Es gibt diese Sätze, die sind wie Schrauben. Sie werden mit jeder Wiederholung tiefer in dein Hirn hineingedreht. Manche von euch haben vielleicht noch den Schraubensatz „Mach‘ erst mal dein Abi“ im Kopf. Bei anderen sitzt vielleicht „Schreib‘ mir eine SMS, wenn du da bist“ in den Windungen. Politiker drehen dir auch gern Sätze in den Kopf oder versuchen es zumindest. Die sagen dann zum Beispiel: „Wir stehen für ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem.“ Die Partei, die das schön oft wiederholt hat, wird dann von den Menschen gewählt. Bei denen sitzt eben die Schraube einfach zu fest, obwohl: Manche behaupten nun wieder, diese Leute hätten eine Schraube locker. Ganz schön kompliziert alles, aber einfacher wird es bei meinem Beispiel aus Kamerun.
Der kamerunische Schraubensatz heißt: „Kamerun – das ist ganz Afrika in einem Land.“ Ich frage mich: Wie war das, als das zum ersten Mal gesagt wurde? Möglichkeit: Ein Kolonialherr zum anderen während sie den Bau der Eisenbahnstrecke überwachen: „Du Gustav, mir ist da was aufgefallen: Kamerun – das ist ganz Afrika in einem Land.“ Oder war das anders und früher? Aber wer wusste damals, wie es auf dem ganzen Kontinent aussieht? Wurde so viel gewandert und weitererzählt? Hier merkt ihr wieder: Geschichte in der 11. Klasse abwählen und in Geografie zu viel über Stadtplanung nachdenken – das endet in peinlichen Spekulationen. Aber egal, ob jetzt Kolonialherren, kamerunische Nomaden oder einfach pfiffiger PR-Typ, eines ist sicher: Als der Spruch Premiere hatte, das war wirklich ein außerordentlicher Glücksmoment – für die Tourismusbranche. Das kannst du doch prima vermarkten. „Ganz Afrika in einem Land“. Mensch, das ist mal was! Da sparst du dir ja jahrelanges Herumreisen. Einfach nach Kamerun kommen und dann kennst du den Kontinent. Großartig.
Viele von euch sind ja sehr sensibel. Die haben längst gemerkt: „Oh, da hat aber jemand ganz gewaltig was gegen Schraubensätze.“ Das ist ja das Schöne an euch. Euch muss man nicht alles genau erklären. Ihr versteht mich auch so. Aber ich verstehe mich selber manchmal nicht.
Ich sitze in dieser Fokker 28 und mein Sitznachbar erzählt mir von seinen Flugzeugrecherchen: „Die Maschine ist Jahrgang 85, hatte schon drei Vorbesitzer und zwei Birdstrikes.“
Während ich noch drüber nachdenke, welchen der drei Fakten ich erschreckender finde, gucke ich aus dem Bullauge auf Kamerun, auf den Dschungel und die rote Erde. Doch nicht alles falsch gemacht in der Schule. Anders kann ich mir nicht erklären, warum plötzlich in meinem Kopf das Wort „Komplementärkontrast“ mit dieser grün-roten Wucht unter mir um die Wette leuchtet.
Der Wald fließt langsam aus. Die Erde wellt sich. Das neue Muster unter mir hat auch viel mit Kunst zu tun. Als hätte jemand riesige Korallenäste abgebrochen, verstreut und darauf Bäume gepflanzt. Das fasziniert mich. Hat so was von Henna-Optik. Doch da wird der Boden schon grau und die Bäume schrumpfen zu kleinen, schwarzen Punkten. Dann werden auch sie weniger und die Erde strahlt mir gelb entgegen.
Ein ausgetrockneter Fluss hat eine feinsandige Spur gefurcht und schlängelt sich durch die flache Landschaft. Der Sinkflug beginnt. Gleich landen wir in Nordkamerun und als die Fokker 28 aufsetzt, denke ich zum ersten Mal nicht: „Ich muss eine SMS schreiben, wenn ich da bin.“ Ich denke: „Kamerun – das ist ja ganz Afrika in einem Land.“
Hey, 1985 war doch nun wirklich kein soooo schlechtes Jahr 😉
Und um mich selbsterlebten kulturweiten Schraubensätzen anzuschließen: „Israel? Da ist doch auch nur Krieg und Wüste!“ Stimmt schon, aber das „nur“ ist einfach nicht passend.