Am Anfang war nur dieses eine Zugticket. Budapest – Timişoara, Freitag, 3. April, 7 Uhr, nur Hinfahrt. Keine Rückfahrkarte, keine Unterkunft, keine Busverbindung in die nächste Stadt. Und dann war diese eine Idee: Osterferien, Fünf Tage Rumänien, eine Erkundungstour durch ein Land, das nicht viel weiter entfernt von Eger liegt als Budapest; und dessen Bild im allgemeinen Bewusstsein – in Deutschland wie in Ungarn – häufig von Stereotypen geprägt ist.
Es war also eine Reise ins Ungewisse, die Clara – meine Mitfreiwillige aus Budapest – und ich an diesem sonnigen und ziemlich windigen Freitagmorgen in Budapest-Keleti antraten. Eine Zeitumstellung und meine erste Grenzkontrolle innerhalb der Europäischen Union (wie sich schnell herausstellte, ist Rumänien tatsächlich noch nicht Teil des Schengen-Raums, auch wenn der Beitritt zeitnah geplant ist) später erreichten wir unser erstes Ziel, Timişoara, das uns mit einer warmen und frühlingshaften Stimmung begrüßte: Im Gegensatz zu Eger blühten viele Bäume im Park schon in voller Pracht!
Vor unserer Abfahrt waren wir gewarnt worden, dass die Stadt im Moment eine einzige Baustelle sei – und das war nicht untertrieben: Von den drei Hauptplätzen der Innenstadt waren zwei vollständig aufgerissen. Wo sich normalerweise wohl die Menschen vor der großen Pestsäule sonnen, türmten sich nun meterhohe Berge aus Pflastersteinen auf. Dankenswerterweise war trotzdem die gesamte Fußgängerzone zugänglich, notfalls bahnte man sich einfach einen Weg zwischen den Bauarbeitern und dem nächstgelegenen Erdhaufen hindurch. Und vielleicht kam die Baustelle für uns sogar zur richtigen Zeit, denn genau der Reiz des Unperfekten machte diese Stadt so interessant und faszinierend: barocke Prachtbauten hinter einem riesigen Berg Baumaterial; eine schicke und sehr gemütliche Kaffeebar neben einem verfallenen Wohnhaus, das wohl schon vor Jahrzehnten sich selbst überlassen wurde; eine der angesagtesten Bars der Stadt über einem Innenhof, in dem vier Kumpels an einer Maschine herumschrauben. Diese Liste könnte man noch ewig fortführen.
Am Abend klärte sich schließlich auch die Frage nach unserer Unterkunft, denn ein „Host“, den wir über Couchsurfing angeschrieben hatten, meldete sich tatsächlich per Telefon bei uns und nur kurze Zeit später fanden wir uns in seiner Wohnung beim Verkosten des lokalen (und selbstverständlich selbstgebrannten) Obstbrandes wieder. Um unser Timişoara-Erlebnis vollends perfekt zu machen, fehlte jetzt nur noch das Nachtleben, dem wir uns anschließend alle gemeinsam auch ausführlich widmeten.
Ihr seht schon: Timişoara würde nur schwer zu toppen sein. Allenfalls noch durch die verrückte Idee unseres Gastgebers, uns am nächsten Tag in ein drei Stunden entferntes Skigebiet mitzunehmen, die allerdings am Wetter scheiterte (auch darf man sich die berechtigte Frage stellen, ob Skifahren bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und Wind ohne Handschuhe und mit Jeans wirklich die beste Idee ist). Jedenfalls nahmen wir am Nachmittag den Bus nach Sibiu und fanden unseren „Host“ dort noch viel kurzfristiger als am Vortag: Nachdem wir am Abend etwas frustriert die gesamte Fußgängerzone nach einem vernünftigen Ort mit Wifi abgesucht hatten, sprachen wir einen Straßenmusiker an, ob er uns einen solchen Ort empfehlen könne. Der konnte uns zwar bei dieser Frage nicht weiterhelfen, bot uns aber kurzerhand an, dass er uns doch für eine Nacht beherbergen könne. Ein echter Ausdruck von spontaner Gastfreundschaft!
Am nächsten Tag konnten wir uns dann auch der Stadt selbst ausführlicher widmen, die zwar auf dem Papier mehr als doppelt so groß wie Eger ist – viel mehr als hier war aber an diesem Sonntag dort auch nicht los. Dafür ist die historische Innenstadt wirklich wunderschön und wir erklommen den Ratsturm, von dem aus man einen hervorragenden Blick auf das Geschehen von oben hatte.
