Es klingt unglaublich, aber ich bin tatsächlich schon seit über 2 Wochen in Buenos Aires. Die Zeit verging wie im Flug und ich habe mir wirklich Mühe gegeben, einen möglichst komprimierten und am Stück lesbaren Überblick zu geben. Herausgekommen ist dabei folgendes:
Die ersten Tage verbrachte ich beim Einführungsseminar des Goethe Instituts mit den Freiwilligen aus Chile, Uruguay und Argentinien, verschiedenen Lehrern von PASCH-Schulen (vom Auswärtigen Amt unterstützte Schulen, an denen Deutsch unterrichtet wird http://www.pasch-net.de/), meinen ersten argentinischen Empanadas und einer Menge Projekt-, Unterrichts- und Reiseideen, untergebracht in einem Hotel im Stadtviertel San Telmo. An alle bald-Abiturienten die das hier lesen: Macht einen Freiwilligendienst, allein das Begleitprogramm ist bárbaro (in etwa: überragend).
Danach ging es etwa 20km nach Temperley, einen Teil des Stadtgebiets von Buenos Aires, in dem sich meine Schule befindet und eine supernette Gastfamilie lebt, bei der ich bisher untergebracht bin. Meine Gastmutter Angelika ist vor 40 Jahren aus Deutschland nach Argentinien ausgewandert, sie arbeitet an einer Sprachakademie, die im Gebäude der Deutschen Schule stattfindet. Ihr Sohn Martin hat mir in den ersten Tagen den Schulweg, das Viertel und alle Busse Züge etc. gezeigt. Eine Gastfamilie ist, um am Anfang klarzukommen, auf jeden Fall eine riesige Hilfe. Ich habe ein Zimmer, Bad, meinen eigenen Ausgang und trotzdem stets Leute, die mir helfen und mich mit den argentinischen Gepflogenheiten bekannt machen. So konnte ich auch schon einige junge Leute kennen lernen und war auf Tangokonzerten, Asados (in etwa das argentinische Äquivalent zum Grillfest) und in der Probe eines wirklich überragenden Posaunenchors mit Profis aus der Orquesta Colon. Grundsätzlich findet was Freizeit angeht hier alles etwas später statt, ein Konzert um 19:30 beginnt nicht vor 8, abend gegessen wird bis 12, gemütlich in eine Bar geht man gegen 1. Etwas verwundert habe ich schon Entschuldigungen für pünktliches Erscheinen entgegen genommen. In der Praxis trennen mich offenbar mehr als nur 5 Zeitzonen von Deutschland. Um zwei weitere Single-Storys zu bestätigen: Tango Orchester sind super und Fleisch schmeckt hier wirklich (ganz doll viel) besser als zu Hause!
In der Schule wurde ich ebenso herzlich willkommen geheißen, die ersten zwei Wochen stellten meine „Eingewöhnungszeit“ dar, in der ich an der Primaria (1. bis 6. Klasse) hospitierte und erst einmal nur wenige eigenständige Aufgaben übernahm, um mich hier einzuleben. Von außen sieht das Gebäude ein wenig nach Bunker mit vielen Gittern aus, von innen hingegen ist die Schule bunt y muy acojedora (das Wörterbuch meint gemütlich/einladend/lauschig). Meinen deutschen Gewohnheiten nach geht es in der Grundschule wirklich laut zu, vor allem was Mittagessen und Pausen angeht, dafür haben die Kinder aber auch tausende von Fragen zu Deutschland, die bei den Standards Fußballvereine, Wetter, Haarfarbe, WM-Meinung und Haltung zu One Direction beginnen und so ziemlich überall enden können. Seit dem 4:2 gegen Deutschland werde ich nicht mehr mit „choca las cinco“ (etwa: high-five) sondern eben „choca las cuatro“ begrüßt. An der Primaria sind zudem zwei Lehramt-Praktikanten aus Berlin und Dresden, mit denen ich bisher schon einiges an Erfahrungen austauschen konnte. Etwa, wie ich einem Zehnjährigen erkläre, dass „die Acht“ und „die Liebe“ Substantive und groß zu schreiben sind (mit „es lässt sich anfassen“ stößt man schnell an Grenzen). Über meine Arbeit an der Schule werde ich in einer Weile wohl nochmal ausführlicher berichten. Die Eingewönungsphase ließ mir zu Beginn recht viel Freizeit (was sich ab dieser Woche mit festem Stundenplan und Secundaria-Besuchen wohl ändern wird), wodurch ich, vor allem mit anderen Freiwilligen, schon viel in Buenos Aires unterwegs sein konnte.
