Und Max Frisch sagte: „Geist ist die Vorraussetzung der Langeweile“

Ich scheine einen ausgeprägten Nestbautrieb zu haben, von dem ich bis jetzt nichts wusste, denn in den vergangenen Tagen habe ich sehr viel Zeit an einem für Rumänien unwahrscheinlichen Ort verbracht: Der Haushaltswarenabteilung bei Kaufland. Samstagabends kam ich das erste Mal vorbei, um mich mit einem Eimer, Lappen und verschiedenen Reinigungsmitteln einzudecken, Sonntag stand dann der große Wohnungsputz an, bei dem ich mit einem Siegesschrei eine Kuchenform unter dem Küchenschrank entdeckte – Man muss wissen, Backen ist eine für mein seelisches Gleichgewicht essentielle Tätigkeit – und montagsabens stand ich schon wieder zwischen den Regalen voller deutscher Produkte mit drübergeklebten rumänischen Ettiketten. Diesmal landeten eine Suppenkelle, ein Schneebesen, eine Raspel, ein Korkenzieher und eine Küchenwaage in meinem Einkaufswagen. Jawohl, eine Küchenwaage! Und ich musste mich wirklich zurückhalten,  nicht auch noch einen Sparschäler mitzunehmen. Verdammtes Östrogen.

Wie man daraus schließen kann, war dieses Wochenende ein eher ruhiges. Ich hatte schlichtweg keine Lust, groß etwas zu unternehmen, weil mich wohl das Heimweh mit voller Wucht erwischt hatte; so interpretiere ich es zumindest rückblickend.  Letzte Woche gab es nämlich einen kleinen Konflikt mit meiner lieben Mitbewohnerin, da sie schlichtweg seit über einer Woche nicht in der Lage gewesen war, mit mir wo auch immer einen Vertrag für anständiges Internet abzuschließen – bis jetzt zapfe ich ja immer noch das doch ein wenig unzuverlässige W-Lan meines Nachbarn an. Donnerstags wollten wir endlich zur rumänischen Telekom und uns darum kümmern, doch sie ließ mich den gesamten Tag aus mir nicht näher ersichtlichen Gründen warten. Zeit war da, schließlich hatte sie eine Münze geworfen und so entschieden, dass sie heute wohl mal wieder nicht zur Uni gehen würde. Dennoch bestand der Tag, wie oft bei meinen rumänischen Bekannten, aus untätigem Rumsitzen, und als wir es abends endlich zu dieser verdammten Telekom geschafft hatten, wollte Cami keinen Vertrag für mindestens 18 Monate abschließen, da sie nächstes Jahr mit der Uni fertig ist. Fazit des Tages: Ich habe immernoch kein eigenes Internet und war einfach nur noch genervt von den Leuten hier, von der Unzuverlässigkeit, der Laisser-faire-Einstellung, dem Joint, den ich fast täglich ablehne. Der Kontrast zu meinen Freunden in Deutschland wurde mir einmal mehr unangenehm bewusst.

Entsprechend blieb ich zu Hause und skypte so viel nach Deutschland und England, wie es meine geborgte Verbindung zuließ. Eine weitere Maßnahme, der therapeutisch angelegte erste Backversuch, misslang zwar, weil das englische Backbuch mit seinen vollkommen unlogischen Avoirdupois-Gewichtsangaben und ich einfach nicht nicht die gleiche Sprache sprechen. Aber ein paar Tage später, nach einem Klassenausflug zu einem Kloster in der Nähe von Deva, einer Stadt etwa 300km von Arad entfernt, ging es mir dann eindeutig besser. Motiviert war der Trip durch den Wunsch einiger Schüler, dort eine ehemalige Klassenkameradin zu besuchen, die Geburtstag hatte – und liebe Leute, es ist wirklich kein Vergnügen, in einem orthodoxen Kloster Geburtstag zu haben. Die Schülerinnen des angeschlossenen theologischen Lyzeums dürfen keines dieser wunderbaren Spielzeuge des 21. Jahrhunderts benutzen; kein Internet, keinen MP3-Player, kein Handy. Wochentags wird Uniform getragen, am Wochenende ist zwar auch Unterricht, aber die Schülerinnen dürfen ausnachmsweise in ihrer Freizeitkleidung (Bedingung: lange Röcke und keine hellen Farben) antreten. Man kommt wirklich als moderne Frau in Jeans da rein und bekommt erst einmal einen grauen Rock umgebunden! Eine der vielen Eigenheiten des orthodoxen Glaubens, die mich erst einmal befremdet haben, genau so wie die Angewohnheit, Heiligenbilder zu küssen oder mit dem Kleidersaum darüberzuwischen, weil das Glück bringen soll.

