Die Mückenstiche

Mein Erfindergeist kennt keine Grenzen. Aber mein Erinnerungsvermögen, weshalb ich die besten meiner Improvisationen leider schon wieder vergessen habe. Ich fühle nur noch diesen fast schon mütterlichen Stolz auf mich, der mich immer zufrieden tief einatmen lässt, wenn ich in pfadfinderischer Manier Lösungen für Probleme gefunden habe, die ich vorher nie hatte. Ich setze dann einen würdevoll bis leicht zickigen Blick auf, den ich ins Nichts richte und mit dem ich, wem auch immer – vielleicht mir? – sage: „Siehste, so geht das!“

Gestern wollte ich einen Abend ohne Gift-Geruch auf meiner Haut verbringen. Das Mückenspray, dessen Inhaltsstoff meine, Moment – ich zähle –, 13 Stiche am rechten und 16 Stiche am linken Bein nicht verhindert hat, schmerzt unangenehm, wenn ich es auftrage. Es ist ja nicht so, dass die Mücke sticht, ich verantwortungsbewusst den Azaron-Stift hole, ihn über der kleinen roten Erhebung kreisen lasse, die Verschlusskappe wieder aufsetze und entspannt ein Bein über das andere schlage und schon bald gar nicht mehr weiß, auf welchem sich der Stich befindet.

Nein.

Wenn mich eine Mücke sticht, dann reibe ich erst mit der weichen Unterseite meines Zeigefingers darüber und bilde mir ein, dass ich so schonend den Juckreiz bekämpfe. Das klappt jedoch nicht, weshalb ich meinen Nagel zur Hilfe nehme, später dann mit der ganzen Hand aggressiv kratze. Der Mückenstich nässt etwas und meist lasse ich in diesem Moment von ihm ab – bis zum nächsten Morgen.

Am nächsten Tag hat sich die kleine Wasserlache in meinem Mückenstich verfestigt und an den Rändern drückt sich rindenartig die kleine Kruste nach oben, an der ich beim Lesen auf der Terrasse selbstvergessen herumspiele, sie leicht mit dem Nagel anhebe und schließlich zurückklappe. Ich schaue mir mein Werk an, diesen halbverschlossenen Mückenstich, und befinde, ich sollte das Deckelchen wieder schließen. Ich drücke es ein wenig an, wie ein frisch gepflanztes Stiefmütterchen, um es nur wenige Minuten später doch wieder zu öffnen. Das Schorfplättchen nehme ich zwischen Daumen und Zeigefinger und reiße es ab, was ein wenig, aber nicht unangenehm, ziept. Ich bearbeite Stich um Stich auf diese Weise, wiederhole es am nächsten Tag und meine Beine sehen inzwischen so zerschunden aus, dass bereits die Beignet-Frau am Rondpoint, eine Kollegin am Goethe-Institut, eine Nachbarin und zwei mir völlig unbekannte Passanten auf meine Narben gezeigt und mir einen sehr wertvollen Hinweis gegeben haben: Ich muss aufpassen, es gibt Mücken in Kamerun.

Mein Lieblingsort in Yaoundé

Mein Lieblingsort in Yaoundé

Da ich gestern auf meinen Leseabend auf der Dachterrasse nicht verzichten wollte, dafür aber auf das Mückenspray, das in meinen offenen Stichwunden brennt, war  wieder mein neu erworbener Pragmatismus gefragt. Ich beratschlagte mich mit mir selbst, vielleicht ging ich dabei gemäßigten Schrittes auf der Terrasse im Kreis, um mein Denkvermögen zu steigern. Ich lief von dort in mein Schlafzimmer, stieg auf mein Bett, pflückte das Moskitonetz vom Haken und schnitt mir ein kleines Stück der Plastikschnur ab, die ich für mein mobiles Moskitonetz gekauft habe, um es jederzeit und überall an das gespannte Seil zu knüpfen, wenn es mal keinen Haken an der Decke gibt. (Das war eine meiner ersten guten Ideen hier.)

Doch zurück zu meiner neuen Herausforderung. Ich schob das Sofa unter die Neonröhre, streckte mich zur Dachverstrebung, legte die Schnur darüber, führte die Enden durch den kleinen Plastikring des Moskitonetzes und machte einen Doppelknoten. Nachdem ich das Moskitonetz über das Sofa ausgebreitet hatte, begutachtete ich mit einigem Abstand zufrieden mein Werk, hob vorsichtig den dünnen Stoff an, zog den Kopf ein und ging gebeugt darunter.

Da saß ich nun: in der kühlen Abendluft, sicher vor den Mücken, das Buch in der Hand, das Neonlicht leuchtete über mir. Ich konnte mir in diesem Moment nichts Schöneres vorstellen, als in einer Tropennacht auf einem Korbsofa am Rand einer Dachterrasse in Yaoundé zu sitzen und zu lesen. Schwärmerische Gedanken zogen durch meinen Kopf und als ich gerade wieder auf mein Buch schauen wollte –, fiel der Strom aus.

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Notizen vom Straßenrand

Der Sonntagnachmittag in Yaoundé schleppt sich träge dahin. Ich setze mich und schreibe: Die Zitronen schrumpeln in der Sonne und die alte Frau dahinter wird ihrem Obst immer ähnlicher oder umgekehrt. Ein Junge schlittert auf dem roten Staub Richtung Straße und bleibt rechtzeitig stehen. Er spurtet los und schafft es vor den Autos auf die andere Seite. Woher nimmt er nur diese Kraft? Selbst die Verkäuferin in der Bäckerei hatte heute nur einen Blick aus herabhängenden Augenlidern für mich übrig. Ich bestellte drei, statt vier Brote, um sie zu entlasten. Das ist Hitze-Logik.

