Aus Ende mach Halbzeit

Ich sitze auf einem ziemlich großen Felsen, der Teil eines noch ziemlich viel größeren Berges ist am Glaciar Martial, blicke über Stein und Wald auf Ushuaia, den Beagle Kanal und die dahinter liegende Insel Navarino.

Dort unten liegt die Startbahn des Flughafens, von der hin und wieder Maschinen aufsteigen, um als kleine Pünktchen im Himmel zu verschwinden. Eines dieser Pünktchen wir mich morgen nach Buenos Aires zurückbringen.

Eigentlich wäre meine Zeit hier in Argentinien in 2 Wochen vorbei. Im November hatte ich das Gefühl, noch länger bleiben zu wollen, weshalb ich mein FSJ auf ein ganzes Jahr bis August verlängerte. Darüber, wie mein Leben in Argentinien bisher aussieht, erzähle ich in den Folgenden Texten:

Reise a Chile

El Colegio   Seminare Camps

Meine WG   Patagonia

La Musica

La Patagonia

Am 1. Januar bin ich für gute 3 Wochen in den Süden Argentiniens, nach Patagonien und Feuerland aufgebrochen. Von Buenos Aires nach Ushuaia reiste ich durch Hochburgen des internationalen Tourismus, 30-Seelen-Dörfer wie Bajo Caracoles, Meerengen und Nationalparks, Gebirge und Steppen.

Im Kontrast zur manchmal erdrückenden Großstadt Buenos Aires finden sich in Patagonien eine aus Europa unbekannte Leere und Weite, oft ist man über 100 Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Man kann stundenlang durch die von Guanacos (mit dem Lama verwandt), Ñandús (Straußenähnliche Vögel) und Hasen bevölkerte Pampa spazieren, ohne einem Menschen zu begegnen. Andererseits gehen in den zahlreichen Nationalparks Menschen aus aller Welt auf Wanderung, Ushuaia ist für viele Touristen der Ausgangspunkt für Reisen in die Antarktis.

Von Buenos Aires reiste ich alleine los, traf mich aber in El Chalten für einige Tage mit Pablo, einem Freund aus Capital. Auf der chilenischen Seite Patagoniens war ich mit den Kulturweitlern Laura, Ricarda und Felix unterwegs.

Mit Zelt und Isomatte im Gepäck habe ich über die Hälfte der rund 4300 Kilometer Wegstrecke per Anhalter zurückgelegt. Im Süden Argentiniens ist diese Art zu reisen recht üblich, ich musste trotz teilweise sehr spärlichen Verkehrs selten länger als eine Stunde warten. Für mich bot das Anhaltern eine gute Möglichkeit, mit verschiedensten Menschen in Kontakt zu kommen. So wird man von einem LKW Fahrer sogleich auf ein paar Mates mit seinen Jugendfreunden im Dorf Gobernador Costa mitgenommen oder von einer Reisegruppe zum Abendessen eingeladen.

Auch bemerkt man schnell, dass die touristische Sichtweise nur ein winziger Teil der Wirklichkeit ist. Etwa wenn zunächst ein begeistertes kalifornisches Ehepaar im Mietwagen mit 100 Sachen auf dem Weg zum weltberühmten Gletscher Perito Moreno die Landschaft mit den Eindrücken aus Australien, Europa und Südafrika vergleicht, im nächsten Auto dann ein Angestellter des Nationalparks, der seit jeher im nahen Städtchen El Calafate wohnt erzählt, wie er diese Strecke zu seiner Arbeit täglich zurücklegt. Auf Feuerland traf ich einen jungen Mann aus Temperley, der vor 2 Wochen aus seiner Firma wenige hundert Meter von meiner Schule entfernt gefeuert wurde und nun  bei einer Buchhandlung in Ushuaia arbeitet, da dort die Löhne höher als in der Hauptstadt liegen.

