Alltags-ABC

A

Aufstehen – sehr verhasst.

Die Lehrer entschuldigen sich am laufenden Band, wenn ich zu einer ersten Stunde eingeteilt werde. Dabei beginnt die doch erst um 08.10, was bei 7 Minuten Schulweg doch ganz entspanntes Aufstehen ermöglicht – aber nach Meinung „der Russen“ doch viel zu früh.

2013-01-21 08.51.01

Nachtrag: Ab und zu geht es doch früh aus der Wohnung – im Dunkeln. Da Putin 2011 die Winterzeit abgeschafft hat, dauert es noch eine Weile, bis die Straßenlaternen ausgehen.

 

B

Bankautomaten – anscheinend sehr beliebt.

In jedem größeren Shoppingcenter finden sich mindestens 7 im Kreis aufgestellt und noch Weitere über das gesamte Center verteilt. Ist ganz praktisch, da manche aus unerfindlichen Gründen dann doch kein Geld ausspucken. Manchmal liegt es aber auch daran, dass Maren sich den 4 stelligen PIN-Code einfach nicht merken kann (die 11-stellige Handynummer schon, sogar auf Russisch) und diesen dann in 4 Automaten falsch eintippt. Kein Problem, Russen sind tolerant und sperren die Karte anscheinend auch nach dem 5. Versuch nicht.

 

Begrüßen – wenn, dann richtig.

Hallo sagen in Russland will gelernt sein. Zunächst das Offensichtliche, angelächelt wird hier so schnell niemand. Das muss man sich verdienen.
Als Dame bist du davon zunächst in Phase 1 ganz weit entfernt, Bekannte grüßt man mit einem kurzen Sdrastwui oder Sdrastje und weiter gehts. Bis Phase 2 (Umarmung) und 3 (ganz französisch mit Küsschen) ist es dann noch ein bisschen hin. Schneller geht es auf der männlichen Seite, schon entfernte Kollegen werden mit einem kurzen Handedruck begrüßt.
Während ich also kurz murmelnd durch die Schule eilen kann, muss jeder männliche Kollege auf dem Weg von Deutschraum ins Lehrerzimmer mindestens 6 mal innehalten – Pförtner, Kollegen und wartende Großväter wollen vernünftig begrüßt werden.

Als Mädchen sollte man übrigens nicht so töricht sein und den deutschen Sitten verfallen. Da stellte mir doch auf einem Empfang eine Schülerin ihren Vater vor und ohne groß nachzudenken hielt ich ihm die Hand hin. Von wegen Guten Tag.

Sah er aber nicht so – knicksend gabs dann nen Handkuss für mich.

Na, so war das nicht geplant…

 

C

 2012-12-16 11.12.24[S nowim godom] (im neuen Jahr) – und nix Weihnachten!

 

Russische Weihnachten liegen irgendwo zwischen dem 04. und 07.01. – da sind sich meine Schüler nicht so ganz sicher. Weihnachten wird nur in den sehr orthodoxen Familien gefeiert, und das drückt sich dann auch nur in einem mindestens zweistündigen Gottesdienst aus.

Väterchen Frost kommt mit seinen Geschenken nämlich mit dem neuen Jahr und das wird dann im Familienkreis eingeläutet.
Bäume, Sterne und ganz viel Glitzer gibt es hier aber dennoch – nur eben als Neujahrsdeko.

Und dann wird ordentlich gefeiert: Neujahr, teils Weihnachten und – was mir neu war – „altes neues Jahr“ – etwa am 13.01– das wäre nämlich Neujahr nach dem alten, julianischen Kalender. Aber ganz sicher waren meine Russen sich da nicht- „Hauptsache feiern“.

2012-12-17 19.01.20 2012-12-17 18.55.36 2012-12-17 18.54.58 2012-12-19 14.59.52

D

Diät – so macht Essen gehen Spaß.

Mein Chef hatte mich ja gewarnt – mit Russinnen essen macht wenig Freude.

Da wird man eingeladen, Salat, Häppchen, Fisch mit Kartoffelmus und zum Nachtisch zusammen zubereiteter Apfelkuchen; aber für Natalia darfs nur Salat sein, während ich zum Essen gezwungen werde.