Ich danke meiner Kniekehle, die mir einen Schweißtropfen geschenkt hat, der sich Richtung Knöchel bewegt und eine kühle Spur zieht.

Jetzt werde ich ermahnt, ich solle nicht in der Sonne sitzen. Recht hat die Frau mit dem roten Kopftuch und ich bleibe trotzdem.

Ein großes Insekt steigt gen Himmel, kreuzt eine Elster und ich bin im Schatten. Er spricht zu mir. Das ist noch nicht der Sonnenstich. Das ist der Mann, der mich nach meinem Namen und meiner Nummer fragt. Den Namen verrate ich ihm, die Nummer nicht. Wir wechseln ein paar „Silteplaits“ und „Nonpardons“. Dann geht er Richtung Bar.

Super kostet heute 569 CFA.

Die Kopftuch-Frau baut sich vor mir auf. Sie schimpft, weil ich immer noch in der Sonne bin und geht grummelnd weiter.

Die Mutter zieht dem Baby in ihrem Arm das weiße Handtuch über den kleinen Kopf.

Straßenszene in Yaoundé

Straßenszene in Yaoundé

Er mache sich auch Sorgen um mich, höre ich jetzt neben mir. Er trägt hellbraune Halbschuhe, spendet aber leider keinen Schatten. Deshalb sage ich diesmal sofort,  dass ich schreiben und nicht reden will. Bereits bekannter Dialog beginnt dennoch – wie immer mit dem Erraten meines Herkunftslandes. Ich hätte einen anglophonen Zungenschlag, sagt er, und tippt folgerichtig, aber trotzdem falsch: England. Spanien? Russland? Ukraine? Schweden? Ich schreibe weiter und er zählt Staaten auf. Deutschland. Ja. Er lächelt stolz und fragt, ob er mir seine Freundschaft anbieten darf. Ich erlaube ihm das Anbieten, lehne die Freundschaft aber ab. Er sagt, dass ich wohl schon genügend kamerunische Freunde habe und ich bejahe. Er zeigt auf mein Notizbuch. Es ist zu einem Viertel beschrieben, erklärt er mir. Er legt seinen Daumen auf den Rand der verbleibenden Seiten und argumentiert, dass noch entsprechend viel Platz für andere Kameruner in meinem Leben sei. Ich bin also nicht der einzige Mensch mit Hitze-Logik. Er heiße Barack und in Kamerun gäbe es viele Obamas. Der Name sei von Kamerun nach Kenia gekommen. Damit gewinnt er kurz meine Aufmerksamkeit und fügt eilig hinzu, er kenne noch andere spannende Geschichten, die er mir alle bei einem kühlen Getränk erzählen würde. Ich solle ihm bitte meine Nummer geben. Das tue ich nicht.

Ein voll besetzter Stadtbus fährt an uns vorbei. Er muss ein Geschenk aus den Niederlanden sein. Die holländische Endstation leuchtet immer noch digital an der Seite.

Barack lässt nicht nach und bittet um meine E-Mail-Adresse. Ich sage ihm, dass ich nicht auf Mails antworte. Er ist schockiert und greift sich dramatisch an die Brust. Nach kurzem Innehalten vermutet er: „Du hast einen Verlobten.“ Ich lüge ihm ein Ja vor, um diese Begegnung endlich zu einem Ende zu bringen. Ich schlage ihm vor, er solle meinen Verlobten anrufen und ihn fragen, ob er mit der Freundschaft einverstanden ist. Barack hält das für eine ausgezeichnete Idee und sagt beim Gehen, er werde ihn jetzt sofort anrufen. Ich beglückwünsche ihn zu der Entscheidung und mich zu einer gelungenen Abfuhr.

Eine Frau schenkt mir ein kirschrotes Lippenstiftlächeln. Ich strahle sie an und sie schüttelt amüsiert den Kopf. Zwei Arme fahren an mir vorbei. Sie halten die gerollte Matratze auf dem Taxidach fest.

„How are you?“, fragt ein Spaziergänger im Trikot und winkt. Ich sage höflich „Fine“ und hoffe, dass er das nicht als Aufforderung zum Smalltalk interpretiert. „You are writing.“ Ich nicke. Er geht weiter. Auf seinem Rücken steht „1. FC Geldersheim“. Ein Minibus stottert über die Straße. Die Bananenstauden belegen die Sitze, quellen aus dem halbgeöffneten Kofferraum und ich erkenne endlich das Muster: Zwischen mir und der nächsten Begegnung liegt immer nur ein Bild.

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Der Mann am Pool

Wenn er doch nur nicht so schläfrig wäre. Dann könnte er mit seinem Blick die Konturen der Mandara-Berge nachzeichnen. Wie für ihn in die Erde gestoßen, ragen sie senkrecht in die Höhe. Jetzt richtet auch er sich auf. Kämpft sich hitzegeschwächt vom Liegestuhl und tänzelt auf Zehen über die heißen Fliesen der Hotelterrasse Richtung Beckenrand. Der Pool glitzert verführerisch in der Mittagshitze. Er wirkt magisch und für einen kurzen Moment denke ich, dass er doch ganz gut in die Landschaft passt – zu diesen Sprungturm-Bergen.

Die Mandara-Berge bei Rhumsiki

Die Mandara-Berge bei Rhumsiki

Jahrmillionen soll es her sein, da war, was heute Stein ist, alles noch flüssig und im  Innern eines Vulkans. Die Hülle erodierte. Der Kern erkaltete und blieb stehen. Innehalten auch am Pool. Waden und Brustkorb werden mit Wasser benetzt. Alternder Ausdauerkörper landet nach federndem Absprung im Becken. Entspanntes Kraulen bei 37 Grad Außentemperatur. Der Mann ist der einzige Tourist heute. Der Pool gehört ihm. Er schwimmt in den Wasserreserven des Dorfes, dessen Gast er ist.

