Archiv für den Monat: Januar 2015

Aus Ende mach Halbzeit

Ich sitze auf einem ziemlich großen Felsen, der Teil eines noch ziemlich viel größeren Berges ist am Glaciar Martial, blicke über Stein und Wald auf Ushuaia, den Beagle Kanal und die dahinter liegende Insel Navarino.

Dort unten liegt die Startbahn des Flughafens, von der hin und wieder Maschinen aufsteigen, um als kleine Pünktchen im Himmel zu verschwinden. Eines dieser Pünktchen wir mich morgen nach Buenos Aires zurückbringen.

Eigentlich wäre meine Zeit hier in Argentinien in 2 Wochen vorbei. Im November hatte ich das Gefühl, noch länger bleiben zu wollen, weshalb ich mein FSJ auf ein ganzes Jahr bis August verlängerte. Darüber, wie mein Leben in Argentinien bisher aussieht, erzähle ich in den Folgenden Texten:

Reise a Chile

El Colegio   Seminare Camps

Meine WG   Patagonia

La Musica

La Patagonia

Am 1. Januar bin ich für gute 3 Wochen in den Süden Argentiniens, nach Patagonien und Feuerland aufgebrochen. Von Buenos Aires nach Ushuaia reiste ich durch Hochburgen des internationalen Tourismus, 30-Seelen-Dörfer wie Bajo Caracoles, Meerengen und Nationalparks, Gebirge und Steppen.

Im Kontrast zur manchmal erdrückenden Großstadt Buenos Aires finden sich in Patagonien eine aus Europa unbekannte Leere und Weite, oft ist man über 100 Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Man kann stundenlang durch die von Guanacos (mit dem Lama verwandt), Ñandús (Straußenähnliche Vögel) und Hasen bevölkerte Pampa spazieren, ohne einem Menschen zu begegnen. Andererseits gehen in den zahlreichen Nationalparks Menschen aus aller Welt auf Wanderung, Ushuaia ist für viele Touristen der Ausgangspunkt für Reisen in die Antarktis.

Von Buenos Aires reiste ich alleine los, traf mich aber in El Chalten für einige Tage mit Pablo, einem Freund aus Capital. Auf der chilenischen Seite Patagoniens war ich mit den Kulturweitlern Laura, Ricarda und Felix unterwegs.

Mit Zelt und Isomatte im Gepäck habe ich über die Hälfte der rund 4300 Kilometer Wegstrecke per Anhalter zurückgelegt. Im Süden Argentiniens ist diese Art zu reisen recht üblich, ich musste trotz teilweise sehr spärlichen Verkehrs selten länger als eine Stunde warten. Für mich bot das Anhaltern eine gute Möglichkeit, mit verschiedensten Menschen in Kontakt zu kommen. So wird man von einem LKW Fahrer sogleich auf ein paar Mates mit seinen Jugendfreunden im Dorf Gobernador Costa mitgenommen oder von einer Reisegruppe zum Abendessen eingeladen.

Auch bemerkt man schnell, dass die touristische Sichtweise nur ein winziger Teil der Wirklichkeit ist. Etwa wenn zunächst ein begeistertes kalifornisches Ehepaar im Mietwagen mit 100 Sachen auf dem Weg zum weltberühmten Gletscher Perito Moreno die Landschaft mit den Eindrücken aus Australien, Europa und Südafrika vergleicht, im nächsten Auto dann ein Angestellter des Nationalparks, der seit jeher im nahen Städtchen El Calafate wohnt erzählt, wie er diese Strecke zu seiner Arbeit täglich zurücklegt. Auf Feuerland traf ich einen jungen Mann aus Temperley, der vor 2 Wochen aus seiner Firma wenige hundert Meter von meiner Schule entfernt gefeuert wurde und nun  bei einer Buchhandlung in Ushuaia arbeitet, da dort die Löhne höher als in der Hauptstadt liegen.

Obwohl das wilde Patagonien mit seinen zerklüfteten Bergen, stahlblauen Seen, dem Regen und Wind, der einen manchmal buchstäblich umweht unglaublich beeindruckend und mächtig erscheint, bemerkt man doch hin und wieder, wie sehr sich diese Natur in Gefahr durch den modernen Menschen befindet. Etwa wenn man als einziger Gast von der seit fast 200 Jahren bestehenden kleinen estancia (Bauernhof) eines älteren Ehepaars zur Cueva de las Manos läuft, wo sich eine über 8 Jahrtausende bestehende prähistorische Gesellschaft mit Handabrücken verewigt hat, während man die Wirkung des Ozonlochs auf der eigenen Haut spüren kann. Die Nationalparks sind voll von Landkarten, denen man die Gletscherausdehnungen vor wenigen Jahrzehnten entnehmen kann, wobei der Rückflug aus Ushuaia schnell einen etwas bitteren Beigeschmack annimmt.