Obwohl das wilde Patagonien mit seinen zerklüfteten Bergen, stahlblauen Seen, dem Regen und Wind, der einen manchmal buchstäblich umweht unglaublich beeindruckend und mächtig erscheint, bemerkt man doch hin und wieder, wie sehr sich diese Natur in Gefahr durch den modernen Menschen befindet. Etwa wenn man als einziger Gast von der seit fast 200 Jahren bestehenden kleinen estancia (Bauernhof) eines älteren Ehepaars zur Cueva de las Manos läuft, wo sich eine über 8 Jahrtausende bestehende prähistorische Gesellschaft mit Handabrücken verewigt hat, während man die Wirkung des Ozonlochs auf der eigenen Haut spüren kann. Die Nationalparks sind voll von Landkarten, denen man die Gletscherausdehnungen vor wenigen Jahrzehnten entnehmen kann, wobei der Rückflug aus Ushuaia schnell einen etwas bitteren Beigeschmack annimmt.

Vor wenigen Tagen bin ich in das Großstadtleben des sommerlich schwülen Buenos Aires zurückgekehrt. Manchmal kommt fast schon eine leichte Sehnsucht nach den Nächten nahe des Gefrierpunktes im Schlafsack auf. Hoffentlich werde ich noch einmal die Gelegenheit bekommen, in den weiten Süden Argentiniens zu reisen. Es gibt noch so viel zu sehen.


Von Reisen erzählen stets Bilder die schönsten Geschichten:

Zwischenseminar und Sommercamps

Die ersten drei Dezemberwochen habe ich unter Kulturweitfreiwilligen aus Chile, Uruguay und Argentinien verbracht, zunächst in Villa General Belgrano, wo ein Sprachcamp und das Zwischenseminar stattfanden, danach in Santiago de Chile, wo wir ein Sommercamp an einer Schule organisierten.

Villa General Belgrano ist eine etwa 12 Busstunden westlich von Buenos Aires gelegene Kleinstadt nahe Cordoba. Etwas außerhalb befindet sich „El Rincon“, eine Art Bauernhof mit integrierter Herberge. Eine Woche lang arbeiteten wir auf einem vom Goethe Institut organisierten Schülercamp, bei dem wir zusammen mit einer Gruppe Künstlern verschieden Workshops anboten. Die Schüler konnten lebensgroße Puppen basteln, Filme drehen, Theaterspielen oder beim Abendprogramm an einer nächtlichen Schnitzeljagd teilnehmen.

Danach fand am gleichen Ort mit zwei Trainern von kulturweit das Zwischenseminar statt. Wir tauschten uns über unsere Erfahrungen in den Gastländern aus, planten Projekte und sprachen über den Sinn und Zweck unseres Aufenthaltes. Es tat gut, sich einmal Zeit dafür zu nehmen, über alles was wir erlebt haben bewusst nachzudenken. Oft muss man sich nur die richtigen Fragen stellen, um Zusammenhänge erkennen zu können.

Kurz vor Weihnachten fuhren wir nach Santiago de Chile zu einem Feriencamp an Luises Schule. Es kamen über 40 Schüler, mit denen wir aus Plätzchen, Sternen und Cupcakes eine Art Weihnachtsmarkt veranstalteten. Wir bastelten, buken, diskutierten und tauschten uns über Weihnachtsbräuche aus. Natürlich durfte dabei eines nicht fehlen: Die gute alte Papierwerkstatt!

Es waren drei intensive Wochen mit viel Arbeit und wenig Schlaf. Wir Freiwilligen haben uns die Zeit über untereinander unglaublich gut verstanden, haben viel gelacht und hatten eine Menge Spaß. Nach 3 Monaten in Lateinamerika hat man sich einiges zu erzählen. Ähnliche Erfahrungen, gemeinsam zu leben und etwas auf die Beine zu stellen sind perfekte Voraussetzung, um zu einer Gruppe zusammenzuwachsen.

 

La Musica en Buenos Aires

Die Klarinetten im Handgepäck war es von vorne herein mein Plan gewesen, in Argentinien weiter Musik zu machen. Anfangs gestaltete es sich ein wenig schwierig, eine Gruppe zu finden, da die musikalische Welt hier etwas anders organisiert ist. Die Musikschulen sind komplett kostenlos und öffentlich, dafür lernt man nach einem strengeren Lehrplan als in Deutschland und macht eine Art Ausbildung zum Musiker, was seine Vor- und Nachteile hat. Auch fand ich zunächst weniger öffentliche Orchester über das Internet.

