Am 22.Dezember ging es für mich endlich auf den Weg nach Maribor zu meiner Tante und ihrer Familie. Und obwohl sich meine Mundwinkel im Zug immer noch eher unten befanden und meine Gedanken von nichts anderem, als meinem dahin vegetierendem Alltag in Črnomelj geprägt waren, hat sich alles Negative sofort verflüchtigt, als ich vom Bahnhof abgeholt wurde.
Die drei Tage bei meiner Familie in Maribor haben Wunder gewirkt. Ich konnte wieder richtig schlafen, habe normal gegessen und war deutlich unbeschwerter, wenn auch immer noch nicht unbeschwert.
Am 26. Dezember bin ich nach 16 stündiger Busfahrt endlich in Bonn angekommen. An dieser Stelle ein dickes Danke an dein überraschendes einfrau Willkommenskomitee, Paulina. Es hat so unendlich gut getan, wieder zu Hause zu sein. Wieder unter Familie und Freunden zu sein. Ich musste sogar weinen, weil ich es irgendwie doch nicht richtig fassen konnte, dass ich wieder geliebte und mich liebende Menschen um mich hatte. Was mich wirklich überrascht hat, im Nachhinein betrachte aber nicht wirklich überraschend war, dass eine Umarmung so gut tun kann. Eigentlich kein großes Ding, etwas ganz Alltägliches. Aber nach fast vier Monaten ohne, wie gesagt, eigentlich kein großes Wunder. Dass das Ganze nur für die nächsten 14 Tage sein sollte, habe ich zu dem Zeitpunkt dezent ausgeblendet.
Und obwohl mir die Zeit zu Hause so unheimlich gut getan hat und eine schon fast heilende Wirkung auf mich hatte, war es doch irgendwo immer wieder schwer mit dem Thema „FSJ“ konfrontiert zu werden. Nur war das etwas, was ich schlecht umgehen konnte. Teilweise hatten die Leute mitbekommen, dass es mir nicht so gut geht. Andere haben sich über meinen überraschenden Besuch zu Hause gefreut, aber auch etwas gewundert. So oder so, ich musste die Geschichten Mal für Mal wieder aufrollen. Und mit jeder weiterer Schilderung der Geschehnisse und meinen dabei empfundenen Gefühlen, bin ich wütender geworden. Wüten darüber, dass mir die Chancen auf eine Verbesserung der Lage verwehrt wurden. Darüber, dass ich mehr oder weniger egal und nicht wirklich „nötig“ und somit verzichtbar zu sein schien. Darüber dass man mir die Gelegenheit weggenommen hat, die Sprache und auch das Land von einer Seite kennen zu lernen, auf die ich stolz sein kann. Im Allgemeinen über alles, was sich ab dem Zeitpunkt, an dem ich beschlossen hatte, etwas mehr machen zu wollen, geändert hat.
Am schlimmsten waren allerdings die Situationen, in denen Freunde oder Familie mir aber mit Sprüchen wie „Warte mal ab wie es ist, wenn du wieder da bist.“ „Das wird bestimmt schon wieder alles.“ „Das schaffst du schon.“ „Versuch es doch mal so oder so zu sehen.“ oder „Du hast ja jetzt nicht mehr lange.“ Mut machen wollten. Ich weiß, dass keinerlei böse Gedanken dahinter gesteckt haben, aber mir sind trotzdem jedes einzelne Mal Tränen in die Augen gestiegen. Ich möchte nicht, dass das als Vorwurf verstanden wird, denn so ist es nicht von mir gemeint. Es ist ja auch irgendwie verständlich, dass mal als Außenstehender, der die ganzen Einzelheiten gar nicht richtig mitbekommen hat, versucht mir in meiner Lage gut zu zureden. Nur hat mich das in dieser Situation in ein erneutes Empfinden von Unverständnis versetzt.
Trotz alledem, hat es für mich in den vierzehn Tagen nichts schöneres gegeben, als mit meiner Schwester über drei Stunden beim Frisör zu sitzen, mit einer Freundin Tee trinken zu gehen, mich mit meinem Nachbarn vor der Haustür zu verquatschen (wie zu Schulzeiten), mit den Schulfreundinnen einen verspäteten Weihnachtsbruch zu haben und Frühstück für Papa und mich zu machen. Einfach nicht mehr alleine zu sein. Jeder Zeit die Möglichkeit haben, mit jemandem zu reden. Spontan nach Bonn in die Innenstadt fahren, um mir mit einem Kaffee in der Hand die Schaufenster anzusehen und eine Runde im Hofgarten zu drehen. Mit einem Lächeln im Gesicht aufzuwachen. – Okay, der letzte Satz ist etwas übertrieben. So ein Morgenmensch bin ich dann jetzt doch nicht. Aber das Prinzip ist klar.
Was mir aber wohl am meisten dabei geholfen hat, mit neuem Mut nach Slowenien und in die Schule zurück zu gehen, waren die vielen Gespräche mit meinen Eltern. Mein Papa meinte irgendwann, –ich saß gerade auf der Ecker der Küchenzeile, und mein Papa hasst es, wenn ich da sitze- dass ich die Dinge doch versuchen soll positiv zu sehen. Ich muss gestehen, dass ich im ersten Moment nur Gedanken der Art „Was gibt es da bitte Positives zu sehen? Ich will überhaupt nichts positiv sehen. Ich bin stinkwütend. Und das ja wohl auch zu Recht!“ hatte .Nachdem die Worte aber wenige Minuten später richtig zu mir durchgedrungen sind, konnte ich mich mit der Idee des Versuches anfreunden. Und je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto begeisterter war ich davon. Ich bin nicht wirklich davon ausgegangen, dass ich ohne Probleme, mal eben locker nebenher all Das vergessen konnte, was schief gelaufen ist. In der Situation habe ich auch gar nicht an mich, als Protagonist in dem Theaterstück, in welchem man die ganze Wut durch eine positive Einstellung ersetzt, gedacht. Ich dachte mir viel mehr etwas wie „Ich würde denjenigen, der das ganze versucht und auch noch schafft, wenn auch nur stellenweise, sowas von bewundern.“ Denn das würde bedeuten, sich über den ganzen angestauten Ärger, all den, einen auffressenden, Frust und die ganze Wut zu stellen. Und das ist verdammt schwer. Aber schon alleine den ernsthaften Entschluss zu fassen, es aufrichtig zu probieren, habe ich als so charakterstark empfunden, dass ich unbedingt eine Person sein wollte, die eine solche Entscheidung trifft. Die über dem ganzen Mist steht. Die mit erhobenem Kinn auf die Leute zugehen kann, die nicht ganz unbeteiligt an ihrer bescheidenen Lage sind. Und das habe ich dann auch gemacht.
Mit neuer positiver Energie, der Entscheidung das FSJ nach sechs Monaten vorzeitig zu beenden und dem Plan eines Alles klärenden Gesprächs im Gepäck, bin ich am 9. Januar wieder zurück in mein EInsatzland geflogen.