Rhumsiki liegt an der Grenze zu Nigeria in der kamerunischen Provinz Extrem Nord. Abgesehen von wenigen Niederschlägen in der Regenzeit herrscht große Trockenheit. Das „Campement de Rhumsiki“, das heute den Besuchern Badeluxus mitten in der Sahel-Landschaft bietet, hat der Staat Kamerun einst für den Jagdtourismus angelegt. Um die Wasserversorgung zu sichern, musste fast hundert Meter tief gebohrt werden. So sind Rhumsikis einzige zwei Brunnen entstanden, aber nur einen davon nutzt das Hotel. Der andere dient als Reserve. Die Dorfgemeinde hat keinen Zugang und hat kein Geld einen eigenen Brunnen zu bauen.

Rhumsiki in der Provinz Extrem Nord

Rhumsiki in der Provinz Extrem Nord

Am Hotelzaun schlängelt sich ein kleiner Pfad entlang. Er führt zur Wasserstelle des Dorfes. Die Wurzeln eines alten Baumes laufen knöchern zwischen den großen Steinen. In seinem Schatten liegt eine Frau in meinem Alter. Sie hat ihren Kopf auf einen flachen Fels gelegt und wir lächeln uns schüchtern an. Das kleine Mädchen neben ihr schaut skeptisch zu mir hoch. Vielleicht hat es Angst, dass ich ans Wasser möchte, denn die beiden halten Wache.

Ich beuge mich über den Rand der steinigen Grube, die nur etwa zwei Meter tief ist. Am Grund erahne ich eine kleine Lache. Mein Begleiter aus Rhumsiki erklärt mir, dass Erst- und Zweitfrau eines Mannes zusammen Wasser holen müssen. Während die eine Ehefrau das Wasser zur Lehmhütte bringt, muss die andere die Quelle gegen mögliche Konkurrentinnen verteidigen. Die Trägerin kehrt zurück und übergibt die Kalebasse. Das Kind klettert in die Grube hinab und schöpft. Holz schabt über Stein. Auf der Hotelterrasse trocknet ein weißer Körper in der Mittagssonne. Die nächste Abkühlung ist nur einen Kopfsprung entfernt.

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Der kamerunische Schraubensatz

Es gibt diese Sätze, die sind wie Schrauben. Sie werden mit jeder Wiederholung tiefer in dein Hirn hineingedreht. Manche von euch haben vielleicht noch den Schraubensatz „Mach‘ erst mal dein Abi“ im Kopf. Bei anderen sitzt vielleicht „Schreib‘ mir eine SMS, wenn du da bist“ in den Windungen. Politiker drehen dir auch gern Sätze in den Kopf oder versuchen es zumindest. Die sagen dann zum Beispiel: „Wir stehen für ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem.“ Die Partei, die das schön oft wiederholt hat, wird dann von den Menschen gewählt. Bei denen sitzt eben die Schraube einfach zu fest, obwohl: Manche behaupten nun wieder, diese Leute hätten eine Schraube locker. Ganz schön kompliziert alles, aber einfacher wird es bei meinem Beispiel aus Kamerun.

Gesehen in Rhumsiki, Nordkamerun

Gesehen in Rhumsiki, Nordkamerun

Der kamerunische Schraubensatz heißt: „Kamerun – das ist ganz Afrika in einem Land.“ Ich frage mich: Wie war das, als das zum ersten Mal gesagt wurde? Möglichkeit: Ein Kolonialherr zum anderen während sie den Bau der Eisenbahnstrecke überwachen: „Du Gustav, mir ist da was aufgefallen: Kamerun – das ist ganz Afrika in einem Land.“ Oder war das anders und früher? Aber wer wusste damals, wie es auf dem ganzen Kontinent aussieht? Wurde so viel gewandert und weitererzählt? Hier merkt ihr wieder: Geschichte in der 11. Klasse abwählen und in Geografie zu viel über Stadtplanung nachdenken – das endet in peinlichen Spekulationen. Aber egal, ob jetzt Kolonialherren, kamerunische Nomaden oder einfach pfiffiger PR-Typ, eines ist sicher: Als der Spruch Premiere hatte, das war wirklich ein außerordentlicher Glücksmoment – für die Tourismusbranche. Das kannst du doch prima vermarkten. „Ganz Afrika in einem Land“. Mensch, das ist mal was! Da sparst du dir ja jahrelanges Herumreisen. Einfach nach Kamerun kommen und dann kennst du den Kontinent. Großartig.

Viele von euch sind ja sehr sensibel. Die haben längst gemerkt: „Oh, da hat aber jemand ganz gewaltig was gegen Schraubensätze.“ Das ist ja das Schöne an euch. Euch muss man nicht alles genau erklären. Ihr versteht mich auch so. Aber ich verstehe mich selber manchmal nicht.

Ich sitze in dieser Fokker 28 und mein Sitznachbar erzählt mir von seinen Flugzeugrecherchen: „Die Maschine ist Jahrgang 85, hatte schon drei Vorbesitzer und zwei Birdstrikes.“

Was war gefährlicher? Mit der Fokker zu fliegen oder gegen das Fotografierverbot auf kamerunischen Flughäfen zu verstoßen?

Was war gefährlicher? Mit der Fokker zu fliegen oder gegen das Fotografierverbot auf kamerunischen Flughäfen zu verstoßen?