Nach einigen Wochen zeigte mir ein Musiklehrer aus der secundaria, mit dem ich ein paar Stücke gespielt hatte seine Musikschule, das Conservatorio Banfield. Er stellte mich einem Klarinettenlehrer und dem Dirigenten des Musikschulorchesters vor, der mich mit in seinen Workshop zu experimenteller Musik und Aleatorik mitnahm. Dort wiederum lernte ich einen Klarinettisten kennen, der im Studentenorchester der Universidad de Lanus spielt. Er lud mich zu einer Probe ein, seitdem bin ich Teil des Orchesters. Das halbprofessionelle Sinfonieorchester besteht aus etwa 50 jungen bis erwachsenen Musikern. An unserem Jahresabschlusskonzert spielten wir in einer Kirche, der Parroquia San Benito, Puccinis „Misa de Gloria“ zusammen mit dem Chor der Universität. Ein Video des Konzertes findet sich hier.

Die Paukerin des Orchesters nahm mich mit zu einer Probe der „Banda Sinfonica Vientos del Sur“, einem Jugendblasorchester aus dem Zentrum von Buenos Aires. Der Dirigent gründete es vor wenigen Jahren aus seinen eigenen Schülern, mittlerweile spielen hier etwa 50 junge Musiker einen Mix aus allen möglichen Musikrichtungen. Neben einigen anderen Konzerten hatten wir Ende November das Glück, im weißen Saal der Casa Rosada, dem Präsidentenpalast Argentiniens spielen zu dürfen. Das Konzert wurde live übertragen und ist hier zu sehen (die ersten 3 Minuten ohne Ton).

Außerdem mache ich seit September mit 2 Jungs aus Temperley, Joaquin und Facu, immer wieder zusammen Musik. Wir bilden ein recht unkonventionelles Trio aus Gitarre, Bandoneon und Klarinette und konnten schon bei einem Konzert auf einer Konferenz in Capital einige Jazz Standards zum Besten geben. So kam es, dass ich letztlich vor den Sommerferien musikalisch doch recht gut ausgelastet war und in 2 Wochen 9 Konzerte in Museen, Schulen, Kulturzentren und auf Konventen spielte.

Insgesamt habe ich das Gefühl, dass in Argentinien die Grenze zwischen professionellem und hobbymäßigem Musizieren nicht so eng wie in Deutschland gesehen wird. Ein Musikstudium ist deutlich leichter zugänglich, man trifft viele Menschen, die sich mit ihrem Instrument ein wenig dazu verdienen. Auch gibt es eine riesige Vielfalt an Orchestern, Bands, Gruppen, etc. Ich kam weniger über offizielle Institutionen wie Musikschulen oder Universitäten mit Musikern in Kontakt, als vielmehr über „buena onda“, über Freunde, Bekanntschaften, Kontakte. Es ist unglaublich schön zu erfahren, wie Musik Menschen über den Globus hinweg verbinden kann.

 

Zehn Tage Chile

Die letzte Septemberwoche waren an meiner Schule Frühlingsferien, welche ich für eine zehntägige Reise nach Chile nutzte. Ich fuhr von Buenos Aires aus im sehr bequemen Bus 20 Stunden über die Anden nach Santiago de Chile, wo ich einige Tage bei Luise, einer Freiwilligen, in der WG verbrachte. Wir waren das Wochenende über in der Stadt unterwegs, bis ich mit Laura, auch einer Kulturweitlerin, in ihre Wohnung ins 5 Stunden südlich gelegene Städtchen Chillán fuhr.

Ein Lehrer von Laura nahm uns für ein paar Tage mit in sein Haus ins Dörfchen Cobquecura, wo ich meine erste Bekanntschaft mit dem stürmischen Pazifischen Ozean machen durfte. Als Gegenleistung konnten wir zurück in Chillán seinen kulinarischen Horizont um den Genuss eines (auf Gasherd gar nicht so einfachen) Kaiserschmarrns erweitern.

Von Chillán aus ging es zu Wanderungen in die zu dieser Zeit noch verschneiten Anden und einem Ausflug zum Wasserfall Salto del Laja.

Am Tag der Rückreise war wegen Unwettern der Pass nach Argentinien gesperrt, weshalb ich noch eine Nacht in Santiago verbringen konnte. Danach fuhr ich zurück und direkt in die Schule.