Auch wenn ich mich selbst eher als spirituell denn als religiös bezeichnen würde, konnte ich eine besondere Atmosphäre und Energie in diesem Kloster spüren, das weithin als Wallfahrtsort bekannt ist und wunderschön mitten im Wald gelegen ist. Es war irgendwie rührend, zu sehen, mit welcher Hoffnung und Inbrunst die Leute dorthin kommen, um beispielsweise in einer Höhle, die irgendein Mönch in den Fels gehauen und anschließend 20 Jahre dort gelebt hat, zu beten. Ich habe das Gefühl, dass Religion in Rumänien eine größere Rolle spielt als in Deutschland; wenn ich mit der Straßenbahn an der Kathedrale in Arad vorbeifahre, bekreuzigen sich regelmäßig einige der Fahrgäste. Manchmal bin ich neidisch, denn ich verbinde Religiosität mit einem Weltbild, das irgendwie mehr Vertrauen  und weniger Eigenverantwortung einschließt, als das in meinen Vorstellungen so vorkommt – und gerade zur Zeit habe ich so viel Eigenverantwortung, dass ich kotzen könnte. Niemand an meiner Arbeitsstelle sagt mir, was ich tun oder lassen soll, wie ich die Sachen anpacken könnte. Diese Woche habe ich quasi garnicht gearbeitet, denn ich versuche immernoch herauszufinden, was ich eigentlich umsetzen will und wie – nie hätte ich mir vorstellen können, dass man mir so viel Freiheit lässt, ja nicht einmal ein Gerüst an bestimmten Pflichtaktivitäten gibt. Ich bin wie gelähmt von meinem eigenen, sich im Kreis drehenden Tatendrang. Ich bekomme Panik, weil ich merke, wie mein Phlegma langsam von mir Besitz ergreift – und ernte Unverständnis in einer Umgebung, die aus Leuten besteht, die zur Vorlesung um 8 schonmal prinzipiell nicht hingehen.

Freuen kann ich mich aber auf’s Wochenende, dann geht es nach Timisoara, geradewegs hinein in die deutsche Blase. Da scheint es unheimlich viele junge Deutsche zu geben, sowohl Freiwillige als auch NC-Flüchtlinge, von denen ich einen jetzt einfach mal so über Couchsurfing angeschrieben habe und anschließend freudig feststellte, dass  er sogar die Cousine einer Freundin von mir kennt, die in Timisoara FSJ macht! Die Welt ist eine klitzekleine Murmel. Die Frage ist bloß, ob ich mit ihr spiele oder sie mit mir.

Veröffentlicht unter Allgemein | Kommentare deaktiviert für Und Max Frisch sagte: „Geist ist die Vorraussetzung der Langeweile“

FOTOS!!!

Endlich habe ich es geschafft, ein paar Beweise für meine Sesshaftigkeit hochzuladen – an dieser Stelle vielen Dank an Joel und seinen kongenialen Online-Fotokomprimierungs-Crashkurs 😉

Veröffentlicht unter Allgemein, Bildung | 3 Kommentare

Rumänien, Rolf und ich.

Da ich vor ein paar Tagen den Fehler machte, einen alten Mann auf einem Fahrrad anzulächeln, der daraufhin mitten auf dem Weg umdrehte und mir bis zu meiner Haustür folgte, habe ich nun beschlossen, mir Pfefferspray zu besorgen. Vielleicht ist das übertrieben, aber langsam bin ich von den Blicken und imitierten Kussgeräuschen, die mich auf der Straße begleiten, nicht nur genervt, sondern auch irgendwie verängstigt.