Vor wenigen Tagen bin ich in das Großstadtleben des sommerlich schwülen Buenos Aires zurückgekehrt. Manchmal kommt fast schon eine leichte Sehnsucht nach den Nächten nahe des Gefrierpunktes im Schlafsack auf. Hoffentlich werde ich noch einmal die Gelegenheit bekommen, in den weiten Süden Argentiniens zu reisen. Es gibt noch so viel zu sehen.


Von Reisen erzählen stets Bilder die schönsten Geschichten:

Zwischenseminar und Sommercamps

Die ersten drei Dezemberwochen habe ich unter Kulturweitfreiwilligen aus Chile, Uruguay und Argentinien verbracht, zunächst in Villa General Belgrano, wo ein Sprachcamp und das Zwischenseminar stattfanden, danach in Santiago de Chile, wo wir ein Sommercamp an einer Schule organisierten.

Villa General Belgrano ist eine etwa 12 Busstunden westlich von Buenos Aires gelegene Kleinstadt nahe Cordoba. Etwas außerhalb befindet sich „El Rincon“, eine Art Bauernhof mit integrierter Herberge. Eine Woche lang arbeiteten wir auf einem vom Goethe Institut organisierten Schülercamp, bei dem wir zusammen mit einer Gruppe Künstlern verschieden Workshops anboten. Die Schüler konnten lebensgroße Puppen basteln, Filme drehen, Theaterspielen oder beim Abendprogramm an einer nächtlichen Schnitzeljagd teilnehmen.

Danach fand am gleichen Ort mit zwei Trainern von kulturweit das Zwischenseminar statt. Wir tauschten uns über unsere Erfahrungen in den Gastländern aus, planten Projekte und sprachen über den Sinn und Zweck unseres Aufenthaltes. Es tat gut, sich einmal Zeit dafür zu nehmen, über alles was wir erlebt haben bewusst nachzudenken. Oft muss man sich nur die richtigen Fragen stellen, um Zusammenhänge erkennen zu können.

Kurz vor Weihnachten fuhren wir nach Santiago de Chile zu einem Feriencamp an Luises Schule. Es kamen über 40 Schüler, mit denen wir aus Plätzchen, Sternen und Cupcakes eine Art Weihnachtsmarkt veranstalteten. Wir bastelten, buken, diskutierten und tauschten uns über Weihnachtsbräuche aus. Natürlich durfte dabei eines nicht fehlen: Die gute alte Papierwerkstatt!

Es waren drei intensive Wochen mit viel Arbeit und wenig Schlaf. Wir Freiwilligen haben uns die Zeit über untereinander unglaublich gut verstanden, haben viel gelacht und hatten eine Menge Spaß. Nach 3 Monaten in Lateinamerika hat man sich einiges zu erzählen. Ähnliche Erfahrungen, gemeinsam zu leben und etwas auf die Beine zu stellen sind perfekte Voraussetzung, um zu einer Gruppe zusammenzuwachsen.

 

La Musica en Buenos Aires

Die Klarinetten im Handgepäck war es von vorne herein mein Plan gewesen, in Argentinien weiter Musik zu machen. Anfangs gestaltete es sich ein wenig schwierig, eine Gruppe zu finden, da die musikalische Welt hier etwas anders organisiert ist. Die Musikschulen sind komplett kostenlos und öffentlich, dafür lernt man nach einem strengeren Lehrplan als in Deutschland und macht eine Art Ausbildung zum Musiker, was seine Vor- und Nachteile hat. Auch fand ich zunächst weniger öffentliche Orchester über das Internet.

Nach einigen Wochen zeigte mir ein Musiklehrer aus der secundaria, mit dem ich ein paar Stücke gespielt hatte seine Musikschule, das Conservatorio Banfield. Er stellte mich einem Klarinettenlehrer und dem Dirigenten des Musikschulorchesters vor, der mich mit in seinen Workshop zu experimenteller Musik und Aleatorik mitnahm. Dort wiederum lernte ich einen Klarinettisten kennen, der im Studentenorchester der Universidad de Lanus spielt. Er lud mich zu einer Probe ein, seitdem bin ich Teil des Orchesters. Das halbprofessionelle Sinfonieorchester besteht aus etwa 50 jungen bis erwachsenen Musikern. An unserem Jahresabschlusskonzert spielten wir in einer Kirche, der Parroquia San Benito, Puccinis „Misa de Gloria“ zusammen mit dem Chor der Universität. Ein Video des Konzertes findet sich hier.

