Freitag, 2. März 2012. Heute Nachmittag zeigte mir mein Kollege Roberto die nach Durchmesser bemessen größte Pyramide Mexikos. Wir fuhren nach Cholula. Dabei hörte ich manch spannende Geschichte und Legende.
Cholula ist eine kleine Stadt, die etwa 30 Kilometer westlich vom Zentrum Pueblas liegt. Die äußeren Bezirke beider Städte sind mit der Zeit aneinandergewachsen. Das Städtchen ist bekannt für seine Pyramide, die heutzutage eher wie ein Hügel anmutet, auf dessen Spitze eine Kirche gesetzt wurde. Roberto wohnt dort. Er ist Englischlehrer und ein unglaublich netter, fröhlicher Kerl. Wir verstanden uns auf Anhieb. Er bot sich mir als ‚Touri-Guide‘ an und zeigte mir die Pyramide.
Im 15. Jahrhundert, kurz vor Ankunft von Hernán Cortés in Mexiko, waren die cholultecas eine von den Azteken relativ unabhängige politische Einheit, auch wenn vermutet wird, dass sie dem Reich Tenochtitlan Tribut leisten mussten. Sie gehören, wie auch die tlaxcaltecas und Azteken zu den Nahua-Sprechern, in deren Religion der Gott Quetzalquoatl – der gefiederte Schlangengott – eine bedeutende Rolle einnimmt.
Am Fuß auf der Rückseite des Hügels befindet sich eine archäologische Zone – eine Art Freilichtmuseum – mit freigelegten Überresten von Teilen der Pyramide und anderer Gebäude. An einigen Gebäudewänden sind sogar noch Wandgemälde vorhanden. Das Einzige, was äußerlich auf die Existenz der Pyramide hinweist, ist ein Sockel am unteren Hang des Hügels. In das Innere der Pyramide führt ein Tunnel, der momentan leider wegen Bauarbeiten gesperrt ist. In dem kleinen Informationszentrum gibt es aber ein Modell des Geländes. Es zeigt, dass die Cholultecas, wie andere mexikanische Hochkulturen auch, immer wieder größere Pyramiden über die Kleineren bauten. An den Überresten kann man heute ablesen, wie sich Stil und Konstruktionsweise verändert beziehungsweise verbessert haben.
Bevor man sich auf den Weg zur Spitze des Hügels macht, kommt man zwangsläufig an den vielen kleinen Souvenir-Ständen vorbei. Auf den Tischen in der Auslegeware vermischen sich die Religionen. Zwischen Glocken aus Keramik und Kruzifixen finden sich kleine Tonmasken, die den Sonnengott Tonatiuh repräsentieren. Die Griffe der Messer mit nachgemachten schwarzen Steinklingen stellen den Vulkan Popocatepetl als legendären Aztekenkrieger dar. Oben auf dem Hügel angekommen hatte ich einen wunderbaren Blick auf diesen Vulkan.
Der Popcatepetl ist mit über 5.000 Metern Höhe der höchste Berg Mexikos. Sein Name ist Programm, er bedeutet in etwa ‚rauchender Berg‘. Unaufhörlich stößt er Rauch aus und wirkt dadurch wie eine ständige Bedrohung für die Stadt und ihre Einwohner. Sein Anblick fasziniert mich. Neben ihm ruht Iztaccíhuatl, die ‚weiße Frau‘. Auch ihr Name ist Programm. Der Bergrücken dieses inaktiven Vulkans hat die Form einer auf dem Rücken schlafenden Frau. Sie ist nahezu das ganze Jahr über in eine Schneedecke gehüllt.
