Gerade erst schrieb ich davon, dass ich Oradea schon vielen Leuten gezeigt habe. Dass ich immer wieder dieselben tollen Orte zeigen wollte und sich mittlerweile eine kleine Route eingespielt hat, die in einem schönen Bogen durch die Stadt führt.
Nun, wenn ihr wollt nehme ich euch jetzt mal kurz mit auf einen Spaziergang durch meine Liebste Stadt in Rumänien. Für alle, die es nicht geschafft haben zu Besuch zu kommen, für alle die hier waren und in Erinnerung schwelgen können, für alle die vorhaben diese Stadt zu besuchen, für alle die einfach neugierig sind oder Langeweile haben.
Für mich, weil ichs hier so gern habe.
Plattenbauten, Gewusel der vielen Menschen in der besten Markthalle der Stadt und hupende Autos. Ich grüße den Mann, der seit mehreren Tagen seine, neben meiner gelegenen, Wohnung renoviert und gerade dabei ist seine Wohnungstür aus den Angeln zu heben. Während wir den Innenhof des Blocks verlassen drehe ich mich noch einmal um. Ich liebe diesen Blick. Ich sehe wie die Tauben ihre Runden drehen und stelle mir vor, wie viele unterschiedliche Menschen es wohl in diesem Fleckchen Erde ganz zufällig zusammengebracht hat.
Wir biegen zweimal um die Ecke und folgen der Straße eine ganze Weile durch das Wohngebiet Rogerius. Kinder spielen auf dem Sportplatz Fußball, ältere Menschen kommen mit Körben voller Obst und Gemüse gerade vom Markt zurück, ein rotes Auto wurde eingeparkt und beschwert sich hupend. Wir überqueren eine Hauptstraße, aus den hohen Plattenbauten werden allmählich aneinander gereihte kleine Einfamilienhäuser mit jeweiligen Gärten. Im Sommer würden wir hier Trauben wachsen sehen und etwas Rauch vom Grillen riechen. Das Bellen der Hunde aus der Nachbarschaft die miteinander kommunizieren vernimmt man allerdings zu jeder Jahreszeit. Wir gelangen zu einer Straße, hier werden die ehemaligen Berliner Straßenbahnen von den Autos überholt. Wenn wir links abbiegen und den Schienen ein wenig folgen taucht das Stadion der Stadt neben uns auf, es ist weder besonders groß noch besonders schön. Danach blicken wir nach rechts durch einen ziemlich langen Laubengang der sich über alten, dunklen Holzdielen erstreckt.
Das Ende des Ganges scheint nur langsam näher zu kommen, es macht Spaß hindurchzulaufen. Vielleicht begegnen uns hier ein paar Jugendliche die gemeinsam Halt machen um ein paar Fotos zu schießen. Drehen wir uns am Ende des Ganges nach rechts, so führt ein Zebrastreifen über die Straße zu dem Palatul Episcopial , dem Bischofspalast. Bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel blendet das satte Gelb der größten Barockkirche Rumäniens und man trifft viele Passanten die in der Parkanlage neben der Kirche spazieren gehen.
