Die Flaschen von der Einweihungsparty sind noch nicht weggeräumt und die Koffer noch nicht vollständig ausgepackt, und doch kann ich sagen: Ich bin zu Hause! Endlich!
Wurde auch Zeit. Die letzte Nacht im Wohnheim haben mir ein paar Jungs aus dem zweiten Stock noch einmal besonders versüßt, da sie es wahnsinnig witzig fanden, nachts um drei minutenlang an meine Zimmertür zu klopfen und mich, sobald ich dann an die Tür kam, von oben bis unten nasszuspritzen. Ich weiß nicht, was meine Zimmernachbarin ihnen auf Rumänisch an den Kopf geworfen hat, aber ich hoffe, es war irgendwas mit „unreif“ oder „rücksichtslos“ oder „ich verfluche eure Nachkommen bis ins zehnte Glied“. Es ist ja nicht so, dass ich an diesem Tag schon genug Unerfreuliches erlebt hatte; als ich nämlich ein paar Stunden zuvor mit meiner rumänischen Grammatik auf einem Spielplatz nahe der Schule saß und gerade in unregelmäßige Verben vertieft war, bemerkte ich nach einer Weile einen Mann, der mich beobachtete – und dabei onanierte.
Ich bin so schnell wie möglich weggerannt und war zutiefst geschockt und angeekelt, aber weder Gabi, meine Tutorin, noch Paul und Alexandra schien mein Erlebnis sonderlich zu beeindrucken. Vielmehr packten sie ihre eigenen Geschichten von Exhibitionisten und Perversen aus, denen sie schon einmal in dieser oder jener Stadt begegnet waren. Was mich zu der Frage bringt, ob solche Vorkommnisse in Deutschland weniger häufig sind oder man mich einfach als weltfremdes Landei bezeichnen muss.
In jedem Fall verhalten sich die Männer anders als in Deutschland, offensiver. Es ist wieder genau so schlimm wie diesen Sommer in Gran Canaria, ich kann keine Straße überqueren, ohne angehupt oder angequatscht zu werden. Zu viel Aufmerksamkeit vom anderen Geschlecht zu erhalten erscheint natürlich eher wie ein Luxusproblem, aber mittlerweile bin ich wirklich genervt, denn selbst die Sprachbarriere hält die mehr oder weniger jungen Recken nicht davon ab, zu meiner Eroberung auszuziehen. So wie der Typ, der mich auf einer Mischung aus brüchigem Englisch und noch brüchigerem Deutsch nach meiner Handynummer fragte und sie – nach dreimaligem Hinweis auf meinen Freund – auch bekam, da ich ja prinzipiell nichts dagegen habe, neue Leute kennenzulernen. Er war wohl selbst überrascht von seinem Erfolg, denn als er mich am folgenden Abend abholte, kurvten wir erst einmal eine halbe Stunde ziellos in der Gegend herum. In der folgenden halben Stunde fand ich dann in mühsamer Dedektivarbeit und unter Zuhilfenahme meiner Englisch-, Französisch- und Gebärdensprachkenntnisse heraus, dass er sich am Abend zuvor von seiner neun Jahre älteren (!) Freundin getrennt hatte und nun nicht mit mir im Zentrum gesehen werden wollte. Zu einer Erörterung meiner Einstellung zu Beziehungen im Allgemeinen und offenen Beziehungen im Besonderen schafften wir es auch noch, doch dann brach das Gespräch wegen der Sprachprobleme und der Tatsache, dass Reden ganz offensichtlich nicht das war, was er mit mir im Sinn gehabt hatte, ab; letztendlich spendierte er mir Schokolade, Pommes und ein Bier und fuhr mich wieder nach Hause. Was blieb, war der durchdringende Geruch von Frittierfett in meinen Klamotten und die Hofffnung, dass es das Wort platonisch auch im Rumänischen gibt.
