entre espacios

La Milonga – Auf den Spuren des Tango

Ein tänzerischer Annäherungsversuch am Río de la Plata

Text von Karoline Möller und Josephine Taraschkewitz

Fotografien: Josephine Taraschkewitz

 

Anfangsidee und Ausgangspunkt unseres Projekts ist der Tango – lebendiger Ausdruck und musikalische Manifestation der Einwanderungsbewegungen in Südamerika. Diese Kulturschöpfung, die bis heute nicht an ihrer Lebendigkeit eingebüßt hat, zieht auch zeitgenössische Einwanderer, wie wir es als kulturweit-Freiwillige vorübergehend ebenso sind, heute wie damals, in ihren Bann.

 

Wir, Karoline und Josephine, leben und arbeiten im Rahmen des kulturweit-Freiwilligendienstes für 12, beziehungsweise 6, Monate in der Region des Río de la Plata.  Karoline ist 20 Jahre alt und hat 2015 ihr Abitur gemacht. Sie arbeitet in Buenos Aires an einer deutschen Schule. In ihrer Freizeit tanzt sie leidenschaftlich gern klassisches Ballett und andere Tanzstile. Josephine ist 25 Jahre alt und arbeitet in Montevideo für die Unesco Nationalkommission. Sie hat Kunstgeschichte studiert und geht seit vielen Jahren ebenso ihrem Hobby, dem Tanz, nach.

Auf einem unserer Seminare sind wir über Argentinien, Uruguay, Kultur und Tanz  miteinander ins Gespräch gekommen. Nach einiger Zeit stießen wir auf die Frage: Was ist eigentlich Tango? Ist er doch ein wichtiger Bestandteil der Kultur unserer Einsatzländer.

 

Neugierig, den Spuren dieser Fragestellung folgend, machten wir uns auf Entdeckungsreise in Buenos Aires und Montevideo, den zwei Metropolen der Río de la Plata Region. Mit unseren gegenseitigen Besuchen vollzogen wir geografische Blickwechsel, motiviert durch folgende Überlegungen: Wie viel erzählt der Tango von der argentinischen und der uruguayischen Kultur? Gibt es regionale Unterschiede in den beiden Großstädten? Was bewegt die Menschen dazu Tango zu tanzen? Inwiefern gibt es feste Regeln im Tango oder ist er ein Tanz, der vielmehr von der Improvisation lebt?

Der Río de la Plata verbindet Argentinien und Uruguay. Am Horizont die Hochhäuser Buenos Aires‘.

Begonnen haben wir unsere Reise in Buenos Aires, und zwar mit einer Recherche. Auf die Fragen „Was ist der Tango?“ und „Wo kommt er her?“ haben wir folgende Antworten gefunden:

Der Tango ist am Río de la Plata geboren: ,,Er war das Resultat einer brodelnden Verschmelzung aufeinanderprallender Kulturen im Überlebenskampf entwurzelter Menschen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Mündungsgebiet des Río de la Plata.“[1]

Die Immigranten aus Europa, die Bauern, die ihr Land verloren haben und die Sklaven trafen ab 1850  in den Großstädten Südamerikas aufeinander und brachten ihre eigenen Musikinstrumente, Rhythmen und Kulturen mit. Sie vereinte jedoch die Sehnsucht, der Schmerz und die Sorgen um das Dasein. Das Leben in der Großstadt war hart und hässlich. Die Menschen suchten Trost und Nähe. Auf diese Art entstanden die ersten Töne und Schritte des Tangos. Die Tänzer umarmten sich, suchten die Nähe des anderen und schritten so eng miteinander verbunden in den Straßen von Buenos Aires.

