Schon ein bisschen verrückt

Das habe ich mir gedacht, als mir heute klar geworden ist, dass ich vor genau sechs Monaten hier angekommen bin.

Ziemlich aufgeregt saß ich mit Greta im Zug von Budapest nach Pécs und hatte so viele Fragezeichen im Kopf. Alles war so neu und ungewohnt. Die Sprache klang fremd und ein bisschen magisch, der Zug war nicht kalt ausgeleuchtet wie bei der Deutschen Bahn, sondern hatte die warme Atmosphäre eines Wohnzimmers mit gemütlichen Sitzen und gemusterten Vorhängen. Wir wurden freundlich von unseren Mitreisenden angelächelt, zwei junge Deutsche, die mühsam versuchten die ungarische Übersetzung von „Danke für Ihre Hilfe“ auszusprechen. Als mich meine Ansprechperson, Eszter, dann mit ihrem Auto zu meiner Wohnung brachte, klebte meine Nase quasi an der Fensterscheibe des Autos. Helle Reklameschilder zeichneten sich in der warmen Septembernacht ab. Im Hintergrund erhob sich majestätisch der beleuchtete Fernsehturm, fast wie ein Leuchtturm, der mich willkommen hieß. Ich kann es gar nicht so genau beschreiben, aber jede Stadt hat ein ganz bestimmtes Aroma. Einen bestimmten Geruch, eine bestimmte Melodie, die sich aus dem Hupen der Autos und den Gesprächen der Passanten zusammensetzt. Eine Einzigkeit, die sich dem Besucher offenbart, dem sie fremdartig und aufregend vorkommt. Überwältigt von all diesen Eindrücken stand ich  bei Tageslicht in meiner Straße, in einer fremden Stadt, in einem fremden Land mit einer fremden Sprache und fremden Menschen.

Und jetzt? Fremdheit wurde abgelöst von einem warmen Gefühl. Einem Gefühl des Angekommenseins. Eine innere Ruhe.

Nach sechs Monaten ist vieles sehr vetraut. Ungarisch hat sich zur selbstverständlichen Hintergrundmusik meines Alltags entwickelt. Fremde wurden Freunde. Kein Herzklopfen mehr, ob ich den richtigen Bus genommen habe, stattdessen führe ich mittlerweile Besucher*innen durch die Stadt. Durch meine Stadt. Ich weiß, wo man den besten Kaffee trinken kann und die beste Aussicht über die Stadt hat. Mein Kochrepertoire hat sich ausgehend von Nudeln mit Pesto exponentiell erweitert. Die ungarischen Züge sind mein zweites Zuhause geworden. Ich habe den Puls verschiedenster Städte und Dörfer gespürt. Ich habe spätnachts mit tollen Menschen über die tiefen Fragen der Menschheit sinniert. Ich habe vieles gelernt, am meisten vielleicht über mich. Ich habe geweint, gelacht, geschrien, geschwiegen. Jeder Schritt hat mich irgendwo hingebracht, wo ich noch nie war.

Sechs Monate, das ist vielleicht eine kurze Zeit. Vielleicht auch eine ziemlich lange. So genau kann ich das gar nicht sagen. Schon ein bisschen verrückt das Ganze. Ich freue mich auf die nächsten Monate.

Kurz mal den Winter verjagen

In den letzten Tagen hatte sich die Sonne tatsächlich immer wieder mal kurz gezeigt und die ganze Stadt war plötzlich voller Menschen, die das schöne Wetter genoßen. Um jetzt aber ganz sicher zu gehen, dass der Sonnenschein nicht nur eine kurze Laune der Natur war, mussten zur Vetreibung des Winters zu härteren Mitteln gegriffen werden. In unserem Fall: ungarische Yetis.

Da es im Falle einer Freundin schon zur Verwirrung geführt hat: Das bin nicht ich. Obwohl meine Haare in der Früh oft in einen ähnlichen Zustand sind.

Diese haarigen Ungetümer sind am ungarischen Fasching, dem Busójárás zu bestaunen und zu fürchten. Zentrum des 6-tägigen Spektakels ist die Kleinstadt Mohács, die westlich von Pécs in der Nähe der Grenze zu Serbien und Kroatien liegt. Das ganze ist tatsächlich eine Riesenshow, das Gäste aus ganz Ungarn (und auch anderen Ländern) anzieht.

Warum die weißen Riesen durch die Stadt ziehen, dazu gibt es zwei Erklärungen. Die erste Legende spielt zur Zeit der Osmaneninvasion, in der die Ungarn aus Mohács vertrieben wurden. Nun kam ein kroatischer Mann eines Nachts zu ihrem Lagerfeuer und sprach ihnen Mut zu. Ein maskierter Ritter werde bald kommen und mit ihnen die Stadt einnehmen. Dafür sollten sie Masken und Waffen vorbereiten. Während eines Gewitters erschien dann tatsächlich dieser Ritter und sie schafften es die Osmanen zu vertreiben, weil diese sie aufgrund ihrer Masken und des Sturms für Dämonen hielten. Die zweite Erklärung ist etwas weniger spektakulär. Forschungen zeigen, dass der Umzug der Búsós ein altes germanisches Fruchtbarkeitsritual sein könnte.

Ob jetzt also Heldengeschichte, oder alter Brauch: Die Tradition des Busójárás besteht seit langem. Die Verkleidung hat sich seit jeher nicht geändert und unterschiedlichste Gruppen zeigen stolz ihre selbstgeschnitzten Masken.

Wenn man mal eine Auszeit von dem Winterschreck braucht, kann man typisch ungarisches Essen genießen, oder Musik lauschen. Das ganze war auf jeden Fall ein spannender Ausflug 😀