Hustain Nuruu (Birkenberge – komischer Name, weil es da eigentlich keine Bäume gibt…) ist ein Nationalpark in der Zentralprovinz (төв аймаг), der, obwohl er nicht so weit von Ulaanbaatar entfernt ist, ewig zum erreichen braucht. Dies liegt vor allem daran, dass er mitten in der Steppe liegt und das bedeutet in der Mongolei: Keine festen Straßen! Amarbayasgalan war dagegen ja noch in der Zivilisation. es gibt zwar die gut befahrenen Trampelpfade, die aber schnell mal in einer riesigen Erdspalte enden oder doch wo ganz anders als man eigentlich hinwollte. Ein GPS Gerät zu besitzen ist definitiv von Vorteil – wir hatten zum Glück eins. Keine Straßen zu haben ist sowieso das tollste: Mit einem alten Mercedes-Geländewagen durch die Steppe zu brettern und sich immer mal wieder mit Kompass, GPS-Gerät und einem Fernglas nach dem richtigen Weg umzusehen macht irre Spaß, außerdem entdeckt man dabei viel: Alte Gräber aus der Steinzeit, schamanistische Kultstätten, Tiere und auch ihre Knochen, denn den Winter überstehen vor allem die schwachen Tiere nicht. So findet man blasse Gerippe, wie man sie sonst nur aus Wildwest-Filmen kennt, die bis auf ein paar Haut- und Fellfetzen von Geiern, Wölfen und Wetter komplett freigelegt wurden.
Die mongolische Steppe in wenige Worte zu fassen ist unmöglich. Wenn jemand von „so weit das Auge reicht“ redet, dann sollte er hier her kommen, denn hier wird der Spruch zur Realität. Um einem herum sind oftmals so riesige, offene, ebene Flächen, die durch nichts unterbrochen werden: Keine Bäume, Sträucher, Hügel und erst recht keine Häuser! Oft sieht man kaum noch die Bergkuppen, die in der Ferne im Dunst oder in kleineren Schnee- und Sandstürmen verschwinden, weil das menschliche Auge wirklich nicht so weit reicht. Und obwohl es nie wärmer als 0°C wurde, war mir schon lange nicht mehr so warm wie an diesem Wochenende, denn die Sonne gewinnt wieder an Kraft und es herrschte oft absolute Windstille. Bloß den Schatten sollte man meiden und sich von den gefühlt warmen Temperaturen am Tag nicht täuschen lassen, denn wenn die Sonne weg ist wird es bitter kalt. Vor allem beim Ovoo knapp vor Ulaanbaatar ist es unerträglich: Da stand man ein paar kilometer weiter in der Stadt noch in der relativen wärme ohne Handschuhe an der Straße und plötzlich hat man schon nach 2 Minuten kein Gefühl mehr in den Händen. Anscheinend liegt das daran, dass die Gegend (hier ist auch der Flughafen) in einer Senke liegt und die Kälte sich ansammelt und nicht entfliehen kann. Das Phänomen hat sogar einen Namen, aber der ist mir wieder entfallen (Kristian, wenn du das liest bereichere uns 😛 ). Hier war es dann auch so kalt, dass man sich den Daumen herrlich in der Autotür einklemmen konnte und dann erst 10 min später von den Schmerzen überkommen wurde (zusätzlich zum ekligen Gefühl, wenn einem die Finger wieder auftauen). Das mit dem Daumen ist ja zum Glück nicht mir passiert 😉
Nach acht Stunden waren wir dann auch am Ziel angekommen (dutzende Wegfindungs-, Ess- und Fotopausen mitinbegriffen). Der eigentliche Nationalpark liegt in einem Tal und ist deshalb von den rauen Winterwinden geschützt. Eine Forschungsstation und ein Jurten-Camp dienen als Behausung für Touristen und Wissenschaftler. Bei den Wissenschaftlern handelt es sich hauptsächlich um Biologen, die darauf achten, dass der Bestand an Wildpferden nicht bedroht wird. Sie gehören zu den letzten ihrer Art und konnten nur durch Zucht vorm gänzlichen Aussterben gerettet werden. Die Pferde im Nationalpark sind also ausgewilderte oder Nachkommen ausgewilderter, in Gefangenschaft lebender Wildpferde. Eine große Gefahr für die Pferde sind Zecken. Urspünglich waren sie gegen Zecken immun, aber diese Immunität ist durch genetische Vermischung mit Hauspferden verloren gegangen. Man erhofft sich diese Eigenschaft durch sorgfälltige Isolierung wieder herzustellen – das heißt, dass es verboten ist seine Pferde im Nationalpark grasen zu lassen. Überhaupt ist es den Nomaden verboten ihre Tiere in den Nationalpark zu treiben, denn man hat Angst, dass die abertausend Schafe und Ziegen, aber auch Rinder und eben auch Pferde den Wildpferden (mongolisch: „Takhi“ – тахь; find ich viel einfacher als „Przewalski“ 😉 ), das Gras wegfressen.
