Den Biomüll in der einen Hand, der leere Pizzakarton untern Arm geklemmt, beladen mit Gepäck für ein verlängertes Wochenende, schaue ich mich im Spiegel des Fahrstuhls an. In Eile stecke ich mir den linken Kopfhörer in das rechte Ohr, versuche Nicole zu schreiben, dass ich zu spät bin und balanciere die Aprikosenkerne auf dem Müllhügel. Ich versuche Google Maps zu überlisten und nehme Abkürzungen die es nicht kennt, wundere mich über Autos die durch glühend heißen, flüssigen Asphalt fahren und schlängel mich durch das Wohngebiet Rogerius zum Bahnhof. Der Beginn meines Feierabends vor ein paar Wochen. Die anschließende Zugfahrt bestand aus klebrigen Erdbeeren, Honigwaffeln, unzählig vielen Mohnblumen und einem überraschenden Upgrade in die erste Klasse. Pünktlich zum Sonnenuntergang fuhren wir in den Bahnhof von Timișoara ein. Wir hatten zusammen mit Henning und Samuel ein Airbnb in der Innenstadt gebucht und staunten nicht schlecht, als sich uns auf einmal zwischen den Bäumen die in goldgelbes Licht getauchten Türme der Catedrala Mitropolitană Ortodoxă offenbarten.
Unsere Begleitung kam erst nach Mitternacht an, sodass es unsere Aufgabe war fürs Abendbrot einzukaufen und zu kochen. Wobei ich eher sehr matschig auf dem Sofa lag und danach ein Schläfchen gemacht habe, während Nicole sich mit unbrauchbaren Messern, zu kleinen Töpfen und einem wilden Gasherd rumschlug. Wir hatten am Morgen die zweite Coronaimpfung erhalten und diese hinterließ bei meinem Körper mehr Eindruck als ich es mir gewünscht hätte. Fieber, Schwindel und Co waren aber zum Glück nicht von langer Dauer, nach einer ordentlichen Portion Schlaf ging es mir schon viel besser. Am folgenden Tag haben wir uns natürlich die oben genannte Catedrala als erstes anschauen wollen. Sie lag quasi direkt vor der Haustür und ist sowohl von außen, als auch von innen super beeindruckend. Für meinen Geschmack allerdings, war sie von innen etwas zu dunkel. Ich durfte an diesem Tag zum ersten mal die Erfahrung machen, wegen zu kurzer Kleidung aus einer Kirche geworfen zu werden. Ich werde nie vergessen, wie mich eine Mitarbeiterin, komplett in schwarz gekleidet, sehr ausdrücklich auf rumänisch anredete. Ich habe ihr signalisiert, dass ich nicht sehr gut in dieser Sprache bin und daraufhin hat sie mir sehr diskret dahingefasst, wo meine Hose endete. Ich werde diesen Kirchenbesuch also so schnell nicht vergessen. Meine erste Wahl, was Museen betrifft ist fast immer ein Kunstmuseum. Da wir direkt am Piața Unirii (dem Einheitsplatz) das Kunstmuseum der Stadt entdeckten, haben wir uns dieses als erstes vorgenommen. Viele Gemälde hätte ich noch viel länger bestaunen können (die Auswahl war toll!), durch andere Abteilungen sind wir nur flüchtig durchgegangen. Immer, wenn ich aus einem Abschnitt der Ausstellung herauskam und erstmal alles sacken lassen musste, hat sich gegenüber schon die Fortsetzung angekündigt. Als wir dann wieder an die frische Luft traten waren wir alle überrascht, wie viel Zeit vergangen war. Ein zweites Museum würden wir nicht schaffen, so wie erhofft. Samuel, Henning, Nicole und ich haben uns an diesem Abend an die Bega gesetzt, ein kleiner Fluss im Zentrum der Stadt, wir haben getanzt, gesungen und gelacht. Der perfekte Abschluss für Tag eins. Am nächsten Morgen fielen wir erst relativ spät aus den Betten. Wir haben zum