Aber ich will mich nicht nur beschweren, natürlich habe ich auch wieder Schönes erlebt in dieser Woche. Etwa den langen, sonnigen Samstag bei Gabis Großvater auf dem Land, in einem Haus, wo es bis vor 3 Jahren nicht einmal fließend Wasser gab und in dem mit einem Holzofen gekocht wird, auf dem wir kiloweise Auberginen und Paprika rösteten, um ihnen anschließend die verkohlte Haut vom noch warmen Fruchtfleisch zu pulen und sie zu Zacusca zu verarbeiten – einem unglaublich leckeren Brotaufstrich, der hier traditionell als Gemüsevorrat für den Winter eingekocht wird. Der Hausbesitzer ist echter Banatschwabe, gehört also zur mittlerweile verschwindend kleinen deutschen Minderheit in Rumänien, und spricht einen dermaßen starken Dialekt, dass ich ihn kaum verstehe. Rumänisches Deutsch ist sowieso lustig, da es ja seit 200 Jahren von der Sprachentwicklung im „Mutterland“ abgeschnitten ist und sich Wörter wie „Jause“, die bei uns niemand mehr benutzt, erhalten, oder ungarische und rumänische Konstruktionen eingeschlichen haben.
Ebenfalls ein interessantes Erlebnis war das Fußballspiel Arad gegen Temeswar, zu dem mich Paul, Alex und die anderen mitgenommen haben. Weniger wegen des Spiels, sondern mehr wegen des Spektakels, das die Fans der beiden Clubs abzogen, inklusive bengalischen Feuern, bemalten Bannern und Spruchbändern, eines davon sogar auf Deutsch! „Blast unsere Schwänze“ war da zu lesen – wie schön, dass das deutsche Erbe hier so engagiert wachgehalten wird. Nach dem Spiel war der Boden aber nicht nur von den Schnipseln der Plakate übersät, sondern auch von Millionen Schalenresten von Sonnenblumen- und Kürbiskernen, denn die Kerne sind des Rumänen liebster Snack und niemand findet etwas dabei, ihre Schalen einfach auf den Boden zu spucken. Wie ich herausgefunden habe, kann man die Kerne auch gar nicht mit der Hand knacken, denn erstens zersplittert man damit höchstwahrscheinlich den Kern in viele kleine Teile und macht es unmöglich, ihn zu essen, und zweitens sind die Schalen gesalzen, die Kerne aber nicht. Es heißt also: Kern mit Schale in den Mund, Schale vorsichtig mit den Zähnen aufknacken, mit der Zunge den Kern im Ganzen rausfischen, Schale ablutschen und ausspucken. Diese Technik habe ich heute nachmittag auf meinem Balkon perfektioniert, wenn auch natürlich mit Behälter für die Schalen. War sehr ungewohnt, und ich kam mir vor wie einer dieser vor sich hinmümmelnden Schimpansen aus dem Zoo. Aber schmeckte eigentlich nicht schlecht.
1. überall auf der welt sind männer penetranter als in nordeuropa, ich empfehle plakatives unhöflich sein.
2. fein geschrieben, bitte mehr davon
3. krieg dein Internet auf die Reihe, will mehr von deinem Naturvolkhaarkurverunstaltungen zu sehen kriegen!
ich hätte dich doch in den Karatekurs schicken sollen,anstatt in den Querflötenunterricht,aber ich hoffe Du kriegst das auch so geregelt.Hört sich extrem lästig an!!!
Super Artikel. Wenn man eine Reise tut, dann kann man was erzaehlen. Bin gespannt auf Deine naechste Erzaehlung.
oi, von diesem luxusproblem kann ich auch nur zu lange geschichten erzählen. es nervt so tierisch. die lieblingsbeschäftigung von armenischen taxifahrern scheint es außerdem zu sein mit schrittgeschwindigkeit neben mir herzufahren und immer wieder ihre tür aufzumachen, aber nein danke, ich möchte nicht einsteigen. aaalter. gut dass ich da leidensschwestern hab, es ist echt zum krise kriegen.
das ist für armenien normal das machen die mit allen die wie potenzielle kunden aussehen manchmal auch mehere taxis gleichzeitig
Das ist wirklich gut geschrieben!
Mach weiter so
und genieß die Zeit!