Abgesehen von den Männern belästigen mich auch die Stechmücken extrem, ich wurde von oben bis unten zerstochen und konnte einige Nächte von dem ständigen Surren nicht schlafen, habe mir aber mittlerweile solche Dinger für die Steckdose besorgt, die dem Ganzen einigermaßen Abhilfe geschaffen haben. Wahrscheinlich wird sich das Problem demnächst von selbst erledigen, da es seit einem plötzlichen Temperatursturz diese Woche nun nicht mehr Spätsommer, sondern eisekalter Herbst ist. Der stellt mich wiederum vor das Problem, dass ich nur zwei Hosen besitze, und die sind beide im Schritt gerissen, so wie das bei jeder meiner Hosen innerhalb weniger Monate passiert. Hosen sind gemeinhin wärmer als Röcke und vor allem besser dafür geeignet, auf meinem letzter Woche auf dem Flohmarkt erstandenen Fahrrad zur Schule zu fahren, also werde ich mir wohl oder übel trotz meiner tiefsitzenden Abneigung gegen sie welche besorgen müssen. Genug Platz, um Klamotten für zwei zu verstauen, hab ich ja, denn mein riiiieeesiges Zimmer besteht zur Hälfte aus Schrankwand, wo ich dann auch irgendwann mal den kitschigen Deko-Kram, den der Vermieter beim Auszug hiergelassen hat, verstauen sollte.

Ach Gott, der Vermieter. Nun, meine Mitbewohnerin Cami hätte wahrscheinlich nicht drei Tage nach der Einweihungsparty, also mitten in der Woche, wieder Freunde einladen und so bis zwei Uhr nachts Lärm machen sollen. Dennoch halte ich es für eine leicht übertriebene Reaktion, dass der gute Mann dann am nächsten Abend bei uns auf der Matte stand, Freunde, die gekommen waren, um mit uns ein Fußballspiel zu schauen, rauswarf und Cami auf Rumänisch scheinbar etwas davon erzählte, das sei hier ein normales Haus und kein Nachtclub, und er verlange Respekt von seinen Mietern, und wenn er den nicht bekomme, könnten wir unsere Sachen packen und gehen. Seitdem ist Cami im Prinzip wieder bei Alex und Paul eingezogen, sie taucht jedenfalls kaum noch hier auf. Liegt wohl an ihrer furchtbaren Angst vor dem Vermieter (Sie sagt, er erinnert sie an ihren tyrannischen ehemaligen Tanztrainer) und daran, dass sie es nach eigener Aussage nicht leiden kann, wenn ihr jemand Regeln setzt und sie damit einengt. Entschuldigung, liebe Cami, aber das wird dir dein Leben lang passieren! Manchmal habe ich wirklich nicht das Gefühl, dass dieses Mädchen drei Jahre älter ist als ich.

Normalerweise kommen wir aber sehr gut aus, kochen gerne lecker zusammen und haben uns jetzt auch als Hosts bei Couchsurfing angemeldet. Am Wochenende waren wir zusammen auf einer Messe für alternative Medizin hier in Arad, wo ich mich lange und eingehend mit Krisztina unterhalten habe, die aus einer deutsch-ungarisch-rumänischen Familie stammt, in Wien lebt und mit ätherischen Ölen handelt, obwohl sie ursprünglich Architektur studiert hat. Unglaublich interessante Frau, außerdem fiel bei mir als Kind meines von Naturmedizin verschiedenster Couleur geprägten Haushalts alles, was sie in Sachen medizinische Anwendung ätherischer Öle zu sagen hatte, auf fruchtbaren Boden. Habe also ein Öl gegen die ewigen Nackenschmerzen meines werten Liebsten erstanden sowie eins für mich, das entspannend wirkt, gegen Schlaflosigkeit hilft (habe es bereits ausprobiert) und leeeecker riecht.