Während ich noch drüber nachdenke, welchen der drei Fakten ich erschreckender finde, gucke ich aus dem Bullauge auf Kamerun, auf den Dschungel und die rote Erde. Doch nicht alles falsch gemacht in der Schule. Anders kann ich mir nicht erklären, warum plötzlich in meinem Kopf das Wort „Komplementärkontrast“ mit dieser grün-roten Wucht unter mir um die Wette leuchtet.

Der Wald fließt langsam aus. Die Erde wellt sich. Das neue Muster unter mir hat auch viel mit Kunst zu tun. Als hätte jemand riesige Korallenäste abgebrochen, verstreut und darauf Bäume gepflanzt. Das fasziniert mich. Hat so was von Henna-Optik. Doch da wird der Boden schon grau und die Bäume schrumpfen zu kleinen, schwarzen Punkten. Dann werden auch sie weniger und die Erde strahlt mir gelb entgegen.

Maroua - gleich am Ende dieser Straße oder im nächsten Artikel

Maroua - gleich am Ende dieser Straße oder im nächsten Artikel

Ein ausgetrockneter Fluss hat eine feinsandige Spur gefurcht und schlängelt sich durch die flache Landschaft. Der Sinkflug beginnt. Gleich landen wir in Nordkamerun und als die Fokker 28 aufsetzt, denke ich zum ersten Mal nicht: „Ich muss eine SMS schreiben, wenn ich da bin.“ Ich denke: „Kamerun – das ist ja ganz Afrika in einem Land.“

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Das chinesische Raumschiff

So ein Sportpalast hat schon was. Vor allem in einem Land wie Kamerun. Die Volleyballer machen die Nation stolz. Die Fußballmannschaft sowieso. Wo kann man diese Helden feiern? Im Sportpalast! Na klar! Das dachte sich vielleicht auch China und schenkte Kamerun ein futuristisches Stahlgebäude. Ein selten schönes Raumschiff, wenn es denn ein Raumschiff wäre. Doch es bleibt am Boden und in die Luft gehe höchstens ich, wenn ich es sehe, denn der Sportpalast ist im doppelten Wortsinn ein glänzendes Beispiel für: Erst bauen, dann denken.

Jetzt stellen wir uns ein Fest für die „Unbezähmbaren Löwen“ vor. Da kommt der Mannschaftsbus. Der hält am Hintereingang. Es fährt das Präsidentenpaar ein. Auch ihre Limousine passt auf den Hof hinter dem Zaun. Jetzt überlegen wir mal zusammen und damit haben wir dann die Chinesen überholt: Soll da nur Herr Präsident und seine Gattin der Fußballmannschaft gratulieren? Dafür brauchst du keinen Sport-, dafür hast du den Präsidentenpalast. Wenn wir also einen Sportpalast haben, brauchen wir auch Leute, die darin feiern können. Bis jetzt ist alles ganz einfach und man glaubt, das hätten auch die Chinesen… naja, wir machen mal weiter. Die Gäste fahren natürlich mit ihren eigenen Autos zum Sportpalast. „Einmal Sammeltaxi zur Ehrenfeier“ – nein, das geht  natürlich nicht.

Ihr merkt, hier müssen wir nicht Logistik studieren, um zu erkennen: Sportpalast geht nur mit großem Parkplatz davor, daneben, dahinter. Das haben dann die Chinesen auch bemerkt, so ist es ja nicht. Aber da war das Ufo eben längst mitten in Yaoundé gelandet. Auf der gegenüberliegenden Seite: Wohnhäuser.

Ich weiß nicht, wie ihr seid. Ich bin da jetzt eher so, dass ich sage: Okay, Wohnhäuser, da leben Menschen. Die haben dort ihr Zuhause. Die lümmeln abends auf ihren Sofas und gucken auf Canal 2 ihre Télénovela und essen ihre Kochbananen mit Fisch. Bevor sie schlafen gehen, gucken sie vielleicht noch mal aus dem Fenster und fragen sich, wann der Sportpalast endlich eröffnet wird. Der steht ja jetzt schon eine ganze Weile da. Ich denke also: Lebensraum für Menschen ist nicht gleich Parkplatz für Autos. Da passt was nicht. Und da haben wir jetzt was gemeinsam: die Chinesen und ich. Die dachten das nämlich auch oder jemand von der Stadt Yaoundé hat das gedacht. Oder einfach alle zusammen. Aber uns unterscheidet dann doch was. Ich hätte jetzt gesagt: Das Raumschiff ist nun mal da. Machen wir einfach ein Wissenschafts- oder Raumfahrtmuseum rein. Wir nutzen es als Aula für die Universität Yaoundé I oder meinetwegen auch als schönen Konzertsaal für Leute, die mit dem Taxi kommen.

Jetzt passt auf: Die Chinesen oder die Stadt Yaoundé hatten eine andere Idee. Die wollten nämlich unbedingt den Parkplatz. Jetzt sagt vielleicht eine oder einer von euch: „Ist doch klar, die Häuser müssen weg!“ Und ich sage: Du kannst dich direkt mal in der chinesischen Baubranche bewerben oder dich um ein Praktikum bei der Stadtplanung Yaoundé kümmern, weil: Genau das haben die Damen und Herren auch gesagt, die ihren Parkplatz vor dem Sportpalast haben wollten. „Weg mit den Häusern!“ Jetzt sind die Häuser weg. Der Parkplatz ist fast fertig. Bald können sie feiern.

