Das Nachempfinden der Ohnmacht Josef K.s

DEZEMBER 2016

 

Voller neuer Ideen und mit weitaus mehr Motivation als ich gegangen bin, bin nach Črnomelj wieder zurückgekommen.

 

Mit den Projekten ist das so eine Sache gewesen.

Ich wollte mir zum Beispiel ein Fahrrad kaufen oder leihen, damit ich die schweren Tüten vom Einkaufen nicht mehr nach Hause schleppen muss. Gescheitert. Denn der Sport/ Fahrrad- Laden hatte in der Zwischenzeit schon von Mountainbikes auf Skier umgestellt und nach A. hatte auch im Lehrerzimmer keiner ein Fahrrad für mich übrig.

Ich wollte mir ein Kochbuch, aus allen Gerichten zusammenstellen, die ich während meiner Zeit hier mache. Gescheitert. Weil ich nur zwei, nicht in die Küchenzeile integrierte, Herdplatten habe und ich mit den zum Verkauf stehenden Lebensmittelgrößen nichts anfangen kann, weil das Gefrierfach im Kühlschrank so zugefroren ist, das fast nichts rein passt.

 

Das aus-dem-Weg-gehen habe ich erstaunlich gut hinbekommen. Um ehrlich zu sein, war hier meine innere und manchmal durchkommende etwas zickige Persönlichkeit nicht ganz unschuldig an der Sache, aber wirklich gekümmert hat mich das bis heute auch nicht. In dem Sinne war wenigstens eins meiner Vorhaben erfolgreich.

 

Denn das von mir gewünschte Gespräch mit A. hat zwar stattgefunden und während des Gesprächs selbst, war ich auch wirklich überzeugt, dass ich demnächst nicht mehr gelangweilt und fast einschlafend im Unterricht sitzen werde. Ich habe den Vorschlag eines eigenen Stundenplanes für mich aufgebracht, damit ich nicht mehr nur zuarbeite, sondern auch selber etwas aktiver mit den Schülern arbeiten kann. An dieser Stelle kam von A. die Aussage, dass sie total nachvollziehen könne, dass das langweilig sei und ich mehr machen möchte. So, wenn ihr das doch ach so klar gewesen zu sein scheint, wieso bitte, hat sie mir nicht von selbst etwas mehr, etwas aktiveres Zutun gegeben? Oder mich wenigstens drauf angesprochen, ob das Bedienen des Smartboards für mich denn in Ordnung sei. Mein Vorschlag hat also volle Zustimmung gefunden und wir haben zusammen einen Stundenplan für mich erstellt. So weit so gut dachte ich mir. Als es dann allerdings an die Umsetzung von dem zuvor aufgestellten Stundenplan ging, war gar nichts mehr gut. Denn Stunde um Stunde konnte irgendetwas nicht stattfinden und statt vor Langeweile vor dem Computer im Klassenzimmer zu sterben, lag mein unterforderter Kopf auf einem Tisch im Lehrerzimmer.

Während sich die Frustration, gepaart mit Enttäuschung immer weiter in mir breit machte, je öfter wieder irgendetwas nicht wie geplant klappte, gab es einen kleinen Lichtblick am Ende meiner immer schlechter werdenden Laune: Das DSD Sprachlager (Eine Art Workshop für die SuS der dritten Klasse, das Gymnasiums, die das DeutscheSprachDiplom erwerben möchten.) Denn dieses Jahr haben sich über 26 SuS dazu angemeldet und A. hatte schon des Öfteren betont, wie froh sie sei, dabei meine Hilfe zu haben. Wir hatten sogar im Vorhinein schon überlegt, dass es ja sinnvoll wäre, die Gruppe aufzuteilen, weil so ein intensiveres Arbeiten möglich ist. Naiv wie ich war, dachte ich mir natürlich, dass das je mega super werden würde. Dass ich endlich die Möglichkeit bekäme, mit den SuS zu arbeiten.

Falsch gedacht. Meine Aufgabe während des Sprachcamps bestand darin, am Abend ein Spiel anzuleiten, was ich vorbereitet hatte. Dementsprechender Laune bin ich am darauf folgenden Tag wieder in mein Apartment gekommen. Ich war so sauer, dass ich über 30 Minuten bei 5°C Außentemperatur laufen war. Und das ist krank.

