Angekommen. Oder so.

Sehr Johanna-typisch, mit ein wenig Verspätung, beginne ich nun also mein Online-Tagebuch und hoffe, es möge auf interessierte Leser stoßen – sonst würde es sich wirklich nicht lohnen, sich schon wieder diesen Stress mit dem rumänischen W-Lan auszusetzen. Internet, ebenso wie Klopapier oder mehr als zwei Stunden Warmwasser am Tag, wird in meinem Wohnheim nämlich als verweichlichender Luxus empfunden, entsprechend sitze ich nun auf dem Schulhof und logge mich in die ungeschützte Verbindung des Lehrerzimmers ein.

Das Wohnheim gehört eigentlich nicht zum Liceul Adam Müller-Guttenbrunn, also meiner Arbeitsstelle, sondern zum Liceul Forestier, einer Art Forstfachschule. Doch da das eigentliche Schulgebäde des LAMG vor der Verstaatlichung des Kircheneigentums während der kommunistischen Periode Rumäniens der katholischen Kirche gehörte, musste es letztes Jahr, zwanzig Jahre nach der Wende, zurückgegeben werden; es wird zur Zeit nicht genutzt, aber die Lehrer dürfen seither zwischen drei verschiedenen, mehrere Straßen voneinander entfernten Schulgebäuden hin und her laufen und sich eines dieser Gebäude mit besagter Forstschule teilen.

Ich will trotz des mangelnden Komforts und des mittelmäßigen Essens in meinem Wohnheim nicht allzu viel meckern, denn immerhin meinte Gabriela, meine Tutorin, dass die Bedingungen in ihrem Studentenwohnheim noch schlechter gewesen seien und es nicht mal geschlechtergetrennte Duschen gegeben habe. Außerdem musste ich, die es natürlich versäumt hat, sich rechtzeitig von Deutschland aus eine Unterkunft zu organisieren. so nicht unter der Brücke schlafen.

Eigentlich bin ich aber sehr, sehr froh, dass es so gelaufen ist, denn sonst hätte ich nie Paul und Alexandra kennengelernt; vergesst alle Geschichten über Engel, die ihr kennt, diese beiden kommen meiner Vorstellung davon am nächsten und rauchen und trinken trotzdem in rauen Mengen, wie die meisten Rumänen, die ich bis jetzt getroffen habe. Paul und Alexandra waren meine Couchsurfing-Hosts in meiner ersten Nacht in Rumänien – Gott, das ist erst eine Woche her, mir kommt es wie eine Ewigkeit vor – und ihre erste Amtshandlung nach meiner Ankunft war es, mich zum Essen zu Pauls Eltern mitzunehmen. Ich war leicht perplex über diesen plötzlichen Einbruch ins Private, aber das fällt wohl unter rumänische Gastfreundschaft, genauso wie die Unmengen an wahnsinnig leckerem Essen, die mir dort aufgetischt und auch nach allen Symptomen von Überfüllung geradezu aufgedrängt wurden.

Seitdem habe ich eigentlich jeden Abend etwas mit Paul, Alexandra und ihren unzähligen Freunden unternommen. Dank des anhaltenden Spätsommers sitzen wir meist einfach draußen im Café oder Biergarten, neulich haben wir auch am Ufer des durch Arad fließenden Flusses Muresch gegrillt. Sie haben sogar den Stress auf sich genommen, für mich Zeitungsanzeigen zu durchforsten, Wohnungsbesitzer anzurufen und nach einem Marsch durch die halbe Stadt bei den Besichtigungen für mich ins Englische zu übersetzen! Nun werde ich also nächste Woche in die meiner Meinung nach wunderschönste Wohnung der Welt ziehen, zusammen mit Camelia, Alexandras Zwillingsschwester. Fotos der Wohnung folgen natürlich, vorerst muss diese Beschreibung reichen: Direkt im Zentrum, aber trotzdem ruhig, da nach hinten, zum baumbestandenen Innenhof hin, gelegen. Wie fast überall im Zentrum stammt das Gebäude noch aus den Zeiten, zu denen Arad zu Österreich-Ungarn gehörte,  und wartet mit einem Treppenhaus voller Marmor und Stuck und großzügigen Räumen mit hohen Decken auf. Trotzdem sind die Heizkosten laut Vermieter im Winter relativ niedrig, außerdem lässt er all seine Möbel sowie die Waschmaschine da, das heißt ich werde nach bald 4 Wochen zunehmend unmöglich werdender Kombinationen der noch sauberen Sachen endlich wieder meine Klamotten waschen können. Krönender Abschluss ist der mit wildem Wein bewachsene Balkon, inklusive Blick auf die Stadt. Oh yeah!!!

