Hurra Hurra! – Varaždin und ich feiern unser Zweimonatiges!
Bok statt Hallo, Klipić statt Brezeln, Kuna statt Euro, Turbo Folk statt Helene Fischer und Rakija statt Jägermeister, – Es ist schon erstaunlich, wie ich mich an all diese Veränderungen gewöhnt habe.
Es heißt ja, die Seele bräuchte immer etwas mehr Zeit um anzukommen. Falls das stimmt, ist meine Seele in den letzten Wochen sicherlich wohl behalten in Varaždin eingetroffen. Ich fühle mich nicht nur wohl hier, sondern stecke schon mitten im kroatischen Alltag.
Das merke ich zum Beispiel, wenn die Kassiererin im Schwimmbad mich erkennt und schon den Stempel schwingt, bevor ich mein Zehnerkärtchen überhaupt aus dem Geldbeutel gekramt habe oder, wenn ich im Supermarkt „wie immer“ die blaue und nicht die rote Milchtüte im Jutebeutel versenke. Gewohnheiten zu entwickeln gehört wohl irgendwie dazu, wenn man versucht sich einzuleben und scheinbar ist mir das in den letzten Wochen recht gut gelungen. Wenn ich nach der Schule oder nach einem Ausflug am Wochenende jetzt meine Wohnungstüre aufschließe, beschleicht mich das wohlige Gefühl wieder „zu Hause“ zu sein.
Ankommen hat etwas mit Heimkommen zu tun. Und Heimzukommen kann man natürlich nur, wenn man auch ein bisschen rumkommt. Deswegen habe ich mich in den letzten zwei Monaten aufgemacht, um das Land indem ich jetzt für ein Jahr lebe, genauer kennenzulernen. Allem voran, war ich in Zagreb, da sie Hauptstadt von hier aus mit dem Bus in anderthalb Stunden einfach und bequem zu erreichen ist.
Das erste Mal habe ich mich dort mit Julia getroffen, der kulturweit Freiwilligen aus Bjelovar und wir haben gemeinsam die Stadt besichtigt, Kaffee getrunken und die Gelegenheit genutzt uns über unsere bisherigen Erfahrungen auszutauschen.
Wieder zurück in Varaždin, habe ich dann über meine Vermieterin die Spanierin Lidia und den Belgier Guillaume kennengelernt, die in Varaždin für drei Monate ein Praktikum machen und die mir dann wiederum den Erasmus Studenten Carlos aus Mallorca vorgestellt haben. Mit ihnen habe ich mich ein weites Mal Richtung Zagreb aufgemacht und die Stadt weiter zu entdecken.
Mit der beeidruckenden Mischung aus Neu und Alt, den Überbleibseln aus der K&K Monarchie aber auch all den Bauwerken, die an die Zeit Jugoslawiens erinnern hat mich die Stadt von Anfang an fasziniert und es beeindruckt mich sehr wie viel es dort zu sehen gibt.
Das wollte ich natürlich auch meinen Eltern zeigen als sie mich hier besucht haben, also habe ich auch mit ihnen noch einen tollen Tag in Zagreb verbracht. Bevor es dunkel wurde haben wir sogar noch die Gelegenheit genutzt weiter nach Samobor zu fahren, das hübsche Örtchen, indem die traditionellen kroatischen Cremeschnitten verkauft werden, die mir von vielen hier schon so ans Herz gelegt wurden.
In den darauffolgenden Tagen haben wir uns dann die ländlichere Gegend rund um Varazdin angesehen. Dazu gehört auch der Kurort Varaždinske Toplice, oder zumindest das was davon noch übriggeblieben ist. Die Thermalquelle mit den Schwefeldämpfen gibt es natürlich noch, aber der ganze Ort schien seltsam ausgestorben und wir hatten den Eindruck, als seien hier schon länger keine begeisterten Kurpatienten mehr durch den Park flaniert. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen, war Varaždinske Toplice auf jeden Fall einen Ausflug wert.
Wie ich mit meinen Eltern festgestellt hatte, ist ein Auto doch ein großer Vorteil, wenn man unterwegs flexibel sein möchte. Daher beschlossen Lidia, Carlos, Guillaume und ich uns für den nächsten gemeinsamen Trip ein Auto zu mieten. Trotz Regen machten wir uns Richtung Slowenien auf. Wir wollten uns die Hauptstadt Ljubiljana genauer ansehen. Neben der Burg, die hoch über der Stadt thront und von der aus man einen beeindruckenden Blick über die Häuser hat, erkundeten wir die Altstadt und ihre hübschen Gassen, Kirchen und kleinen Lädchen. Im Vergleich zu Zagreb wirkte Ljubiljana auf mich komischer Weise wahnsinnig westlich. Varaždin erschien mir mit einem Mal total osteuropäisch, viel osteuropäischer als ich es bisher wahrgenommen hatte.
Am darauffolgenden Wochenende musste ich allerdings feststellen, dass es wohl ganz darauf ankommt von welcher Perspektive aus man auf Varaždin blickt. Lidia, Carlos, Guillaume und ich hatten uns auf den Weg nach Slawonien gemacht, die östlichste Region Kroatiens, in der die Städte Osijek und Vukovar liegen. Im Vergleich zu dieser wenig touristischen und ländlich geprägten Gegend, kam mir Varaždin mit einem Mal ganz westlich und europäisch vor. Das ist aber längst nicht das einzige, was ich von diesem Ausflug mitnehme und was mich noch heute sehr beschäftigt.
Bei unserem Spaziergang durch Osijek hatte ich zum ersten Mal auch das Gefühl, in Kroatien in einem Land mit wahnsinnig viel junger und folgenreicher Geschichte zu sein. Besonders eindrücklich war für mich der Besuch der Gedenkstätte in Vukovar und unser Spaziergang bis an die Grenze zu Serbien. Die Schlacht um Vukovar 1991 gehört zu den blutigsten und grausamsten Auseinandersetzungen im Kroatienkrieg, wie ich später erfahren habe. Hierbei wurde die Stadt komplett zerstört. Nach dem Fall der Stadt wurden mehrere tausend Kroaten und Nicht-Serben bei der sogenannten „ethischen Säuberung“ der jugoslawischen Volksarmee skrupellos und willkürlich ermordet. Das Massaker in Vukovar, gehört mit Sicherheit zu den traurigsten Kapiteln der kroatischen Geschichte. Umso beschämender kam es mir vor, an diesen Orten zu stehen und dabei eigentlich nicht die geringste Ahnung von der Geschichte des Landes zu haben. Seither habe ich das dringende Bedürfnis das zu ändern. Wenn ich eines gelernt habe, dann das dieser grausame Krieg mit all seinen Folgen auch weit in die kroatische Gegenwart reicht. Diese Geschichte ist zu jung um abgeschlossen zu sein und zu bedeutsam dafür, was Kroatien heute ist und wie es sich entwickelt.
Mit Sicherheit weiß ich jetzt jedenfalls: Das Kroatien, wie es heute ist, hat unglaublich viele verschiedene Facetten zu bieten und auch wenn ich jetzt schon in verschiedenen Ecken des Landes gewesen bin, gibt es hier noch viel, viel mehr zu sehen. Ich bin gespannt, was ich noch alles in diesem Land entdecken werde! Ich plane bereits meine nächste Reise… Und bis es soweit ist, probiere ich vielleicht mal die roten Milchtüten. Man weiß ja nie!
Bis bald.