Permalink

off

Nichts als weiß

Miskolc, Samstag, kurz vor 15 Uhr. Um eine Frage gleich vorneweg zu klären: Nein, es hat noch nicht geschneit. Stattdessen blicken wir etwas enttäuscht vom Aussichtsturm dorthin, wo sich eigentlich die viertgrößte Stadt Ungarns befinden sollte. Eigentlich. Denn eine dichte Nebelwand hat beschlossen, uns einen Strich durch die Rechnung zu machen und aus heiterem Himmel die Industriestadt in kürzester Zeit auf die Größe eines beschaulichen Dorfes zusammengeschrumpft. Jetzt drohen auch die letzten Häuser vom zähen Weiß verschlungen zu werden, ja selbst die Bäume, die den Turm auf der Bergseite umringen, verschwimmen langsam hinter weißen Schleiern.

Schlechtes Timing.

Schlechtes Timing.

Eigentlich war das Wetter schön an diesem Samstag, an dem ich mich aufgemacht hatte, einmal die nächste größere Stadt zu erkunden – immerhin ist die pulsierende 160.000-Einwohner-Metropole Miskolc nur gut 50 Kilometer von meiner beschaulichen Heimatstadt Eger entfernt und Marius, der dortige Freiwillige, hatte mich schon seit längerer Zeit einmal zu sich eingeladen. Laut Reiseführer beschränken sich die Sehenswürdigkeiten Miskolc zwar auf eine Handvoll Kirchen, eine Burg und ein Thermalbad, was aber nicht heißen muss, dass es dort tatsächlich nicht mehr gibt.

Also setzte ich mich in den Überlandbus, der für die etwa 65 Kilometer geschlagene eineinhalb Stunden brauchte – leider führte die Strecke entgegen meiner Erwartung nicht durch das Gebirge, sondern durch die Tiefebene. Schon von weitem war die Skyline von Miskolc am Horizont zu erkennen – eine gigantische Fabrik und die Ausläufer nicht enden wollender Plattenbausiedlungen, davor eine Bahnstrecke, die sich elegant zwischen den tristen Betonbrücken der Autobahn durchschlängelt.

Vor dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ war Miskolc eines der Industriezentren der Republik, der Stahl brachte zumindest einen bescheidenen Wohlstand in den unterentwickelten Nordosten des Landes. Heute sind viele Fabriken geschlossen, die Arbeitslosigkeit steigt, nur die Schornsteine ragen als stille Zeugen vergangener Zeiten noch immer in den Himmel.

Wir fahren noch einmal 20 Minuten durch Gewerbegebiete und vorbei an Wohnblocks, bis wir das Stadtzentrum erreichen. In dieser Zeit hätte man Eger locker komplett durchqueren können. Am Busbahnhof angekommen, kommt man tatsächlich schnell in den schöneren Teil der Stadt, die Fußgängerzone, von der die Miskolcer stolz behaupten, sie sei die längste Europas, die mit diesem Pflaster ausgestattet sei. Dort befindet sich außerdem das erste Theater in Ungarn, das aus Stein erbaut wurde – diese Touristenmagneten hatte mir der Reiseführer glatt verschwiegen! Mitten in der Innenstadt finden wir außerdem das Denkmal für den Stadthelden von Miskolc – ein Lawinenhund!

Der Stadtheld von Miskolc - ein Hund!

Der Stadtheld von Miskolc – ein Hund!

Als wir später am Abend wieder aus dem Nebel hervorgedrungen waren, war ich überrascht, welche tollen Cafés es in Miskolc gibt. Wir entschieden uns für das mit der mutmaßlich größten Auswahl und ich probierte einen sehr süßen armenischen Kaffee mit Orangengeschmack (und fragte mich gleich, ob meine Mitfreiwilligen in Jerewan dort das gleiche trinken). Natürlich war anschließend auch die Auswahl an Pubs und Kneipen größer als in Eger.

Nebel, Nebel, Nebel.

Nebel, Nebel, Nebel.

Am Sonntag erwartete uns schließlich das vom Reiseführer verheißungsvoll als Highlight angepriesene Höhlenbad, ein Thermalbad, das sich teilweise in einer natürlichen Höhle befindet. Obwohl es für meinen Geschmack etwas zu touristisch gehalten war, eine tolle Möglichkeit, einfach einmal für ein paar Stunden abzuschalten, sich im warmen Wasser treiben zu lassen und über Gott und die Welt zu reden. Trotz Nebel wurde es also ein schönes und gelungenes Wochenende. Und vielleicht hatte ich am Ende sogar mit dem Wetter Glück – in Eger empfingen mich zur Ankunft vor dem Bahnhof knöcheltiefe Pfützen nach einem Tag Dauerregen.

Kommentare sind geschlossen.

Zur Werkzeugleiste springen