Naja, für mich war dann auf jeden Fall ganz schnell klar, dass ich um ein weiteres Gespräch bitten muss, in welchem ich meinen Wunsch nach mehr Einsatzmöglichkeiten noch etwas deutlicher formuliere.

Gesagt getan. Auch bei diesem Gespräch habe ich den Part übernommen, in dem geredet wird, man sein Problem beschreibt, auf mögliche Verbesserungsvorschläge hinweist und darauf wartet, dass ein konstruktiver Beitrag über das Gesagte von den Gesprächspartnern kommt. (Diese waren A. und der andere Deutschlehrer an dem Gymnasium.) Dass einzige was dann allerdings von A. kam, war die Aussage, dass ihr von Anfang an klar gewesen sei, dass das mit einem festen Stundenplan nicht funktioniere. Ich war in dem Moment total vor den Kopf gestoßen, fassungslos vor ihr sitzend und mich fragend: Wieso, wenn dir das schon beim letzten Gespräch klar war, wieso um Himmelswillen, hast du dann nichts gesagt??? Wir hätten gemeinsam nach einer Alternativ suchen können. Aber nein, man lässt mich lieber ins offene Messer rennen. Ganz frei nach dem Motto: Wenn sie das so will, bitte. Soll sie doch selber rausfinden, dass das nicht funktionieren wird.

Das aus dem Gespräch folgende Resultat war, dass ich, um mehr und eigenständiger zu arbeiten, ganze Unterrichtsstunden übernehmen sollte. Und das meinte nicht nur die SuS für 45 Minuten beliebig zu beschäftigen, sondern auch, die durch den Lehrplan vorgeschriebenen, Unterrichtsinhalte zu vermitteln. Schnell wurde so aus meiner anfänglichen Unterforderung eine nicht mehr länger zu tragende Überforderung. Das heißt, dass es für mich in der Schule nicht wirklich gut lief. Zwischen endlosem gelangweilt Sein und schierer Überforderung stehend, war ich dann mehr oder weniger auf mich alleine gestellt. Denn ich habe weder eine Vertrauensperson hier, noch habe ich es geschafft einen richtigen Freundeskreis aufzubauen.

Und was sollte da anderes folgen, als ein weiteres Gespräch. In dieses bin ich, allerdings mit einem noch unwohlführenderen Grummeln im Bauch herein gegangen, als in die vorherigen Gespräche. Ich hatte zwei Sachen die ganze Zeit über im Hinterkopf. Zum einen, dass es eigentlich doch gar nicht meine Aufgabe sein sollte, die ganze Zeit zu dirigieren, was ich mache und was nicht. Dafür sollte es doch eigentlich ein vorgefertigtes Konzept geben. Eine Aufstellung von allen Aufgaben und Einsatzbereichen, die es an der GESAMTEN Schule für mich gibt. –Nicht nur bei einer der zwei Deutschlehrern.- Die zweite Sache war die, dass ich, über die vergangenen Gespräche hinweg, den Glauben und das Vertrauen in die Worte von A. verloren habe. Weil das Blaue vom Himmel reden, das kann ich auch. Allerdings, bringt es mir rein gar nichts, wenn es nicht in die Tat umgesetzt wird. Und wenn ich sage „das Blaue vom Himmel reden“, dann meine ich auch genau das. Denn auf einmal war eine Theater AG, ein Deutsch Abend und noch andere, aber nicht weniger realistische Einsatzmöglichkeiten für mich im Gespräch. –Wer es glaubt wird selig. Ausgegangen ist das Gespräch jedenfalls damit, dass sich die beiden Lehrer, über die, nächste Woche anstehenden Weihnachtsferien, ein Konzept mit Aufgabenbereichen für mich überlegen sollten.

 

In den Wochen ging es mir wirklich nicht gut.

Ich konnte nicht gut schlafen.

Ich hatte keinen Appetit.

Ich hatte überhaupt keine Motivation zu irgendetwas.

Ich hatte unvorhersehbare Heulkrämpfe.

