Wie es ist, wieder in Deutschland zu sein. Mein Kopf in den Wolken.

26.07. – 06:30 Uhr morgens, Almaty: Ich steige in den Flieger mit Tränen in den Augen. Ich will nicht weinen, ich hatte ein wundervolles Jahr und bin glücklich, dass es ich das alles erleben durfte, aber manchmal kann ich nichts dagegen tun. Ich bin übermüdet, konnte in der Nacht nicht schlafen und bin aufgekratzt. Mein Sitznachbar schaut mich verwirrt an, lässt mich aber in Ruhe.

Die Anschnallzeichen leuchten auf, die Sicherheitsdurchsage läuft und das einzige, an das ich denke ist „mein Leben verändert sich gerade. Was wird nur?“. Das Flugzeug hebt kurz darauf ab und ich kann noch einen letzten Blick auf die Stadt werfen, die ein Jahr lang mein Zuhause war. Die Sicht ist klar, der Smog ist noch nicht da. Ich sehe die atemberaubenden Berge, die ich so lieben gelernt habe. Das Flugzeug dreht und alles ist weg. Ich denke an meine Freunde, mein Leben, das ich hinter mir lasse. Der Flug vergeht, ich weine alle paar Minuten.

In Stuttgart werde ich von meiner ganzen Familie erwartet, sie haben ein großes Schild, auf dem in Russisch steht „Julechka, herzlich Willkommen!“. Ich bin froh, endlich daheim zu sein und bin verwirrt, weil alle um mich herum Deutsch sprechen.

Am Abend stehe ich in meinem Zimmer, das meine Mutter für mich leer geräumt hat. Ich stehe mitten im Raum und weiß nicht wohin mit mir, mit meinen Gefühlen. Ich frage mich selbst, ob ich schlafen gehen soll? Soll ich mich hinsetzen? Soll ich bei meiner Familie sein? Soll ich einfach stehenbleiben? Nach einigem hin und her entscheide ich mich, meine Kamera zu nehmen und spazieren zu gehen. So, wie ich es in Almaty gemacht habe, wenn ich nicht wusste wohin. Ich gehe die Straße entlang, sehe, was ich jahrelang gesehen habe und weiß nicht so recht, was ich denken soll. Alles ist anders und doch irgendwie gleich. Die Häuser stehen akurat, in den Vorgärten ist kein Halm zu lang, alles ist grün und mit offensichtlicher Mühe gepflegt. Ich bin überfordert, es sieht aus wie in einer Musterstadt.

Zurück zu Hause bin ich begeistert, dass ich das Wasser aus dem Hahn trinken darf und fülle unzählige Male mein Glas nach. Ich werfe den Plastikmüll in den Restmüll und frage mich selbst, wie es soweit kam. Jetzt schon fühlt sich das vergangene Jahr an wie ein Traum, Völlig weit weg und surreal. War ich wirklich da? Habe ich das wirklich alles erlebt? Die Rückreise ging einfach zu schnell.

 

30.07. – 18 Uhr: Tage später bin ich immernoch mit meinen Gedanken wo anders, immer wieder denke ich an meine Freunde. Was die wohl gerade machen? Es ist 18 Uhr, also 22 Uhr in Almaty. Mit wem rede ich jetzt? Mit wem trinke ich ein kühles Bier, hier gibt es doch gutes Bier in Fülle! Mir fällt niemand ein, meine Freunde wohnen alle nicht mehr in unserem Heimatort.

13.08. – 13 Uhr: Das Nachbereitungsseminar. Ich freue mich, bekannte Gesichter zu sehen, manche habe ich in dem Jahr auch zwischendruch gesehen. Wie schön! Aber als ich gefragt wurde, ob ich gerade wirklich da bin, konnte ich das nur verneinen. Ich bin nicht komplett da. Meine Gedanken sind woanders und vergleichen permanent mein Leben in Almaty mit dem, was jetzt mein Leben ist oder sein soll. Im Lauf der Woche komme ich ein wenig zur Ruhe, nehme etwas Abstand von den zwei Alltagen, die in meinem Kopf kollidieren.

 

Heute, zu spät am Abend: Ich bin immernoch mit dem Kopf in den Wolken. Ich vermisse immernoch so vieles und es wird noch eine Weile dauern, bis ich die Abwesenheit meines „alten“ Lebens nicht mehr permanent spüre. Es geht nun darum, einen neuen Alltag zu bekommen, ein anderes Leben zu beginnen. Das Problem, das sich mir nun stellt ist, dass der Alltag hier genau der selbe ist wie vor einem Jahr und ich diesen im Moment noch nicht akzeptieren kann oder will. Ich frage mich wirklich, wie lange das anhält. Bis dahin versuche ich mich mit guter Musik abzulenken und in den Tag zu leben. Und auch Dotan sagt „it gets better“. Ich hoffe es.

 

 

 

 

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