Nachwort

Pussy Riot, Homosexuelle und wer es sonst so nicht in mein Alltags-ABC geschafft hat

 

Kurz vor Ende des Blogwettbewerbs habe ich mich bei Freunden erkundigt, was ihnen denn noch im Alltags-ABC fehle.

Dabei wurde ich mehrfach nach Pussy Riot, Homosexualität bzw. den aktuellen homophoben Gesetzen oder einfach nach meiner Einschätzung der politischen Situation gefragt.

Mein Alltags-ABC soll aber eigentlich kurzweilige Lektüre sein, ein bisschen von meinem Alltag hier in Kaliningrad zeigen, den man manchmal wirklich am besten mit einem Schmunzeln erträgt und war ursprünglich für meine Freunde gedacht, die neben großer Ablehnung gegenüber Russland auch kaum Interesse für mein Einsatzland zeigten.

Kurzum, wer sich trotzdem für meine persönliche, oberflächliche Darstellung einiger kontroverser Themen interessiert, mag hier gerne meine (lange) Antwort auf eine Mail lesen.

 

Spürst du eigentlich auch etwas von der Putin-Kritik hierzulande oder dort? Wie offen sind die Gespräche über Politik und Kultur in der Schule? 

 

Vorige Woche wurde Putin von Human Rights Watch angeklagt, die Menschenrechte würden verletzt wie nie zuvor seit Ende der Sowjetunion – also auf jeden Fall eine spannende Frage.

Umso erschreckender finde ich es, dass ich persönlich herzlich wenig davon mitbekomme. Ich habe hier jetzt fünf Monate gelebt, ohne ernsthaft über irgendetwas Politisches gestolpert zu sein.

Zwar sagte mein Chef mir hier, dass er davon ausgehe, vom FSB verwanzt zu sein, ich weiß, dass sich Organisationen, die mit ausländischen Geldern unterstützt werden, als Agenten bezeichnen müssen (was in Russland ein sehr stark negatives Wort ist), und auch mein Visum, das mich hier wirklich gefangen hält (ich kann ja nicht reisen und das Kaliningrader Gebiet ist nicht sehr abwechslungsreich), ist wahrscheinlich auf das generelle Misstrauen Russlands gegenüber dem Ausland zurückzuführen  – und doch bekomme ich von politischem Druck erst mal gar nichts mit.

Die einzige Situation, in der ich vielleicht unbedacht über die politische Situation gestolpert bin, ergab sich im Deutschunterricht einer siebten Klasse, wo ich einen Prominenten erraten sollte. Ich wusste: Es sind Russen, sie singen, alles Frauen, auch in Europa sind sie sehr bekannt. Eigentlich konnte ich es mir kaum vorstellen, aber da in Deutschland zu der Zeit gerade ganz heiß über Pussy Riot diskutiert wurde, fragte ich nur unsicher: „Stehen sie momentan vor Gericht?“. Nur wenige kannten die Vokabel „Gericht“, aber die Blicke derer, die das Wort verstanden hatten, sagten mir ganz deutlich, dass ich da wohl auf dem ganz falschen Pfad war. Letztendlich ging es um die Babuschkas vom Eurovision Songcontest, aber die Frage nach offenen Gesprächen über Politik und Kultur in der Schule ist meines Erachtens relativ leicht zu beantworten: Sie finden nicht statt.

Ich glaube aber, dass man das nicht allzu schnell auf politische Unterdrückung zurückführen sollte.

Erziehung zu kritischen, selbstverantwortlichen Menschen im Schulsystem?

Ja, politische Diskussionen sind, soweit ich informiert bin, im Lehrplan nicht vorgesehen und eine Kollegin sagte mir auch, sie würde nichts dazu öffentlich sagen. Es bräuchte nur jemand „von oben bei der Schulleitung anrufen“ und dann bekäme sie kein oder weniger Gehalt.

Warum aber im Unterricht kaum diskutiert wird, würde ich auch immer mit dem Schulsystem erklären.

Der Lehrer ist in den meisten Fällen noch unanfechtbare Autorität (sprachliche Mängel der Lehrerin darf ich auch keinesfalls vor den Schülern korrigieren), Fragen gelten als entweder frech oder einfach als Zeichen von Dummheit. Ein großer Teil des Unterrichtes, den ich erlebt habe, ist einfach so aufgebaut, dass der Lehrer die ultimate Lösung kennt und die Schüler dementsprechend antworten lässt. In einen solchen Unterrichtsstil passt einfach keine kulturelle oder politische Diskussion.

Piraten Partei – in Russland!

Über Politik gesprochen wird auch deshalb nicht, weil es viele Leute einfach nicht interessiert. Ich habe am zweiten Tag meines Aufenthaltes ein Straßengraffiti der Piratskaja Partija, der Piratenpartei gesehen, und habe wirklich bis Januar herumfragen müssen, um rauszufinden, was es damit auf sich hat.

