Es war weg. Es war weg, und ich wusste nicht, wie ich es wiederfinden sollte. DAS Gefühl, dass mich hier ständig begleiten sollte. Weg. Irgendetwas stimmte nicht.
Ich muss gestehen, es ist schon eine Weile her, seitdem ich das letzte Mal geschrieben habe. Wir ihr am Titel erkennen könnt, hatte ich 2 aufregende Wochen..Zwei volle Wochen. Emotional. Schwierig. Anstrengend.
Es fing negativ an. Mit einer Email werde ich quasi aus meinem Alltag herausgerissen. Ein schwerer Krankheitsfall in der Familie. Schock. Unsicherheit. Mitleid. Hilfosigkeit. Clash of Cultures. Clash of Cultures?! Warum?
Ich habe aus Mexiko ein Poster mit dem Thema „Día de los muertos“ mitgenommen und es, damit ich mich was heimischer fühlen würde, an meine Zimmerwand gehangen…meine gläubige Gastmutter sieht das Foto mit dem Skelett und sagt mir, es wäre meine Schuld, was da mit meinem Cousin passiert wäre, denn als ich das Poster mit dem Skelett, was ja für tot steht, aufgehangen hatte, war schließlich das mit meinem Cousin passiert?
Für mich als unreligiöser Mensch ein Angriff. Auch wen ich wusste, das dem nicht so war, fühlte ich mich verletzt und empfand meine Gastmutter als sehr taktlos…war ich nicht schon fertig genug? Aber, Clash of Cultures…mein Spanisch Lehrer erklärte mir daraufhin nämlich, dass ihr Verhalten ein gut gemeinter Ratschlag war und mich keineswegs verletzten sollte. Tja, Clash of Cultures.
Das Wochenende nach der Horror-Nachricht habe ich dann in Leon verbracht. Leon = Löwe (siehe oben). Eine Universitätsstadt im Kolonialstil. Ganz hübsch, ähnlich wie Granada, wovon ich schon berichtet hatte.
Wie das mit den Bussen und bei den Straßen hier so ist, kamen wir erst gegen nachmittags an, hatten auch nicht mehr viel Zeit am ersten Tag in Leon. Wir (Anna, Paola und zwei Nica- ragua- nerinnen, 23/25 Jahre) haben uns dann noch ein wenig die Stadt angeschat und sind abends was trinken gegangen. Okay, das war noch nicht das Highlight.
Highlight kam Sonntag: Nach einer relativ ruhigen Nacht im Hostel (hach, wie ich das Hostel-Leben mittlerweile liebe), ging es ab zum Strand. Endlich. Zwei Monate Nicaragua und ich war noch nicht am Strand. Eine Schande. Doch endlich haben wir es hingekriegt.
Poneloya am Pazifik. Super ruhig, nur wenige Einheimische. Super Wetter. Alles super. Ein Hoch.
Doch auf ein Hoch folgt meistens auch ein Tief.
Wieder verfolgte mich die Frage „Gastfamilie wechseln, oder nicht?“. Denn ich fühlte mich die letzten Tage extremst ausgelaugt. Ich wusste mittlerweile auch warum. Die Tatsache, das es im Haus meiner Gastfamilie nur wenig Privatsphäre und Platz gab, und es bei, mit uns Freiwilligen 10 Familienmitgliedern, auch immer laut zugeht, umso lauter, weil die Wände unbeschreiblich dünn sind, führte dazu, das ich seit Tagen nicht mehr entspannen konnte und mich auch nicht gut fühlte.
Mir ging es schon nicht gut, doch natürlich war ich trotzdem noch beim Tanzen und Schwimmen…Da habe ich wieder eine Lektion lernen müssen. Niemals Sport, wenn man sich schon schlecht fühlt.
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch konnte ich vor Schmerzen kaum schlafen. Irgendwie schien sich was am Steißbein entzündet zu haben. Ich konnte weder sitzen, noch liegen, noch stehen, noch mich bewegen und war nach der Horror-Nacht am nächsten Morgen so fertig, das ich mehrmals fast umgekippt war.