Und nach dem eisigen Trip auf die Nehrung, versorgte uns die Fahrerin mit heißem Tee – sie selber durfte nicht, zu viel Zucker.

So kann einem echt der Appetit vergehen,

und die Nährwertangaben, die zum Teil sogar auf Speisekarten im Restaurant zu finden sind, tragen ihr Übriges dazu bei.

Speisekarte - Menü für nur 5€!

E

Essen – viel zu viel und viel zu lecker.

Daheim war ich in einem kleinen russischen Laden und habe mir echt Sorgen gemacht, dass ich hier verhungern werde. Konserven, Undefinierbares und viel zu süßer Naschkram.Das sieht bisher hier aber ganz anders aus. Meine Gastmami kocht großartig und bisher schmeckte wirklich alles! Nur leider kocht sie auch so viel, dass ich nicht umher komme, alles einmal zu probieren.

 

IMG_9356 Borschtsch Borschtsch (1) Bliny!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aber wir sind auf dem Weg der Besserung – immerhin kann ich mittlerweile mitteilen, dass ich schon gegessen habe.

Wenn ich nachhause komme, fragt meine Gastmami nämlich immer „кушала? (Kuschala)“. Und mein Russisch hat sich immerhin so weit entwickelt, dass ich wusste: „Kuscha-irgendwas – das hat was mit Essen zu tun!“. Da ich nicht noch mehr essen wollte, habe ich fein mit нет ablehnen wollen. Irgendwie motivierte das meine Gastmami aber immer, noch irgendetwas auf den Gasherd zu setzen.

Die erste Russischstunde brachte dann die Erleuchtung: Kuschala ist die Vergangenheit – also: „Hast du schon gegessen?“…

 

Wenn man übrigens in Kaliningrader Supermärkten durch die Regale schaut, findet man unendlich viele deutsche Produkte. Liegt ja auch nahe. Berlin ist mit 600km Entfernung näher als die russische Hauptstadt Moskau (1200km). Schön wäre das. Alle deutschen Produkte werden über Moskau importiert, „regionale“ Produkte bekommt man fast nur aus Polen oder Litauen. In Kaliningrad selbst wird wenig angebaut, hier liegen riesige Felder brach. Grund dafür ist wohl die EU-Subventionierung der Landwirtschaft, wo sich der Import auch für Kaliningrad billiger gestaltet als der eigene Anbau.

 

 

F

Feiertage– gibt es nicht.

Egal ob Sonntag oder Weihnachten, die Läden haben 24/7 geöffnet und das Treiben in der Innenstadt sieht aus, wie an jedem anderen Tag auch.

 

FIFA-Fußball-WM 2018 – und wir sind dabei.

Dass Russland 2018 die WM austrägt – genehmigt. Aber Kaliningrad?!

Als ich davon gehört habe, hatte ich es erst für einen Scherz gehalten.

Wie sollen denn tausende Fußballbegeisterte das Nadelöhr (sprich: Grenze) passieren, wenn man unter der Woche schon feiern kann, sollte man nur 1-2 Stunden stehen?

Wo sollen die ganzen Menschen schlafen? Kaliningrad hat kaum Hotels und Pensionen.

Wie wird das mit den Visa ausschauen?

Und wie schaut der Flughafen dann bloß aus, der im Moment zu einem Drittel gebaut ist, aber selbst dort ein paar Löcher in der Decke aufweist, weshalb man aufpassen muss, nicht über die Eimer zum Wasserauffangen zu stolpern…

Spätestens 2018 stehe ich hier wieder auf der Matte, das muss ich sehen. Aber man merkt schon erste Maßnahmen: Die Nahverkehrspreise wurden (von 30 auf 38 Cent) erhöht und…

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wir haben eine neue Tram. Zu ulkig, was da jetzt zwischen den deutschen Straßenbahnen Baujahr 1930 auf den Gleisen durch die Stadt tourt…

 

die alte Tram, noch aus deutscher Zeit

die alte Tram, noch aus deutscher Zeit

 

G

Gastmami – ist die allerbeste!