Einige Bilder erzählen wohl mehr als der Text:

Anm.: Die Flaggen hängen wegen des Nationalfeiertages

El Colegio

Es brauchte anfangs eine Weile, bis ich meinen festen Platz an der Schule gefunden hatte. Die erste Woche hospitierte ich nur im Unterricht, wo ich außer gelegentlich bei Gruppenarbeiten zu helfen keine festen Aufgaben hatte. Nach und nach konnte ich auf Vorschlag verschiedener Lehrer aber einige Projekte umsetzen, die mich zwischenzeitlich ganz schön ausgelastet haben.

In den ersten Wochen begann ich mit Manu, einem Praktikanten aus Berlin, in den Pausen eine Papierwerkstatt im Hof zu etablieren. In Gruppen von 5 bis 7 Schülern schöpften wir aus alten Postern, Heften oder Zeitschriften neue Papierbögen. Idee dahinter war es, den Schülern zu vermitteln, was Recyceln eigentlich bedeutet, warum es Sinn macht Müll zu trennen und wie man damit Rohstoffe schonen kann. Bis zu den Sommerferien hatte jeder der 280 Schüler sein eigenes Papier geschöpft, aus denen Weihnachtskarten für die Eltern entstanden.

Mit Manu und Lea, einer weiteren Praktikantin aus Deutschland, starteten wir das Projekt „Deutsches Frühstück“. Jeden Donnertag bereiteten wir mit wechselnden Klassen in den ersten beiden Stunden Obstsalat, Müsli, Orangensaft oder mit Aufschnitt und Gemüse belegte Vollkornbrötchen zu, in deren Genuss anschließend die ganze Schule kommen konnte. Dabei stießen wir zunächst auf die ein oder andere Differenz in der deutschen und argentinischen Frühstückskultur, mit der Zeit fanden wir aber eine Mischung, bei der für die meisten Kinder etwas dabei war.

Mittwochnachmittags war Theater angesagt. Mit einer Gruppe Fünftklässlerinnen schrieben Christian, ein Deutschlehrer, und ich unser eigenes Stück. Die 7 Mädchen hatten unglaublich viele Ideen, aus denen es gar nicht so einfach war, ein deutschsprachiges Theaterstück mit halbwegs verständlicher Handlung zusammenzuschustern.  Letzten Endes handelte es von einer Gruppe Hamburger Touristen, die auf ihrer Amerikareise Schiffbruch erleiden und nach Begegnungen mit Gespenstern und Walen letzten Endes in Buenos Aires landen. Wir probten über mehrere Wochen und führten „Die Magnifica“ Ende des Schuljahres vor den Eltern in der Schulaula auf.

Hinzu kamen weniger regelmäßige Aufgaben wie Austauschschüler mit auf Ausflüge zu begleiten, Übersetzungsarbeit oder Plakate gestalten. Ursprünglich wollte ich noch an der secundaria arbeiten, jedoch war ich an der Grundschule bisher gut ausgelastet. Außerdem macht die Arbeit mit Kindern wirklich Freude, ich habe das Gefühl, etwas zum Schulleben beitragen zu können.

Das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern aber auch innerhalb des Kollegiums ist sehr freundschaftlich. So lud ein Sportlehrer uns Praktikanten schon zum asado bei sich zu Hause ein und nahm uns danach auf ein Fußballspiel mit.

Eine WG aus aller Welt

Als ich Ende September von meiner Reise aus Chile zurückkehrte, bin ich in eine Studenten-WG ins Zentrum von Buenos Aires umgezogen. Sie liegt etwa 1:15 Stunden von meiner Schule entfernt, die ich jeden Tag mit Bus, Subte und Bahn zurücklege. Das Gebäude ist über 100 Jahre alt und im Kolonialstil gebaut, später wurden die Säle durch Wände getrennt, so dass nun neun Leute hier wohnen können.

Hausbesitzer ist ein argentinischer Künstler, der sich im Haus kreativ ausgelebt hat. Die Wohnung ist weder nagelneu noch pieksauber, doch strahlt sie eine so finde ich sehr heimelige und einladende Atmosphäre aus. Sie ist bunt und voller Details, immer läuft irgendwo Musik und fast nie ist man alleine. Einige (wenn auch schon 2 Jahre alte) Bilder finden sich hier.

Neben dem Eigentümer wohne ich mit Studenten aus aller Welt zusammen, vor den Sommerferien waren noch die Nationalitäten Argentinien, Brasilien, Japan, Indien, Belgien, Finnland, Frankreich und Deutschland vertreten. Zum Semesterwechsel sind viele ausgezogen, so dass es zurzeit etwas ruhiger zugeht, bis im Februar wieder neue Leute kommen.