Hier bekommen wir nichts mit von den Autos die im Feierabendverkehr so schnell wie möglich nach Hause wollen. Ich bin hier im Sommer oft hingegangen um zu lesen oder meine Mittagessen an den Wochenenden an die frische Luft zu verlegen. Wir verlassen nach dem Erkunden das Gelände durch schwere, schwarz verschnörkelte Tore und gehen rechts lang. Durch eine kleine Grünfläche gelangen wir bald zu der größten, wuseligsten Straße der Stadt, die einen ins nahe Ungarn oder in die nächstgelegenen Dörfer und Städte führen könnte. Wir laufen nur kurz an ihr entlang, bis wir vor einem, in sichtbar kommunistischen Zeiten gebauten, Einkaufszentrum stehen. Hier passiert eigentlich nichts Spannendes, die meisten Läden sind kaum besucht. Es gibt einen McDonalds und einen Bäcker die die Menschen allerdings anzuziehen scheinen. Gleich hinter dem Einkaufszentrum biegen wir rechts ein. Wir befinden uns nun an dem Anfang der Fußgängerzone, der Strada Republicii. Den ersten weihnachtlichen Lichtern begegnen wir hier. Es reihen sich Restaurants an Wechselstuben, Imbisse und Kleidungsgeschäfte. Das beste Eis der Stadt gibt es hier, mein liebster kleiner Laden um sich Kaffe zu kaufen und einen Buchladen, der zum Verweilen geradezu einlädt. Da wir von dieser Seite der Straße kommen, fällt es dir auf den ersten Blick vielleicht gar nicht auf, doch etwa nach fünf Minuten tut sich auf der linken Seite ein Eckhaus auf, welches inoffiziell von uns liebevoll Eisköniginnenpalast getauft wurde. Wenn wir davor stehen fällt dir sofort auf, warum. Die Fassade leuchtet in verschiedenen grellen, eisblauen Tönen, das Dach reflektiert silbern, glänzend. Um die Fenster herum zieren sich weiße verschnörkelte Blumen und Blätterranken.
Gehen wir weiter, so tun sich bald auf der rechten Seite eine Gruppe Männer auf, ungarische Dichter, verewigt als Statuen. Zwischen ihnen steht noch ein freier Stuhl, viele Menschen nutzen dies als Fotokulisse. Wir laufen an weiteren Restaurants und Shops vorbei bis sich auf unserer rechten Seite der Theatervorplatz auftut. Momentan befindet sich dort gerade ein anderer Fotospot Oradeas, vier große leuchtende Zahlen die die aufkommende Jahreszahl bilden: 2022, eingerahmt von zwei riesigen Nussknackern. Im Hintergrund das Theater Regina Maria, gerade erst wurden an der Fassade Renovierungsarbeiten fertiggestellt. Von außen ist es ein ganz schönes Gebäude, ein paar Säulen fallen einem gleich ins Auge, aber eigentlich nichts Besonderes. Von Innen allerdings finde ich es wunderschön. Mehrere Etagen mit Balkons schauen hinab auf den Zuschauersaal und die Bühne. Jeder Sitz ist mit rotem Samt überzogen, goldener Stuck ist an der Decke und den Emporen angebracht und rahmt Kronleuchter und Bühne ein.
Von dem Theatervorplatz aus kann man schon die Brücke sehen, Podul Sfântul Ladislau. Es sind auf ihr kleine Mini-Erker angebracht auf denen wir in dem Fluss Crișul repede (schnelle Kreisch) bei gutem Licht die Fische beobachten können. Wenn wir nach links schauen spiegeln sich Trauerweiden und die Sinagoga Neologă Sion in der glatten Wasseroberfläche. An den Laternen der Brücke hängen rund ums Jahr kleine Rumänienflaggen, zur Weihnachtszeit werden zwischen ihnen Lichterketten gespannt und, in der Dunkelheit glitzernde Ornamente angebracht. Nachdem wir die Brücke verlassen, einen Zebrastreifen und die Straßenbahnschienen überquert haben stehen wir nun auf dem Drehpunkt allen Geschehens, dem Piața Unirii.
Im Sommer würden wir hier neben kleinen Springbrunnen in erfrischender Luft ein Eis essen oder einfach das Geschehen beobachten. Mehrere Kirchen sind auf dem Platz zu finden, die die ich dir am liebsten zeigen möchte, ist die Biserica cu Lună, die Mondkirche. Das besondere an dieser Kirche ist ein Mondglobus der in Verbindung mit der Turmuhr geschaffen wurde. Man kann diesen von außen sehen (er ist halb gelb, halb schwarz) und dreht sich um seine eigene Achse. Die Mechanismen von Globus und Turmuhr stehen in Verbindung, sodass der Mondglobus jeden Tag auf die aktuelle Mondphase hinweist. Eine andere Sehenswürdigkeit der Stadt ist hier außerdem zu finden, Palatul Vulturul Negru (der Palast zum schwarzen Adler). Wir können durch eine Passage durch das Gebäude laufen, dass übrigens auch schon von außen wunderschön ist. Wenn ich mir die Fassade genau anschaue, sieht es für mich ein wenig so aus als hätte der Architekt an das Haus kleine Elemente und Verziehrungen mit Hilfe einer Spritztülle angebracht, wie beim Keksbacken.