Meine Gastmami ist die allercoolste,

weil sie die besten Bliny der Welt backt,

weil sie trotz totaler Entgeisterung alles unternimmt, um für mich vegetarisch zu kochen,

weil sie gleich am zweiten Tag einen Wasserkocher gekauft hat, nur weil ich zu doof für den Gasherd war (dank Feuerzeug statt Mini-Streichhölzern klappt auch das jetzt),

weil sie nach 12 Stunden Arbeit immer noch gutgelaunt nachhause kommt

und weil sie als ausschließlich Russisch-Sprechende meine allergrößte Motivation ist, diese verteufelt schwierige Sprache endlich zu lernen!

 

H

High Heels – oder zumindest Ballerinas.

SchuheEgal ob 60-jährige Babuschka, 20-jährige Mami mit Kinderwagen oder Übergewichtige mit Gehfehler, der Schuh muss stimmen! Und das bei Riesen-Pfützen, bei Schlaglöchern, dass man den Bürgersteig nicht mehr erkennt und bei gewaltigen Fußmärschen, weil man so schneller voran kommt als mit dem Bus.
Meine Ansprechpartnerin meinte dazu nur: „Es ist nicht bequem, aber ich bin schön.“

 

Bürgersteig
Ich fühle mich manchmal ganz schön fehl am Platz mit meinen Sneakers, aber bei dem Regen, bei den ganzen Fußmärschen…da darf ich dann ein bisschen Europäer sein, denn „ihr (Europäer) kleidet euch bequem, und wir (Russen) schick.“.

 

I

Ignoranz – kladusch!

Hui, in meiner Schule geht das so wuselig zu. Hier werden Schüler von Klasse 1 bis 11 (das russische Schulsystem kennt nur 11 Klassen, und wir jammern über Turbo-Abi nach der 12, das konnten meine Schüler irgendwie nicht nachvollziehen…) unterrichtet und gerade die kleinen rasen durch das Gebäude – Treppen hoch, auf halber Strecke wieder herunter und dusch, die Tür. Die wird gerade so weit geöffnet, dass man selbst hindurchpasst. Andere Menschen völlig außer Acht gelassen.

Kleiner Nachtrag: Türen aufhalten, aufeinander mit dem Essen warten, das fällt wohl in die Rubrik. Anders sieht es aber aus, wenn ich in ein Auto einsteigen / aussteigen will, da wird sofort die Tür aufgehalten und sogar in der Schlange vor der Flugzeugtoilette ließen mich alle Russen ganz aufmerksam vor 🙂

 

J

Jede Menge – Fotos.fotos bei vK817 Fotos bei vKontakte – und das sind nur die Profilbilder.Spiegelreflex dem Freund in die Hand gedrückt und das Posen geht los, linkes Bein gekrümmt – oder doch das rechte? Ach, sollte das Licht nicht stimmen, sieht man sogar zwei Freundinnen außerhalb des Bildes mit Goldfolie hantieren. Und wenn es ordentliche Schneefotos geben soll, muss sich doch die ein oder andere Schneeflocke im Haar verfangen haben! Da wird dann ein Freund zum Bäumchenschütteln bestellt…der tanzende Wald (18)

K

Kontraste – krass.

Sowohl im Stadtbild als auch bei den Schülern meiner Schule gibt es riesige Unterschiede. Sitze ich in der ersten Stunde noch neben einem Mädchen, das mit Babuschka und Mama zusammen auf einem Sofa übernachtet, fahre ich nach der Schule mit einer anderen Schülerin zu ihrem Pferd. In einer schwarzen Limousine mit verdunkelten Scheiben, gefahren vom Fahrer des Vaters, während sie auf ihrem Iphone pausenlos Sms tippt.Kontraste_Fischerdorf Und auch im Stadtbild – guckt man nach links, sieht man ein wunderschöne Häuschen am Wasser und rechts eine heruntergekommene Megawohnung.