Nachdem der Tango in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts seine Blütezeit erlebte, begleitet von einem sehr hohen musikalischen Niveau, verändert sich die Musikkultur Buenos Aires´ in den 70er und 80er Jahren. Durch den Beginn der Diktatur und den Einzug des Neoliberalismus verlieren nationale, kulturelle Phänomene an Bedeutung und der Tango sowie die, der argentinischen Kultur eigenen Folkloremusik, büßen an Zuspruch ein. Der Rock´n´Roll breitet sich aus und überlagert wertvolle nationale Kulturformen. Es folgen 30 Jahre des Vergessens seiner reichen Ausdrucksformen. Seit circa 15 Jahren ist man sich in Argentinien wieder des Tangos bewusster.

Um uns erst einmal einen Eindruck über die Blütezeit des Tangos zu verschaffen, besuchten wir das Haus des berühmten Tangosängers Carlos Gardel, welches heute ein Tangomuseum beherbergt. Wir bemerkten, was für eine goldene Zeit die 20er in Buenos Aires waren und dass die Musik und der Tanz zwar

zusammenhängen, aber doch auch eigenständig betrachtet werden müssen. Letztendlich verließen wir das Museum mit mehr Fragen, als Antworten und fuhren gleich weiter in das Tanzstudio Dinzel.

 

 

Das Tanzstudio Dinzel wurde 1988 von Carlos Rodolfo Dinzelbacher mit dem Ziel gegründet einen Raum für Tanzunterricht und der Vermittlung des Tangos in seiner populären argentinischen Art zu schaffen – frei zugänglich für jede Person, die es sich wünscht.[2] In diesem kleinen, aber sehr besonderen Studio treffen sich Tangobegeisterte aus aller Welt, um frei zu tanzen, Tangounterricht zu nehmen oder einfach den gemeinsamen Moment bei einem Mate zu genießen.

Hier bot sich uns die Möglichkeit, verschiedene Tangotänzer zu interviewen, ganz individuelle und persönliche Antworten auf unsere Fragen zu bekommen als auch uns selbst im Tango tanzen zu üben.

 

Ennio Fioramonti

Wieso der Tango ein Kind der Einwanderungsbewegungen Südamerikas ist, erklärt sich uns im Gespräch mit Ennio Fioramonti. Ennio stammt aus der Schweiz, lebt jedoch seit sechszehn Jahren in Italien und ist derzeit für sechs Monate in Buenos Aires – wo er nun vielleicht für immer bleibt. Seine ganz individuelle Tangogeschichte beginnt mit einer großen Umbruchzeit in seinem Leben. Am Übergang von der Universität zum Beruf durchlebte er einen schwierigen Moment, durch den er auf der Suche nach Halt war. Zwischen dem Lebensabschnitt eines Studenten und dem Einstieg in das Arbeitsleben hat ihm der Tanz des Tangos eine Identität verliehen, die er in dieser Zeit dringend benötigte – er wurde wie eine Abhängigkeit für ihn.

Der Tanz des Tango scheint, den Menschen Halt zu geben, Entwurzelten eine Identität zu verleihen.

Was mich besonders am Tanz des Tango fasziniert, ist die non-verbale Kommunikation. Es geht nicht darum etwas nach Außen zu zeigen, gut auszusehen oder eine Art Show darstellen zu wollen, sondern um das, was sich im Inneren abspielt.“ Ennio spielt mit seiner Schilderung auch auf das Geschäft mit den Touristen in Buenos Aires an, das aus dem Tango eine Massenattraktion mit Verkaufswert zu machen versucht. Ennio sieht den Wert des Tangos aber in ganz anderer Hinsicht. Die Faszination dafür, eine Verbindung mit einer anderen Person einzugehen, indem man eine gemeinsame Körpersprache entwickelt. Diese Begeisterung führte dazu, dass Ennio seit circa 19 Jahren nicht mehr vom Tango lassen kann. Seit 1997 zieht sich der Tango durch sein Leben, mit mehr oder weniger intensiver Regularität. Als er nach Italien auswanderte, boten sich ihm an seinem neuen Lebensort wenig Möglichkeiten zu tanzen. Seine Tanzpraxis schlief ein. Nach dieser inaktiven Pause entschied Ennio vor einem Jahr, sich mehr sich selbst zu widmen und das größte Geschenk, das er sich machen konnte, war es wieder intensiv Tango zu tanzen. So ist der Entschluss gefallen, für einige Monate nach Buenos Aires zu gehen, wo er nun Bestandteil des Studio Dinzel ist.