Entspannung konnte ich auch gestern gut brauchen, denn da hatte ich meine letzte Vertretungsstunde in der 12A. Ich muss sagen, die Woche Vertretungsunterricht hat eigentlich Spaß gemacht, in der anderen zwölften, der neunten und der zehnten Klasse, die ich hatte, habe ich neben der obligatorischen Vorbereitung auf’s Deutschdiplom auch Stunden zum Tag der deutschen Einheit, die ich mit dem Trailer zu „Good Bye Lenin“ einleitete und in der sich eine sehr interessante Diskussion über den Kommunismus in Deutschland und in Rumänien entwickelte, zu deutscher Musik und zur deutschen Jugendsprache, in der mir die Schüler auch entsprechende Wörter auf Rumänisch beibringen konnten, gehalten. Zwar lasse ich nirgends die Autoritäre raushängen und muss mir oft den Mund fusselig reden, damit die Schüler mal ihr blödes Handy weglegen; etwas Handysüchtigeres als Schüler in einem Land, wo die meisten Menschen zwei oder drei Handys mit verschiedenen Verträgen, aber keinen Festnetzanschluss haben, kann man sich nicht vorstellen. Aber wirkliche Probleme hatte ich nur mit der 12A. Die Schüler sind an sich ganz nett, außerhalb des Unterrichts komme ich mit ihnen klar und sie haben Humor, aber im Unterricht ist ihr Verhalten so ignorant, dass ich fast verweifle. Dass sie essen, Musik hören, sich unterhalten, mit dem Handy spielen oder für den Führerschein lernen, statt zuzuhören, ist nicht das Problem, sondern wie vollkommen unbeeindruckt sie von jedem meiner Versuche bleiben, sie zum Mitmachen zu bewegen. Will ich das verflixte Handy irgendwann einsammeln, geben Sie es nicht her und fangen  an zu diskutieren, rufe ich jemanden auf, kommt ein dummer Spruch statt einer Antwort. Ich gebe  mir wirklich Mühe, und alles was zurückkommt, sind gehässige Kommentare. Gestern war es so schlimm, dass ich schließlich gebrüllt, die deutsche Musik weggepackt und die DSD-Bögen hervorgeholt habe, auch wenn ich von denen mittlerweile genauso gelangweilt bin wie die Schüler. Heute war ich kurz nochmal in der Klasse und habe ihnen mitgeteilt, dass ich nicht mehr zu ihnen komme, bevor sie sich für ihr Verhalten entschuldigt haben.

Ich hoffe, dass ich bald einen Sprachkurs finde, damit ich mir nicht mehr so blöd vorkomme, wenn sich die Schüler untereinander auf Rumänisch unterhalten, und nicht mehr ständig auf fremde Hilfe angewiesen bin. Klar, Einkaufen auf dem Markt bekomme ich mittlerweile hin, denn sich die Zahlen, ja, nein, viel und wenig zu merken ist wirklich nicht so schwierig. Aber um beispielsweise das Problem zu lösen, dass ich immernoch kein eigenes Internet habe, brauche ich dann wieder rumänischsprachige Unterstützung. Leider scheint außer mir niemand in dieser Stadt Rumänisch lernen zu wollen, die Kurse in Französisch, Englisch oder Deutsch hingegen sind an der Sprachschule ausgebucht, da so viele Rumänen zum Arbeiten in andere Länder auswandern.

Da ich aber unbedingt Rumänisch lernen will, und zwar so richtig, damit ich auch das Land bereisen und in ferner Zukunft vielleicht auch mal wiederkommen kann kann, muss ich mich da jetzt mal richtig dahinterklemmen und zur Not einen Privatlehrer organisieren. Ich schaff das schon, ich schaff das schon, würde Rolf Zuckowsky sagen.

Veröffentlicht unter Allgemein | 5 Kommentare

Ungewohnt, aber nicht unbedingt schlecht.

Die Flaschen von der Einweihungsparty sind noch nicht weggeräumt und die Koffer noch nicht vollständig ausgepackt, und doch kann ich sagen: Ich bin zu Hause! Endlich!

Wurde auch Zeit. Die letzte Nacht im Wohnheim haben mir ein paar Jungs aus dem zweiten Stock noch einmal besonders versüßt, da sie es wahnsinnig witzig fanden, nachts um drei minutenlang an meine Zimmertür zu klopfen und mich, sobald ich dann an die Tür kam, von oben bis unten nasszuspritzen. Ich weiß nicht, was meine Zimmernachbarin ihnen auf Rumänisch an den Kopf geworfen hat, aber ich hoffe, es war irgendwas mit „unreif“ oder „rücksichtslos“ oder „ich verfluche eure Nachkommen bis ins zehnte Glied“. Es ist ja nicht so, dass ich an diesem Tag schon genug Unerfreuliches erlebt hatte; als ich nämlich ein paar Stunden zuvor mit meiner rumänischen Grammatik auf einem Spielplatz nahe der Schule saß und gerade in unregelmäßige Verben vertieft war, bemerkte ich nach einer Weile einen Mann, der mich beobachtete – und dabei onanierte.

