Die Miniaturwelt, über der ich vor wenigen Augenblicken noch zu schweben schien, wird immer grösser und grösser. Mit einem ruckeligen Rumps rollen wir die Landebahn entlang und ich erlebe alles wieder in Lebensgrösse.
Doch kaum in Norwegen gelandet, bleibt keine Verschnaufpause. Um dem deutschen Stereotyp der Pünktlichkeit gerecht zu werde, hüpfe ich zuerst in den Bus, dann in den Zug und später ab auf die Fähre. Nach einem langen Marsch über die halbe Insel bin ich endlich am Ziel: das Hostel in Borre, wo dieses Wochenende ein radikales deutsch-norwegisches Alumnitreffen des DNJFs stattfindet. Radikal zusammen gefasst verbrachten wir ein wunderschoenes Wochenende mit einem dreistuendigen Besuch des deutschen Botschafters, Baden im eiskalten Fjord, um der Radikalitaet gerecht zu werden, probierten wir das praktisch, indem wir uns beim Lasertack abballerten. Ausserdem beschaeftigten wir uns mit einer norwegischen Kuenstlerin und damit, wie radikal Kunst sein kann – das ganze auf Norwegisch, deswegen auch sehr anstrengend zu folgen. Der Hoehepunkt hier war, dass wir das Buero der Leitung in unsere Galerie Horten verwandeln konnte. Am ersten Abend hatten wir auch noch die Moeglichkeit, den Film GNADE von der norwegischen Filmproduzentin hoechspersoenlich vorgestellt zu bekommen. Im Gesamtpaket war es richtig super und es sind viele neue Freundschaften und Plaene fuer den deutsch-norwegischen Austausch entstanden. Deswegen hier ein radikaler Schnitt!
Ziemlich müde von so viel Radikalität machen wir uns Sonntag mittag wieder Richtung Oslo. Wieder einmal hatte ich viel Glück und konnte mit Monica, einer Norwegerin, nach Asker mitfahren und ausserdem konnte ich noch eine Nacht bei ihr im supergemütlichen Bauernhaus schlafen. Neben einer Tour mit dem Hund, der Verkostung von lett, skemmet und so weiter (den verschiedenen Milchsorten, von wässriger Konsistenz bis dickflüssig), haben wir auch noch Sankt Hans, das norwegische Mittsommerfest gefeiert.
Im grossen Kreise ihrer Familie wurden zwei Geburtstage nachgefeiert, viele Leckereien aufgetragen und wahnsinnig viel Kaffee getrunken und gesnust. Schon am Wochenende war ich verwirrt von den kleinen, bunten Dosen. Die Norweger schieben sich diese kleinen Teebeutel unter die Oberlippe und spucken sie nach einiger Zeit wieder aus. Vorteil dieses komischen Hobbys – es macht keine Raucherlunge und ist auch noch günstigster als Zigaretten. Und dass die Norweger nicht ohne Kaffee können, sei es um dunkle und helle Zeiten zu überstehen, ist ja schon bekannt. Deswegen steht die Kaffeemaschine nicht in der Küche sondern in Reichweite des Esstisches.
Fix und fertig krochen wir diese Nacht in die Betten. Denn am nächsten Morgen wurde nach norwegischer frukost für den billigsten Benzinpreis in Oslo getankt. Dann verabschiedete ich mich auch schon von Monica und ich fuhr mit dem Zug nach Oslo City. Dort holte ich mir erst einmal einen Stadtplan. Aber keinen gewöhnlichen, sondern ein Plan speziell für junge Reisende von einheimischen Jugendlichen. Dem folgte ich und entdeckte so verschiedenste Ecken Oslos für mich. Nach einem Imbiss mit Knäckebrot, brunost und rosin boller (das Einzige, was bezahlbar ist) auf einer Bank im hippen Viertel Grünerlokka genoss ich die Abendsonne an und auf der Oper. Man kann nämlich einfach das Dach hochlaufen.
Damit diesmal mit meinem Nachtzug alles klappt, habe ich mich schon zwei Stunden früher zum Bahnhof begeben. Dort wieder mal Papier gegen Tickets tauschen und noch im Wlan des Burger Kings verweilen. Als dieses Internetcafe dann aufgelöst wurde und wir sozusagen alle rausgeschmissen wurden, sah ich an der Infotafel, dass wohl wieder nicht alles glatt laufen würde. Aus einer Stunde Verspätung wurden schnell zwei oder fast drei. Es war zwar saukalt, aber die Stimmung nicht im Keller. Als endlich der Zug eintrudelte und der Zug die Stadtgrenzen Oslos erreichte, war bereits ein tiefes Schnarchen durch den Wagon zu hören. Und es war tatsächlich ein paar Stunden dunkel, den Rest machte meine Schlafmaske.
Natürlich wurden die Anschlusszüge in Oslo nicht mehr erreicht, weshalb wir in einen Bus umquatiert wurden und prompt meine schweineteure, niegelnagelneue Regenjacke im Zug verschwand, was ich natuerlich auch erst spaeter merkte. Nach weiteren zehn Stunden Bus, Bahn und nochmal Bus bin ich dann endlich bei June angekommen. Im Regen habe ich sie fast nicht wiedererkannt – und zudem war ich auch nicht sicher, ob ich jetzt wirklich da bin. Aber nach 17 Stunden Fahrt war ich endlich in Nordland, schon fast bei den Lofoten. Von der wunderschönen Umgebung zeigte sich jedoch nicht viel, denn alles war in Nebel gehüllt.
