Saame tuttavaks- lernen wir uns kennen…

So lautet das zweite Kapitel in meinem Estnischbuch. Mein Estnisch ist aber leider auf Seite 15 eingeschlafen und somit noch ein Stück davon entfernt. Jetzt bin ich ja eh schon hier gelandet. Hier: das ist Tartu, mein neues Zuhause auf Zeit.

Meine neues Zuhause liegt unweit von der Raatuse – einer Straße,die direkt zum Rathausplatz führt.. Sehr praktisch, denn so finde ich immer leicht zurück. Ich habe mich schon etwas häuslich eingerichtet. Das geht aber kaum über Koffer auspacken hinaus. Meine Wände starren mir noch kahl entgegen. Vielleicht kann ich sie bald mit einigen Einzelstücken dekorieren.

Besonders an meinem Zimmer sind die Fenster. Dort kann man ganz interessante Menschen vorbeischlittern sehen. Und wenn morgens die überpünktlichen Schulkinder ihren Weg gehen, dann ist es auch Zeit für mich mein wohlig warmes Bett zu verlassen und auch zur Schule zu rutschen.
Die Kälte steigt mir ins Gesicht – aber das ist gar nicht ganz schlimm. So starte ich fit in den Tag und nach drei Minuten bin ich sowieso schon in der Schule angekommen.

Mein zweiter „erster“ Schultag war schon am Montag. Ganz gemütlich um neun Uhr waren meine Ansprechpartnerin und ich zur 2.Stunde da. Dort wartete schon eine demotivierte 12.Klasse. Schon ein sehr eigenartiges Gefühl, wenn man selbst ein oder zwei Jahre jünger ist als die Schüler und diese auch noch unterrichten sollte. Deswegen stand ich erst einmal etwas überfordert da, als ich in meiner ersten Stunde an dieser Schule, an meinem ersten Arbeitstag sofort loslegen und vertreten sollte. Das sollte auch noch so weitergehen,weil die Lehrerin dauernd weg musste. Nach einer kurzen Pause – die es hier praktischerweise nach jeder Schulstunde gibt, musste ich mich erstmal kurz setzen.

Zwischenzeitlich wurde mir der weitere Stoff für die kommende 3.Klasse durchgegeben. Aber nema problema – ich habe das ja im Blut! Die Kinder waren zwar sehr erstaunt,als ich auf einmal da stand anstatt ihrer Lehrerin. Aber keine Scheu: Jeder der Schüler konnte sich fließend vorstellen. Schließlich kam es zum wichtigen Treffen von Hans Hase (einer Deutschlernpuppe des Goethe-Instituts) und meiner deutschen Mimi,die Lesemaus. Danach schnell die Wochentage, Zahlen und Jahreszeiten wiederholt. Welche Welten doch zwischen den Deutschkenntnissen der 3. und 12.Klasse liegen. Zur Belohnung wurde noch gesungen. Natürlich Rolf Zuckowsky – wie es hier anscheinend üblich ist. Schade nur, dass deutsche Kinderlieder hier nur auf diesen Mann reduziert werden. Da werde ich mal noch Überzeugungsarbeit leisten müssen und „Sternschnuppe“ und „Donikkl und die Weißwürschtl“ einführen.

Soweit die heute – Nachrichten von und mit mir. Natürlich habe ich die letzten Tage und Wochen so richtig viel erlebt, dass ich es gar nicht schaffe hier alles niederzuschreiben. Besonders jetzt in meiner Anfangszeit, ist es toll jeden Tag auf etwas Neues zu stoßen und immer wieder zu Staunen.  So gebe ich mir Mühe alles und alle einmal kennenzulernen, um mich dann vielleicht sehr heimisch fühlen werde.

 

 

 

 

Jetzt aber: Eeschtland oder Ästland?

Bereits hier in Deutschland kommt es zu Verständigungsschwierigkeiten und das, obwohl ich noch nicht einmal abgereist bin.

So darf ich mindestens drei Mal täglich meine Pläne erzählen. Ich darf erklären,wieso ich denn nicht wie andere einfach nach Lateinamerika oder Afrika gehe… das sei ja viel spannender. Wie ich denn dann in Eschtland gelandet wäre und wie man das verflixt noch einmal überhaupt ausspricht.
Spätestens jetzt fange ich an, von dem kleinen Land im Nordosten Europas zu schwärmen.

Europa? Ja, richtig gehört… Estland ist seit 2004 Mitglied der EU und seit 2011 kann man sogar mit dem Euro bezahlen.

Obwohl Estland von der Größe ein kleines, aber wohl feines Land ist, sollte man es nicht unterschätzen. Denn gerade diese schlauen Köpfe haben uns mit dem Erfinden der IP-Telefonie-Software Skype vor allem auch Fernbeziehungen erleichtert.

