Das letzte Mal beim „Power Body“ im Fitnesscenter sich um die letzten vier Kniebeugen rumdrücken, die wöchentlichen Mails des deutschen Stammtischs nach monatelangem Ignorieren nun abbestellen, Schulschlüssel loswerden, Unterrichtsmaterial verhökern, der Dame in der Mensa Tschüss sagen und mich bei der Brotverkäuferin abmelden, Dankbrief schreiben, Bücher und DVDs zurückgeben, Fotos machen von Plattenbauten und der uralten Straßenbahn, was eigentlich schon Alltag ist – Abschied nehmen.
“ Kaliningrad dreckig, kriminell! Macht krank.“
Vor 170 Tagen saß ich mit Tränen in den Augen ziemlich eingeklemmt in einem Abteil des Kurswagens nach Kaliningrad, während eine Tadschikin nun zum dritten Mal meine Koffer unter dem Bett hervorzog. „Mädchen muss hier aussteigen. Schnell zurück, solange noch geht. Deutschland gut, Kaliningrad nicht gut! Kaliningrad dreckig, kriminell! Macht krank!“
170 Tage später fürchte ich höchstens, an Mamis-Bliny-Entzug zu erkranken, wenn ich wieder in Deutschland bin. Aber dagegen schreibt maja russkaja Mama (meine russische Mami) mir nun fleißig Rezepte auf. Die ich sogar lesen kann! Im September bestand unsere Kommunikation noch daraus, dass sie Freunde über Skype anrief, damit die übersetzen. Übersetzungsbedarf bestand aber schon ab Frühstück, wo Dascha doch eigentlich lieber noch schlafen wollte…
Nach 50 Stunden offiziellem Russischunterricht und täglichen Extraeinheiten beim Pförtner oder bei den Damen der Garderobe kann ich mich jetzt durch den Alltag quatschen, zum Friseur gehen, ohne mit roten Haaren wiederzukommen, in der Mensa auch mal Krautsalat statt Tomaten und Gurken bestellen und muss kein unangenehmes Schweigen durch gebanntes auf-den-Fernseher-starren überbrücken, wenn ich mit einer ausschließlich russisch sprechenden Person im Raum bin.
Fernseher, die hier immer und überall, zuhause und im Café, angeschaltet sind und entweder Boxkämpfe, meist aber Modelshows oder Styling Tipps zeigen, gehören übrigens nicht zu den Sachen, die ich in Deutschland vermissen werde.
Dafür aber das tolle Essen meiner Gastmami, das ewige Tee trinken und spazieren gehen, für 12 Cent Bus fahren zu können und sogar in einer uralten Tram aus Deutschland free WiFi zu haben, meinen unglaublich entspannten Alltag und einfach Zeit zu haben.
Letzten Sommer habe ich unserer Nachbarin noch erklärt, ich werde in Russland sicher viel vermissen, aber dann wisse ich auch, was mir in Deutschland wichtig sei.
Aber was vermisse ich eigentlich?
Na gut, auf jeden Fall: sauberes Wasser! Ich rätsele jedes Mal, ob ich mich nach dem Duschen nicht eigentlich dreckiger fühle, als vorher.
Dann noch die Möglichkeit, etwas unternehmen zu können – meine Freunde haben meist einfach nicht genug Geld oder einfach keine Lust, ins Kino, in einen Club, eine Ausstellung oder ins Theater zu gehen, oder es scheitert an meiner Sprache.
Am meisten ärgert es mich aber eigentlich, dass ich mit dem blöden Visum nicht reisen kann. Während die anderen Kulturweitler echt etwas erleben, habe ich alle drei Städte meiner Region besucht und sonst… Sonst gibt es noch brach liegende, versumpfende Felder und Kriegsdenkmäler, während die meisten meiner russischen Freunde jedes zweite Wochenende nach Polen rüberfahren.
Aber genug gejammert, das hätte ich mir hier echt abgewöhnen können, immerhin kenne ich kein Volk, was so viel ohne Diskussion, Gemecker und Protest hinnimmt.
Und Grund zum Meckern habe ich wirklich nicht. Ich hatte hier eine wunderschöne, entspannte Zeit, in der ich mein ganzes Ost-Bild komplett über den Haufen geworfen habe und werde gerne irgendwann noch mal nach Kaliningrad zurückkehren – spätestens 2018 zur WM.
Ganz auf die Schnelle noch einen Riesendank an alle, die mich in den letzten sechs Monaten begleitet haben, sei es über Skype um die Explosion des Außer-Kontrolle-geratenen Gasofens zu verhindern oder meine liebe Chat-Was-soll-bloß-aus-Maren-werden-Beratung (leider bislang ohne Erfolg…) und Danke für tolle Adventskalender in der Weihnachtszeit.
Nicht zu vergessen meine tollen Kolleginnen an der Schule in denen ich entweder tolle Freundinnen, oder Ersatzmamis, oder beides gefunden habe, die ganzen netten Menschen, die mir Kaliningrader Sehenswürdigkeiten zeigen wollten (Warst du schon auf der Kantinsel? Im Zoo? Am Meer? Auf dem Markt? Oh… Dann hast du wohl alles gesehen.) und die süßen Trainer in meinem Fitnessclub, die mittlerweile ihre Stunden bilingual russisch-Zeichensprache oder russisch-englisch gestalten.
Danke natürlich auch an kulturweit für eine einmalige Chance und erstklassige Betreuung – und sollte sich hier ein Kulturweitler in spe hin verirren: Nicht lang zögern, mitmachen und die Welt erkunden.
Ich habe es noch keine Sekunde bereut.
Was ich damit ausdrücken will, ist das Maren uns bestimmt alle vermisst. Aber das ist bestimmt so selbstverständlich, dass sie das andere als Zusatz erwähnenstwerter und interressanter für die Leser empfunden hat. 🙂
Du spinnst, bist niedlich und hast recht 🙂
Maren ist toll 😛
Na, ich hätte ja doch gedacht, dass Du nicht nur sauberes Wasser, sondern vielleicht auch Deine Freunde oder Deine Familie in Deutschland vermisst hast – so kann man sich irren …:-(
Im übrigen ist es aber ein schönes Schlusswort 🙂