 

Guillermo Brizuela

Guillermo Brizuela ist ebenso von dieser Verbindung fasziniert. Für ihn ist die Umarmung im Tango das Wichtigste und gleichzeitig das Schwierigste. Man kann diese Umarmung nicht beigebracht bekommen, man muss sie für sich entdecken. Der Abrazo ist der elementare Baustein um sich auf den Tanz des Tangos einlassen zu können. Wenn man ihn gefunden hat, geht der Rest von alleine, denn dann ist man mit seinem Partner verbunden und besitzt die Freiheit, miteinander zu kommunizieren und einander zu folgen. Diese Umarmung ist seiner Meinung nach das Element, welches die Menschen seit Anfang des 19. Jahrhunderts an den Tango fesselt. „Damals wie heute“ , so sagt Guillermo, „suchen wir alle ,,la profundidad“ , das Tiefsinnige und Existenzielle“. Genau dieses Gefühl lässt sich im Tango, in der Umarmung, finden, denn er sei Teil einer ,,cultura profunda que nació del alma y sentimientos profundos, como el amor, la pasión y la melancolia“ – einer tiefgründigen Kultur, welche aus der Seele und aus tiefergehenden Emotionen, wie der Liebe, der Leidenschaft und der Melancholie, geboren sei. Der Tango ist auch heute noch ein Großstadtphänomen. Die Menschen in den Städten scheinen, sich selbst mehr zu verlieren. Wir fühlen, dass unsere Welt immer schneller, hektischer, anonymer und einsamer wird. Der Tango erlaubt uns, sich einem fremden Menschen für wenige Minuten zu nähern, ohne eine weitergehende Verpflichtung eingehen zu müssen. Genau aus diesem Grund ist für Guillermo Brizuela die Bedeutung von Tango „el camino espiritual“ – der spirituelle Weg. Indem man sich darauf konzentriert, sich mit dem Anderen zu verbinden, verbindet man sich mit sich selbst.

 

Karoline

Dieses Gefühl kann auch Karoline bei sich wieder finden. Sie sagt: ,,Ich suche meine Achse und meine Mitte. Dann suche ich mit meinem Oberkörper das Zentrum meines Partners und konzentriere mich auf die Signale, die er mir sendet. Der Kopf ist ausgeschaltet, das ganze Bewusstsein ist auf die Verbindung mit dem Partner gelenkt und die Füße folgen den Impulsen. Mit jedem Partner ist es eine neue Erfahrung und eine neue Reise auf dem spirituellen Weg. Ich persönlich lerne viel während ich Tango tanze. Als Balletttänzerin bin ich es gewohnt nach einer festen Choreographie zu tanzen, vorgegebenen Schritten zu folgen und demnach auch immer im Kopf einen Schritt voraus zu sein. Für mich war die größte Herausforderung, meinen Kopf auszuschalten, meinem Gegenüber zu vertrauen und den Körper sprechen zu lassen. Meine größte Angst war es, den Vorstellungen meines Partners nicht gerecht zu werden, dass ich nicht verstehe, wohin er mich führt beziehungsweise was er von mir will. Ich musste lernen, nicht zu versuchen, zu erraten, was er tanzen will, sondern es zu erspüren. Diese Lektion lässt sich für mich auf das Leben übertragen. Manchmal ist es in Ordnung, den nächsten Schritt nicht zu kennen. Man sollte aber mutig genug sein, anderen zu vertrauen, zu entspannen und der Kreativität freien Lauf zu lassen. Ich spüre, wie viel Energie ein Tangopaar aufbaut, wenn es miteinander verbunden ist und wie viel es gemeinsam kreieren und schaffen kann.“