Ich bin so schnell wie möglich weggerannt und war zutiefst geschockt und angeekelt, aber weder Gabi, meine Tutorin, noch Paul und Alexandra schien mein Erlebnis sonderlich zu beeindrucken. Vielmehr packten sie ihre eigenen Geschichten von Exhibitionisten und Perversen aus, denen sie schon einmal in dieser oder jener Stadt begegnet waren. Was mich zu der Frage bringt, ob solche Vorkommnisse in Deutschland weniger häufig sind oder man mich einfach als weltfremdes Landei bezeichnen muss.

In jedem Fall verhalten sich die Männer anders als in Deutschland, offensiver. Es ist wieder genau so schlimm wie diesen Sommer in Gran Canaria, ich kann keine Straße überqueren, ohne angehupt oder angequatscht zu werden. Zu viel Aufmerksamkeit vom anderen Geschlecht zu erhalten erscheint natürlich eher wie ein Luxusproblem, aber mittlerweile bin ich wirklich genervt, denn selbst die Sprachbarriere hält die mehr oder weniger jungen Recken nicht davon ab, zu meiner Eroberung auszuziehen. So wie der Typ, der mich auf einer Mischung aus brüchigem Englisch und noch brüchigerem Deutsch nach meiner Handynummer fragte und sie – nach dreimaligem Hinweis auf meinen Freund – auch bekam, da ich ja prinzipiell nichts dagegen habe, neue Leute kennenzulernen. Er war wohl selbst überrascht von seinem Erfolg, denn als er mich am folgenden Abend abholte, kurvten wir erst einmal eine halbe Stunde ziellos in der Gegend herum. In der folgenden halben Stunde fand ich dann in mühsamer Dedektivarbeit und unter Zuhilfenahme meiner Englisch-, Französisch- und Gebärdensprachkenntnisse heraus, dass er sich am Abend zuvor von seiner neun Jahre älteren (!) Freundin getrennt hatte und nun nicht mit mir im Zentrum gesehen werden wollte. Zu einer Erörterung meiner Einstellung zu Beziehungen im Allgemeinen und offenen Beziehungen im Besonderen schafften wir es auch noch, doch dann brach das Gespräch wegen der Sprachprobleme und der Tatsache, dass Reden ganz offensichtlich nicht das war, was er mit mir im Sinn gehabt hatte, ab; letztendlich spendierte er mir Schokolade, Pommes und ein Bier und fuhr mich wieder nach Hause. Was blieb, war der durchdringende Geruch von Frittierfett in meinen Klamotten und die Hofffnung, dass es das Wort platonisch auch im Rumänischen gibt.

Aber ich will mich nicht nur beschweren, natürlich habe ich auch wieder Schönes erlebt in dieser Woche. Etwa den langen, sonnigen Samstag bei Gabis Großvater auf dem Land, in einem Haus, wo es bis vor 3 Jahren nicht einmal fließend Wasser gab und in dem mit einem Holzofen gekocht wird, auf dem wir kiloweise Auberginen und Paprika rösteten, um ihnen anschließend die verkohlte Haut vom noch warmen Fruchtfleisch zu pulen und sie zu Zacusca zu verarbeiten – einem unglaublich leckeren Brotaufstrich, der hier traditionell als Gemüsevorrat für den Winter eingekocht wird. Der Hausbesitzer ist echter Banatschwabe, gehört also zur mittlerweile verschwindend kleinen deutschen Minderheit in Rumänien, und spricht einen dermaßen starken Dialekt, dass ich ihn kaum verstehe. Rumänisches Deutsch ist sowieso lustig, da es ja seit 200 Jahren von der Sprachentwicklung im „Mutterland“ abgeschnitten ist und sich Wörter wie „Jause“, die bei uns niemand mehr benutzt, erhalten, oder ungarische und rumänische Konstruktionen eingeschlichen haben.

