Werte Leser,
das Schuljahr hat sein Ende gefunden. Da aber noch die Ferien anliegen, ist es noch nicht an der Zeit, meinen Abschiedsartikel zu verfassen. Dafür bietet sich hier allerdings die Gelegenheit, vom Ferienbeginn in der Schule im Speziellen und schulischen Festen im Generellen zu erzählen.
Passend zum Klischee der galanten Polen sind schulische Feste in Polen oft formeller als in Deutschland. Das Schuljahr wurde mit einer großen Versammlung in der Turnhalle eingeläutet, wo der Schulleiter alle Schülerinnen und Schüler, die ich aus sprachästhetischen Gründen im Folgenden nur noch als „Schüler“ bezeichnen werde, begrüßte und unter dem Absingen der Nationalhymne ein Schüler im dunklen, dreiteiligen Anzug mit weißen Handschuhen die prunkvolle Standarte der Schule, begleitet von zwei ebenso edel angezogenen Schülerinnen feierlich hereintrug und dann während der ganzen Veranstaltung stocksteif an vor der Schülerschaft verharrte. Das kannte ich so nicht. Schuluniformen gibt es an „meinem“ Liceum übrigens nicht, aber an vielen ist es durchaus üblich.
Weitere Veranstaltungen ähnelten sehr viel mehr ihren Pendants in Deutschland: Der Sporttag unterschied sich kaum von den Bundesjugendspielen, die ich gewohnt bin. Sehr gut gefiel mir auch der Tag der offenen Tür, an dem die Schüler der Klassen ihre Unterrichtsprofile vorstellten, um sie Gymnasiasten als zukünftige Schüler zu gewinnen. Am Liceum hat jede Klasse ihr spezifisches Profil. An meinem hat die A-Klasse das Humanistisch-Soziale Profil mit erweitertem Unterricht in Polnisch, Geschichte und Gemeinschaftskunde. Die A-Klasse veranstaltet auch eine Hilfsaktion namens „Das Noble Paket“ und Oxford-Debatten. Die B-Klasse hat das künstlerisch-teatralische Profil („teatralisch“ im Wortsinne, nicht als „albern“ und „übertrieben“, die Konnotation hat das Wort im Polnischen meines Wissens nicht) mit erweitertem Unterricht in Polnisch, Geschichte und Kunstgeschichte und arbeitet mit der Universität und dem Theater zusammen, besucht Theaterveranstaltungen und besucht auch solche. Ich sah einmal ein von dieser Klasse vorgeführtes Theaterstück. Aufgrund meiner damals noch sehr dünen Sprachkenntnisse verstand ich erst nach umfangreichen Erklärungen, dass es von der Bigotterie einer bürgerlichen Familie des neunzehnten Jahrhunderts und zwar besonders der diese Familie beherrschenden Ehefrau handelte, aber es war so gut gespielt, dass ich auch ohne Verstädnis zumindest nachvollziehen konnte, was die einzelnen Personen fühlten. Besonders beeindruckt hat mich dabei der freiheitsliebende Sohn des Hauses, gespielt von einem klugen, sehr wild aussehenden Black-Metal-Fan. Besser vertraut bin ich mit der C-Klasse, denn ihr Profil ist das Sprachen-und-Medien-Profil, sich auszeichnende durch erweiterten Unterricht in Englisch beziehungsweise Deutsch sowie Geografie und Gemeinschaftskunde. Diese Klasse nimmt an Journalismus-Workshops teil, arbeitet mit Medienexperten zusammen, hat Schüleraustausche mit Deutschland und den Niederlanden, bekommt das DSD II angeboten und hat einen Kulturweit-Freiwilligen, der gerade bloggt. Das mathematisch-informatische Profil wird vertreten durch die D-Klasse, die sich in erweiterten Kursen für Mathematik, Physik und Informatik austobt und an Mathematikwettbewerben teilnimmt sowie elektronische Tafeln und andere Geräte einsetzt. Die E-Klasse schließlich ist auf Biologie und Medizin spezialisiert, mit erweitertem Unterricht in Biologie, Chemie und Deutsch oder Englisch. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, was es bei dem Tag der offenen Tür zu bestaunen gab, aber ich weiß noch, dass einige Schüler mit ihren Haustieren einen kleinen Zoo eingerichtet hatten, eine Schülerband wilde Rockstücke spielte, ich einen polnischen Karrieretest ausfüllte, und die Mitglieder der Theaterklasse alle verkleidet waren. Für der Deutschprogramm warb eine studentische Theatergruppe aus Allenstein, die ein modernes, aus verschiedenen Goethetexten zusammengesetztes Theaterstück vorführte. Natürlich verstanden die Schüler nicht viel der schwierigen Texte, aber die Studenten spielten, wie professionelle Theaterschauspieler, extrem ausdrucksvoll (um Jochen Malmsheimer zu zitieren: „Wenn im Theater eine handelnde Figur etwas begreift, dann zeigt sie das durch ein deutliches HA!!!“) , sodass hoffentlich zu erkennen war, worum es ungefähr ging. Ich war jedenfalls beeindruckt.