Für einen kleinstädtischen Deutschen war der erste Blick aus dem Flugzeugfenster auf einen bis zum Horizont nicht enden wollenden Häuserteppich herab recht beeindruckend. Im Stadtgebiet von Buenos Aires wohnen über 13 Millionen Menschen, die Stadt war für mich zunächst ein „Chaos in Karos“. Nach Vorschriften der spanischen Kolonialverwaltung wurde Buenos Aires schachbrettartig angelegt, was sich bis heute gehalten hat. Zum einen kann man sich an den Cuadras (Häuserblocks) ganz gut orientieren, zum anderen sehen sich all die unzähligen Kreuzungen für Neuankömmlinge recht ähnlich. Im Vergleich zu Deutschland baut jedes Haus seinen eigenen Bürgersteig, was (vor allem beim Fahrrad fahren) durchaus für Abwechslung sorgt. Die öffentlichen Verkehrsmittel hier sind bisher wirklich erste Sahne, einen der oft erwähnten Streiks habe ich noch nicht miterlebt. Mit Tren (Zug), Subte (U-Bahn) und Colectivo (Bus) kommt man praktisch überall hin. Dass ich bei 200 Linien mit insgesamt über 145.000 Bussen, die so ziemlich an jeder Straßenecke halten, nicht vom ersten Tag an den totalen Durchblick hatte, erübrigt sich wohl zu erwähnen. Transportkosten sind hier vergleichsweise wirklich günstig, Strafen für Schwarzafhren im Zug immer noch ein Bruchteil der deutschen Ticketpreise, die hohen Subventionen der Regierung machen sich bemerkbar. Andere Dinge wie Kosmetikartikel, Gemüse oder Mieten sind wiederum recht teuer, vor allem wenn man bedenkt, wie viel Menschen in Argentinien zur Zeit verdienen. Zudem habe ich durch den guten Euro-Wechselkurs einen ziemlichen finanziellen Vorteil.
Mittlerweile dauert es bei Gesprächen auf der Straße auch schon merklich länger, bis ich mich durch ein verräterisches „dinero“ (statt „plata“), „metro“ (statt „subte“) oder am besten gleich die Frage nach dem Weg zum Gebäude, vor dem wir grade stehen zum „Gringo“ (Ausländer) disqualifiziere. „Y de donde sos vos?“, bekomme ich dann häufig zu hören. Doch kleine Erfolgserlebnisse wie einer Frau sagen zu können, wo es zum nächsten Kiosk geht, geben mir doch wieder das Gefühl, mich zumindest schon ein wenig in Buenos Aires eingelebt zu haben.
Durch die großen Distanzen und da zunächst einmal alles neu und ungewohnt ist, kommt es nicht selten vor, dass wir von zehn uns vorgenommenen Dingen in der Stadt letztlich mit Glück drei schaffen. Die Zeit scheint hier tatsächlich ein wenig schneller als zu Hause zu vergehen. Bisher habe ich noch kein mal länger als 10 Minuten zum Einschlafen gebraucht, obwohl ich alles andere als Schlafmangel habe. Buenos Aires überflutet einen zu Beginn jeden Tag aufs neue mit einer Welle von Eindrücken, Geräuschen, Bildern, Gerüchen, Gedanken, gestern auch mal Regentropfen.
Seit einer weile ist es dunkel hier in Temperley. Vor der Tür ächzt Angelikas uralt-Waschmaschine, die kalt und schleuderfrei meine Klamotten vom Schmutz der Stadt befreit. Alle paar Minuten beginnt der Kühlschrank zu brummen, begleitet von einem leichten Flackern der Nachttischlampe. Die 5 Hunde des Nachbarn schweigen gerade, was manchmal gegen vier in der Nacht leider weniger der Fall ist, und von der Avenida Alsina weht hin und wieder das Rattern, Hupen und Heulen von weit entfernten Zügen, Autos und vereinzelten Polizeisirenen herüber. Hoch über dem Hausdach rauscht der Wind in der Palme, die Angelika vor 40 Jahren pflanzte, als sie hier einzog. – Ein wenig Kitsch zum Ende.
Über Studentenorchester, WG, Reisen und neues aus der Secundaria berichte ich – wenn alles glatt läuft – nächstes mal. Hoffentlich bald auch mit Bildern, sobald ich mir eine Kamera zugelegt habe.
Schöne Grüße aus dem sommerlichen Winter von Buenos Aires!