Palais des Sport - ein chinesisches Geschenk

Palais des Sport - ein chinesisches Geschenk

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Der Tag am Meer und die Psychologie der kleinen Tiere

Der erste Augenaufschlag des Tages. Drei schwarze Würmer an der Wand. Tausendfüßler, korrigiere ich mich schläfrig. Aber weil sie so glänzen, als wären sie gerade aus der regennassen Erde gestoßen und eher schlängeln als laufen, macht mein Kopf sie zu Würmern. Zwei haben sich für die Deckenrichtung entschieden, einer schiebt sich nach unten und ist bei meinem zweiten Blick dieses Morgens genau vor meiner Nase. Zwischen uns das Moskitonetz, das an der Wand anliegt. Die fremde Oberfläche lockt und schon wurmt das schwarze Tier über den feinen Stoff. Wenn die Tausendfüßler noch aktiv sind, ist es zu früh, um den Tag zu beginnen. Aber ich richte mich trotzdem auf. Reibe über meine schmerzenden Oberschenkel. Die harten Fasern des Rattansofas haben ein apartes Muster in mein Fleisch geprägt. Ich denke sehnsüchtig an die Schaumstoffmatratze in Yaoundé, auf der ich längst noch nicht aufgewacht wäre. Aber hier, vier Autostunden von der Hauptstadt entfernt, in einer kleinen Bleibe im Strandort Kribi, findet mein Körper keine Lage mehr, die er ohne Protest akzeptiert.

Vorgarten in Kribi mit Strandbaum

Vorgarten in Kribi

Es ist schon hell genug draußen und so bleibt die Taschenlampe beim Gang zur Toilette auf dem Tisch liegen. In der Nacht ist sie meine einzige Waffe im Kampf gegen die daumenlangen Kakerlaken im Vorgarten. Zwischen Mangobaum, Bananenstaude und Kokospalme huschen sie dann vor meinen Füßen hin und her. Ich schlage mit dem Lichtschein auf sie ein. Sie ekeln sich vor der Helligkeit wie ich mich vor ihnen. Die Lampe in der Hand versetze ich sie in Panik. Sie hasten auf ihren kleinen Beinchen ins Dunkel und ich achte darauf, dass meine Füße nur auf erhelltem Boden stehen. Das macht sie und mich froh. Wir haben schon ein ganz gutes Verhältnis mittlerweile: ich und die Kakerlaken. So eine Kakerlake ist auch zugegebenermaßen kein sehr komplexes Wesen mit verschlungenen Gedankenpfaden. Nein, es sind Einbahnstraßen-Wesen. Immer geradeaus. Immer ins Dunkel. Sie mögen es gar nicht, wenn sie in einem beleuchteten Außentoilettenhäuschen sitzen. Genau das möchte ich aber und habe vom Haus aus das Licht angeschaltet. Die Kakerlaken-Psyche kennend, steuere ich auf die Toilette zu und mache mich stark für unser finales Aufeinandertreffen in dieser Nacht. Ich stoße die Toiletten-Tür weit auf. Jetzt schnell zwei Schritte zurück. Da wimmelt es schon vor mir.  Aus dem Innern kämpfen sie sich panisch über die hohe Stufe in die Nacht. Ich zeichne fuchtelnd einen kleinen Lichtradius vor meinen Füßen. Die Kakerlaken wuseln davon.

Piroggenstau vor dem Fischmarkt

Fischer bringen ihre Waren zum Markt

Ich ertappe mich dabei, wie ich auch am Morgen erst nach respektvollem Warten in den kleinen Betonbau gehe. Das Wasser muss aus dem Brunnen geholt werden. Ich bin sparsam und schöpfe nur einmal aus dem Eimer, um die Müdigkeit aus meinem Gesicht zu waschen. Das reicht, denn heute ist mein erster Badetag in  Kamerun. Das Meer ist trotz hoher Wellen wannenwarm. Ich lasse mir versichern, dass die meterlangen Fische für den Markt wirklich ganz weit draußen gefangen werden und stürze mich in den Atlantik.

Ich treibe auf dem Rücken. Schaue auf die wenigen Menschen am Strand. Wie sie langsam barfuß einige Meter joggen und dann Liegestütze machen. Aus dem feinen Sand ragen feste Wurzeln, verdicken sich zu einem Stamm, der das große Kuppeldach aus Blättern trägt.

Strand nahe Kribi

Strand in der Nähe von Kribi

Im Schatten plaudern zwei Mädchen und ein Mann ruht. Der Beignet-Verkäufer nähert sich ihm trotzdem. Er trägt das große runde Blech mit der Teigbällchen-Pyramide auf dem Kopf umher und sucht nach hungrigen Badegästen.

Ich bleibe in Rückenlage bis das Meer mir gurgelnd meine nächste Mitfahrgelegenheit Richtung Strand ankündigt. Es rauscht kräftig hinter mir. Ich drehe mich auf den Bauch und mache mich bereit. Ich spüre unter mir, wie die Welle wächst. Sie zieht mich kurz und kräftig an sich und trägt mich brausend ans Ufer. Das Gefühl ist unschlagbar und ich berichtige mich: Die schönste Art in Kamerun von einem Ort zum anderen gebracht zu werden, ist doch nicht die Fahrt auf dem „Moto“-Rücksitz mit tropischem Fahrtwind im Gesicht. Aber ich kann nicht immer auf die nächste große Welle warten. Leider.

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Die Yoga-Lehrerin

Sie zupft am Ärmel ihrer leichten Baumwollbluse und neigt den Kopf. Nachdenkliches Nicken mit wissenden blauen Augen. Ja, das hat er jetzt wirklich schön gesagt – dieser kamerunische Jazzmusiker, mit dem sie ab nächster Woche singen will. Jeder müsse seine eigene Stimme finden, philosophiert er. „Oui, oui“, stimmt sie ihm zu, und die Atmung ist wichtig. Das predigt sie auch in ihrem Yoga-Unterricht immer.