Kontraste_Plattenbauten

Oder auf den Straßen. Die Damen kleiden sich hier wirklich auffallend schick, und gestern kam mir dann eine sehr hübsche Frau entgegen, stark geschminkt, mit teurem Schmuck und edler Kleidung – sitzend in einem alten, verstaubten und verrosteten weißen Van, der so durch die Schlaglöcher hubbelte. Das hätte ich wirklich fotografieren müssen.

 

L

Lochklos – iih!

An viel zu vielen Stellen findet man diese schrecklichen Löcher im Boden, die eine Toilette darstellen sollen…Und Toilettenpapier gibt es auch äußerst selten, auf den Löchern ohnehin nicht, aber auch in der Schule oder in manchen Restaurants gibt es nicht einmal Vorrichtungen – also fleißig Eigenes mitschleppen…

 

Lächeln – steht jetzt nicht direkt unter Strafe, aber…

 

Strahlender Sonnenschein, ich hüpf schnell in den Supermarkt, schnappe mir eine neue Packung Schwarzer Tee-Grape/Rasberry, läche die Verkäuferin an – “sdrastwuitje” und …ups…

ihr entgleiten erst einmal die Gesichtszüge. Erklärend gebe ich zu, Ausländer zu sein – und sie fängt total an zu grinsen. Achja, ich kann nichts für mein Verhalten – ich bin Ausländer, und sie kriegt sich gar nicht mehr ein vor Grinsen. Als ich dann noch fröhlich einen schönen Tag wünsche, schüttelt sie nur noch ungläubig den Kopf.

Ich will wirklich nicht sagen, dass Kaliningrader unfreundlich sind. Es ist einfach nur nicht üblich, fremde Personen anzulächeln oder gar auf die Idee zu kommen, sie zu begrüßen. Kann man vielleicht vergleichen mit der Reaktion einer Supermarktverkäuferin in Deutschland, wenn ich sie vorm Zahlen noch einmal umarmen und Küsschen links, Küsschen rechts verteilen würde.

Aber – ich bin ja Ausländer, da erklärt sich so manch sonderbares Verhalten…

 

M

Maria-Bildchen– sogar im Taxi. 2012-12-15 21.47.19In meinem Zimmer, im Taxi, im Auto meiner Kollegin – überall sehe ich Bilder von Maria. Dabei kommt mir der ganze Laden gar nicht so christlich vor, immerhin wird selbst sonntags ohne Wenn und Aber gearbeitet. Das muss ich noch irgendwann verstehen.

 

 

N

Notensystem – ich rege mich nicht auf, ich rege mich nicht auf, ich .. grr!

Im russischen Bildungsystem gibt es 5 Noten, 1 hundsmiserabel, 5 ganz passabel.

Grundannahme ist dabei, dass jeder Schüler bei gutem Unterricht eine fünf erreichen kann – im Gegensatz zu unserem, wo ja immer von einer Normalverteilung ausgegangen wird, starkes Mittelfeld, paar Gute, paar Schwache. Russland ist da also optimistischer.

Schade nur, dass so die Noten zum Maßstab des Unterrichts geworden zu sein scheinen. Schüler sind dann schlecht, wenn der Unterricht schlecht war. Ein entsprechendes Zeugnis will sich eine Lehrerin kaum selbst ausstellen und nach diesem Selbstverständnis wurde die eins gleich gestrichen. Zweien werden außerdem auch kaum vergeben.

So sollte ich einmal eine Hausaufgabe korrigieren, ich legte die Hefte meiner Kollegin danach vor – und ruck-zuck wurde aus meiner 1 für nicht gemachte Hausaufgen eine drei. Eine drei! Für ein weißes Blatt Papier..

Auf dem Zeugnis gibt es also meist minimal eine zwei (seltenst!!), Sitzenbleiben ist ohnehin nicht vorgesehen und wenn die Schüler dann keine Lust auf blödes, schweres Deutsch haben, bleiben nur die Eltern als Druckmittel. Wenn die dann meinen, Töchterlein solle lieber Schauspielerin werden, dann kann Unterricht mit pubertierenden 9ern sehr, seeehr angenehm werden…

 

 

Notizbuch– immer mit dabei.