Dieser kreative Schaffungsprozess, der spirituelle Weg zu sich selbst und die unverbindliche Umarmung erklären uns warum heutzutage immer mehr Menschen beginnen, Tango zu tanzen. Der Tango entstand, da die entwurzelten Menschen Halt suchten. Karoline vermutet, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung in der heutigen Zeit auch entwurzelt sei. Ihrer Meinung nach suchen die Menschen sich selbst im Yogastudio, beim Psychologen, auf Reisen oder eben beim Tango. Sie suchen nach dem Sinn des Lebens und ihrem Platz in der Welt. Tango, welcher aus genau diesem Gefühl, aus dieser Sehnsucht nach Verwurzelung geboren wurde, kann diese Illusion für drei Minuten geben.

 

Mariano Barreiro-Ezequiel

Auch Mariano Barreiro-Ezequiel, Künstler und Tangopianist bringt uns das Geheimnis der Leidenschaft des Tangos ein Stück näher. Ihn trafen wir für ein Gespräch in der Bar de Cao. Er  begleitet mit seinen Klavierstücken die Tangotänzer auf den Milongas und gibt als Solokünstler Konzerte. Er bedauert, dass viele Menschen bei dem Klang des Wortes Tango an den Tanz denken und nicht die Musik an sich in Erinnerung rufen.

Mariano lernte zu Beginn seiner Ausbildung klassische Musik und widmete sich dann dem Tango, da dies die Musik seines eigenen Landes ist. Um sich seiner eigenen Herkunft bewusster zu werden wandte er sich von den Größen Schubert und Bach ab. Zu der Zeit, als er vor 13 Jahren in dem Conservatorio anfing Jazz und Tango zu spielen, wurde er zurecht gewiesen, dass dies nicht dem klassischen Geschmack entspräche. Doch glücklicherweise hat sich diese Einstellung geändert und der Tango wurde 2009 von der Unesco als immaterielles Kulturerbe ausgezeichnet, als Gemeinschaftsprojekt der beiden Länder Argentinien und Uruguay. Diese Entwicklung ist Teil der Bestrebung, sich der lateinamerikanischen Kultur bewusster zu werden.

Mariano Barreiro-Ezequiel erklärt uns: „El Tango es expresar la angustia que todos tenemos.” Im Tango drückt sich die Angustia aus, die wir alle erleben. Wird uns nun vielleicht die Spannung und Anziehungskraft klarer, die von dieser Kunstform ausgeht? „La Angustia es una emoción existencial de la vida. La angustia de estar enamorado por ejemplo. Cuando sabes del destino de la gente pobre, esto es angustia.“ Die Angustia ist eine existenzielle Emotion des Lebens. Die Angustia, verliebt zu sein zum Beispiel oder wenn du von dem Schicksal der Menschen in Armut weißt, das ist Angustia. Mit dieser Aussage stoßen wir auf ein spezifisches Eigenwort des Spanischen: Angustia. Das ist die Besorgnis, Angst, Wehmut und Schmerz in einem Wort und dabei in seiner Bedeutung noch weitaus umfangreicher. In der deutschen Sprache ließe es sich wohl am besten als Seelenkummer übersetzen.

Im Tango verleiht der Mensch den Regungen seiner Seele Ausdruck. Empfindungen des Schmerzes, des Kummers können körperlich und tänzerisch Form verliehen werden. „Die Sorge, die mit unserem menschlichen Dasein ganz natürlich zusammenhängt“ , so Mariano, „wird in der Umarmung des Partnertanzes geteilt.“ Diesen Gefühlen Gestalt zu geben, sie so zu befreien und nicht allein mit ihnen zu sein, das ist Tango – letztendlich eine teilnahmsvolle, mitfühlende Geste.

Verständlicher wird uns nun auch der Ratschlag, der uns in einer unserer ersten Tanzstunden mit auf den Weg gegeben wurde: Versuche, jeden Schritt im Tango voller Gefühl zu begehen und dein Tanz wird sehr viel schöner sein.

