Es bleiben nur wenige Tage. Der Koffer steht bereit. Die ersten „Das-bleibt-hier“ und „Das-kommt-mit“ Stapel häufen sich im ganzen Haus. Ein Abschied nach dem Anderen. Die Stimmung sinkt. Weiter und weiter. Selbst die an sich so schönen Momente sind kaum noch zu genießen, da ich mir der Tatsache, dass ich nicht weiß, wann Momente dieser Art in diesem Land mit diesen Menschen, wiederkommen, völlig bewusst sind. Vielleicht früher als erhofft. Vielleicht gar nicht.
Ich liege mit meinem Netbook, das mich in dem halben Jahr Nicaragua so einiges an Nerven gekostet hat, in meinem Bett und spüre diese unangenehme Leere in mir, spüre, wie sich mir der Magen umdreht, wenn ich an Donnerstag, den Tag der Abreise denke, spüre, das ich endlich so sehr zu Hause bin, das ich diesen besonderen Ort jetzt nicht verlassen möchte.
Doch bevor ich mich in meinem Selbstmitleid verliere, wechsel ich zu Schönerem. Die letzten Wochen Nicaragua.
Wie bereits in meinem letzten Blogartikel angekündigt bin ich mit meiner lieben Paola zum Río San Juan ( ob 100% Nica oder nicht, sei mal dahingestellt…Leute, die die internationalen Nachrichten verfolgen, werden wissen, wovon ich rede. An den Rest, zu kompliziert um das hier zu erklären.), Streitgebiet Nicaraguas und Costa Ricas gefahren. Eine erstaunlich schnelle Autofahrt von 4h über eine nicht allzu angenehme Straße, woran ich mich wohl nie gewöhnen werde, und das Ziel war erreicht: San Carlos, Städtchen am NicaraguaSee und Río San Juan. Wir steigen aus dem Auto aus und werden erst mal von einer erschlagenden Hitze begrüßt. Trockenzeit in Managua ist im Moment herrlich. Verdammt heiß in der Sonne, doch wenigstens ein Wind, der das Ganze für Sonnenliebhaber noch erträglich macht. Doch weiter im Süden, am Río San Juan, im Regenwaldgebiet, fehlte das Windchen und so war die Schwüle eine kleine Überraschung…Das ich mich darüber beschwerte sollte ich noch zu zahlen bekommen.
Von San Carlos aus ging es 3h mit dem Boot in die nächstgrößte Stadt am Río San Juan „El Castillo“ (Castillo = Burg, Ort umgrenzt die Ruinen einer auf einem hübschen Hügel gelegenen Festung, die der Abwehr von Piraten diente). Man muss wissen, das auf dem 3-stündigen Weg von San Carlos nach El Castillo fast ausschließlich die Natur zu sehen ist. Vereinzeilt ein paar „Häuser“ im Slum-Stil, ansonsten wirklich nix, was auch nur ein geringstes Indiz für Zivilisation wäre.
Vom, für hiesige Verhältnisse schon fast touristischem El Castillo, wurden wir von einem Arbeiter des Refugios (Refugio = Zuflucht), wo wir die 3 Tage(Fr bis So) wohnen würden, abgeholt.
Das Refugio selber liegt natürlich auch völlig verlassen am Río San Juan. In der Umgebung nichts als unberührte Natur. Kein Wunder, das man für Essen und Übernachtung 50 Dollar zahlen musste…Allein die Beschaffung von Essen und Trinken war geprägt von einer halbstündigen Bootsfahrt ins nächstbeste Dörfchen „El Castillo“. Nichts desto trotz, für jeden, der 3 Tage jede Art von Viehzeug ertragen kann und die Natur liebt, ist das Refugio ein Traum. Ein überdachtes Rondell, voll von Hängematten, war der ideale Ort um sich auszuruhen…Und das musste man auch. Denn die Natur kann ganz schön aufregend sein.Nachdem wir Freitags erst am späten Nachmittag angekommen waren, und den Tag mit dem Bewundern des unbeschreiblich atemberaubenden Sternenhimmels (schließlich gibt es da kilometerweit kein Licht) und der ersten Glühwürmchen, die ich in meinem Leben gesehen habe, und gleich so viele, zu Ende gebracht hatten, begangen wir den Samstag gleich um 5 Uhr in der früh, um um 6 Uhr morgens mit Jonathan, einem 24-jährigen Guide, der dort aufgewachsen ist, eine Tour durch den Regenwald zu machen. Bei unserem Pech machte der Regenwald seinem Namen alle Ehre und bereits nach den 5 Minuten Bootsfahrt zu dem begehrten Teil des Regenwaldes waren wir völlig zernässt. Aber gut, gezetert wird nicht. Da wäre man in Nicaragua ganz falsch.
