01.09.2012
Die erste Hürde meines Freiwilligendienstes habe ich gemeistert – ich bin in Kaliningrad angekommen und ich leeebe!
Dabei war das alles gar nicht so einfach.
Wer nach Russland gehen will, darf sich erst einmal um ein Visum bemühen. Was man genau braucht, was man genau beantragen will – dafür gibt es bislang wohl noch keine Patentlösung.
Aber die Visa-Geschichte füge ich bei Gelegenheit an – und wer noch etwas wissen mag, darf mich auch gerne selbst anmailen.
Next step: How to travel
Ich könnte jetzt sagen aus Umweltschutzgründen, aber was mich eigentlich dazu bewegt hat, mich für den Zug zu entscheiden, war das Interesse an einem internationalen Schlafwagen und den Leuten im Zug und einfach die lange Reisezeit (etwa 18 Stunden) – so hatte ich wirklich Zeit, Abschied zu nehmen und mich im Kopf ein bisschen auf das Neue einzulassen.
Los geht’s
Von Berlin verkehrt ein Kurswagen direkt nach Kaliningrad. Für knapp 70€ kann man dann 18 Stunden im Schlafwagen bespaßt werden – wüsste irgendjemand, wo und wie man dieses Ticket buchen kann… Aber die lieben Bahnmitarbeiter haben sich 90 Minuten mit mir, dem PC und dem russischen Reservierungssystem auseinandergesetzt und siehe da – es funktioniert. Was nicht funktioniert ist, herauszufinden, wo der Zug dann letztendlich eintreffen wird. Selbst die Anzeigetafel am Hauptbahnhof konnte noch 5 Minuten vor Abfahrt keine Gewissheit verschaffen, sodass der Zug dann doch nicht wie gedacht auf Gleis 11 ankam, sondern wir während der Zug einfuhr noch mit meinen zwei Koffern, Handgepäck und gaaanz viel Proviant zu Gleis 12 hetzen durften.
Nachdem ich mein Megagepäck in den Waggon gehievt hatte, hörte der Stress aber nicht auf:
Auf Russisch, Englisch und Deutsch mussten meine beiden Abteil-Kommilitoninnen und ich eine Stunde lang die Gepäckaufbewahrung koordinieren, so ein Abteil ist nämlich ganz schön eng!
Das machte sich auch beim Schlafen-gehen bemerkbar. Eine Mitfahrerin hatte uns schon in Polen verlassen, die andere verbannte mich kurzerhand auf das obere Bett – im Liegen hatte ich ganze 30cm Platz zur Decke und passte in der Länge nichtmals ganz auf das Bett, Problem nur: anwinkeln konnte man die Beine wegen Platzmangel auch nicht.
Daher ließ ich diese einfach rechts aus dem Bett hängen. Führte allerdings dazu, dass ich bei jedem Stopp mehr oder weniger aus dem Bett rutschte. Einen Abschluss der Schlafgelegenheit (Bett ist ja eigentlich doch übertrieben 😉 ) gab es nämlich nicht. Und von diesen Stopps gab es einige.
Bitte fragt nicht, warum (das erste russische Wort, was ich in der Freiwilligenzeit lernte: почему [potschemu] – warum). Das konnte nämlich niemand erklären. Auch nicht, warum der Zug nach 3 Stunden Halt 20 Minuten wieder Richtung Heimat fährt, 10 Minuten hält, denselben Weg wieder zurück fährt und am 3-Stunden-Halte-Punkt nochmal 30 Minuten verweilt. Я не знаю – ich weiß es nicht.
Und trotzdem Zug?
Nein, ganz ehrlich – das hört sich alles vielleicht etwas anstrengend und chaotisch an. War es auch. Aber ich kann jedem, der die Zeit hat und vor der Wahl steht, mit diesem Zug zu fahren nur dazu raten. (Aber einmal reicht mir – zurück geht es mit dem Flugzeug, der Zug fährt nämlich nur in den Sommermonaten, phu…).
Einmal aus den Gründen oben – ich saß wirklich 18 Stunden im Zug und war zunächst sehr deprimiert vom Abschiednehmen, aber als wir endlich über die russische Grenze waren, wollte ich wirklich langsam ankommen.
Außerdem habe ich im Zug einfach total interessante Menschen kennengelernt. Das Abteil zum Beispiel habe ich mir geteilt mit einer 25 jährigen Israelin und einer 67 jährigen Tadschikin (hat sich später selbst zu „meiner russischen Babuschka“ ernannt). Die Tadschikin versuchte zwar durchgehend, mich in gebrochenem Deutsch dazu zu bewegen, bloß nicht nach Kaliningrad zu gehen, Deutschland sei doch viel besser und Kaliningrad „niiicht gut, niiicht gut.“ (Übrigens sehr erbaulich, wenn man gerade Familie und Freunde sooo vermisst 😉 ). Meine russische Babuschka ist auch nur wegen dem Krieg in Kaliningrad. Deswegen hasse sie Muslime. Und Juden.
Die Israelin war Jüdin, nahm das aber relativ gelassen hin und konnte die Omi dann doch runterhandeln, nur Fundamentalisten zu hassen.
Ich glaube man muss solche Situationen mit einem Augenzwinkern hinnehmen und das für sich mitnehmen, was man gebrauchen kann.
So war ich zum Beispiel begeistert von der Art meiner israelischen Mitfahrerin, wie sie von ihrem Land erzählte, auch davon, dass ihre Freunde im Krieg gestorben seien und in Israel eine Wehrpflicht sogar für Frauen besteht.
Es sind einfach Dinge, die in Deutschland so fern scheinen und die ich auch nicht erleben möchte, aber dennoch ist es einfach endlos spannend, mit solch verschiedenen Menschen zu erleben und deren Erfahrungen zu teilen.
Und das wohlgemerkt ohne, dass wir dieselbe Sprache sprechen.
Fazit: International Zugfahren ist kulturweit extrem!
Den ersten Artikel von dir lese ich ganz zum Schluss – auch eher weniger clever. Es ist wirklich gut, dass du diese Zugfahrt gemacht hast. Klar, einmal reicht, aber es hat dir sicher gleich zum Anfang ein wenig die Augen geöffnet, denn vorher gab es die Schule und deinen Freundes- und Familienkreis. So begann der Einstieg für deinen Auslandsaufenthalt schon einmal mit einem krassen Bruch zu deinem üblichen Alltag! Das ist wichtig um Erfahrungen zu sammeln. Ich gönne dir dennoch den RückFLUG! 🙂 Rike
Hallo Maren,
diese Zugfahrt, mit der Fundamentalisten-Omi und der gelassenen Israelitin, das zeigt nur, wieviel du noch erleben wirst in Russland – man, von dem Land hört man so gut wie nie etwas, ausser Putin und gelenkte Demokratie. Doch was kennt man von diesem riesigen Land? Ich bin echt gespannt, was du erzählst und was du erlebst, denn ich habe grosse Lust, das Land der kyrillischen Sprache näher kennenzulernen. 🙂 Toll!
Liebe Grüsse,
Philipp