Brief nach Hause

Hallo Deutschland,

ich dachte, ich sollte mich vielleicht mal melden. So zum Ende meines Jahres hin – vor neun Monaten bin ich in Frankfurt in den Flieger gestiegen und seitdem nicht mehr zurückgekommen. Das erste Mal, dass ich so lange weg war von dir. Das ist jetzt vielleicht ein bisschen klischeehaft, aber ich glaube, dass ich dich nie wieder so sehen werde, wie vor meinem Jahr in China – nicht einmal wegen der Dinge, die ich hier erlebt habe, sondern wegen der, die ich hier eben NICHT erlebe. Ich will kein Loblied auf dich singen, aber für ein paar Sachen möchte ich mich doch bedanken – auf die freue ich mich auch schon, wenn ich wieder zurückkomme!

Als allererstes sind da natürlich meine Familie und Freunde. Und vielleicht sogar dieses Gefühl, dass man alles kennt und nichts neu ist – obwohl, doch eher nicht. Manchmal habe ich das Gefühl jetzt auch in Shanghai, letztendlich gibt’s dann aber doch noch einen Haufen zu entdecken. Und gerade weil Shanghai jetzt auch ein bisschen Heimat geworden ist, habe ich immer wieder versucht, hier herauszukommen und noch mehr zu entdecken oder in der Stadt unbekannte Ecken zu finden, an denen es wahrlich keinen Mangel gibt.

Aber eigentlich wollte ich dir ja sagen, was ich gut an dir finde und was ich (wenn ich ganz ehrlich bin) ganz profan und weltlich vermisse, weil ich ein kleines Luxuskind bin: Schokolade (dunkle, weiße, Rittersport, Gepa, Milka, Schokakola, Netto-Schokolade mit 65%, mit Schokomousse, mit Kaffee, Sahne, Alpenmlich, Joghurt, Erdbeer, Haselnuss, Mandel, Marzipan…). Käse (langweiligen Analogkäse, Basilikum, Chilli, Oregano, Brennessel, Brie, Gouda, Emmentaler, Ziegenkäse, Schafskäse, Gorgonzola, Schmelzkäse für die Pizza, Parmesan…). Vernünftiges Brot und Brötchen (Mehrkorn, Schwarz, Weltmeister, Kürbis, Springbrötchen…). Ein Ofen im Haus = Plätzchen zu Weihnachten und Kuchen im Rest des Jahres wenn man gerade Lust darauf hat. Isolierte Wohnungen und Heizungen im Haus, die man selber regulieren kann (Winter ist am schlimmsten, wenn man draußen UND drinnen friert und es auch bei geschlossenen Fenstern zieht).  Eine gut ausgebaute Kanalisation (sodass man das Toilettenpapier einfach in die Toilette schmeißen kann). Freies und schnelles Internet (denn man kommt zwar dahin, wo man hin will, aber immer nur mit Aufwand und Zeitverschwendung).  Nur auffallen, wenn ich auch auffallen möchte und mich komisch anziehe oder meine Haare färbe – aber niemand mir wegen meines Aussehens hinterherruft oder mich anstarrt. Gewässer, die sauber genug sind zum Schwimmen und in denen man auch schwimmen darf. Weniger übles Gedrängel und Geschubse im Nahverkehr. Etwas mehr Eigeninitiative und dafür weniger Leute, die glauben, dass Probleme einfach verschwinden, indem man sie ignoriert.