Dank der tollen Gummistiefel, die wir vom Refugio geliehen bekamen, konnten wir dann auch losmaschieren…Wege gibt es da nämlich nicht. Noch heute frage ich mich, wie Jonathan sich die 2h in diesem bewucherten Primärwald orientieren konnte. Leider waren auch die Gummistiefel nach einer guten Stunde nicht mehr wasserdicht, doch das Finden des berühmten Pfeilgiftfroschs machte einiges wieder gut (Und wieder bewunderndes Lob an Jonathan.
Der Typ ist vier Jahre älter als ich und findet Tiere, die sonst niemand sehen würde.) Natürlich war das nicht das einzige Getier, was wir fanden, allerdings sind mir, da auf spanisch, die ganzen Namen nicht sonderlich gut hängen geblieben. Spinnenaffen ja. 24/7 ebenfalls. Ja, 24/7 ist auch ein Tier, wobei allerdigns nur ihr Spitzname in meinem Kopf hängen geblieben ist. 24/7 ist nämlich eine gut 2 cm große Ameise, die die Bäume rauf und runter maschiert, um diesen zu beschützen (Memo an alle Regenwald-Besucher: Niemals an Bäumen abstützen oder festhalten)…das habe ich gemacht und, nachdem ich das Tier gesehen habe, völlig paranoid versucht sein zu lassen, was bei dem Schlamm allerdings leichter gesagt als getan war. Die 24/7 hat nämlich einen Stachel, mit dem sie jeden, der dem Baum auch nur zu Nahe kommt, sticht. Nun kommt der Name ins Spiel. Die bestialischen Schmerzen des Stichs dauern nämlich 24h an und die Entzündung ganze 7 Tage…Dios, hatte ich danach eine Angst, immerhin kam es öfter vor, das ich mich völlig im Reflex am nächsten Baum festgehalten oder abgestützt hatte. Aber es ist alles gut gegangen.
Am Abend ging das Abenteuer weiter…oder erst richtig los. Kalmanen-Jagd. Mit dem Boot, Jonathan, einem „Bootsfahrer“ und einer Taschenlampe machten wir uns auf den Weg. Mit der Taschenlampe suchten wir das Ufer ab, in der Hoffnung auf die rötliche Reflektion der Augen der Kalmanen (grüne Reflektion = besondere Spinnenart, gelbe Reflektion = Frosch). Zugegeben, Paola und ich waren schon ein wenig nervös. Diese völlige Dunkelheit, dieses wackelige Boot und die Vorstellung von den „bösen“ Kalmanen im Wasser hatten nicht unbedingt einen beruhigenden Effekt. Und früher als erwartet griff Jonathan (Lebensmüde?! Ja, vielleicht) ins Wasser und zog einen ca. 8 Monaten alten Kalmanen raus (ca. 50 cm)…den konnten Paola und ich dann mit viel Überwindung, auch weil uns das Tier ziemlich leid tat, mal selber halten.
Weiter ging es, wollten wir doch auch noch einen großen Kalmanen finden…zumindest war das Jonathans Anspruch. Und Jonathan wäre nicht Jonathan, wenn er den nicht auch finden würde. Kurz danach zog er dieses arme gut 130 cm große Tier aus dem Wasser. Das konnten wir dann nicht mehr halten…Nicht nur, weil der Respekt doch um einiges gestiegen war, sondern auch, weil das Gewicht um einiges gestiegen war…Bueno, wir gaben uns dann damit zufrieden den Schwanz, der schon einiges wog, zu halten.