Eine weitere festliche Veranstaltung ist der Hundert-Tage-Ball, der sich von unserem Abiturball dadurch unterscheidet, dass er nicht nach der Prüfung, sondrn hundert Tage davor statfindet. Da ich diesem Ball aber nicht beiwohnte, kann ich nichts darüber erzählen.
Ebenfalls festlich waren die Abiturprüfungen. Während in Deutschland die Entscheidung anstand, ob man zur besseren Bequemlichkeit in Jogginghose beim Examen auflaufen oder doch einen Rest Kultur wahren und eine Jeans tragen sollte, schrieb man an dieser Schule das Abitur im dunklen Anzug respektive im Kleid oder Kostüm. Ich weiß zwar nicht, ob man darin besser konzentriert ist, aber immerhin wird man der Wichtigkeit des Anlasses gerecht.
Nun komme ich endlich zum festlichen Abschluss des Schuljahres. Nichts ahnend kam ich in T-Shirt und Jeanshose in die Schule, um festzustellen, dass ich völlig fehlgekleidet war. Mich hatte keiner vorgewarnt, dass man auch am letzten Schultag chic zu sein hat. Warum auch? Ich käme ja auch nicht auf die Idee, in Deutschland einen polnischen Praktikanten vorzuwarnen, am letzten Tag möglichst NICHT im Anzug zu erscheinen. Es war aber auch nicht schlimm. In der Turnhalle erfolgte das vom Beginn des Schuljahres schon bekannte Standartenritual, bevor der Schulleiter, der Elternratsvorsitzender und einige andere Leute kurze Ansprachen hielten. Danach wurden verschiedenste Schüler ausgezeichnet, für gute Zensuren, soziale Aktivitäten und die Teilnahme an Wettbewerben. Die Schüler schenkten Lehrern – in Deutschland unvorstellbar – so viele Blumen, dass besonders die kleineren Lehrerinnen hinter all dem Ziergemüse kaum noch zu erkennen waren. Danach folgte die Zeugnisausgabe in den Klassen. Zeugnistechnisch hätte ich ja bei aller Festlichkeit mindestens Büttenpapier erwartet, aber die Zeugnisse sahen eher aus wie bessere Kontoauszüge und wanderten häufig gefaltet in die Hosentaschen der Schüler. Andere Länder… .
Vielleicht schadet ein Wort über polnische Schulnoten nicht. Wie in Deutschland auch geht die Skala von eins bis sechs, doch Vorsicht: Eins bedeutet „Unzureichend“, die Zwei steht für „Mangelhaft“ (was in Polen aber schon als bestanden gilt), die Drei für „Zureichend“, die Vier für „Gut“, Fünf bedeutet „Sehr gut“ und der Sechser schließlich ist „Ausgezeichnet“.
Nach der Zeugnisausgabe ging ich ein wenig wehmütig nach Hause. Mehr Wehmut gibt es, wie angekündigt, in meinem Abschlussartikel