Die Paukerin des Orchesters nahm mich mit zu einer Probe der „Banda Sinfonica Vientos del Sur“, einem Jugendblasorchester aus dem Zentrum von Buenos Aires. Der Dirigent gründete es vor wenigen Jahren aus seinen eigenen Schülern, mittlerweile spielen hier etwa 50 junge Musiker einen Mix aus allen möglichen Musikrichtungen. Neben einigen anderen Konzerten hatten wir Ende November das Glück, im weißen Saal der Casa Rosada, dem Präsidentenpalast Argentiniens spielen zu dürfen. Das Konzert wurde live übertragen und ist hier zu sehen (die ersten 3 Minuten ohne Ton).

Außerdem mache ich seit September mit 2 Jungs aus Temperley, Joaquin und Facu, immer wieder zusammen Musik. Wir bilden ein recht unkonventionelles Trio aus Gitarre, Bandoneon und Klarinette und konnten schon bei einem Konzert auf einer Konferenz in Capital einige Jazz Standards zum Besten geben. So kam es, dass ich letztlich vor den Sommerferien musikalisch doch recht gut ausgelastet war und in 2 Wochen 9 Konzerte in Museen, Schulen, Kulturzentren und auf Konventen spielte.

Insgesamt habe ich das Gefühl, dass in Argentinien die Grenze zwischen professionellem und hobbymäßigem Musizieren nicht so eng wie in Deutschland gesehen wird. Ein Musikstudium ist deutlich leichter zugänglich, man trifft viele Menschen, die sich mit ihrem Instrument ein wenig dazu verdienen. Auch gibt es eine riesige Vielfalt an Orchestern, Bands, Gruppen, etc. Ich kam weniger über offizielle Institutionen wie Musikschulen oder Universitäten mit Musikern in Kontakt, als vielmehr über „buena onda“, über Freunde, Bekanntschaften, Kontakte. Es ist unglaublich schön zu erfahren, wie Musik Menschen über den Globus hinweg verbinden kann.

 

Zehn Tage Chile

Die letzte Septemberwoche waren an meiner Schule Frühlingsferien, welche ich für eine zehntägige Reise nach Chile nutzte. Ich fuhr von Buenos Aires aus im sehr bequemen Bus 20 Stunden über die Anden nach Santiago de Chile, wo ich einige Tage bei Luise, einer Freiwilligen, in der WG verbrachte. Wir waren das Wochenende über in der Stadt unterwegs, bis ich mit Laura, auch einer Kulturweitlerin, in ihre Wohnung ins 5 Stunden südlich gelegene Städtchen Chillán fuhr.

Ein Lehrer von Laura nahm uns für ein paar Tage mit in sein Haus ins Dörfchen Cobquecura, wo ich meine erste Bekanntschaft mit dem stürmischen Pazifischen Ozean machen durfte. Als Gegenleistung konnten wir zurück in Chillán seinen kulinarischen Horizont um den Genuss eines (auf Gasherd gar nicht so einfachen) Kaiserschmarrns erweitern.

Von Chillán aus ging es zu Wanderungen in die zu dieser Zeit noch verschneiten Anden und einem Ausflug zum Wasserfall Salto del Laja.

Am Tag der Rückreise war wegen Unwettern der Pass nach Argentinien gesperrt, weshalb ich noch eine Nacht in Santiago verbringen konnte. Danach fuhr ich zurück und direkt in die Schule.

Einige Bilder erzählen wohl mehr als der Text:

Anm.: Die Flaggen hängen wegen des Nationalfeiertages

El Colegio

Es brauchte anfangs eine Weile, bis ich meinen festen Platz an der Schule gefunden hatte. Die erste Woche hospitierte ich nur im Unterricht, wo ich außer gelegentlich bei Gruppenarbeiten zu helfen keine festen Aufgaben hatte. Nach und nach konnte ich auf Vorschlag verschiedener Lehrer aber einige Projekte umsetzen, die mich zwischenzeitlich ganz schön ausgelastet haben.