Da ist es schon vorbei mit ihrer Aufmerksamkeit für ihn. Sie muss selbst erzählen und berichtet, sie habe lange gebraucht, um ihre Stimme zu finden: „Sopran“. Das sagt ihm nichts. Er fragt einen Mann in der Runde, ob er auch Sopran singt. Ein Mann und Sopran – da muss sie ganz schnell verschämt zu Boden schauen. Sie weiß nicht, dass es in Kamerun keinen Musik-Studiengang gibt. Das ist ihr wahrscheinlich auch ganz egal. Sie hört nicht mehr zu. In ihren Gedanken ist sie schon in der nächsten Yoga-Stunde. Zwischen Lotussitz und Sonnengruß erzählt sie ihren europäischen Freundinnen von dem drolligen Kameruner, der nicht mal…

Einblicke in die High Society

Einblicke in die High Society

Oder sie hebt sich die Anekdote doch noch zwei Tage länger auf. Dann macht sie sich schick. Tauscht die Muschel-Flip-Flops gegen Hackenschuhe, schnappt sich ihre kleine Handtasche und wackelt zur Modenschau. In Deutschland, Frankreich, Italien, England oder von wo auch immer sie kommt, hätte sie nie eine Einladung zu einer solchen Veranstaltung bekommen. Hier braucht sie keine. Ihre Haut ist die Eintrittskarte. Mit eiskaltem Drink in der tropischen Nacht schaut sie gleich den Models beim Defilieren zu.

Sie gehört jetzt zur High Society. So muss es sich jedenfalls für sie anfühlen. Immerhin begrüßt sie ja auch der Botschafter persönlich. Sie schiebt sich wangenküssend von der Bar Richtung Palmenblätter-Catwalk. Sie kennt die Leute im Publikum. Sie sind fast unter „sich“. Das sind sie auch, wenn sie ihre Kinder mit dem Jeep von der internationalen Privatschule abholen. Wenn sie im Reichenviertel-Supermarkt Milch und Président kaufen oder abends ins chinesische Restaurant gehen.

Ahnen sie, was sie verpassen während sie sich schöne Mode zeigen lassen?

Ihnen entgeht ein Fischessen im Licht der zehn Meter hohen Straßenlampe am Rondpoint Nlongkak. Die Taxis rauschen hupend vorbei. Die Kellnerin bringt eine Schale Wasser zum Hände waschen. Dann kommt endlich diese große gegrillte Makrele. Ich taste mit  meinen Fingern an ihrem Bauch entlang. Ich löse das Fleisch vorsichtig von den Gräten und schiebe es mir gierig in den Mund. Ohne Stäbchen und geziertes Gerede.

Modenschau im Reichenviertel Bastos

Modenschau im Reichenviertel Bastos

Die Yoga-Lehrerin ist am anderen Ende der Stadt. Sie hatte eine heiße Dusche und liegt jetzt im klimatisierten Schlafzimmer. Ich bin noch nicht müde und schaue der Swiss-Maschine am Himmel beim Landeanflug zu. Als ich selbst noch darin saß, hatte ich keine Ahnung, wo ich mich in Yaoundé wohlfühlen werde. Inzwischen kenne ich einige Orte, an denen ich gern stundenlang bleibe, lache, nachdenke, tanze und genieße. Die Yoga-Lehrerin hat mir keinen einzigen dieser Plätze gezeigt, aber sie sagt: Wenn ich mal ein paar jungen Rasta-Männern beim Trommeln zusehen will, dann könnte sie mir einen Tipp geben. Ich lehne dankend ab. Sie setzt ihren sanften Ich-versteh-dich-Blick auf und spricht: „Naja, stimmt, vielleicht ist es dafür noch etwas früh. Komm‘ erst mal richtig an.“

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Aber bei uns

Schulhof in Bafoussam

"Le Cameroun - c'est le Cameroun." (Sadou Hayatou, ehem. kamerunischer Premierminister)

„Hier haben wir nicht viel Stress“, sagt einer der Kursteilnehmer. „Das Fest beginnt um 20 Uhr, aber wir kommen dann einfach um 22 Uhr. Wir sind nicht pünktlich und haben auch nicht alle Uhren.“ Dann kommt der Satz, den ich schon mitflüstern kann: „Die Weißen haben die Uhren, die Schwarzen haben die Zeit.“

Ich warte auf die volle Stunde und da piepst und rauscht sie los: Léos Uhr. Léo ist Deutschlehrer und immer pünktlich. Das ist ihm wichtig. So wichtig, dass ihm der Blick auf das Ziffernblatt nicht genügt. Seine Uhr spricht alle 60 Minuten und sagt die Zeit an. Auch hier während des Seminars zum Thema Interkulturelle Begegnung. Trotzdem korrigiert er seine Deutsch-Kolleginnen und -Kollegen nicht und lässt sie weiter aufzählen, in welchen Bereichen sich Kamerun und Deutschland unterscheiden. Ich schreibe mit:

Verkehrsmittel: „In Deutschland reist du mit dem Taxi allein und es ist sehr gemütlich. Es gibt auch bequeme Busse. Aber bei uns ist es nicht gemütlich. Das Taxi ist ein gemeinsames Transportmittel. Man sitzt zu viert darin.“ Ein anderer Kursteilnehmer: „Oder zu acht.“ Gelächter. „Oder zu neunt.“

Familie: „In Deutschland leben Leute allein in großen Wohnungen und alte Leute kommen ins Altenheim. Bei uns bist du nie allein in einem Haus. Es sind Onkel, Tanten, Neffen da, sonst wäre es egoistisch.“

Liebe: „Als ich an einem Bahnhof in Deutschland warten musste, habe ich ganz viele Leute gesehen, die sich dort geküsst haben. Sehr lange und sehr intensiv. Das konnten alle sehen.“ Ergänzung eines anderen: „Ich habe mal vor einer Mensa gestanden in Deutschland und zwei Studenten haben sich eine halbe Stunde lang umarmt und geküsst. Danach sind sie Hand in Hand über die Straße gegangen. Auch alte Leute machen das.“ Unglaube oder verschämtes Lächeln. „Hier passiert das nicht. Alles, was mit Liebe zu tun hat, passiert hinter der geschlossenen Tür. Öffentliches Küssen oder Umarmungen vor anderen – das geht nicht.“

Essen: „In Deutschland essen die Leute oft und viele kleine Speisen. Wir essen nur zweimal und dann große Mahlzeiten. Die Deutschen trinken sehr viel. Wir nicht.“

Davor steht der Wäschekorb. Ort: Yaoundé.