Ebenfalls ein interessantes Erlebnis war das Fußballspiel Arad gegen Temeswar, zu dem mich Paul, Alex und die anderen mitgenommen haben. Weniger wegen des Spiels, sondern mehr wegen des Spektakels, das die Fans der beiden Clubs abzogen, inklusive bengalischen Feuern, bemalten Bannern und Spruchbändern, eines davon sogar auf Deutsch! „Blast unsere Schwänze“ war da zu lesen – wie schön, dass das deutsche Erbe hier so engagiert wachgehalten wird. Nach dem Spiel war der Boden aber nicht nur von den Schnipseln der Plakate übersät, sondern auch von Millionen Schalenresten von Sonnenblumen- und Kürbiskernen, denn die Kerne sind des Rumänen liebster Snack und niemand findet etwas dabei, ihre Schalen einfach auf den Boden zu spucken. Wie ich herausgefunden habe, kann man die Kerne auch gar nicht mit der Hand knacken, denn erstens zersplittert man damit höchstwahrscheinlich den Kern in viele kleine Teile und macht es unmöglich, ihn zu essen, und zweitens sind die Schalen gesalzen, die Kerne aber nicht. Es heißt also: Kern mit Schale in den Mund, Schale vorsichtig mit den Zähnen aufknacken, mit der Zunge den Kern im Ganzen rausfischen, Schale ablutschen und ausspucken. Diese Technik habe ich heute nachmittag auf meinem Balkon perfektioniert, wenn auch natürlich mit Behälter für die Schalen. War sehr ungewohnt, und ich kam mir vor wie einer dieser vor sich hinmümmelnden Schimpansen aus dem Zoo. Aber schmeckte eigentlich nicht schlecht.

Veröffentlicht unter Allgemein | 6 Kommentare

Angekommen. Oder so.

Sehr Johanna-typisch, mit ein wenig Verspätung, beginne ich nun also mein Online-Tagebuch und hoffe, es möge auf interessierte Leser stoßen – sonst würde es sich wirklich nicht lohnen, sich schon wieder diesen Stress mit dem rumänischen W-Lan auszusetzen. Internet, ebenso wie Klopapier oder mehr als zwei Stunden Warmwasser am Tag, wird in meinem Wohnheim nämlich als verweichlichender Luxus empfunden, entsprechend sitze ich nun auf dem Schulhof und logge mich in die ungeschützte Verbindung des Lehrerzimmers ein.

Das Wohnheim gehört eigentlich nicht zum Liceul Adam Müller-Guttenbrunn, also meiner Arbeitsstelle, sondern zum Liceul Forestier, einer Art Forstfachschule. Doch da das eigentliche Schulgebäde des LAMG vor der Verstaatlichung des Kircheneigentums während der kommunistischen Periode Rumäniens der katholischen Kirche gehörte, musste es letztes Jahr, zwanzig Jahre nach der Wende, zurückgegeben werden; es wird zur Zeit nicht genutzt, aber die Lehrer dürfen seither zwischen drei verschiedenen, mehrere Straßen voneinander entfernten Schulgebäuden hin und her laufen und sich eines dieser Gebäude mit besagter Forstschule teilen.

Ich will trotz des mangelnden Komforts und des mittelmäßigen Essens in meinem Wohnheim nicht allzu viel meckern, denn immerhin meinte Gabriela, meine Tutorin, dass die Bedingungen in ihrem Studentenwohnheim noch schlechter gewesen seien und es nicht mal geschlechtergetrennte Duschen gegeben habe. Außerdem musste ich, die es natürlich versäumt hat, sich rechtzeitig von Deutschland aus eine Unterkunft zu organisieren. so nicht unter der Brücke schlafen.

Eigentlich bin ich aber sehr, sehr froh, dass es so gelaufen ist, denn sonst hätte ich nie Paul und Alexandra kennengelernt; vergesst alle Geschichten über Engel, die ihr kennt, diese beiden kommen meiner Vorstellung davon am nächsten und rauchen und trinken trotzdem in rauen Mengen, wie die meisten Rumänen, die ich bis jetzt getroffen habe. Paul und Alexandra waren meine Couchsurfing-Hosts in meiner ersten Nacht in Rumänien – Gott, das ist erst eine Woche her, mir kommt es wie eine Ewigkeit vor – und ihre erste Amtshandlung nach meiner Ankunft war es, mich zum Essen zu Pauls Eltern mitzunehmen. Ich war leicht perplex über diesen plötzlichen Einbruch ins Private, aber das fällt wohl unter rumänische Gastfreundschaft, genauso wie die Unmengen an wahnsinnig leckerem Essen, die mir dort aufgetischt und auch nach allen Symptomen von Überfüllung geradezu aufgedrängt wurden.