Die Legende von Popocatepetl – ‚Popo‘ – und Iztaccíhuatl – ‚Izta‘. Popo war ein junger, mutiger Aztekenkrieger. Izta war eine Aztekenprinzessin, Tochter des Herrschers. Sie waren verliebt, und Popo hielt um ihre Hand an. Der Herrscher war einverstanden, unter einer Bedingung: Popo müsse seine Tapferkeit und sein Kampfgeschick unter Beweis stellen, in dem er den Herrscher einer verfeindeten Gruppe besiegt. Als Beweis sollte er dessen Kopf mitbringen. Mutig zog Popo in die Schlacht. Seine Abwesenheit nutzte ein listiger Widersacher aus, der ebenfalls um die Hand Iztas bitten wollte. Er verbreitete falsche Kunde über den Tod Popos. Als Izta vom vermeitlichen Tod ihres Geliebten erfuhr, wurde sie schwer krank und verstarb kurze Zeit später an gebrochenem Herzen. Natürlich kehrte Popo siegreich aus der Schlacht zurück. Als er vom Tod seiner Geliebten erfuhr, nahm er ihren Leichnam, trug ihn in die Berge und barte ihn dort auf. Todtraurig bereitete er einen Scheiterhaufen, um sie und sich selbst den Göttern als Opfergaben anzubieten. Die Götter waren so gerührt von den beiden, dass sie sie zu Bergen machten und somit auf ewig vereinten. Der Rauch ist ein Zeichen Popos dafür, dass er immer noch über Izta wacht.
Man sieht von hier oben noch einen weiteren Berg, der einen geschichtsträchtigen Namen trägt, La Malinche. Sie ist ebenfalls ein inaktiver Vulkan. Sie wurde benannnt nach der Malinche, die Cortés als Übersetzerin für Nahuatl – Aztekisch – und Maya gedient hat.
Die Geschichte von La Malinche. Malinche wurde um 1505 als Nahua-Sprecherin geboren, aber noch während ihrer Jugend von ihrer eigenen Familie als Sklavin an Maya-Sprecher verkauft. Einige Jahre später, nach einem gescheiterten Angriff einer Gruppe von Maya-Kriegern gegen Cortés und seine Leute, wurde sie mit anderen Sklavinnen als ‚Wiedergutmachung‘ den Spaniern übergeben. Nachdem Cortés ihren Wert erkannt hatte – schließlich war sie eine der wenigen Menschen zu der Zeit, die sowohl Maya als auch Nahua sprachen – brachte er ihr Spanisch bei und benutzte sie als Dolmetscherin. Und mehr. Sie gebahr seinen ersten Sohn. La Malinche lieferte Informationen und übersetzte. Auch, als Cortés mit Moctezuma II – dem Aztekenherrscher – verhandelte. Sie überlebte die noche triste – den für die Spanier mit hohen Verlusten verbundenen Rückzug aus Tenochtitlan vom 30. Juni 1520. Und sie war wieder dort, als die Spanier die Aztekenhauptstadt nach harten Kämpfe ein Jahr später endgültig einnahmen. Einer von Cortés Offizieren heiratete sie bald darauf. Mit ihm lebte sie bis zu ihrem Tod um 1529 in Tenochtitlan. Ihre Rolle für das heutige Mexiko ist gespalten. Manche sehen in ihr die Mutter der Nation, denn angeblich war ihr Sohn mit Cortés der erste mestizo. Andere sehen in ihr eine Verräterin, die stets auf ihren eigenen Vorteil bedacht war und nicht an ihr Volk dachte.
Von hier oben sieht man aber nicht nur Berge. Sondern auch Kirchen. Wer glaubt, Puebla habe viele Kirchen, der hat Cholula noch nicht gesehen. Man sagt, in Cholula gäbe es 365 Kirchen, für jeden Tag eine. Roberto meinte, es seien wohl eher 365 Kirchtürme. Ob das allerdings wirklich so sei, wisse er auch nicht. Heute warfen wir nur einen Blick auf das Franziskanerkloster San Gabriel und in die Kirche ‚de Nuestra Señora de los Remedios‘ – der Jungfrau der Heilmittel – auf dem Hügel, beide aus dem 16. Jahrhundert. Letztere wurde von den Eroberern aus den Steinen des Tempels erbaut, der ursprünglich auf der Pyramide gestanden hatte. Damit wollten die Spanier die Überlegenheit ihrer Religion über die der Eroberten zum Ausdruck bringen. Damals eine gängige Praxis.
Der Ausflug hat sich wirklich gelohnt, zumal Roberto die passenden Geschichten kennt. Top! Zum Abschluss schlenderten wir Richtung Stadtmitte und tranken bei bestem Sonnenschein ’nen schönen Kaffee. Dann ging’s zurück nach Puebla…




