Doch angekommen im supergemütlichen Holzhaus waren alle Reisestrapazen vergessen und wir machten es uns in dem kleinen Holzhaus im Garten bequem. Jetzt verstehe ich auch, warum die Norweger die Steinhäuser in Deutschland so fad und ungemütlich finden.
Nach einem typisch norwegischen middag, dem Abendessen, bauten wir Mädls unsere Gewaltbereitschaft bei GTA ab bzw. auf. Und als das Licht immer heller wurde, so hatte ich zumindest das Gefühl, gab es eine coole Überraschung für mich. Junes Papa spielte für heute Abend unser Taxi, da June es vorzieht lieber im Riesenquad mitzufahren, anstatt es selber zu reiten. So düsten wir schnell zum hauseigenen Strand. Dort suchten wir alle Steine nach den grössten Krebsen ab und stießen dabei noch auf viele Seesterne und Seeigel. Die Stimmung war jetzt fantastisch:Das Nebeldickicht war komplett verschwunden und die Sonne präsentierte sich in ihrem besten Licht. Am liebsten wäre ich jetzt noch in den Fjord gesprungen, aber dazu war es sogar mir viel zu kalt. Trotzdem endete dieser Tag nass: und zwar unter der heissersehnten warmen Dusche – bevor ich ins Bett fiel. Das war dann leider wiedermal viel zu gemütlich, so dass wir eben erst um halb 12 frukost hatten. Mit Lefse (einem traditionellen, dicken Pfannkuchen mit Butter, Zimt und Zucker) im Gepäck begann unsere Tour. Der erste Stopp war die Finnmark, ein Schiff, das die bekannte Hurtigruten fährt. Als alle reisebegierigen Renter das Schiff für einen kurzen Landgang verlassen hatten, schlichen wir uns hinein. Durch verschiedene Gänge tasteten wir uns auf Deck. Alles ganz nett und schick, sogar mit Whirlpool. Jedenfalls brauche ich als rüstige Rentnerin nun nicht mein Vermögen für dieses Schiff ausgeben, da ich ja schon da war. Wir dagegen nahmen eine kleine Fähre auf die Insel Bjørn. Bjørn als Name ist in Norwegen übrigens verboten, weil es zu sehr an den Bæren erinnert. Dort angekommen duesten wir über die Insel-und auch kein Vogelvieh vor der Heckscheibe konnte uns daran hindern. Wichtige Lektion: Als fortgeschrittener Fahrer oder als Einheimischer kann man allem mit Federn gekonnt ausweichen, nur den Elch sollte man stehen lassen.
Die nächste Zeit verbrachten wir mit vielen Zwischenstopps zum Sehen, Staunen und Genießen. Bald wurde es richtig warm und das Wasser schimmerte wie in der Karibik. Da wir leider nicht mit solchem Superwetter gerechnet haben, ging es leider nicht ins Wasser. Dafür mit einer grossen Packung Hello Kitty Eis ans Hafenbecken. Und was ist schöner, als zu zweit, so eisschleckend dazusitzen, die Beine vom Steg baumeln zu lassen und mit einer frischen Meeresbrise über Dies und Das zu reden. Fast hätten wir dadurch die Fähre verpasst, aber die kam zum Glück zu spät. Danach schnell heim zum Abendessen: Es gab wieder traditionelle Küche, nämlich fiskeboller, die sogar ich als Vegetarier gut fand. Nach kurzer Verschnaufpause packten wir uns wärmer ein, bevor es auf eine kleine Wanderung ging. So ein bisschen Berg tat nach so viel flachem Estland doch mal wieder gut und nach kurzer Zeit hatten wir bestes Abendsonnenlicht und einen grossartigen Blick über die Gegend. Und es war schon 23.00 Uhr! Da es nun immer windiger wurde und auch ziemlich frisch, konnten wir unser Programm mit Kajak fahren und anschliessendem Fjordgang nicht mehr durchziehen. Stattdessen klang der Abend bei Reality-Tv aus Amerika, Kerzenlicht und norwegischem Geknabber aus.
Leider muss ich jetzt schon, nach dieser kurzen, wundervollen Reise meine Rückreise antreten. Es fiel mir schon schwer, die herzliche Atmosphäre von Familie Stokka und dem wunderbaren Nordland wieder zu verlassen, wo ich doch gerade erst angekommen war. Doch ich werde garantiert wiederkommen. Ob mit dem Tandem, meinem hoffentlich bald vorhandenen Reisebus oder eben wieder der norwegischen Bahn. Trotz Verspätung nimmt sie sich dem Wohl ihrer Fahrgäste an und unterstütze auch mich auf meiner Suche nach der verloren gegangenen Regenjacke mit Mitleid, Tipps und Telefonnummern. Und falls das nicht hilft, vielleicht kann mir Dr. Walter ja unter die Arme greifen.
So hoffe ich, dass die nsb mich nun rechtzeitig zum Flughafen bringt und ich mich wieder Richtung Tartu bewegen kann.
Auch wenn ich sofort ausgewandert wäre, vielleicht sollte ich erst viele Dinge in Estland wieder regeln und nochmal im dunklen Winter herkommen.
PS: Fotos kann ich leider noch nicht hochladen, da der PC in meinem Hostel in Budapest keinen Platz fuer SD-Karten hat. Aber seid gespannt!