In den ersten Wochen begann ich mit Manu, einem Praktikanten aus Berlin, in den Pausen eine Papierwerkstatt im Hof zu etablieren. In Gruppen von 5 bis 7 Schülern schöpften wir aus alten Postern, Heften oder Zeitschriften neue Papierbögen. Idee dahinter war es, den Schülern zu vermitteln, was Recyceln eigentlich bedeutet, warum es Sinn macht Müll zu trennen und wie man damit Rohstoffe schonen kann. Bis zu den Sommerferien hatte jeder der 280 Schüler sein eigenes Papier geschöpft, aus denen Weihnachtskarten für die Eltern entstanden.

Mit Manu und Lea, einer weiteren Praktikantin aus Deutschland, starteten wir das Projekt „Deutsches Frühstück“. Jeden Donnertag bereiteten wir mit wechselnden Klassen in den ersten beiden Stunden Obstsalat, Müsli, Orangensaft oder mit Aufschnitt und Gemüse belegte Vollkornbrötchen zu, in deren Genuss anschließend die ganze Schule kommen konnte. Dabei stießen wir zunächst auf die ein oder andere Differenz in der deutschen und argentinischen Frühstückskultur, mit der Zeit fanden wir aber eine Mischung, bei der für die meisten Kinder etwas dabei war.

Mittwochnachmittags war Theater angesagt. Mit einer Gruppe Fünftklässlerinnen schrieben Christian, ein Deutschlehrer, und ich unser eigenes Stück. Die 7 Mädchen hatten unglaublich viele Ideen, aus denen es gar nicht so einfach war, ein deutschsprachiges Theaterstück mit halbwegs verständlicher Handlung zusammenzuschustern.  Letzten Endes handelte es von einer Gruppe Hamburger Touristen, die auf ihrer Amerikareise Schiffbruch erleiden und nach Begegnungen mit Gespenstern und Walen letzten Endes in Buenos Aires landen. Wir probten über mehrere Wochen und führten „Die Magnifica“ Ende des Schuljahres vor den Eltern in der Schulaula auf.

Hinzu kamen weniger regelmäßige Aufgaben wie Austauschschüler mit auf Ausflüge zu begleiten, Übersetzungsarbeit oder Plakate gestalten. Ursprünglich wollte ich noch an der secundaria arbeiten, jedoch war ich an der Grundschule bisher gut ausgelastet. Außerdem macht die Arbeit mit Kindern wirklich Freude, ich habe das Gefühl, etwas zum Schulleben beitragen zu können.

Das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern aber auch innerhalb des Kollegiums ist sehr freundschaftlich. So lud ein Sportlehrer uns Praktikanten schon zum asado bei sich zu Hause ein und nahm uns danach auf ein Fußballspiel mit.

Eine WG aus aller Welt

Als ich Ende September von meiner Reise aus Chile zurückkehrte, bin ich in eine Studenten-WG ins Zentrum von Buenos Aires umgezogen. Sie liegt etwa 1:15 Stunden von meiner Schule entfernt, die ich jeden Tag mit Bus, Subte und Bahn zurücklege. Das Gebäude ist über 100 Jahre alt und im Kolonialstil gebaut, später wurden die Säle durch Wände getrennt, so dass nun neun Leute hier wohnen können.

Hausbesitzer ist ein argentinischer Künstler, der sich im Haus kreativ ausgelebt hat. Die Wohnung ist weder nagelneu noch pieksauber, doch strahlt sie eine so finde ich sehr heimelige und einladende Atmosphäre aus. Sie ist bunt und voller Details, immer läuft irgendwo Musik und fast nie ist man alleine. Einige (wenn auch schon 2 Jahre alte) Bilder finden sich hier.

Neben dem Eigentümer wohne ich mit Studenten aus aller Welt zusammen, vor den Sommerferien waren noch die Nationalitäten Argentinien, Brasilien, Japan, Indien, Belgien, Finnland, Frankreich und Deutschland vertreten. Zum Semesterwechsel sind viele ausgezogen, so dass es zurzeit etwas ruhiger zugeht, bis im Februar wieder neue Leute kommen.

Wir wohnen alle in Einzelzimmern, teilen uns aber Bäder, Küche, Wohnzimmer und Dachterrasse. So waren wir unzählige Male zusammen in der Stadt unterwegs, haben asados (Grillabende) auf der Terrasse abgehalten, Sushi nach Original japanischem Rezept zubereitet oder Happy Birthday auf 6 verschiedenen Sprachen gesungen.

Es ist verrückt, wie schnell man sich kennen gelernt hat, zu Freunden wurde und wieder auseinander gegangen ist, auf die Welt verstreut. Kaum wohne ich 4 Monate hier und habe gerade mein erstes eigenes Zimmer eingerichtet, werden schon wieder neue Leute einziehen.