Ich scheine einen ausgeprägten Nestbautrieb zu haben, von dem ich bis jetzt nichts wusste, denn in den vergangenen Tagen habe ich sehr viel Zeit an einem für Rumänien unwahrscheinlichen Ort verbracht: Der Haushaltswarenabteilung bei Kaufland. Samstagabends kam ich das erste Mal vorbei, um mich mit einem Eimer, Lappen und verschiedenen Reinigungsmitteln einzudecken, Sonntag stand dann der große Wohnungsputz an, bei dem ich mit einem Siegesschrei eine Kuchenform unter dem Küchenschrank entdeckte – Man muss wissen, Backen ist eine für mein seelisches Gleichgewicht essentielle Tätigkeit – und montagsabens stand ich schon wieder zwischen den Regalen voller deutscher Produkte mit drübergeklebten rumänischen Ettiketten. Diesmal landeten eine Suppenkelle, ein Schneebesen, eine Raspel, ein Korkenzieher und eine Küchenwaage in meinem Einkaufswagen. Jawohl, eine Küchenwaage! Und ich musste mich wirklich zurückhalten, nicht auch noch einen Sparschäler mitzunehmen. Verdammtes Östrogen.
Wie man daraus schließen kann, war dieses Wochenende ein eher ruhiges. Ich hatte schlichtweg keine Lust, groß etwas zu unternehmen, weil mich wohl das Heimweh mit voller Wucht erwischt hatte; so interpretiere ich es zumindest rückblickend. Letzte Woche gab es nämlich einen kleinen Konflikt mit meiner lieben Mitbewohnerin, da sie schlichtweg seit über einer Woche nicht in der Lage gewesen war, mit mir wo auch immer einen Vertrag für anständiges Internet abzuschließen – bis jetzt zapfe ich ja immer noch das doch ein wenig unzuverlässige W-Lan meines Nachbarn an. Donnerstags wollten wir endlich zur rumänischen Telekom und uns darum kümmern, doch sie ließ mich den gesamten Tag aus mir nicht näher ersichtlichen Gründen warten. Zeit war da, schließlich hatte sie eine Münze geworfen und so entschieden, dass sie heute wohl mal wieder nicht zur Uni gehen würde. Dennoch bestand der Tag, wie oft bei meinen rumänischen Bekannten, aus untätigem Rumsitzen, und als wir es abends endlich zu dieser verdammten Telekom geschafft hatten, wollte Cami keinen Vertrag für mindestens 18 Monate abschließen, da sie nächstes Jahr mit der Uni fertig ist. Fazit des Tages: Ich habe immernoch kein eigenes Internet und war einfach nur noch genervt von den Leuten hier, von der Unzuverlässigkeit, der Laisser-faire-Einstellung, dem Joint, den ich fast täglich ablehne. Der Kontrast zu meinen Freunden in Deutschland wurde mir einmal mehr unangenehm bewusst.
Entsprechend blieb ich zu Hause und skypte so viel nach Deutschland und England, wie es meine geborgte Verbindung zuließ. Eine weitere Maßnahme, der therapeutisch angelegte erste Backversuch, misslang zwar, weil das englische Backbuch mit seinen vollkommen unlogischen Avoirdupois-Gewichtsangaben und ich einfach nicht nicht die gleiche Sprache sprechen. Aber ein paar Tage später, nach einem Klassenausflug zu einem Kloster in der Nähe von Deva, einer Stadt etwa 300km von Arad entfernt, ging es mir dann eindeutig besser. Motiviert war der Trip durch den Wunsch einiger Schüler, dort eine ehemalige Klassenkameradin zu besuchen, die Geburtstag hatte – und liebe Leute, es ist wirklich kein Vergnügen, in einem orthodoxen Kloster Geburtstag zu haben. Die Schülerinnen des angeschlossenen theologischen Lyzeums dürfen keines dieser wunderbaren Spielzeuge des 21. Jahrhunderts benutzen; kein Internet, keinen MP3-Player, kein Handy. Wochentags wird Uniform getragen, am Wochenende ist zwar auch Unterricht, aber die Schülerinnen dürfen ausnachmsweise in ihrer Freizeitkleidung (Bedingung: lange Röcke und keine hellen Farben) antreten. Man kommt wirklich als moderne Frau in Jeans da rein und bekommt erst einmal einen grauen Rock umgebunden! Eine der vielen Eigenheiten des orthodoxen Glaubens, die mich erst einmal befremdet haben, genau so wie die Angewohnheit, Heiligenbilder zu küssen oder mit dem Kleidersaum darüberzuwischen, weil das Glück bringen soll.
Auch wenn ich mich selbst eher als spirituell denn als religiös bezeichnen würde, konnte ich eine besondere Atmosphäre und Energie in diesem Kloster spüren, das weithin als Wallfahrtsort bekannt ist und wunderschön mitten im Wald gelegen ist. Es war irgendwie rührend, zu sehen, mit welcher Hoffnung und Inbrunst die Leute dorthin kommen, um beispielsweise in einer Höhle, die irgendein Mönch in den Fels gehauen und anschließend 20 Jahre dort gelebt hat, zu beten. Ich habe das Gefühl, dass Religion in Rumänien eine größere Rolle spielt als in Deutschland; wenn ich mit der Straßenbahn an der Kathedrale in Arad vorbeifahre, bekreuzigen sich regelmäßig einige der Fahrgäste. Manchmal bin ich neidisch, denn ich verbinde Religiosität mit einem Weltbild, das irgendwie mehr Vertrauen und weniger Eigenverantwortung einschließt, als das in meinen Vorstellungen so vorkommt – und gerade zur Zeit habe ich so viel Eigenverantwortung, dass ich kotzen könnte. Niemand an meiner Arbeitsstelle sagt mir, was ich tun oder lassen soll, wie ich die Sachen anpacken könnte. Diese Woche habe ich quasi garnicht gearbeitet, denn ich versuche immernoch herauszufinden, was ich eigentlich umsetzen will und wie – nie hätte ich mir vorstellen können, dass man mir so viel Freiheit lässt, ja nicht einmal ein Gerüst an bestimmten Pflichtaktivitäten gibt. Ich bin wie gelähmt von meinem eigenen, sich im Kreis drehenden Tatendrang. Ich bekomme Panik, weil ich merke, wie mein Phlegma langsam von mir Besitz ergreift – und ernte Unverständnis in einer Umgebung, die aus Leuten besteht, die zur Vorlesung um 8 schonmal prinzipiell nicht hingehen.
Freuen kann ich mich aber auf’s Wochenende, dann geht es nach Timisoara, geradewegs hinein in die deutsche Blase. Da scheint es unheimlich viele junge Deutsche zu geben, sowohl Freiwillige als auch NC-Flüchtlinge, von denen ich einen jetzt einfach mal so über Couchsurfing angeschrieben habe und anschließend freudig feststellte, dass er sogar die Cousine einer Freundin von mir kennt, die in Timisoara FSJ macht! Die Welt ist eine klitzekleine Murmel. Die Frage ist bloß, ob ich mit ihr spiele oder sie mit mir.