Beim hindurchlaufen wird dir auffallen, warum es „zum schwarzen Adler” heißt. Am frühen Nachmittag, wenn die Sonne noch hoch steht ist es am schönsten anzusehen, ein Glasiges Mosaik welches den schwarzen Adler durch eine bunte Landschaft zur Geltung kommen lässt.
Sobald wir die Passage wieder verlassen, stehen wir in der zweiten kleinen Fußgängerzone Oradeas. Wobei es sich hier eher um eine kleine Essensmeile handelt. Hippe Humusläden reihen sich an bel(i)ebte Bars und coole Cafes. Man kann sagen, für alle und jeden ist hier etwas zu finden! Abends und nachts steppt hier der Bär, in den Pubs wird mit bere (Bier) angestoßen, aus jedem Restaurant, jeder Bar tönt andere Musik. Am späten Abend, während die Sonne untergeht, werden die drei Kreuze einer orthodoxen Kirche vom Sonnenlicht angeleuchtet und scheinen in Gold getunkt zu sein. Wenn man am Beginn der kleinen Fußgängerzone steht tauchen die Kreuze in der perfekten Sichtachse am Horizont über den Bäumen auf. Wir gehen weiter durch den Parcul primul decembrie, den Park zum Ersten Dezember um zu ihr zu gelangen. Er ist nach dem Nationalfeiertag Rumäniens benannt, ist aber weniger prunkvoll und spektakulär als man ihn sich vielleicht vorstellen würde. Hinter dem Park müssen wir uns über ein paar Parkplätze schlängeln um dann wieder an dieser wuseligen, großen Straßen von vorhin an einer roten Ampel zu warten. Falls wir jetzt in die orthodoxe Kirche gehen wollen würden, könnten wir das tun. Wir stehen quasi direkt vor ihren Stufen. Ich finde sie sieht weder von außen noch von innen besonders einladend aus. Um die Kirche herum sieht gerade alles nach Baustelle aus. Das liegt daran, dass Teile der Burganlage renoviert werden. Die kleine, heute relativ unspektakuläre Burg versteckt sich still und heimlich hinter dem Zentrum der Stadt. Sie fällt kaum auf, da sie nicht wirklich in die Höhe gebaut ist oder Türmchen hat die herausstechen. Sie hat einen Sternförmigen Grundriss den man, wenn man durch das Gelände geht aber kaum erkennt. Man kann hier nicht sonderlich viel sehen, das hier beherbergte Museum empfinde ich als weniger empfehlenswert. In nicht-pandemischen Zeiten finden hier viele Konzerte und Veranstaltungen statt. Dieser Ort, mit dem darum gelegenen Burggarten ist mir immer als ein sehr friedlicher und ruhiger Ort vorgekommen. Um sich mit einem Kaffee dem Gewusel der Fußgängerzonen entziehen zu wollen, ist vor allem der Garten perfekt. Uns ist es wahrscheinlich aber ein wenig zu kalt um hier lange zu verweilen. Wir gehen also weiter, verlassen das Burggelände und überqueren nach dem wohl kompliziertesten Kreisverkehr der Stadt wieder die Kreisch. Wenn wir auf der Brücke stehen bleiben kann man bis zu dem Aquapark Oradeas schauen. Ein Freibad, dass im Sommer Groß und Klein anzieht und sich durch seine vielen verschiedenen Rutschen sehr beliebt macht.