Wir wohnen alle in Einzelzimmern, teilen uns aber Bäder, Küche, Wohnzimmer und Dachterrasse. So waren wir unzählige Male zusammen in der Stadt unterwegs, haben asados (Grillabende) auf der Terrasse abgehalten, Sushi nach Original japanischem Rezept zubereitet oder Happy Birthday auf 6 verschiedenen Sprachen gesungen.

Es ist verrückt, wie schnell man sich kennen gelernt hat, zu Freunden wurde und wieder auseinander gegangen ist, auf die Welt verstreut. Kaum wohne ich 4 Monate hier und habe gerade mein erstes eigenes Zimmer eingerichtet, werden schon wieder neue Leute einziehen.

 

Endlich wieder erster Schultag!

Es klingt unglaublich, aber ich bin tatsächlich schon seit über 2 Wochen in Buenos Aires. Die Zeit verging wie im Flug und ich habe mir wirklich Mühe gegeben, einen möglichst komprimierten und am Stück lesbaren Überblick zu geben. Herausgekommen ist dabei folgendes:

Die ersten Tage verbrachte ich beim Einführungsseminar des Goethe Instituts mit den Freiwilligen aus Chile, Uruguay und Argentinien, verschiedenen Lehrern von PASCH-Schulen (vom Auswärtigen Amt unterstützte Schulen, an denen Deutsch unterrichtet wird http://www.pasch-net.de/), meinen ersten argentinischen Empanadas und einer Menge Projekt-, Unterrichts- und Reiseideen, untergebracht in einem Hotel im Stadtviertel San Telmo. An alle bald-Abiturienten die das hier lesen: Macht einen Freiwilligendienst, allein das Begleitprogramm ist bárbaro (in etwa: überragend).

Danach ging es etwa 20km nach Temperley, einen Teil des Stadtgebiets von Buenos Aires, in dem sich meine Schule befindet und eine supernette Gastfamilie lebt, bei der ich bisher untergebracht bin. Meine Gastmutter Angelika ist vor 40 Jahren aus Deutschland nach Argentinien ausgewandert, sie arbeitet an einer Sprachakademie, die im Gebäude der Deutschen Schule stattfindet. Ihr Sohn Martin hat mir in den ersten Tagen den Schulweg, das Viertel und alle Busse Züge etc. gezeigt. Eine Gastfamilie ist, um am Anfang klarzukommen, auf jeden Fall eine riesige Hilfe. Ich habe ein Zimmer, Bad, meinen eigenen Ausgang und trotzdem stets Leute, die mir helfen und mich mit den argentinischen Gepflogenheiten bekannt machen. So konnte ich auch schon einige junge Leute kennen lernen und war auf Tangokonzerten, Asados (in etwa das argentinische Äquivalent zum Grillfest) und in der Probe eines wirklich überragenden Posaunenchors mit Profis aus der Orquesta Colon. Grundsätzlich findet was Freizeit angeht hier alles etwas später statt, ein Konzert um 19:30 beginnt nicht vor 8, abend gegessen wird bis 12, gemütlich in eine Bar geht man gegen 1. Etwas verwundert habe ich schon Entschuldigungen für pünktliches Erscheinen entgegen genommen. In der Praxis trennen mich offenbar mehr als nur 5 Zeitzonen von Deutschland. Um zwei weitere Single-Storys zu bestätigen: Tango Orchester sind super und Fleisch schmeckt hier wirklich (ganz doll viel) besser als zu Hause!