Während mongolische Pferde sowieso etwas kleiner als die europäischen sind, sind die Wildpferde noch etwas kleiner, aber sehr kräftig gebaut. Ihre Köpfe sind größer und wenn man vorsichtig guckt erkennt man unter dem zotteligen Winterfell leichte Zebrastreifen an den Beinen. Auch die Mähne erinnert mehr an die eines Zebras als an die eines Pferdes: schwarz und hochstehend. Neben den Wildpferden gibt es noch viele andere Tiere im Nationalpark und in der näheren Umgebung (wobei „nähere Umgebung“ hier auch relativ ist – alles ist riesig). Hirsche, Kamele, Wölfe und auch Antilopen. Während man sich an Wildpferdherden noch heranschleichen kann ist das bei den anderen Tieren unmöglich. Hirsche schrecken auf, wenn man 200m an sie herankommt, Antilopen schon über mehrere Kilometer und Wölfe haben wir einfach nie zu Gesicht bekommen (bloß Spuren auf einem zugefrorenem Fluss). An Kamele kommt man eigentlich am problemlosesten ran, aber die Herde, der wir uns näherten wurde von einem riesigen, aus dem Mund schäumenden Bullen bewacht. Bald fängt die Paarungszeit an und wir waren in seinen Augen wohl alle Nebenbuhler. Nach einigen offensichtlichen Drohgebärden seinerseits fanden wir es doch klüger langsam zurück ins Auto zu steigen. Wir hatten alle keine Lust uns von einem testosterongesteuerten, tollwütigen Kamelbullen über den Haufen rennen zu lassen.
Die Nacht verbrachten wir wieder in einer Jurte. Diese war dank Holzofen bollewarm, bloß als das Feuer übernacht aus ging war ich froh um meinen warmen Schlafsack. Den Morgen benutzten wir zum Wildpferde bestaunen und fotografieren, was damit endete, dass ich die letzten paar Meter uf dem Bauch über einige Steine robbte um gute Bilder zu bekommen. Machte definitiv Spaß – Sogar ein paar Hirsche habe ich vor die Kamera bekommen, aber eben nur aus großer Entfernung.
Auf dem Heimweg fuhren wir an den türkischen Gräbern vorbei. Das sind Grabsteine in Form von Schafen, Löwen und auch Menschen, alle schon tausende jahre alt. Das Tollste an der Stätte muss der lange Prozessionsweg darauf zu sein, der aus hunderten von spitzen Steinen besteht, die in den Boden gerammt wurden. Die eigentlichen Grabsteine wurden irgendwann von archäologen an diesen Punkt gebracht. Natürlich standen hier schon welche, aber eben noch nicht so viele. Denkmalsschutz à la Mongolia: Baut einen kleinen Zaun drumrum, so dass die Schafe die Grabsteine nicht umschmeißen. Ansonsten ist alle erfrischend „naturbelassen“. Es ist kein Museum drumherum gebaut und wieder gilt: Wer die GPS-Koordinaten der Stätte hat ist klar im Vorteil, denn sie liegt abseits aller Wege mitten im Nichts.
Aber „so ist das hier“ nun mal und um ganz ehrlich zu sein, das ist auch verdammt noch mal auch gut so 🙂