Lebenszeichen

Ich weiß gerade nicht genau, wie ich anfangen soll – so lange ist der letzte Eintrag her und so viel ist seitdem passiert. Deswegen erzähle ich einfach direkt, was los war.

„Kulturveranstaltungen“, die ich seitdem miterlebt habe:
Ein Vortrag über die deutsche Minderheit in Oppeln/ Polen im Rahmen der deutschen Kulturtage. Leider war er dann auf polnisch und ich habe nicht viel verstanden. Aber ich kann behaupten, dass ich einem bekannten Soziologen gelauscht habe und über seine Witze gelacht habe.
Im Anschluss gab es ein Symphoniekonzert der Oppelner Musikschule (Leute in meinem Alter) und das war ziemlich beeindruckend und sehr schön anzuhören. Gleich am nächsten Tag habe ich mich ans Klavier gesetzt und geübt, aber so gut wie der Solist werde ich wohl nie mehr werden.

„Trost“ fand ich einige Tage später im besten Stück Käsekuchen, das ich jemals gegessen habe. Abgesehen von dem von meiner Oma, aber der läuft sowieso außer Konkurrenz. Das war in Oppeln in einem Café/Restaurant, die sich mit slow food beschäftigen. Es ist super gemütlich dort, ich liebe die Inneneinrichtung und ihr Konzept im Allgemeinen. Sogar auf der Toilette fühlt man sich wohler als im Essbereich manch anderer Restaurants. Ich kann es gar nicht wirklich beschreiben, man muss dort gewesen sein. Hier ein Link zu ihrer Website.
Auch die Speisekarte ist ein Traum, leider hielten die Nudeln nicht, was sie versprachen. Aber der Käsekuchen hat das sofort wieder in Vergessenheit geraten lassen. Und dann geschah etwas ganz unerwartetes. Auf einmal wurden ein Beamer und Boxen aufgebaut und im Rahmen eines Studenten-Film-Festivals wurden kurze Trickfilme gezeigt, glücklicherweise ohne Sprache. Direkt um mich herum wurden verschiedene Personen interviewt, alles war sehr kuschelig und „persönlich“. Eine ganz seltsame Atmosphäre verbreitete sich in dem Raum, sie ging von den Filmen aus.
Diese behandelten keine „schönen, leichten“ Themen, sondern wirklich ernsthafte, die einen getroffen haben (unter anderem Prostitution, unüberwindbare Selbstzweifel, welche sich zu Hass entwickeln,  das Ausseinanderleben eines alten Ehepaares, Kindesmissbrauch…) Also alles sehr fordernd, aber dennoch (vielleicht gerade deswegen?) eine wichtige Erfahrung.

Ich habe noch eine andere Filmvorführung miterlebt, es wurde ein Film des Goethe-Instituts gezeigt über die „Enkelgeneration“ der deutschen Minderheit. Davor hielt noch eine Professorin der LMU München einen Vortrag. In meinem Fall ging es um die Entwicklung der Sprache, die Verbundenheit zur Deutschen Kultur etc. der deutschen Minderheit in Polen, diese Reihe von Filmportraits soll es aber auch für andere Osteuropäische Länder geben, beispielsweise für Tschechien oder Ungarn. Es lohnt sich wirklich, sich das anzusehen!  So habe ich auch eine Studentin kennen gelernt, welche mir hoffentlich bald Sprachunterricht geben wird. – Endlich habe ich jemanden gefunden!

Noch nicht gefunden habe ich ein WG Zimmer in Oppeln, da bin ich momentan fleißig auf der Suche, denn hier auf dem Dorf kann ich nicht mehr lange wohnen. Andere Menschen in meinem Alter kennen zu lernen, das brauche ich einfach (welche die mich auch verstehen wären klasse) und das ist hier in Raszowa nicht wirklich möglich. Meine Hoffnungen setze ich auf die Uni in Oppeln, ich hoffe, sie wollen mich beim Unichor dabeihaben und bestimmt sind die Auslandsstudenten daran interessiert, noch jemanden in ihrer Gruppe aufzunehmen, auch wenn ich keine Studentin bin. Das kommt erst nächstes Jahr. Aber das Alter stimmt und die Einstellung auch. Dann könnte ich mir auch diese Mauer hier öfter ansehen, die gefällt mir!

Mauer-Malerei

Die Arbeit hier ist sehr viel, sehr anstrengend und es gibt immer wieder etwas neues, aber zumindest in Raszowa haben sich die Kinder mittlerweile sehr mit mir angefreundet. Morgens werde ich strahlend begrüßt und umarmt, wenn es nachmittags Zeit ist zu gehen, heißt es:  „Pani Wiebke – nein gehen!“ Ab nächster Woche werde ich regelmäßig Dienstags und Donnerstags nach Goslawitz fahren und dort auch helfen.

Auf jeden Fall noch erwähnenswert: Ich war vorletztes Wochenende mit Marion unterwegs, die ja zum hospitieren hier war. Wir haben uns samstags Krakau angesehen und am nächsten Tag dann Oszwiciem (Auschwitz). Darüber möchte ich gerne einen separaten Beitrag schreiben, denn ich habe an diesem Wochenende prägende Erfahrungen und viele Eindrücke gesammelt, die hier gerade nicht hingehören. Vielleicht so viel vorab:
Manche Dinge sind einfach nicht zu fassen.

Das ist jetzt erstmal ganz grob das, was passiert ist. Es gab viele Auf’s und noch mehr Ab’s, aber die erspare ich euch. Im Moment geht es mir ganz gut, weil ich die Tage die Möglichkeit hatte, in einem größeren Laden einkaufen zu gehen. Nur Kekse habe ich vergessen. Dafür habe ich mir sogar ein bisschen Luxus gegönnt, wie eine kleine Teekanne mit integriertem Teesieb (war im Angebot für 25zl), eine Duftkerze, eine Badekugel… jetzt kann ich es mir gemütlich machen und überstehe so hoffentlich die Wochenenden, die mir noch alleine hier in Raszowa bleiben.

Meinen Nachbarn kann ich leider erstmal nicht mehr besuchen (hatte letzten Samstag eine Einladung), weil er in Deutschland arbeitet und nur alle paar Wochen mal einen Tag hier bei seiner Familie ist. Seine Kinder sind in meinem Alter, verstehen aber leider gar kein Deutsch (seine Frau auch nicht). Er hingegen spricht es fehlerfrei, wurde damals von seinem Vater auf deutsch „aufgezogen“ und lernte erst in der Schule polnisch, während sein Vater ~9 Monate im Gefängnis saß, da er seinem Sohn die falsche Sprache beigebracht hatte. Das kann man sich nur schwer vorstellen, meint ihr nicht auch?

So, ich gehe jetzt ganz schnell schlafen, denn ich bin hunde-, katzen- und mausmüde.
Morgen wird dann mal wieder fröhlich abgespült und aufgeräumt, so geht die Zeit auch herum. Außerdem wird geskyped, jippieh! Bis zum nächsten Mal, ich melde mich bald wieder (hoffentlich mit positiven Nachrichten was das Zimmer angeht).

Na razie, eure Wiebke