Tscherniachowsk (38)

Mein kleines Büchlein ist immer mit on Tour. Sei es um irgendwelche spontanen Termine aufzuschreiben, Handynummern auszutauschen oder nur neue Vokabeln zu lernen.Dabei ist es aber immer wieder spannend, dass ich meist dreifach durchgestrichene Wörter darin finde. Irgendwie meint nämlich fast jeder Russe, den ein oder anderen Rechtschreibfehler verbessern zu müssen, gleichwohl schon zwei andere Korrekturleser vorher schon ihre Meinung kundgetan haben…

 

O

Ordnung – ein sehr subjektiver Begriff.

Gehe es um die Verkehrsordnung oder um etwaige Bürokratie, der Kaliningrader ist dort flexibel.3,5-spuriges Abbiegen, Parken mitten auf dem Bürgersteig – oder doch lieber mit einem Reifen in der Luft – oder Missachtung von Zebrastreifen (echt gefährlich!) sind hier doch selbstverständlich.

Wunderschön fand ich auch den Satz meiner Ansprechpartnerin, die meinte „wir (Russen) haben noch mehr Bürokratie als die EU-Länder. Aber wenn wir das alles befolgen würden, dann wären wir doch Deutsche!“

 

P

Pepsi – nichts mit „Co-Cola“.(c) dq Möchte ich im Restaurant Cola bestellen, werde ich verwirrt angesehen, bis ich korrigiere: Pepsi!

Zwar bekommt man im Supermarkt auch die gute rote Flasche – aber Standard ist Pepsi.

Und die Geschmacksverirrung hat wirklich einen Hintergrund: 1972 tauschte sich der Pepsi-Konzern in der sowjetischen Markt ein, und vertrieb im Gegenzug russischen Stolichnaya Wodka auf dem US-Markt – und Co-Cola blieb „das“ Symbol für den westlichen Kapitalismus.

 

Pförtner – wofür?

Meine Schule hat, wie die meisten öffentlichen Gebäude einen Pförtner. Pardon, drei Pförtner. Den grüße ich immer ganz freundlich und übe Verabschiedungsformeln, wenn ich die Schule verlasse. Sowas ähnliches gibt es auch in den Supermärkten – Frauen die an den Gängen stehen, und beobachten, ob du etwas mitgehen lässt. Und in der Schule gibt es auch noch Menschen, die die ganze Zeit putzen. Nicht mit Wischmobb und Eimer, sondern mit nassem Handtuch unter Fuß.Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, dass es sich hier um eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme handelt.

Aber nein! Ich vergaß –  unser Pförtner notiert nebenbei noch, wer welchen Schlüssel zu welchem Raum hat.

 

Q

Quängeln, Jammern, Nölen? – Hinnehmen lautet die Devise.Ob es die Zentralheizung ist, die bei 7° Außentemperatur noch nicht angeschaltet wird, tagelanges Regenwetter, von der Schulleitung verordnete Bevorzugung bestimmter Schüler, unbezahlte Überstunden… gemeckert wird so schnell nicht. „Es ist eben so und wird sich nicht deshalb ändern, weil ich etwas sage oder nicht sage.“.

 

Vielleicht bewegt sich deswegen so wenig hier. Manchmal können wir Deutschen uns von diesem Hinnehmen aber auch gerne mal eine Scheibe abschneiden…

R

Regenschirm– überlebenswichtiges Utensil.

Egal, wie die Sonne scheint, ich glaube, wirklich jeder hier geht nicht ohne Schirm aus dem Haus. Leider fängt es nämlich viel zu oft sintflutartig an, zu regnen. Mein Schirm hat dazu den fiesen Wind nicht so ganz gut vertragen…

mein armer Regenschirm

 

Nachtrag: Mittlerweile habe ich gelernt, wie man einen Regenschirm richtig benutzt – auf Hüfthöhe!