Zur späteren Stunde im Tanzstudio Dinzel erfahren wir, was es heißt diese Momente der Angustia zu teilen. Aus Anlass des Jahresendes findet eine Milonga[3] im Studio statt. Es werden die Gläser erhoben und in einer kleinen Ansprache dem jüngst verstorbenen Gründer des Studios und symbolischen Vaters aller gedacht, Carlos Rodolfo Dinzelbacher. Gemeinsam ruft sich die Gruppe an Tänzern die Qualitäten dieses Ortes in Erinnerung und verspricht sich gegenseitig, die guten Traditionen zu pflegen und die Kunst des Tangos im Sinne des persönlichen Vorbildes fortzuführen. Wir lernen, was es bedeutet, Gefühle gemeinsam zu tragen und sich in Anteilnahme zu stärken.

Wir haben nun eine Idee was Tango ist und weshalb Menschen auf der ganzen Welt von dem Tanz fasziniert sind. Aber eine Frage bleibt noch offen: Inwiefern gibt es feste Regeln im Tango und inwiefern lebt er von der Improvisation?

Die Antwort auf diese Frage liefert uns Guillermo, indem er uns die Kultur des Tangos erklärt. Hierfür zitiert er seinen Tangomeister Carlos Rodolfo Dinzelbacher: ,,Tango konserviert die Werte der französischen Kultur: Liberté, Égalité, Fraternité“

Liberté bedeutet Freiheit und diese findet man im Tango, wie in keinem anderen Tanz auf der Welt. Denn der Tango kennt keine Regeln. Es gibt kaum feste Schritte und er lebt von der Improvisation.  

Égalité heißt Gleichheit. Und auch das ist ein sehr wichtiger Wert im Tango. Auf einer Milonga sind alle gleich. Es gibt keine gesellschaftlichen Unterschiede und Ausgrenzungen.

Fraternité, die Brüderlichkeit, ist im Bezug auf den Tango im übertragenen Sinne zu verstehen. Der Tango ist geprägt von seinen ,códigos‘ – seinen Codes. Sie sind nirgendswo niedergeschrieben und doch kennt und respektiert sie jeder. Ob es die Tanzrichtung gegen den Uhrzeigersinn am äußeren Rand nahe der Tische, die Tanda[4] oder die Körperpflege aus Respekt vor dem Partner ist. Die Liste der Codes ist lang. Alle dienen jedoch dem selben Zweck: Den Tango voll und ganz genießen zu können. So verhindert die vorgebene Tanzrichtung Zusammenstöße und ermöglicht Platz. Die Tandas beugen unangenehmen Entschuldigungen für einen Partnerwechsel vor und die Körperpflege erklärt sich bei diesem engen Tanz wohl von selbst.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der Tango, als Tanz selbst, ein Synonym für Improvisation ist. Die einzige Struktur des Tango ist das gemeinsame Schreiten. Die Bewegungen, die sich hierum gestalten, können ganz frei ausgeführt werden. Allerdings ist er doch festen Regeln unterlegen, damit der Tanz überhaupt möglich ist. Um also die absolute Freiheit zu nutzen, muss zunächst der Rahmen geschaffen werden. Die Regeln im Tango geben die Sicherheit oder erst die Möglichkeit, sich der Umarmung und Entblößung der Seele hinzugeben. Denn ohne die Regeln gäbe es kein Gerüst. Trotzdem eröffnet der Tango so viel Raum für Improvisation wie selten ein Tanz. Es geht darum, sich zu begleiten – für eine kleine Zeit einen Weg gemeinsam zu begehen im Einklang mit der Musik.