Aber der Familie was sagen? Niemals. Die hätten mich nur zu einem Scharlatan gebracht, war meine Sorge. Also in die Schule. Ich musste. Ich wollte mich doch mittags mit meiner potentiellen neuen Gastfamilie treffen. Ich musste einfach.
In der Schule angekommen, ein zweiter Fast-Zusammenbruch. Diesmal vor Schmerzen. Arbeit: Konnte ich vergessen. Ich arbeite ja jetzt in der Verwaltung, seit ich aus Mexiko zurück bin, mit der lieben Ulli, der super Sekretärin, die sich dann auch super um mich gekümmert hat.
Wie gesagt, Ärzte sind in Nicaragua so eine Sache. Hier kann quasi jeder Arzt werden. Also wurde die Nummer des Arztes der deutschen Botschaft rausgekramt und ich wurde von der Schule zu ihm ins Krankenhaus gefahren. Dank Ulli und Paola, die mich begleitete und mir mit dem Spanisch aushalf, lief alles super…ich hätte alleine nichts mehr auf die Reihe bekommen.
Diagnose: Spontane Infektion, vermutlich da mein Körper vom ganzen Stress so angegriffen war.
Problem: Der Arzt konnte nicht sagen, ob die Infektion innen oder außen war. Außen hätte man mit Antibiotika heilen können. Innen würde Überweisung zum Chirugen und eine lange Heilungszeit bedeuten…quasi meine gesamte Zeit in Nicaragua.
Meine Nerven waren also am Ende. Was sollte ich machen, wenn ich wirklich unters Messer müsste?
Also brav 2 verschiedene Antibiotika und Schmerzmittel genommen.
Absolut liebenswürdigerweise hatte meine potentielle Gastfamilie mich trotzdem mitgenommen, damit ich mich mal vernünftig ausruhen könnte. Gott, waren die lieb und fürsorglich.
Die nächsten Tage musste ich natürlich zu Hause bleiben und das Bett hüten. Wie langweilig…dank dem AntiBiotika konnte ich wenigstens viel schlafen.
Am Samstag Abend erhalte ich dann einen Anruf von meiner potentiellen Gastfamilie „Wir holen dich morgen um 10 Uhr ab“..völlig überrumpelt, aber glücklich, stand ich nun vor der schweren Aufgabe, das meiner Familia actual beizubringen. Mein Gott, habe ich mich feige gefühlt….ich hatte schon in Erwägung gezogen, wie so manch andere das meines Alters auch gerissen haben, einen Brief zu schreiben und ab zu hauen. Aber ich bin fast 20 Jahre und reiße hier mit meinem Freiwilligendienst eh die krassesten Sachen…da kann ich sowas nicht bringen.
Also Augen zu und durch.
Man, war ich stolz, das ich das geschafft hatte. Am nächsten Morgen traf ich mich mit gepackten Sachen (merkwürdig, mitten im Freiwiiligendienst seinen Koffer zu packen) mit der Familie am MetroCentro..dann ging es kurz in mein neues Zimmer (mit Fenster) und dann, perfekter ging es nicht, fuhren wir zum Strand „Gran Pacific“, wo wir uns mit 2 befreundeten Familien der Familie trafen, die sich mir gleich als „Tíos y Tías“ (Onkel und Tanten) vorgestellt haben.
Super aufgenommen.
Zurück im neuen zu Hause ging es erstmal in den Pool…ich muss schon sagen, ich habe ein schlechtes Gewissen, jetzt so relativ luxuriös zu leben. Aber lieber ein schlechtes Gewissen als wieder ein Zusammenbruch.
Löwe, Durchhänger, nicaraguanische Krankenhäuser und Umzug haben es also geschafft:
Und das Gefühl ist wieder da. Ich habe es wieder gefunden. Ich bin dankbar. Ich bin wieder so dankbar, hier zu sein. Ich sehe wieder all meine Möglichkeiten, mein Glück, von „kulturweit“ ausgewählt woden zu sein.
Endlich bin ich wieder dankbar.