Kleiderschrank meiner (kamerunischen) Mitbewohnerin

Wäsche: „In Deutschland sammeln die Menschen ihre Kleidung an einem Ort und am Wochenende oder am Ende des Monats waschen sie. Wir können jeden Tag die Wäsche waschen.“

Kleidung: „Die Deutschen haben viele Kleider. Sie können sie oft wechseln und auch junge Deutsche kleiden sich kurz und eng. Das heißt dort aber, dass sie der Mode folgen. Hier darf ein Mädchen nicht so kurz angezogen sein. Sie hat dann einen schlechten Ruf. Wir haben auch nicht viele Kleider, weil in Kamerun Armut herrscht. In Deutschland kleidet man sich nach den Jahreszeiten, aber wir hier haben fast immer dieselbe Kleidung an. Es ändern sich nur wenige Stücke in der Regenzeit.

Wasser: „Das Wasser ist teuer in Deutschland und deshalb sind die Deutschen sehr sparsam damit. Sie sparen auch Strom. Bei uns gibt es viel Wasser und wir nehmen es für alles. Zur Elektrizität: Es ist normal, dass ein Zimmer bei uns beleuchtet ist, obwohl seit Stunden keiner im Raum war.“

Öffentliches Urinieren: „In Deutschland ist es verboten, öffentlich Pipi zu machen. Bei uns auch, aber trotzdem kann man Leute auf der Straße sehen, die das in aller Ruhe tun und auch die Kinder machen das überall.“ Ergänzung eines Kursteilnehmers: „Vor allem da, wo ein Verbotenschild steht, wird viel uriniert.“ Gelächter.

Müll: „Bei uns gibt es keine Mülltrennung. Alles kommt in einen Eimer. Die Deutschen wissen deshalb hier nicht, wie sie den Müll wegwerfen sollen. Bei uns wird es einfach auf den Boden geworfen, auf die Straße. Als deutsche Schüler in Kamerun waren, fanden sie es total locker und cool, dass sie ihre Bananenschalen auf den Boden werfen durften, weil das in Deutschland nicht erlaubt ist.“

Schülerverhalten: „In Deutschland darf der Schüler mit dem Lehrer diskutieren oder sogar widersprechen. Dort fängt die Demokratie im Klassenzimmer an. Hier muss der Schüler aufstehen vor der Antwort. Der Lehrer ist der Meister. Deshalb müssen auch alle aufstehen, wenn er in den Raum kommt.“

„Also bei mir ist das nicht so.“

Ich blicke von meinem Block auf. Endlich der ersehnte Widerstand. Es muss erst ihren Beruf erreichen, bis das „Wir“ aufbricht. Die Diskussion wird schnell hitzig. Aufstehen als Unterdrückung? Als Erziehungsmethode? Das sei doch nur eine Formalität, denn Respekt sei etwas „Inneres“. Die Gruppe ist sich nicht einig und das „Bei uns“ verliert seine Kontur.

Diskussion über kulturelle Identität

Die Seminargruppe

Es gelten nicht für alle die gleichen Regeln. Nicht einmal im selben Land.

Die Frage ist: Wie finden Menschen trotzdem zueinander, um gemeinsam etwas schaffen zu können? Eine Seminarteilnehmerin hat einen Vorschlag: „Es ist wichtig, dass wir uns über unsere unterschiedlichen Regeln austauschen. Die Entspannung der Menschen auf dieser Welt hängt von ihren interkulturellen Begegnungen und ihrer Kompromissbereitschaft ab.“ Sie macht eine Pause und fügt hinzu: „Sind wir wirklich so unterschiedlich? Ich denke eher: Wir sind gleich.“

Der Satz braucht seine Stille und ich bin froh, dass noch keine Stunde um ist.

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Meine Haut

Ich trage keinen Fotoapparat vor der Brust, aber ich bin trotzdem die Fremde. Nicht nur, weil ich erst eine Woche hier bin. Ich kann mich nicht verstecken. Meine Haut schreit allen entgegen, dass ich keine von ihnen bin und sie brüllen lautstark zurück: „La blanche! La blanche!“ („Die Weiße, die Weiße!“) Es dauert nicht mehr lange und ich werde antworten: „Ah, le noir!“ („Oh, ein Schwarzer.“) Mal sehen, was dann passiert. Oder doch besser ein strenges „Ecoute, mon frère“ („Hör‘ mal zu, mein Bruder…“)? Die Testphase beginnt, wie mit den Zurufen umzugehen ist. Im Moment verstummen die Stimmen nur, wenn ich in schwarzer, männlicher Begleitung bin. Je älter und muskulöser, desto besser. Doch das kann nicht die Lösung sein. Nicht auf Dauer.

Es gibt einige Gründe, weshalb mir manche Dinge verborgen bleiben. Einer ist meine Hautfarbe.

Ich sehe nur Ausschnitte.

