Es sind die frühen Abendstunden, ein sommerlicher Freitag. Langsam kühlt sich der Tag ab. Ein gewöhnlicher Junifreitag eben. Okay, was heißt gewöhnlich? Was ist für mich noch gewöhnlich? Weiterlesen
Lebensgeschichten
Über die Geschichte von jemandem
So nah, aber doch so fern
Es ist 14.24, in meinem Körper aber noch 16.24. Zwei Stunden Zeitunterschied, obwohl es nur eine räumliche Entfernung von vielleicht 10km ist. Die Zeitzonen habe ich nie verstanden.
Ich sitze auf meiner Bank, hinter mir eine verglaste Front, durch die letzten Sonnenstrahlen der sowieso schon niedrig stehenden Kugel dringen. Um mich herum wird zu 80% noch Russisch gesprochen und ich ertappe mich dabei, wie ich mir immer wieder vor Augen führen muss, dass die Amtssprache hier nicht Russisch ist, sondern meine Muttersprache. Viel ist hier nicht los, das einzig besondere ist wahrscheinlich die Tatsache, dass es ein Grenzbahnhof ist. Ansonsten: 6.000 Einwohner, irgendwo östlich von Warschau. Menschen mit vollgepackten Tüten laufen zum Tunnel in Richtung Grenzkontrolle, denn bald fährt wieder ein Zug zurück. Ich sitze hier, versuche meine zwei Stunden zu überbrücken. Mich zu erholen von diesem riesigen Koffer, von der Schwere, der darinliegenden Weihnachtgeschenke. Aber ich merke jetzt gerade, dass das Gewicht des Koffers nicht an das Gewicht meiner Psyche der letzten Wochen heran. Meine Bank befindet sich auf einer kleinen Etage, unten stehen Grenzschutzbeamte und schreien in meiner Muttersprache herum. Plötzlich kommt eine Schaffnerin der Bahn, mit der ich hergekommen bin und unterhält sich. Sie scheint wohlbekannt hier zu sein. Auf der Anzeige stehen einige Züge, einige rüber, einige in die Hauptstadt. Auch meiner steht dran, noch knapp 1,5h. Ich schaue mich um und bin irgendwie… schockiert? Ich finde keine richtigen Worte dafür. Sollte ich mich nicht in dem Land, mit dessen Pass ich gerade innerhalb von 3 Minuten in die Europäische Union eingereist bin, immer zuhause fühlen? Einfach, weil es „mein“ Land ist? Weil ich mich zu einem Teil mit dem Land und dem Pass identifiziere? Aber alles scheint irgendwie utopisch, fremd, modern. Es fühlt sich dieses Mal wirklich komisch an, im Staatenbund von mittlerweile 28 Nationen zu sein. Man sieht Unterschiede. In der Bauweise der Häuser, in der Sprache, in der Währung, im Gefühl. „Andrzej, jedziesz do Brzescia?“ (Andrzej, fährst du nach Brest?) zieht mich aus meiner Gedankenwelt zurück in die Realität. Welche Umstände das eigentlich waren, sich hier rüber zu begeben. Warum? Und jetzt merke ich, wie entfernt mein Gastland hier zu sein scheint. Wir holen wieder vor: maximal 10 Kilometer räumlicher Unterschied. „Wir“ (ich zähle mich mal dazu, weil ich mich dann doch als ein Teil diesen Landes sehe) hier, sind nicht so unterschiedlich. „Die da drüben“, sie sind nicht so unterschiedlich. Warum wird zwischen „uns“, damit meine ich nicht nur meinen jetzigen Aufenthaltsort, sondern auch den ominösen Staatenbund, dessen Bürgerin ich zugleich auch bin, eine riesige, teilweise unüberwindbare Mauer geschaffen? Es ist wie in einer anderen Welt und ich bin gerade von dem schockiert, wo ich aufgewachsen bin. Nämlich in der EU. Ich weiß noch, vor einigen Jahren, als ich eine Staatsbürgerschaft hatte und praktisch jederzeit meine Aufenthaltsgenehmigung annuliert hätte werden können. Jetzt suhle ich mich in den Privilegien, welche mir beide Pässe geben. Ich darf durch nahezu den ganzen Kontinent Europa reisen und habe mit dem deutschen Pass praktisch den besten (was Visafreiheit etc. angeht) abbekommen. Ich hatte wohl einfach unglaubliches Glück in diesem Leben, über das ich mich nie wieder beschweren werde. Meine Eltern hätten genauso zurück nach Polen kommen können, damals vor 34 Jahren. Meine Familie hätte 210 km weiter vor hundert Jahren leben können und jetzt würde mich „der Fluss“ von allem trennen. Ich habe vorhin einen Haufen (bezogen auf die Anzahl, denn mindestens ¾ waren es) wahrscheinlich tschetschenischer Flüchtlinge gesehen. Was, wenn es alles komplett anders gekommen wäre? Aus diesem Grund ekelt mich die politische Situation momentan in Deutschland ein wenig an. Ganz zu schweigen von hier. Aber ich darf meine Meinung offen kundtun. Ob ich das drüben, wenn ich eine Einheimische wäre, auch dürfte?
Ich habe noch eine Stunde, die werde ich wohl nutzen, um die drüben verschwiegene Nobelpreisträgerin zu lesen. Über die Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion. Die drüben noch weiterlebt, hier aber zutiefst verpönt ist.
Beobachtungen in und um die Schule herum
Ich denke mal, dass ich jetzt vielleicht mal etwas spezifischer über meinen Einsatzbereich, also eine Schule, schreibe, da ich meistens doch eher von Erlebnissen berichtet habe. Nun, so habe ich mir mal einige Gedanken gemacht und zusammengestellt, here we go:

