Ich trage keinen Fotoapparat vor der Brust, aber ich bin trotzdem die Fremde. Nicht nur, weil ich erst eine Woche hier bin. Ich kann mich nicht verstecken. Meine Haut schreit allen entgegen, dass ich keine von ihnen bin und sie brüllen lautstark zurück: „La blanche! La blanche!“ („Die Weiße, die Weiße!“) Es dauert nicht mehr lange und ich werde antworten: „Ah, le noir!“ („Oh, ein Schwarzer.“) Mal sehen, was dann passiert. Oder doch besser ein strenges „Ecoute, mon frère“ („Hör‘ mal zu, mein Bruder…“)? Die Testphase beginnt, wie mit den Zurufen umzugehen ist. Im Moment verstummen die Stimmen nur, wenn ich in schwarzer, männlicher Begleitung bin. Je älter und muskulöser, desto besser. Doch das kann nicht die Lösung sein. Nicht auf Dauer.
Ich stelle mir vor, ich hätte diese Eskorte in meiner Heimat. Flankiert von großen, starken Jungs, die auf mich aufpassen und nach Hause bringen. Das hätte ich nie zugelassen, aber ich akzeptiere die Regeln und weiß, dass es besser für mich ist, nicht allein zu gehen. Es hat auch seinen Charme.
Diejenigen, die sich im Moment um meine Sicherheit kümmern und mir die abseitigen Ecken von Yaoundé zeigen, haben keine Vorteile durch meine Anwesenheit. Das Taxi kostet mehr für sie, wenn ich an ihrer Seite bin. Auf dem Markt müssen sie unter Umständen mehr zahlen, sollte man herausfinden, dass wir zusammen dort sind. Dazu kommt die Frage anderer Männer, ob sie „la blanche“ im Lotto gewonnen hätten, was sie genauso beschämt wie mich. Auch der Moment, wenn ich eine Bar betrete und alle Augen auf mich gerichtet sind, ist nicht nur für mich unangenehm. Das weiß ich. Umso größeren Dank empfinde ich, dass es Menschen gibt, die in diesem Moment bei mir sind und mir helfen, meinen Platz in der Stadt zu finden.
Heute hatte ich das Glück an einen Ort geführt zu werden, den ich allein nie wieder finden werde. Er liegt irgendwo dort, wo der Asphalt aufhört. Wo es keinen Taxiverkehr gibt. Wo keine Straßenlaternen stehen. Wo ein Katzenjunges mühsam versucht, auf den Holzvorbau der kleinen Bar zu kraxeln und in der Luft zwei Fledermäuse miteinander spielen. Mir wird ein Stuhl angeboten. Ich warte auf neugierige Blicke, aber sie bleiben aus. Fast. Zwei Augen strahlen mich von unten an und ich weiß, dass ich diese Szene erahnt habe. Irgendwann. Manchmal passiert eben doch genau das, was man sich vorgestellt hat. Es ist die Situation, die sich in anderer Besetzung so bestimmt schon oft zugetragen hat und trotzdem ist sie für mich einzigartig und ich werde sie nicht vergessen, weil ich diesmal die Hauptrolle spiele:
Da tanzt dieses zweijährige Mädchen im Blümchenkleid vor mir, mit kleinen Zöpfen, die in den Abendhimmel gucken. Sie schaut mich an und ich weiß sofort, dass sie mir meine Hautfarbe nicht glaubt. Ich zwinkere ihr zu und sie nähert sich. Eine kurze Berührung meines Arms. Dann möchte sie gar nicht mehr aufhören, meine Haut anzufassen. Sie reibt. Sie kneift und ich versuche ihr zu erklären, dass die Farbe bleibt. Sie möchte nicht aufgeben. Die Uhr, die sie in der Hand hält, ist auf der Rückseite schwarz. Ihr kleiner Zeigefinger kreist über der schwarze Batterie und sie streift danach meine Haut. Das wiederholt sich mehrfach, aber ich bleibe die Weiße. Nicht nur für meine neue, kleine Freundin.
Also, wenn der „La-Blanche“-Rufer ein rotes T-Shirt anhat, dann wäre natürlich die passende Antwort „Oh, le rouge!“ Es ist übrigens sehr interessant zu sehen, wie schon kleine Kinder von 2 Jahren wissen, was „Blanc“ ist, obwohl sie die Farben eigentlich erst ca. 4 Jahren in der École Maternelle lernen. Ein schönes Beispiel für die Konstruktion von Farben.
Gruß
Uwe (eher schweinchenrosa)
Danke für den T-Shirt-Tipp und deinen Kommentar. Ich werde es ausprobieren. Schweinchenrosa? Ach was! Du hast doch einen saftig-schönen Terracotta-Ton.