Beflügelt von unserem neuen Wissen und berührt, von der Ehrlichkeit, mit der die Menschen zu uns sprachen, begleiten wir die Tänzer auf eine weitere Milonga in La Viruta. Dieser Name rührt  von der Redewendung ,Sacar la viruta del piso‘ und stammt aus der Zeit, als Tango traditionell auf Holzboden getanzt wurde und die Pärchen mit ihren Absätzen Spuren auf der Tanzfläche hinterließen indem sie ,la viruta‘, Span aus dem Boden entfernten.

Einen Monat später traten wir unseren zweiten Teil der Entdeckungsreise, auf der anderen Seite des Río de la Plata – in Montevideo, an. Als erstes fiel uns auf, dass es wesentlich schwieriger ist Tango und Milongas zu finden. Alles ist kleiner und ruhiger.

Josephine

Für Josephine ist der Tango auch Ausdruck eines in Montevideo eigenen Lebensgefühls, das eine fast melancholische Stimmung und die Ahnung von etwas längst Vergangenem innehat. Ein Ambiente, das insbesondere in den dortigen alten Kaffeehäusern und den großen, oft verlassenen Art Déco Gebäuden, die von einer anderen Zeit zeugen, anklingt. Die Anmut der Tänzer während des bedachten Schreitens beim Betreten der Tanzfläche, das Innehalten und Fühlen des Takts zu Beginn eines jeden Partnertanzes gefolgt von dem Hin- und Herwiegen des Paares um sich auf den Rhythmus der Musik und die Anwesenheit des Partners einzustimmen um dann mit den ersten Tanzschritten zu beginnen. All diese Bewegungselemente besitzen einen eigenen Reiz. Tango, das ist ein Tanz voller Stolz und Eleganz und gleichzeitig das Empfinden von etwas historisch Gewachsenem. Die den Tanz begleitenden Verszeilen der Musik sprechen von alten Zeiten und dennoch ist der Tanz des Tangos nichts Verstaubtes, Erstarrtes. Gerade der Einfluss anderer, moderner Tanzstile wie der des HipHops oder auch Elementen des zeitgenössischen Tanz‘ war eine große Entdeckung in der Begegnung mit dem Tango.

Gemeinsam mit Josephines Tangolehrerin Laura Echegoyen sind wir in Montevideo zu der Milonga La Callejera gegangen. Diese hat uns besonders gefallen. Auf einem schönen Platz unter freiem Himmel haben viele junge Menschen auf ganz verschiedene Art und Weise Tango getanzt. Auf dieser Milonga haben wir bemerkt, was wir während unseres Projektes gelernt haben. Wir wussten neue Schritte, wir konnten die ,códigos erkennen und den Zauber des Tangos besser verstehen. Wir fühlten uns dazugehörig.

Unsere Reise haben wir mit der Frage begonnen, was Tango ist. Wir nahmen an, dass es während des Projekts einen Schlüsselmoment geben wird, indem wir das Phänomen Tango verstehen, aber in Wirklichkeit war es ein Prozess. Wir fuhren zu wichtigen Schauplätzen des Tangos, sprachen mit Musikbegeisterten und Tanzfanatikern, bis wir schließlich begriffen, dass der Tango mehr als ein Tanz ist. Er ist Geschichte, Philosophie und Bewegung.

Am Ende steht nun diese Erkenntnis und all das Wichtige, was wir während des Projekts über uns lernen durften.

 

 

 

[1] (http://tango-a-la-carte.de/)

[2] http://www.dinzelinternacional.com/estudio/

[3] Eine Milonga ist die Tanzveranstaltung auf der, beziehungsweise der Ort an dem, mehrere Menschen in Paaren Tango tanzen. Milonga ist aber auch die Bezeichnung für eine Musikgattung. Auf einer Milonga (der Veranstaltung) werden klassischer Weise die drei Musikstile Tango, Milonga und Walzer gespielt.

[4] Ein Tanda ist eine Abfolge von drei bis fünf Musiktiteln der gleichen Musikgattung auf einer Milonga. Eine ungeschriebene Regel des Tangos beinhaltet das Verbleiben mit dem gleichen Partner während eines ganzen Tandas.

 

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