So schützt man sich nämlich vor den Autofahrern, die mit ihren liebenswerten Ladas, Wolgas und Audi 80ern bei Regen umso elanvoller ungebremst durch die Pfützen poltern – und das arme unwissende Maren zur Abwechslung mal ungechlort duschen darf. Mjami.
Eine Freundin meinte schon: “Woran erkennt man russlanderfahrene Menschen? Daran, dass sie auf dem Bürgersteig immer ganz außen gehen, weit weg von der Straße.”

 

S

Schlafsessel – das war ein Schock!

Da zeigt meine Gastmami mir mein Zimmer, und ich besitze gar kein Bett! Dafür aber einen dicken braunen Sessel, den ich jeden Abend als Schlafgelegenheit umbauen darf, und jeden Morgen wieder einklappe.

Leider habe ich mir das blöde Ding gleich beim zweiten Mal auf den Fuß gestellt, weshalb mein dicker Onkel nun schon seit fünf Monaten in schönem blau schimmert – aua!

 

 

T

Telefonieren – immer und überall!

Auch im Unterricht und selbst im Gespräch mit der Direktorin darf das Handy nicht fehlen. Natürlich auch nie auf lautlos, dafür aber nicht immer in erreichbarer Nähe, sodass gerne eine Weile dem Universal-Klingelton (damit auch mindestens 3 weitere Personen zu kramen anfangen) gelauscht werden darf. Sollte man selber mal anrufen, darf man sich übrigens nicht von einem Besetztzeichen-ähnlichen Tuten irritieren lassen, bei manchen Telefongesellschaften ist das das ganz normale Freizeichen.

Übrigens sind Festnetztelefonate (noch) kostenlos.

Taschen – bloß nicht auf den Boden!

Rein ins Klassenzimmer, Tasche abgesetzt, Jacke über den Stuhl gehangen, “Guten mooo… Was guckt ihr denn alle so geschockt?”
Meine 13 Fünftklässler gucken mich so lange an, bis ein Mädchen aufsteht und meine Tasche auf den Stuhl stellt. Erklärung gibt es erst mal keine – dafür reicht das Deutsch nicht.

2012-09-24 14.14.02
Heute im Goetheinstitut dasselbe Spiel. Mascha erklärt von ihrer Dissertation, wo sie eine Technik entwickelt hat, Fischreste der Umwelt zuliebe zu Marmelade und Haribo zu verarbeiten (“Aber die Marmelade riecht und schmeckt noch nach Fisch, aber mein Stipendium läuft ja noch zwei Jahre…” – andere Geschichte ) und stopft dabei mit aller Gewalt ihre Handtasche in die kleine Bücherablage unter dem Schreibtisch.
Warum Schüler nur auf der Stuhlkante hockend unterrichtet werden?

Erklärung 1: Der Boden ist dreckig. — Kann ich nicht glauben, siehe P wie Pförtner, von wegen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme wird doch so viel geputzt!
Erklärung 2: Ein russischer Aberglaube besagt, dass, wer seine Tasche auf den Boden stellt, ewig arm bleiben wird.
…Mist!

 

U

Unbekannte Anrufer – jeden Tag.

Nicht genug damit, dass mir mein lieber russischer Telefonanbieter täglich…ääh..sicherlich sehr interessante Sms sendet (von denen ich genau gar nichts verstehe…), bisher hat mich jeden Tag mindestens eine Person angerufen, die ich gar nicht kannte, die sich aber unbedingt mit mir treffen wollte.

Anscheinend reicht hier jeder meine Handynummer weiter, damit die arme, kleine und hilflose Maren sich nicht langweilt und endlich begreift, dass man auch im Starkregen zweistündige Spaziergänge unternehmen kann. Nein, das ist eigentlich ganz süß und würden nicht alle Mädchen Mascha, Dascha, Shenja oder Nastya heißen und alle Jungs Artjom, Sasha (=Alexander) oder Dima heißen, könnte ich die Nummern nach den Treffen auch einspeichern und zuordnen. So gestaltet sich das eher kompliziert („Neuen Kontakt erstellen: Mascha, die gerne reitet und mit der ich Samstag im Zoo war.“)

 

V

VKontakte– Russen-Facebook extended.