In der Schule wurde ich ebenso herzlich willkommen geheißen, die ersten zwei Wochen stellten meine „Eingewöhnungszeit“ dar, in der ich an der Primaria (1. bis 6. Klasse) hospitierte und erst einmal nur wenige eigenständige Aufgaben übernahm, um mich hier einzuleben. Von außen sieht das Gebäude ein wenig nach Bunker mit vielen Gittern aus, von innen hingegen ist die Schule bunt y muy acojedora (das Wörterbuch meint gemütlich/einladend/lauschig). Meinen deutschen Gewohnheiten nach geht es in der Grundschule wirklich laut zu, vor allem was Mittagessen und Pausen angeht, dafür haben die Kinder aber auch tausende von Fragen zu Deutschland, die bei den Standards Fußballvereine, Wetter, Haarfarbe, WM-Meinung und Haltung zu One Direction beginnen und so ziemlich überall enden können. Seit dem 4:2 gegen Deutschland werde ich nicht mehr mit „choca las cinco“ (etwa: high-five) sondern eben „choca las cuatro“ begrüßt. An der Primaria sind zudem zwei Lehramt-Praktikanten aus Berlin und Dresden, mit denen ich bisher schon einiges an Erfahrungen austauschen konnte. Etwa, wie ich einem Zehnjährigen erkläre, dass „die Acht“  und „die Liebe“ Substantive und groß zu schreiben sind (mit „es lässt sich anfassen“ stößt man schnell an Grenzen). Über meine Arbeit an der Schule werde ich in einer Weile wohl nochmal ausführlicher berichten. Die Eingewönungsphase ließ mir zu Beginn recht viel Freizeit (was sich ab dieser Woche mit festem Stundenplan und Secundaria-Besuchen wohl ändern wird), wodurch ich, vor allem mit anderen Freiwilligen, schon viel in Buenos Aires unterwegs sein konnte.

Für einen kleinstädtischen Deutschen war der erste Blick aus dem Flugzeugfenster auf einen bis zum Horizont nicht enden wollenden Häuserteppich herab recht beeindruckend. Im Stadtgebiet von Buenos Aires wohnen über 13 Millionen Menschen, die Stadt war für mich zunächst ein „Chaos in Karos“. Nach Vorschriften der spanischen Kolonialverwaltung wurde Buenos Aires schachbrettartig angelegt, was sich bis heute gehalten hat. Zum einen kann man sich an den Cuadras (Häuserblocks) ganz gut orientieren, zum anderen sehen sich all die unzähligen Kreuzungen für Neuankömmlinge recht ähnlich. Im Vergleich zu Deutschland baut jedes Haus seinen eigenen Bürgersteig, was (vor allem beim Fahrrad fahren) durchaus für Abwechslung sorgt. Die öffentlichen Verkehrsmittel hier sind bisher wirklich erste Sahne, einen der oft erwähnten Streiks habe ich noch nicht miterlebt. Mit Tren (Zug), Subte (U-Bahn) und Colectivo (Bus) kommt man praktisch überall hin. Dass ich bei 200 Linien mit insgesamt über 145.000 Bussen, die so ziemlich an jeder Straßenecke halten, nicht vom ersten Tag an den totalen Durchblick hatte, erübrigt sich wohl zu erwähnen. Transportkosten sind hier vergleichsweise wirklich günstig, Strafen für Schwarzafhren im Zug immer noch ein Bruchteil der deutschen Ticketpreise, die hohen Subventionen der Regierung machen sich bemerkbar. Andere Dinge wie Kosmetikartikel, Gemüse oder Mieten sind wiederum recht teuer, vor allem wenn man bedenkt, wie viel Menschen in Argentinien zur Zeit verdienen. Zudem habe ich durch den guten Euro-Wechselkurs einen ziemlichen finanziellen Vorteil.

Mittlerweile dauert es bei Gesprächen auf der Straße auch schon merklich länger, bis ich mich durch ein verräterisches „dinero“ (statt „plata“), „metro“ (statt „subte“) oder am besten gleich die Frage nach dem Weg zum Gebäude, vor dem wir grade stehen zum „Gringo“ (Ausländer) disqualifiziere. „Y de donde sos vos?“, bekomme ich dann häufig zu hören. Doch kleine Erfolgserlebnisse wie einer Frau sagen zu können, wo es zum nächsten Kiosk geht, geben mir doch wieder das Gefühl, mich zumindest schon ein wenig in Buenos Aires eingelebt zu haben.

Durch die großen Distanzen und da zunächst einmal alles neu und ungewohnt ist, kommt es nicht selten vor, dass wir von zehn uns  vorgenommenen Dingen in der Stadt letztlich mit Glück drei schaffen. Die Zeit scheint hier tatsächlich ein wenig schneller als zu Hause zu vergehen. Bisher habe ich noch kein mal länger als 10 Minuten zum Einschlafen gebraucht, obwohl ich alles andere als Schlafmangel habe. Buenos Aires überflutet einen zu Beginn jeden Tag aufs neue mit einer Welle von Eindrücken, Geräuschen, Bildern, Gerüchen, Gedanken, gestern auch mal Regentropfen.