Frühstück Cornflakes aus Töpfen auf dem Boden gegessen und darüber diskutiert wieviel Salz in einer Zacuscă zu viel Salz ist. Die Meinungen waren mehr als gegensätzlich… Dieser Tag war ein Montag, also hatten viele Museen geschlossen und wir haben beschlossen einfach der Nase nach die Stadt zu erkunden. Wir haben uns in eine Straßenbahn gesetzt und willkürlich entschieden irgendwo auszusteigen. Dabei haben wir eine wunderschöne verlassene, mit Rosen bewachsene Synagoge entdeckt, haben einen weiteren Park erkundet und die Straßen Temeswars genossen. Timișoara hat in der Innenstadt eine paar Straßen an denen sich links und rechts alte Häuser reihen und sich mehrere Cafes, Restaurants und Bars befinden. So haben wir in meinem (mittlerweile bei mir angekommenen) Reiseführer den Tipp für ein Vegetarisch/ Veganes Restaurant bekommen. So etwas begegnet einem hier in Rumänien nicht oft, deswegen waren wir mehr als zufrieden, glücklich und vor allem satt als wir uns von den Stühlen wieder erhoben und erstmal eine Verdauungspause auf den nächsten Sitzen im Park verbrachten. Man merkt vielleicht, dass wir viel Zeit in den Parks der Stadt verbrachten, weswegen wir auch eine mittlere bis hohe Erwartung an den botanischen Garten Timișoaras hatten. Ich will nicht sagen, dass wir enttäuscht wurden, aber unter einem botanischen Garten hatte ich eine andere Vorstellung. Nichts desto trotz konnten wir wunderbar spazieren und unter den vielen Blättern und Ästen etwas Schatten erhaschen. Diejenigen unter euch, die die rumänische Historie etwas kennen, wissen vielleicht, dass in Timișoara die Rumänische Revolution 1989 begann. Mit ihr starteten am 16. Dezember Proteste, Demonstrationen und Straßenkämpfe und nur neun Tage später wurde der Diktator Nicolae Ceaușescu hingerichtet. Ich muss zugeben, dafür, dass ich in Rumänien wohne und lebe (und das nicht erst seit gestern) wusste ich zu wenig darüber. Es war für uns alle eine Bereicherung in das Revolutionsmuseum zu gehen, welches ebenso als Gedenkstätte dienen soll. Den ganzen Nachmittag haben wir in diesen Räumen verbracht, uns Infotafeln, Filme, Fotos und vieles mehr angeschaut. An alle, die einmal Timișoara besuchen wollen geht eine ganz klare Empfehlung raus! Anschließend haben wir in einem asiatischen Restaurant gegessen und eine ebenso gegensätzliche Disskusion über Mochi geführt wie ein paar Tage zuvor über den Salzgehalt in Zacuscă. Der letzte Abend in Timișoara bleibt mir mit Rotweinflecken auf dem Teppich, unzähligen Runden „Wer bin ich?” und zwei mehr als wunderschönen Regenbögen in Erinnerung.
„Timișoara ist eine Reise wert.“ Der erste Satz, den mein Reiseführer verwendet um mir die Stadt vorzustellen. Nach vier Nächten und drei Tagen in der drittgrößten Stadt Rumäniens, kann ich euch sagen: Jup, Timișoara ist eine Reise wert. Man findet an den größten Plätzen ein barockes Haus an das Nächste gereiht, stöbert in den Museen in der Vergangenheit des Landes und begegnet regelmäßig Plätzen an den sich historische Ereignisse abgespielt haben. Dennoch fühlt es sich so an, als wäre die Stadt jung geblieben. Der Sommer, der bevorstand, hat wahrscheinlich seinen Beitrag geleistet, aber die ausgelassene Stimmung und der idyllische Charme haben sicherlich auch im Winter ihre Wirkung. Wer weiß, vielleicht werde ich das ja irgendwann noch einmal herausfinden…