Nach so vielen guten Sachen habe ich aber auch Vorschläge an dich, liebes Heimatland, denn es gibt hier in China einiges, was du dir ruhig mal abgucken könntest! Wie wäre es zum Beispiel, wenn man auf den superdreckigen Toiletten den Toilettensitz nicht berühren müsste und mit dem Fuß spülen könnte? Nimm dir ein Beispiel an chinesischen Hockklos! Ich nehme auch alles zurück, was ich schon mal darüber geschrieben habe, dass wir froh über die Deutsche Bahn sein können, China gewinnt in dieser Hinsicht ganz klar das Duell – liebe DB, wo bleibt eurer Ehrgeiz? Hier in China sind die Bedingungen doch ungleich schlechter, es sind viel, viel, viel mehr Menschen, die über unendlich viel längere Strecken transportiert werden wollen. TROTZDEM ist bisher erst einer meiner Züge verspätet angekommen! In neun Monaten! Mach das mal nach, dann reden wird wieder. Außerdem könnte man doch in Deutschland einführen, dass auch überall heißes Wasser angeboten wird – umsonst. An den Bahnhöfen, im Zug, am Flughafen hinter der Sicherheitskontrolle. Damit sich jeder seinen Tee und seine Instantnudeln, das einzig wahre chinesische Nationalgericht, machen kann. Überhaupt sind Tee und heißes Wasser in China eine ziemlich tolle und weit verbreitete Sache, die man auch gerne mal im Restaurant standardmäßig und oft umsonst bekommt, so viel man möchte. Etwas anderes wenn man essen geht ist auch die ganze Art, wie man isst – in Deutschland sich jeder sein eigenes Gericht und bekommt seinen Teller. Wie ich schon einmal geschrieben habe, läuft das hier ganz anders: Man bestellt einen ganzen Haufen verschiedener Gerichte, die alle in die Mitte gestellt werden, manchmal auf so eine geniale Drehscheibe. Für sich selber man hat nur einen Teller für Abfälle, einen Becher und/oder ein Glas und eine Schale, in die man sich das Essen aus der Mitte tut, was man gerne haben möchte. Ich finde das irgendwie geselliger als Essengehen in Deutschland. Und ganz abgesehen davon kann man soooooo viele verschiedene Gerichte bei einem Abend im Restaurant ausprobieren und muss sich nicht entscheiden 😀

Überhaupt, das Essen! Chinesisches Essen ist zweifellos lecker, aber nach einer Weile auch nicht mehr so aufregend. Viel lieber als das, was man im Restaurant bekommt, mag ich das Streetfood – immer und überall gibt es frische Kleinigkeiten für ein paar Kuai. Grillspieße mit Gemüse oder Fleisch, Reisrollen mit knuspriger Füllung, gedämpfte Teigtaschen, pfannkuchen- oder crêpeartige Teigdinger mit Salat, Eiern, Soße und/oder knsuprigem Teig, Suppe… Es geht bis ins Unendliche. Das werde ich in Europa definitiv vermissen. Ein netter Zug der Chinesen ist auch, dass es niemandem etwas ausmacht, wenn man sich einfach in ein Café reinsetzt, ohne etwas zu kaufen. So lief zum Beispiel mein Bewerbungsgespräch für Enjoy Shanghai ab – wir saßen eine halbe Stunde in einem Costa Coffee, redeten und machten uns dann wieder auf. Niemand schien auf die Idee gekommen zu sein, uns nach einer Bestellung zu fragen. Ich glaube, das drückt etwas aus, was einen der wesentlichen Unterschiede zwischen Deutschland und China ausmacht: Hier wird einfach alles ein bisschen lockerer genommen, Regeln sind ja auch eher Richtlinien und irgendwie wird schon alles gut werden. Einerseits ist das sehr erfrischend, andererseits auch etwas anstrengend, wenn man daran gewöhnt ist, wie so etwas in Deutschland abläuft. Eine etwas entspanntere Einstellung dem Leben gegenüber würde ein paar Deutschen glaube ich auch mal ganz guttun…

So, das ist dann doch alles recht lang geworden. Ich versuche ja gerade für mich selber zu entscheiden, ob es gut oder schlecht ist, dass ich nächste Woche wegfliege, aber irgendwie komme ich zu keiner Entscheidung. Vielleicht sehe ich ja klarer, wenn ich am Flughafen bin.

Grüße aus Shanghai,

Katharin