Und noch ein paar andere Sachen, die ich an dieser Stelle nicht erwähnen möchte. Aber um das ganze zusammen zufassen, kann man sagen, dass ich

Ermüdet,

Enttäuscht,

Frustriert

Und alleine war.

Ermüdet, weil ich das alles so satt hatte. Dass nichts gut läuft und es immer nur irgendwo irgendwelche Probleme gab.

Enttäuscht, frustriert und alleine, weil ich drei Mal versucht habe zu kommunizieren, dass die Sachen an der Schule besser laufen könnten. Und weil ich drei Mal mit meinen Kommunikationsversuchen, wie es sich, als es an die Umsetzung ging gezeigt hat, gescheitert bin.

Keine gute Kombination. Entsprechender Weise habe ich nicht nur dem nach Hause Fahren über die Weihnachtstage entgegen gefiebert, sondern auch mit dem Gedanken gespielt meinen Freiwilligendienst zu verkürzen. Ich wollte einfach nicht mehr, dass es mir so elend geht, wie in diesen Wochen.

 

Diese Entscheidung wurde mir allerdings ziemlich schnell abgenommen. Denn nach dem folgendes Geschehen eingetroffen ist, stand eine 12monatige Dienstzeit gar nicht mehr zur Debatte.

Ein paar Wochen zuvor wurde ich gebeten, einen Artikel für die Schülerzeitung, über meine bisherige Zeit hier zu verfassen. Als ich den Artikel dem zuständigen Lehrer (der zweite Deutschlehrer) abgegeben habe, teilte er mir mit, dass der Artikel dann mit einem Foto von mir veröffentlicht werde. Daraufhin habe ich ihm gesagt, dass ich das nicht möchte und mich damit unwohl fühlen würde. Das war dann auch so okay. Aber natürlich wurde ich mal wieder eines Besseren belehrt. Und zwar genau in dem Moment, als ich, zwei Tage bevor ich nach Hause gefahren bin, die Schülerzeitung öffne und meinen Text zusammen mit einem Foto von mir abgedruckt sehe. Schock. Wut. Enttäuschung. Ungläubigkeit. Entsetzen. Das waren nur einige der Gefühle, die ich in dem Moment durchlebte. Vom ersten Schock wieder beruhigt, spreche ich den zuständigen Lehrer darauf an und frage, immer noch ungläubig, wieso denn da ein Foto von mir abgebildet ist, obwohl ich ausdrücklich gesagt habe, dass ich das nicht möchte. Die Schuld hat er dann ganz schnell auf die Schüler und Autoren der Zeitung geschoben und ist mitten in unserem Gespräch weggegangen. Und das war das zweite Mal, dass ich hier in Črnomelj so wütend war, dass ich nicht wusste wohin mit all der angestauten Wut. Nach dem Unterricht habe ich den Lehrer nochmal darauf angesprochen, aber er hat mich nur gefragt was wir denn bitte machen sollen und was ich von ihm erwarte. Meine Antwort darauf war, dass ich erwarte, dass wir darüber vernünftig reden. Und zum zweiten Mal ist er einfach gegangen. Dieses Mal allerdings nicht, ohne dass ich ihn bitten konnte hier zu bleiben. Diese Bitte wurde allerdings mit dem Kommentar „Wieso, ich muss mich nicht mit dir streiten.“ abgespeist und er ist gegangen. Und in dem Moment habe ich so enorme Wut verspürt, wie selten zuvor. A., die daneben stand und außer „Ja die Zeitungen sind ja jetzt schon gedruckt, da kann man nicht mehr viel machen.“ zu sagen, nichts gemacht hat, hat auch nicht gerade zu einer Schlichtung des Konflikts beigetragen. Ich meine mir ist ja schon klar, dass die Zeitungen schon gedruckt sind und man den Druck nicht einfach wegwerfen kann. Aber ich kann doch zu mindestens ein aufrichtige Entschuldigung und die ehrlich Einsicht, dass das scheiße gelaufen ist, erwarten. Oder??? Aber von wegen! Nichts da! Meine die Wut erklärenden Worte an A. werden nicht weiter von ihr zur Kenntnis genommen und sie wendet sich wieder anderen Dingen zu. Das war einer der schlimmsten Situationen, die ich in meinem Leben erlebt habe. Noch nie habe ich mich so machtlos und ohnmächtig gefühlt.