Mein erstes Wochenende in Rumänien war auch wirklich schön, Paul und Alexandra hatten sehr nette Couchsurfer aus der Schweiz da, die innerhalb von 2 Wochen von Zermatt ans Schwarze Meer trampen und ziemlich lustige Geschichten von ihrer bisherigen Reise erzählt haben. Zusammen waren wir freitags auf einer Drum’n’Bass-Party, wo Freddy, einer der Schweizer, und ich dann irgendwann um halb fünf die letzen auf der Tanzfläche waren und einen Riesenspaß beim Rumspringen und Schütteln all unserer Gliedmaße hatten, während den anderen der 90er Jahre-Oldschool-Sound weniger zusagte (Zitat Alexandra: „This is Drum’n’Bass for little children, I prefer the hard stuff.“). Samstags ging es zu einer Veranstaltung der örtlichen Taxifahrer-Vereinigung, mit Bier und Gulaschsuppe für alle und rumänischer Volksmusik, deren Texte sich hauptsächlich – ratet mal – ums Trinken drehen. Ist aber durchaus tanzbar, diesmal hatten wir alle unseren Spaß und gingen danach noch zu irgendwem aus der Clique in eine der besagten Altbauwohnungen, wo diesmal sogar das Interieur zum Stil des Gebäudes passte; die Zeit schien stehen geblieben zu sein, überall Wanduhren auf Motivtapete, Spitzendeckchen und dunkles Holz. Zusätzlich hatte der Typ auch noch sieben Katzen! Sehr strange, das Ganze, ich lade ein Foto hoch, sobald ich kapiert habe, was mein Laptop da in Sachen Gerätetreibersoftware und Administratorenrechte von mir will. Tipps sind willkommen.

Zum Abschluss möchte ich noch ein wenig prahlen: Habe gestern für meinen ersten korrekt ausgesprochenen Satz auf Rumänisch („Unde este Alexandra?“ – „Wo ist Alexandra?“) eine Plastikrose geschenkt bekommen. Fühl mich seitdem ein bisschen mehr angekommen – wie das Gefühl dann in der neuen Wohnung ist, berichte ich nächste Woche.

Dieser Beitrag wurde unter »kulturweit« Blog, Allgemein, PAD veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

11 Antworten zu Angekommen. Oder so.

  1. Lucas Zeuner sagt:

    Grüße nach Rumänien und viel Spaß mit der Waschmaschine und dem „wilden“ Wein! 😉

  2. Törry sagt:

    HALLO…

    ich hab dich lieb!!! und noch viel Spaß 😉

    BTW ich mag den blogg endlich mal einen den man sich ohne einzuschlafen durchlesen kann. 🙂

  3. Madame Z. sagt:

    Bier und Gulaschsuppe – yeah!

    … und wenn du die schönste Wohnung der Welt beziehst, stimmt ja der alte Spruch wieder, dass doch jeder das bekommt, was er verdient!

  4. Karin sagt:

    freut mich dass es dir doch zu gefallen scheint (mal vom wohnheim abgesehen ;))… weiterhin viel Spaß 🙂

  5. Britta Blees sagt:

    Hatte ja direkt Glückstränen in den Augen,als ich Deine supertollen Ausführungen gelesen habe!Hört sich ja ALLES superklasse an und die Idee mit dem Block ist toll,in Kombination mit dem Können Deines Schreibstyls nahezu perfekt.Man sieht Dein Leben ja tatsächlich vor Augen!!!
    Freue mich auf die nächste Beschreibung

  6. Moritz Blees sagt:

    oha, johannchen chillt also mit rumänischen Förstern und taxikampftrinkern

    …weitermachen!

  7. Okay, Herr Experte, wird erledigt 😛

  8. Sehr, sehr schön! 🙂 Arad ist eine wunderschöne Ecke, in Zukunft möchte ich mehr lesen! 🙂

  9. Merle sagt:

    uhh ich will die fotos sehen!
    <3 lern fleißig rumänisch und teile dein wissen uns mit

  10. Gonzo sagt:

    Sehr sehr schön(e) (Haare)!

    Hoffe du lebst dich gut ein und wirst nicht zur Alkoholikerin. Ansonsten alles gute aus Köln!

    PS: Änder lieber schnell, bevor dein Bruder es liest, Drum’n’Bass in die korrekte Schreibweise ;))

Kommentare sind geschlossen.