Aber welche Sprache sprechen Eeschten beziehungsweise Ästen eigentlich? Eine sehr schwere, wie auch ich bereits nach einigen Seiten Selbstlernkurs feststellen durfte. Wahrscheinlich werde ich mir ab und zu die bayrische Heimat herbeisehnen, wenn ich versuche einen der 14 Fälle des Estnischen zu verstehen. Eigentlich sehr schade, dass das wundervolle Estnisch noch nicht einmal von allen 1,3 Millionen Einwohnern gesprochen wird.

Da sich in Estland 30 Menschen einen Quadratkilometer teilen, ist genug Platz für jeden, wobei es die Esten auch mehr in die großen Städte wie Tallinn, Tartu oder Narva zieht.

Obwohl Estland meist zu den „Winzigen“ zählt, bin ich mir aber sicher, dass sie schon mit den „Großen“ mithalten können. Denn eine ereignisreiche Geschichte und großartige Flora und Fauna gibt es zu Entdecken. Aber bald werde ich darüber Bericht erstatten.

Das könnte ich dann theoretisch auch gleich live, denn jeder Mensch in Estland hat ein Anrecht auf freien Internetzugang. Natürlich auch in Bus und Bahn. Internetflats erscheinen dagegen oldschool!

Gespannt bin ich auch darauf, wie ich mich als Vegetarierin mit der fleischlastigen und traditionellen Küche anfreunden kann. Ich meine, gebratene Schweinsblutwurst in frischem Naturdarm (die sogenannte verivorst) ist wohl nicht jedermanns Sache.

Doch bevor hier die einen Appetit bekommen und die anderen in größten Ekel verfallen, werde ich mich nun anderen Dingen widmen.

Nämlich dem Kofferpacken:Wie es mir dabei ergehen wird, erfahrt ihr bald.

 

Loomulikult!

das ist Estnisch und heißt „Natürlich!“

Nachdem ich nun öfter in meinem tollen Saksa-Eesti-Wörterbuch blättere, bin ich immer wieder auf der Suche nach tollen Wörtern.

Die vielen Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiis und Eeeeees und Oooooooooooooooooos hintereinander schauen einfach interessant aus. Und nach lapsehoidja (=Babysitter) und lisatasu (=Zusatzkosten) blieb ich bei loomulikult hängen. looooooooooomuuuuuliiiiiiiiiiikkuuuuult.

Dieses Wort schmilzt im Mund dahin wie Eiscreme in der Sonnenhitze. Jeder einzelne Buchstabe streift über meine Lippen und alles klingt ganz klar. Loomulikult, loomulikult, loomulikulturweit… Natürlich kulturweit?

Na klar – kulturweit passt zu mir und zu meinem Leben wie eine linke und rechte Ringelsocke! Sicher könnte ich nach allzu langer Zeit in der Schulbank noch mehr Zeit im Hörsaal verbringen – aber natürlich gibt es auch bessere Ideen. Ganz komische Blicke ernte ich teilweise, wenn ich mit meinen Plänen prahle. Die meisten würden es nie in Erwägung ziehen Urlaub im Baltikum zu machen. Baltikum? Estland? Da steckt doch immer noch die Sowjetzeit in den Köpfen der Menschen? Und außerdem scheint eh nie die Sonne und das Meerwasser ist mit Sicherheit auch arschkalt. Noch abstruser erscheint es den meisten unter solchen Umständen gleich ein Jahr lang im hohen Norden/Osten (Ansichtssache) zu verbringen – und das auch noch freiwillig!

Gerade deswegen bin ich richtig froh, dass ich ab 26.Februar den Titel „kulturweit-Freiwillige“ trage. Ich bin stolz, dass ich Zeit habe die Welt und mich besser kennen zu lernen. Alles in neuer Umgebung und mit vielen interessanten Menschen. Dass dabei auch Probleme auf mich zukommen werden, die ich sonst nie gehabt hätte. Dass ich mich wohl auch mal einsam fühlen werde. Oder dass ich nicht weiß, wie ich mich entscheiden soll? Wo es langgehen soll? Aber lieber habe ich solche Probleme anstatt lustlos die Unibank zu drücken und zu merken, wie ich das Leben an mir vorbeifließen lasse.

Also hört, hört, liebe Freunde,Bekannte und Lehrer: Ein Jahr im Ausland ist genauso natürlich wie Studieren. Fast schon das Natürlichste der Welt! In diesem Sinne: Loomulikulturweit! Natürlich Ausland! Natürlich kulturweit! Natürlich Estland …

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