Der nicht so schöne Teil der Tour war die Rückfahrt und Ankunft im Refugio. Jonathan und der „Bootsmann“ nahmen den riesigen Kalmanen nämlich mit, um ihn einer Gruppe von Biologie/Ökonomie etc. -Studenten aus Los Angeles zu zeigen, die die Umgebung des Refugios seit Tagen studierten. Da tat mir das arme Tier doch schon ziemlich leid. Jeder wollte mal halten, jeder wollte mal posen…und das zog sich ziemlich in die Länge. Ich hoffe, das Tier hat es ohne weiteren Schaden überstanden, nachdem es wieder ausgesetzt wurde.
Am nächsten Tag ging es schon wieder zurück. Einen Zwischenstop machten wir in „El Castillo“, um uns die Festung, die zur Verteidigung vor Piraten erbaut worden war, anzuschauen. Beeindruckend und spannend, und in gewisser Hinsicht auch ein wenig romantisch, denn die Tourismus-Informationen passten sich ziemlich den klischeehaften Vorstellungen von Piraten von vor 200/300 Jahren an.
Nur auf dem Rückweg hatten wir ein wenig Pech. Unser Auto hatte ein Platten. Die Stadt hatte keinen Strom. Den brauchte man aber, warum auch immer, um das zu reparieren. Ganze 3h warteten wir auf den Strom, der nicht kam, und schafften es dann am Ende doch auf andere Weise, den Reifen zu reparieren. Tragischerweise kam ich dann erst 3h später als geplant an, sprich halb 1 in der Nacht und hatte, da mein Akku leer war, nicht die Möglichkeit, meine Gastfamilie zu informieren, die vor Sorge beinahe gestorben war. Glücklicherweise verzeihten sie mir dann wenigstens das nächtliche Klingeln an der Haustür.
Ebenfalls erwähnenswert ist der 12.02. Tag unserer, sprich Annas, Paolas und meiner Abschiedsparty. Schon früh kauften wir alles ein, bereiteten Salate, Reis und Tortilla als Beilage für das Grillfleisch und Hühnchen (Hühnchen ist hier KEIN Fleisch) vor und begangen um 16 Uhr mit der wunderschönen Fiesta.
Es kamen Lehrer, unsere Kollegen, der Schulleiter, unser Mentor und ein Teil unserer nicaraguanischen Freunde. Die Party selber fand im Garten einer unserer nicaraguanischen Freundinnen statt. Que amable. Und dann hieß es auch schon Abschied nehmen. Zumindest von und für Anna, die bereits am Día del amor y de la Amistad (14.02.) nach Hause flog.
Paola und mir blieben noch einige Tage. An unserem letzten Arbeitstag wurden wir im Lehrerzimmer von unserem Mentor und Schulleiter auf die liebevollste Art verabschiedet und bekamen sogar Schul-tshirt, Schul-kappe und eine Carpeta (tut mir leid, ich weiß immer noch nicht, was das auf deutsch heißt) geschenkt. Ein schöner Moment, der uns bewusst machte, wie sehr wir die Schule, so anstrengend die Arbeit manchmal auch war, vermissen werden. Die Menschen, die Atmosphäre und die Lage machten die Arbeit dort zu etwas einzigartigem und völlig besonderem, was niemals zu ersetzen sein wird.
Das letzte Wochenende begangen wir dann mit dem Besuch des Vulkans Masayas.
BEEINDRUCKEND. Mein Reiseführer beschreibt den Vulkan als „Mordor“, „Schlund der Hölle“ usw. Und das ist es. Mit dem Taxi fuhren wir hoch, von dem Punkt aus kann man selber noch was rumlaufen, doch die Warnung „Zu ihrer eigenen Sicherheit bleiben Sie nicht länger als 15-20 Minuten auf dem höchsten Punkt!“ war schon ziemlich abschreckend.