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Wenn man Probleme hat, löst man sie selbst, fragt Familie, Freunde, Bekannte um Rat und Hilfe – vom Staat wird aber von den Allerwenigsten (zumindest von keinem, mit dem ich gesprochen habe) etwas erwartet, was die unmittelbare Situation beeinflussen könnte.

Seit ich gezielt Freunde nach einer politischen Meinung frage, habe ich eine Handvoll Leute gesprochen, die wirklich etwas dazu sagen konnten und bemerkenswerterweise gaben alle an, Putin gewählt zu haben. Alle, wirklich alle, von ihnen sagten, sie würden Putin nicht lieben, aber, wen solle man sonst wählen.

Es gibt die Kommunisten, es gibt Wladimir Schirinowski, einen nationalistischen Politiker der Opposition („wenn er den Mund öffnet, wissen wir, es gibt einen Skandal oder etwas zu lachen. Ich glaube, er kann nur schreien und streiten.“, Urteil einer Freundin), es gibt Michail Prochorow, einen Milliardär, der hier den meisten durch Sexskandale bekannt scheint und die früher auf den Wahlbögen enthaltene Option „Gegen alle“, gibt es nicht mehr.

Ob ich etwas von Putin-Kritik merke? Nein. „Putin wird nicht geliebt, nicht verachtet, er macht seinen Job.“ Das wäre so die Stimmung, die ich hier bisher ausmachen konnte.

Das Zwischenseminar meines Freiwilligendienstes war in St. Petersburg. Dort, wo „homosexuelle Propaganda“ schon seit 2011 verboten ist, haben wir mit Vertretern einer Organisation gegen Homophobie gesprochen, die sich dank ausländischer Unterstützung als „Agenten“ in ihren Flyern kennzeichnen müssen, die ihre Demonstrationen nicht genehmigt bekommen, die wirklich von einer politisch schwierigen Situation sprachen.

Ich will nicht sagen, dass es keine Opposition gegen Putin gibt, dass die Leute hier zufrieden sind und die europäischen Medien über die für uns „richtig“ scheinende Opposition überzogen effektiv und positiv berichten. Aber hier in Kaliningrad erlebe ich eben die in den Medien dargestellte Protestbewegung nicht. Die Russen, mit denen ich über Homosexualität und Pussy Riot gesprochen haben, stehen vollends hinter der Staatsmeinung („Das ist so ekelig, das ist unnatürlich!“ und „Ich hätte sie erschossen. In Kirchen tanzt man nicht. Wer die Religion irgendwelcher Leute beleidigt, gehört erschossen.“). Das ist die Meinung derselben Personen, die keine Geschichtsbücher lesen, weil das doch „ohnehin alles Propaganda“ ist, die sagen „Russland ist keine Demokratie. Wir alle wissen das.“, die sich über indoktrinierte Feindbilder zwischen der Türkei und Armenien, zwischen Aserbaidschan und Armenien beschweren. Wirklich intelligente Personen mit einer eigenen Meinung sind in manchen Punkten eben auch von dem überzeugt, was in Europa so verteufelt wird, was angeblich so wider das Volk sein soll.

Russland kritisieren darf nur, wer Russland liebt.

Um noch die letzte offene Frage zu beantworten – ob ich etwas von der Putin-Kritik hierzulande (also in Deutschland) spüre. Ja. Entrüstung und genervt sein.

Ein Freund erzählte, dass die Berichterstattung im russischen Fernsehen über Pussy Riot hauptsächlich darin bestand, die europäischen Medien darzustellen. Europäische Berichterstattung über Russland ist (fast ausschließlich) negativ. Dazu muss man nur mal bei Spiegel-Online unter dem Schlagwort „Russland“ suchen.

Ganz am Anfang meines Aufenthaltes hier sagte ein Professor der hiesigen Universität: „Russland kritisieren darf nur, wer Russland liebt.“

Wenn ich sauer auf meine Mutter bin, dann ist sie unfair, gemein, versteht mich nicht… Aber nur solange, bis irgendwer anders mir zustimmt. Jemand anders hat doch nicht das Recht, meine Mami zu kritisieren!

So ähnlich kann man sich das Verhältnis vieler Russen zu Russland und den Medien vielleicht vorstellen. Russische Medien berichten über manche Ereignisse nicht. Wer Deutsch spricht, kennt den Spiegel oder andere europäische Medien. Aber viele, die sich dort informieren, fühlen sich nur beleidigt und missverstanden.

Ich glaube nicht, dass hier alles rosarot ist. Aber ich glaube auch nicht, dass hier alles so funktionieren kann, wie es für Deutschland der richtige Weg ist. Und ich bin überzeugt, dass Russland nicht so schwarz ist, wie es in unseren Medien oft aussieht

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