Aber so weit werden wir heute nicht gehen. Nachdem wir hinter der Brücke rechts abbiegen liegt kurz vor einem weiteren Park in einem Eckhaus ein Restaurant. Ein Geheimtipp, wenn du mich fragst. Hier gibt es meiner Meinung nach die beste Pizza der Stadt! Oradea ist eine recht flache Stadt. Sie ist Übergangszone zwischen hügeligem Relief und Ebene, laut Wikipedia. Auf einem der wenigen Hügel in Stadtnähe wurde ein Restaurant und eine Aussichtsplattform gebaut, erst im letzten Sommer fertiggestellt, von der man wunderbar über die Dächer Oradeas blicken kann. Wir können ihn ganz gut erreichen, indem wir den Park durchqueren, einer Brücke über die Schienen folgen und dann auf den neuen Wegen nach oben spazieren. Natürlich ist das besonders schön beim Sonnenuntergang… Bei gutem Wetter kann man wahrscheinlich bis nach Ungarn sehen, so nah ist die Grenze! Damit ich dir noch eine absolute Lieblingsstelle zeigen kann, gehen wir die gleichen Wege wieder hinab und biegen aber nach der Brücke ins Wohngebiet ein. Wir folgen ein paar Straßen und Gässchen um wieder am Fluss anzugelangen. Wir kommen dort an, wo wir zum Restaurant vorhin rechts abgebogen sind, nur das wir weiter in die andere Richtung laufen. Es tut sich vor uns eine Allee am Flussufer auf. Kinder auf Rollern, Paare Arm in Arm spazierend und Gassi- gehende Hunde werden uns begegnen. Wir gehen nicht lange, bis sich eine kleine Kreuzung auftut an der die nächste Brücke abzweigt. Hier hängen manchmal Lichterketten in den Bäumen, Straßenmusiker*innen geben etwas zum Besten und ein kleines Cafe macht das Verweilen und Aufwärmen möglich. Im Sommer kann man sich dort auch kalte Getränke mitnehmen und diese unten am Ufer der Kreisch schlürfen. Denn neben der Brücke teilt sich der Weg und senkt sich auf der einen Seite ab, sodass man zu den Wiesen am Ufer gelangt.
Auf einer Picknickdecke oder einfach dem kitzelnden Gras, haben wir es uns hier bei warmem Wetter oft ganz schön gutgehen lassen. Mit Menschen die hier musizieren, meditieren, Karten spielen und Sommerabende ausklingen lassen ist es der perfekte Ort um unter Leute zu kommen. Wir gehen den Weg hinunter und werden heute wahrscheinlich kaum Leute antreffen, bis auf ein paar wind- und wasserfeste Menschen die angeln. Wir laufen immer weiter über die Wiese, am Ufer entlang und an Trauerweiden vorbei, bis der Weg zu schmal ist und nicht mehr weiterführt. Ein paar Treppenstufen führen uns zu der Brücke, Podul Sfântul Ladislau. Du erinnerst dich? Hier sind wir vorhin, kurz nachdem wir das Theater sahen, angekommen.
Nun hast du den schönsten und wichtigsten Teil der Stadt gesehen, meine ich. Wir haben nun mehrere Möglichkeiten um zurückzukommen. Wir könnten noch ein Stück an den Kurven der Kreisch spazieren und dann einer Straße folgen, zurück nach Rogerius. Wir könnten in eine Straßenbahn steigen, oder in einem Cafe das uns unterwegs begegnet ist noch einen Tee trinken und verweilen. Wie du magst.
Vielleicht konntest du jetzt in Erinnerung schwelgen, hast Lust auf die Stadt bekommen oder konntest erfolgreich Langeweile überbrücken.
Danke, dass du mich bis zum Schluss durch die Stadt begleitet hast. Durch die Stadt die ich so liebe. Die Freude war ganz meinerseits…