VKontakte ist die russische Version von Facebook. Anscheinend ist jeder meiner Schüler hier, und ich finde keinen (so von wegen Namensproblematik, siehe „unbekannte Anrufer“). Außerdem kann man auf der Seite direkt Musik hören und Filme anschauen. In bester Qualität, und mit den entsprechenden Programmen auch herunterladen.Als ich gefragt habe, ob es da nicht Ärger mit Urheberrecht oder so geben würde, lachte meine Begleitung nur und meinte: „Wir sind hier in Russland!“…

 

W

Wasser – eine Wissenschaft für sich.

Kann man das Wasser hier trinken?

A)     Klar, ich trinke das und ich lebe!

B)      Bloß kein Leitungswasser, aber gefiltertes.

C)      Gefiltertes abkochen

D)     Ich kaufe ausschließlich und putze damit sogar Zähne, mit dem anderen habe ich mir schon zwei Zahnfleischentzündungen zugezogen.

E) Wir fahren ins Kaliningrader Gebiet zu einem Brunnen…

Bisher lebe ich noch, und das von Variante B.

 

X

Халат [Chalaht] – Morgenmantel.Während auf der Straße alle so gepflegt herumlaufen, ist das Erste, was meine Gastmami zuhause macht, sich ein altes verwaschenes Nachthemd anzuziehen. Dasselbe, wenn ich bei einer Kollegin nachhause eingeladen wurde – in der Schule ach-so-ordentlich, zuhause doch eher bequem und entspannt.

Sympathisch 🙂

Y

учит- [utschit] – er/sie lernt.2013-01-14 09.49.55 

 

 

 

 

Dieses Symbol oder ein Ausrufezeichen auf gelbem Grund müssen Fahranfänger im ersten Jahr an ihrem Auto befestigen. Halte ich für eine gute Idee, gerade im nervenaufreibenden russischen Verkehr, wo an einer roten Ampel aus einer Spur gerne mit der Zeit auch drei werden, bei grün wird bestmöglich eingefädelt.

 

By the way:

Dass das kyrillische Y dem deutschen U entspricht, hat auch einen meiner Schüler zu einer allzu wahren Aussage verleitet:
„Ich sehe die Bundesliga. Ich mag Bauern Munchens.“

So!

 

Z

Zelle – oder wie sehr ich mein Visum doch liebe.

Dank Adnokratnaja-Visum (einmalig…) ist die Oblast Kaliningrad mit rundherum EU-Nachbarn meine Insel-Zell-Haft – selbst nach Russland darf ich nur per Flugzeug.

Und um das Eingesperrt-Feeling noch ein bisschen zu verstärken, darf ich mich selbst in den 16 000 km2 (etwa wie Schleswig-Holstein)nicht frei bewegen – Richtung Baltisk am Meer ist nämlich militärisches Sperrgebiet…

sperrgebiet (gestreift darf ich nicht betreten)

9 Gedanken zu “Alltags-ABC

  1. Über die Kommentare auf die Vorversion, die sich noch in den Blogartikeln findet, habe ich mich auch sehr gefreut, daher werden die mal kurzerhand hier eingefügt 🙂

    Jutta M. sagt:
    20. Oktober 2012 um 18:42

    Liebe Maren,ich bin begeistert von deinen Berichten ,so kann ich
    mir den Alltag besser vorstellen.

    Herzliche Grüße Jutta M.

    Rike sagt:
    20. September 2012 um 19:05

    Ganz tolle Idee Maren und mit viel Witz geschrieben. So lernt man gleich ganz viel über deinen Alltag und was dich beschäftigt. Lustig was du jeweils für interessante und passende Anekdoten erzählen kannst! =)

    B. Milewski sagt:
    17. September 2012 um 00:06

    Dein russisches Alphabet finde ich super toll! Ich hoffe, die anderen Buchstaben werden auch bald bearbeitet.
    Liebe Grüße böbi

  2. Toll, jetzt ist ja noch vieles dazu gekommen!
    Wäre ja noch riesiger, wenn Dir zu den letzten freien Buchstaben auch noch so was Spannendes einfallen würde wie bei den anderen!

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