Seitdem habe ich eigentlich jeden Abend etwas mit Paul, Alexandra und ihren unzähligen Freunden unternommen. Dank des anhaltenden Spätsommers sitzen wir meist einfach draußen im Café oder Biergarten, neulich haben wir auch am Ufer des durch Arad fließenden Flusses Muresch gegrillt. Sie haben sogar den Stress auf sich genommen, für mich Zeitungsanzeigen zu durchforsten, Wohnungsbesitzer anzurufen und nach einem Marsch durch die halbe Stadt bei den Besichtigungen für mich ins Englische zu übersetzen! Nun werde ich also nächste Woche in die meiner Meinung nach wunderschönste Wohnung der Welt ziehen, zusammen mit Camelia, Alexandras Zwillingsschwester. Fotos der Wohnung folgen natürlich, vorerst muss diese Beschreibung reichen: Direkt im Zentrum, aber trotzdem ruhig, da nach hinten, zum baumbestandenen Innenhof hin, gelegen. Wie fast überall im Zentrum stammt das Gebäude noch aus den Zeiten, zu denen Arad zu Österreich-Ungarn gehörte,  und wartet mit einem Treppenhaus voller Marmor und Stuck und großzügigen Räumen mit hohen Decken auf. Trotzdem sind die Heizkosten laut Vermieter im Winter relativ niedrig, außerdem lässt er all seine Möbel sowie die Waschmaschine da, das heißt ich werde nach bald 4 Wochen zunehmend unmöglich werdender Kombinationen der noch sauberen Sachen endlich wieder meine Klamotten waschen können. Krönender Abschluss ist der mit wildem Wein bewachsene Balkon, inklusive Blick auf die Stadt. Oh yeah!!!

Mein erstes Wochenende in Rumänien war auch wirklich schön, Paul und Alexandra hatten sehr nette Couchsurfer aus der Schweiz da, die innerhalb von 2 Wochen von Zermatt ans Schwarze Meer trampen und ziemlich lustige Geschichten von ihrer bisherigen Reise erzählt haben. Zusammen waren wir freitags auf einer Drum’n’Bass-Party, wo Freddy, einer der Schweizer, und ich dann irgendwann um halb fünf die letzen auf der Tanzfläche waren und einen Riesenspaß beim Rumspringen und Schütteln all unserer Gliedmaße hatten, während den anderen der 90er Jahre-Oldschool-Sound weniger zusagte (Zitat Alexandra: „This is Drum’n’Bass for little children, I prefer the hard stuff.“). Samstags ging es zu einer Veranstaltung der örtlichen Taxifahrer-Vereinigung, mit Bier und Gulaschsuppe für alle und rumänischer Volksmusik, deren Texte sich hauptsächlich – ratet mal – ums Trinken drehen. Ist aber durchaus tanzbar, diesmal hatten wir alle unseren Spaß und gingen danach noch zu irgendwem aus der Clique in eine der besagten Altbauwohnungen, wo diesmal sogar das Interieur zum Stil des Gebäudes passte; die Zeit schien stehen geblieben zu sein, überall Wanduhren auf Motivtapete, Spitzendeckchen und dunkles Holz. Zusätzlich hatte der Typ auch noch sieben Katzen! Sehr strange, das Ganze, ich lade ein Foto hoch, sobald ich kapiert habe, was mein Laptop da in Sachen Gerätetreibersoftware und Administratorenrechte von mir will. Tipps sind willkommen.

Zum Abschluss möchte ich noch ein wenig prahlen: Habe gestern für meinen ersten korrekt ausgesprochenen Satz auf Rumänisch („Unde este Alexandra?“ – „Wo ist Alexandra?“) eine Plastikrose geschenkt bekommen. Fühl mich seitdem ein bisschen mehr angekommen – wie das Gefühl dann in der neuen Wohnung ist, berichte ich nächste Woche.

Veröffentlicht unter »kulturweit« Blog, Allgemein, PAD | 11 Kommentare