage zu schreiben, bei der der erste Platz in einer Reise nach Deutschland liegt. Wir versuchen Ideen zum Thema nachhaltige Ernährung zu finden und stellen fest, dass unnachhaltige Ernähung in Tadschikistan nicht existiert. Plov schmeckt eben jedem.
Als ich am letzten Tag mit Faridun noch Fußball spiele, fliegen über dem Feld schon die ersten Flugzeuge im Landeanflug, und ich werde ein bisschen nostalgisch. Zu allem Überfluss hat auch noch das chinesische Restaurant, in dem ich mein Abschiedsessen bestreiten wollte, ausgerechnet heute geschlossen. Also geht es zum Inder, der ist ja auch nicht schlecht. (Dazu muss gesagt werden, dass ich die Tage davor fast ausschließlich mit Sambusa, Kurutob, Plov und choi kaput verbracht habe, damit nicht der Verdacht aufkäm, ich möge das tadschikische Essen nicht.)
Danke an alle Menschen, vor allem aus der Schule Nr. 89 und vom DAAD, die meine tadschikische Erfahrung zu etwas so Besonderem gemacht haben. Ihr habt immer einen Freund in Hannover. Oder demnächst dann halt in Marburg.
Taschakkur!