Siehe die Feinde verspotten uns – Gib uns Antwort Baal – Der Fluch ist über uns gekommen – Die Wasserwogen sind groß und brausen gewaltig.
Zur Erklärung: Nein, ich bin nicht verrückt geworden. Sondern es gibt Neuigkeiten: Ich bin jetzt in einem echten estnischen Chor. Genauer gesagt im ersten Alt des Tartu Noortekoors. Doch überraschenderweise hört man gar kein Estnisch – sondern es wird aauf Deutsch gelault ( Laulma = singen) und zwar der Elias von Mendelsohn. Seit zwei Wochen hatten wir fast jeden Tag und manchmal auch bis zu 8 Stunden täglich Probe. Hier wurde ich auch gleich kräftig miteingebunden, indem ich die Vorleserin für komplexe Sprachkompositionen aus biblischen und alten deutschen Wörter spielte. Aber zum Glück ist die Aussprache von Estnisch und Deutsch nicht komplett verschieden.
Nach so vielen intensiven Proben – war jeder mit dem Baal-Virus infiziert. Sowohl was Ohrwürmer als auch Halsschmerzen. Das ganze begann mit einem Eröffnungskonzert der Saison im Vanemuise Theater in Tartu. Es war übrigens auch im Radio hier zu hören, aber ich habe es bis jetzt noch nicht online gefunden.
Noch einen oben drauf gab es am nächsten Morgen, also wir uns mit Opernchor und Orchester nach Riga aufmachten. Denn dort wurde an diesem Abend in der lettischen SDomkirche der estnische Elias aufgeführt. Nach einem Zwischenstop in der lettischen Lidokantine und im Kettenkarussel fühlte sich alles ein bisschen nach Klassenfahrt an. Doch keine Zeit für Späße. Einsingen, letzte Probe und die edlen, aber jedoch sehr unpraktischen Chorkleider angezogen. Nach gefühlten drei Stunden war das Projekt Elias erledigt und jeder glücklich über den gelungenen Auftritt. Jedoch ging es sofort wieder in Richtung Heimat, denn der Abend war noch nicht gelaufen. Zu estnischen Dauerbrennern und Nationalliedern (ich muss endlich mal die Texte lernen) schaukelten wir wieder zurück. Angekommen ging es gleich weiter um sich alle Sorgen von der Seele zu tanzen (oder zu trinken).
Und dieser Abend wird mir noch ewig in Erinnerung bleiben: Mein Estnisch wurde schon fast fliessend und ich fühlte mich das erste Mal seit sechs Monaten hier 100% integriert und rein gar nicht mehr als Ausländer.
Und das ist doch wohl das beste Zeichen?