Ich stelle mir vor, ich hätte diese Eskorte in meiner Heimat. Flankiert von großen, starken Jungs, die auf mich aufpassen und nach Hause bringen. Das hätte ich nie zugelassen, aber ich akzeptiere die Regeln und weiß, dass es besser für mich ist, nicht allein zu gehen. Es hat auch seinen Charme.

Diejenigen, die sich im Moment um meine Sicherheit kümmern und mir die abseitigen Ecken von Yaoundé zeigen, haben keine Vorteile durch meine Anwesenheit. Das Taxi kostet mehr für sie, wenn ich an ihrer Seite bin. Auf dem Markt müssen sie unter Umständen mehr zahlen, sollte man herausfinden, dass wir zusammen dort sind. Dazu kommt die Frage anderer Männer, ob sie „la blanche“ im Lotto gewonnen hätten, was sie genauso beschämt wie mich. Auch der Moment, wenn ich eine Bar betrete und alle Augen auf mich gerichtet sind, ist nicht nur für mich unangenehm. Das weiß ich. Umso größeren Dank empfinde ich, dass es Menschen gibt, die in diesem Moment bei mir sind und mir helfen, meinen Platz in der Stadt zu finden.

Sonderbarer Moment mit Ziegen

Überraschung auf dem Weg zum Bäcker: Endlich nicht mehr die einzige Blondine auf der Straße.

Heute hatte ich das Glück an einen Ort geführt zu werden, den ich allein nie wieder finden werde. Er liegt irgendwo dort, wo der Asphalt aufhört. Wo es keinen Taxiverkehr gibt. Wo keine Straßenlaternen stehen. Wo ein Katzenjunges mühsam versucht, auf den Holzvorbau der kleinen Bar zu kraxeln und in der Luft zwei Fledermäuse miteinander spielen. Mir wird ein Stuhl angeboten. Ich warte auf neugierige Blicke, aber sie bleiben aus. Fast. Zwei Augen strahlen mich von unten an und ich weiß, dass ich diese Szene erahnt habe. Irgendwann. Manchmal passiert eben doch genau das, was man sich vorgestellt hat. Es ist die Situation, die sich in anderer Besetzung so bestimmt schon oft zugetragen hat und trotzdem ist sie für mich einzigartig und ich werde sie nicht vergessen, weil ich diesmal die Hauptrolle spiele:

Da tanzt dieses zweijährige Mädchen im Blümchenkleid vor mir, mit kleinen Zöpfen, die in den Abendhimmel gucken. Sie schaut mich an und ich weiß sofort, dass sie mir meine Hautfarbe nicht glaubt. Ich zwinkere ihr zu und sie nähert sich. Eine kurze Berührung meines Arms. Dann möchte sie gar nicht mehr aufhören, meine Haut anzufassen. Sie reibt. Sie kneift und ich versuche ihr zu erklären, dass die Farbe bleibt. Sie möchte nicht aufgeben. Die Uhr, die sie in der Hand hält, ist auf der Rückseite schwarz. Ihr kleiner Zeigefinger kreist über der schwarze Batterie und sie streift danach meine Haut. Das wiederholt sich mehrfach, aber ich bleibe die Weiße. Nicht nur für meine neue, kleine Freundin.

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Das große Staunen

Es hat begonnen. Eben noch im Flugzeug mit Schweizer Schokolade und jetzt: Ich sitze mit offenem Mund im Bus des Goethe-Instituts. Die erste Fahrt durch die kamerunische Nacht. Ich presse die Stirn ans Fenster, damit ich näher dran bin – am Leben da draußen. Bei den Menschen, die lässig am Rand der Straße schlendern. Mal auf dem Bürgersteig und wenn es keinen gibt, dann eben auf der Fahrbahn. Kurz ein Blick nach vorn. Warum steuert da ein Auto auf uns zu? Überholmanöver ohne Mittelstreifen fühlen sich seltsam an. Aber „Mister Ali“ bringt mich und Aline sicher nach Hause.

Fluglektüre

"Wer sich betören und beirren lassen will, ist in Kamerun richtig", schreibt das SWISS-Magazin.

Aline hat Sprachwissenschaften in Yaoundé studiert, ist 35 Jahre alt und arbeitet als Verwaltungsleiterin im Goethe-Institut. Sie steigt mit mir aus dem Goethe-Bus und winkt jemanden heran. Schon liegt mein Koffer auf dem Kopf eines Mannes. Ich sehe ihn in einer dunklen, engen Häuserschlucht verschwinden. Mein Gepäck-Beschützerinstinkt ruht. Aline weiß schon, was sie tut.

Ich lade mir meinen Rucksack auf den Rücken und torkel hinter Aline her. Es geht ins Dunkel. Etwas bergab, dann einen unscheinbaren Weg links rein. Ich sehe kaum noch, wohin ich trete. Das war die Pfütze! Plötzlich stehen wir vor einem Eisentor. Aline öffnet. Wir sind im beleuchteten Treppenhaus. Ganz oben warten fremder Mann und Koffer. Ich sage noch „Merci, merci beaucoup“, aber er geht schon wieder.

Der Hof

Wenn ich aufstehe, sind die Menschen auf dem Hof schon lange wach.

Ihr kennt das aus Filmen. Erst Schwarzblende und dann Licht: der erste Morgen in Yaoundé und der erste Blick aus dem Fenster auf meine Nachbarschaft. Ich schaue auf Wellblechdächer, die einen kleinen Hof mit rot-brauner Erde rahmen. Frauen waschen im Freien und ein paar Hühner picken im Sand. Das Frühstück lasse ich ausfallen, denn ich habe keinen Hunger. Staunen macht so satt.

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