Und plötzlich konnte ich genau jene Art der Verzweiflung spüren, die Kafka seine Romanfigur Josef K. in seinem Romanfragment „Der Prozess“ erleben lässt.

 

Hilflos und alleine.

Zeit nach Hause zu gehen.

„Das läuft hier FALSCH“

NOVEMBER 2016

Weil in der Zwischenzeit wirklich viel passiert ist, und ich aus verschiedenen Beweggründen nicht weiter schreiben wollte und auch konnte, kommt jetzt das Update meiner letzten Wochen. Angefangen bei November.

 

In der letzten Novemberwoche hat mich das, von Kulturweit angesetzte Zwischenseminar (ZS), nach Zagreb verschlagen. Nach dem Tief an den vorherigen Tagen, genau das Richtige, um etwas auf andere Gedanken zu kommen, mein Sozialleben wieder zu reaktivieren und die vergangenen Wochen mit ihren Geschehnissen zu evaluieren. Das ZS war wirklich hilfreich und hat mir so, die einen oder anderen Dinge vor Augen geführt:

Erstens: Zagreb ist eine wunderschöne Stadt. In der Größer von Bonn, mit etwas von dem Charme, den Köln mit seinen nicht ganz so akkuraten Straßen versprüht.

Zweitens: Das „Museum of broken relationships“ ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Vor allem, wenn man sich mehr für die Geschichten einzelner Menschen, als für die einzelne Geschichte aller Menschen interessiert.

Drittens: Es ist unheimlich schön mit Leuten, die man gerne hat und mit denen man auf einer Wellenlänge ist, durch die Innenstadt zu schlendern, in ein paar Läden rein zu schauen und einen Kaffee zu trinken. Ich weiß, dass klingt total banal und als Leser wundert man sich bestimmt „Hä, wie kann man so etwas denn vergessen oder nicht wissen, dass es schön ist. Natürlich ist das schön.“ Aber glaubt mir, wenn man über zwei Monate genau auf solche banalen Sachen verzichtet hat, dann ist einem zwar bewusst, dass man sie vermisst, aber erst wenn man es dann endlich wieder erlebt, wird einem klar, wie schön und gut solche alltäglichen Szenen –vor allem für die Seele- wirklich sind.

Viertens: Es ist sowas von nicht erfüllend und dazu zum Schlafen langweilig –und an dieser Stelle meine ich das wörtlichen-, fast meine gesamte Arbeitszeit damit zu verbringen, neben dem Pult am Computer zu sitzen und das Smatrboard zu bedienen.

Fünftens: Es gibt einen ganz klaren Unterschied zwischen „Das läuft hier anders“ und „Das läuft hier falsch.“ Und wenn meine persönlichen Grenzen im Sinne von: ich rede über dein Sexleben obwohl du gesagt hast, dass du das nicht willst & ich hacke mich im Schulflur bei dir ein, obwohl du deinen Arm mehrmals weggezogen hast & ich ziehe dich auf meinen Schoß, obwohl du NEIN gesagt hast & ich hebe dich hoch, obwohl du NEIN gesagt hast, überschritten werden, dann ist das ganz klar ein Fall von „Das läuft hier falsch.“ Und wenn der ganze Scheiß dann  auch noch von einem LehrER gemacht wird, während meine Ansprechperson (A.), die auch gleichzeitig die Deutschlehrerin ist UND meine Einsatzstelle darstellt, daneben steht und gar nichts macht, außer vor sich hin zu kichern, dann läuft hier etwas mehr als nur falsch.

 

So viel zu meinen Erkenntnissen. Und nach mehreren Gesprächen mit anderen KW Freiwilligen und unserer Trainerin, haben sich aus diesen lösungsorientiere Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft ergeben. Die da waren:

Ich muss unbedingt mit A. über meine Aufgabenbereich und meine Einsatzmöglichkeiten sprechen.

DEM Lehrer gehe ich so gut aus dem Weg, wie ich noch niemals jemandem zuvor aus dem Weg gegangen bin.

Ich suche mir viele kleine Projekte um die öde Langeweile zu vertreiben.