Durch die Höhe mussten wir uns ziemlich abmühen die paar Treppenstufen, die zum höchsten Punkt fehlten, hochzusteigen. Doch es war nicht nur die Höhe. Der Geruch von Schwefel war schon sehr enorm und erschwerte mit jeder Minute mehr und mehr das freie Atmen. Und tatsächlich, man schaut in diesen Krater, der kein Ende zu nehmen schien, wir haben zumindest keines entdecken können, und sieht die Gase die der Erde entsteigen. Beeindruckend. Völlig surreal. Völlig unwirklich. Eine andere Welt. Auch sonst ist da oben alles trocken, sehr tot. Keine Bäume, kaum Pflanzen, unzählige Lavasteine und Staub. Mordor, im wahrsten Sinne des Wortes. Man kann es sich nicht vorstellen, wenn man es nicht gesehen und vor allem gespürt hat. Allein die Aussicht war der Ausflug wert, auch wenn wir Glück im Ungklück mit dem Wetter hatten. Ab und zu gibt es auch mal in der Trockenzeit Wolken am Himmel, die aber immer mittags verschwinden. Da wir relativ früh da waren, hatten wir natürlich eine gedämpfte Sicht durch die Wolken, die kein Sonnenlicht durchließen, dafür konnten wir allerdings ein wenig mehr umher wandern, denn wo da oben nicht die geringste Möglichkeit von Schatten besteht, muss der Ausflug ohne Wolken ziemlich beschwerlich sein.
Alles in allem ein Ausflug, der sich wirklich gelohnt hat.
Por la noche trafen wir uns dann nochmal mit Freunden in einem Restaurant, ehe wir den Abend in einer Bar ausklingen ließen. Wieder interessante, nette Leute kennen gelernt, die ich leider nur nicht weitergehend kennen lernen konnte, da ich schon relativ früh gegangen bin, um mich am SonntagMorgen von weiteren Freunden zu verabschieden.
Dennoch, ein Abend, der sich ebenfalls gelohnt hat.
Und ein Abend, der mich merken ließ, wie sehr ich alles und alle hier vermissen werde.
Wenn ich zurück schaue wirkt meine erste Zeit in Nicaragua sehr surreal auf mich. Alles war fremd, alles so beschwerlich, ich hatte ordentlich zu kämpfen mit dem Kulturschock. Es dauerte einige Zeit, bis ich endlich ankam. Doch das tat ich und von Woche zu Woche lief es besser. Ich fing an, alle Leute deutlich zu verstehen. Ich fing an Nicaragua zu schätzen. Ich fing an, ein Leben hier zu leben.
Endlich klappt alles, und jetzt, wo alles so gut läuft, werde ich aus diesem Leben rausgerissen. Ich denke mir oft, wieso hast du nicht verlängert, doch ich weiß genau so gut, das ich dann nie mit meinem Studium anfangen wüde.
Doch der Gedanke macht es nicht besser.
Seit mehr als 5 Monaten lebe ich in einem paradiesisch warmen Land, seit 3 Monaten gibt es fast keine einzige Wolke mehr. Wir haben uns alle so verändert (nein, nicht nur durch unsere Gewichtszunahme körperlich, sondern auch psychisch) und fürchten uns davor, nicht mehr in unser so anderes Leben zu passen (nicht nur, was die Klamotten angeht).
Natürlich, ich bin mir sicher, das wir uns irgendwo in uns auch freuen, doch mir fällt es schwer, diesen Teil zu finden. Die Trauer überschattet alles. Denn wie schon richtig erkannt wurde: Als ich Deutschland verließ wusste ich, dass ich in einem halben Jahr zurück kommen würde.
Wenn ich Nicaragua verlasse, weiß ich nicht, wann ich zurück komme und ob ich die ganzen lieb gewonnenen Menschen überhaupt wiedersehe.
Das tut weh. Das ist nicht schön. Das macht mir Herzschmerz.
Und damit mache ich mich Schluss, denn so steiger ich mich nur zu sehr in meine Traurigkeit rein.
Un beso enorme para todos.