Seit einer weile ist es dunkel hier in Temperley. Vor der Tür ächzt Angelikas uralt-Waschmaschine, die kalt und schleuderfrei meine Klamotten vom Schmutz der Stadt befreit. Alle paar Minuten beginnt der Kühlschrank zu brummen, begleitet von einem leichten Flackern der Nachttischlampe. Die 5 Hunde des Nachbarn schweigen gerade, was manchmal gegen vier in der Nacht leider weniger der Fall ist, und von der Avenida Alsina weht hin und wieder das Rattern, Hupen und Heulen von weit entfernten Zügen, Autos und vereinzelten Polizeisirenen herüber. Hoch über dem Hausdach rauscht der Wind in der Palme, die Angelika vor 40 Jahren pflanzte, als sie hier einzog. – Ein wenig Kitsch zum Ende.

 

Über Studentenorchester, WG, Reisen und neues aus der Secundaria berichte ich – wenn alles glatt läuft – nächstes mal. Hoffentlich bald auch mit Bildern, sobald ich mir eine Kamera zugelegt habe.

 

Schöne Grüße aus dem sommerlichen Winter von Buenos Aires!

Über den Wolken

Hallo Welt!

Ich hänge gerade in der Luft, irgendwo über dem Atlantik, irgendwo zwischen Europa und Amerika, zwischen Deutschland und Argentinien, Bad Boll und Buenos Aires.

Vorgestern bin ich vom Vorbereitungsseminar am Werbellinsee zurückgekehrt. Für 10 Tage lebten wir dort zusammen, um uns auf unsere Reise vorzubereiten. Wir haben uns über Transkulturalität, Nachhaltigkeit und auf den Mars auswandern unterhalten, haben Filme gedreht, Musik gemacht, Ökolopoly gespielt, Texte verfasst, das auswärtige Amt besucht, ehemalige Kulturweitler getroffen, im UNESCO-Kommissionsmitarbeiter unseren neuen Traumjob gefunden und sind nachts in den Werbellinsee gehüpft. Wäre doch nur die Schule immer so gewesen! Es war eine unglaublich verbindende Atmosphäre, mit 192 anderen jungen Leuten zusammen zu sein, denen genau das gleiche wie einem selbst bevorsteht. 192 Geschichten, bei denen in diesen Tagen ein neues Kapitel aufgeschlagen wird. Mit jedem der 10 Tage ist mein zu Hause etwas weiter in die Ferne gerückt, während Argentinien näher kam und die Vorfreude anstieg. Viel schneller als erwartet stand der Abschied an, vom „wir sehen uns irgendwann wieder“ über das „bis in 6 Monaten auf Nachbereitungsseminar“ hin zum „Samstag dann in Buenos Aires“. Wir saßen in einer Seifenblase, und nun wo sie geplatzt ist, finden wir uns auf alle Winkel des Planeten verstreut wieder.

Ich bin nochmal nach Boll zurückgekommen, habe meinen Koffer fertig gepackt, ein letztes mal Milch beim Sonnenhof geholt und mich verabschiedet. Es ist verrückt, nach all der Zeit für 6 Monate tschüss zu sagen, die Herrschaftsstraße hinunterzufahren Richtung Autobahn, im stuttgarter Flughafen zu warten und in das Flugzeug zu steigen, das einen fort bringen wird. Unter mir verschwindet das VfB-Stadion hinter den Wolken, dann Sonnenuntergang über Frankreich, bis aus den Nebelschwaden die Lichter Londons auftauchen. „This was my final flight after 10 years with British Airways”, meldet der Pilot. Nach einer Odyssee über Rolltreppen, Fahrstühle und U-Bahnen durch Heathrow zu Gate B36 treffe ich Eli, eine andere Freiwillige, die den gleichen Flug nimmt. Ein bisschen Verspätung, Boarding, hinsetzen, anschnallen, abheben.

Nun sitze ich hier, irgendwo zwischen Abschieds- und Willkommensgruß, zwischen all den letzten und den ersten Malen, altem und neuen. Zu Hause ist es grade mitten in der Nacht, in Buenos Aires an der Zeit ins Bett zu gehen.

Gute Nacht!

 

Hallo Welt!

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