Dass Sibiu eine multiethnische Stadt ist, konnten wir an diesem Sonntag besonders gut beobachten. Denn schon von Weitem hörten wir eine Blaskapelle aus Richtung der evangelischen Kirche und – als wir uns dem Geschehen näherten – immer mehr deutsche Sprachfetzen. Sibiu war tatsächlich (unter dem Namen Hermannstadt) einmal das Zentrum der deutschen Minderheit in Rumänien und eine kleine deutsche Gemeinde existiert dort bis heute. So sahen wir sogar die Darbietung eines aufgeregten Kinderchors, der vor der Kirche einige deutsche Osterlieder zum Besten gab. Nur wenige Straßen weiter hatte sich gleichzeitig die orthodoxe Gemeinde versammelt (und mit ihr unzählige Palmzweig-Verkäufer an der Straße), um den Palmsonntag zu feiern.
Am Nachmittag ging es dann per Anhalter weiter nach Cluj. Die Stadt wurde den Erwartungen vollständig gerecht, war sie uns schon im Vorhinein nicht unbedingt als touristische Perle, sondern eher als Großstadt mit viel Leben angekündigt worden. Und genau so war es: Wir absolvierten bei dauergrauem Regenwetter (das Wetter hatte sich leider deutlich verschlechtert, am nächsten Tag sahen wir vom Bus aus sogar Schnee!) zumindest ein kleines Sightseeing-Programm und erklommen unter anderem einen schönen Aussichtspunkt, widmeten uns sonst aber eher der lebhaften Café- und Barszene der zweigrößten Stadt Rumäniens.

So viel zum Thema Stereotypen: Anzeige für eine „Public German Party“ des „Deutschsprachigen Wirtschaftsklubs Nordtranssylvanien“. Wir waren leider nicht dort, fragen uns aber, ob dort wirklich Damen in einem Schwarzwald(?)-Kleid mit einer Maß Bier in der Hand herumlaufen.
Nach einer kleinen Odyssee zum Busbahnhof (aka: Wer kann denn wissen, dass die Haltestellenanzeige im Linienbus um eine Station vorgeht?) erreichten wir auf die Minute genau den Kleinbus, der uns zur letzten Station unserer Tour führen sollte: Oradea. Und offenbar meinte es das Schicksal an diesem Tag zumindest ein bisschen gut mit uns, denn wir konnten tatsächlich die letzten zwei freien Sitzplätze im Bus ergattern.
Durch die Nähe zu Ungarn – immerhin ist ein Viertel der Bevölkerung Oradeas ungarischsprachig – war endlich auch wieder die Kommunikation in einer halbwegs vertrauten Sprache möglich. Zwar ist Rumänisch eine romanische Sprache und daher für Einsteiger wie uns, die des Französischen und des Pseudo-Italienischen mächtig sind, deutlich einfacher als Ungarisch zu Beginn. So konnten wir uns die Bedeutung vieler Schilder erschließen, doch sobald es zur Kommunikation überging, waren wir in den anderen Städten auf Englisch angewiesen. Zur meiner großen Überraschung sprach die Dame an der Bahnhofsinformation von Oradea dennoch kein Ungarisch, dafür half mir eine unglaublich freundliche wartende Rentnerin weiter, die sogar ihr Ungarisch auf ein einfaches Niveau herunterbrach, sodass ich alle wichtigen Informationen verstehen konnte. Sie schickte uns schließlich dann einem Freund hinterher, der uns die richtige Straßenbahnhaltestelle zeigte. Toll!
Dass war auch dringend notwendig, denn auch Oradea ist eine wirklich schöne Stadt, glich aber (fast noch ein bisschen mehr als Timişoara) einer einzigen gigantischen Baustelle. Selbst der Straßenbahnbetrieb in der Innenstadt war durch die Arbeiten nahezu vollständig zum Erliegen gekommen. Dennoch fanden wir die berühmte Passage des schwarzen Adlers, in der sich eine Bar an die nächste reiht, und machten es uns in einer von diesen gemütlich, denn: Wir hatten von sage und schreibe 19 Couchsurfern noch keine Antwort erhalten. Leichte Panik mache sich breit: Wir hatten keinen Plan B, das einzige Hostel der Stadt wurde gerade – richtig geraten – umgebaut.
Gegen 23 Uhr dann der erlösende Anruf einer portugiesischen Erasmus-Studentin, die „selbstverständlich“ noch Platz für uns auf ihrer Couch hatte! Und so fand der Trip sogar in der ungarischsprachigen Moszkva-Bar noch ein würdiges Ende.
Abschließend sollte erwähnt werden, dass uns Rumänien auf jeden Fall sehr positiv in Erinnerung geblieben ist. Natürlich gibt es sie, die unschönen Ecken, wenn man über das Land fährt – große, schmutzige Fabriken; sichtbare Armut in manchen Dörfern; riesige Betonskelette, die unvollendet mitten in der Stadt stehen. Doch diese Eindrücke könnte man in fast jedem Land gewinnen, wenn man sich nur allzu sehr darauf konzentriert. Viel mehr beeindruckt haben uns die überwältigende (und häufig sehr spontane) Gastfreundschaft, eine durchaus beachtliche Bereitschaft, Englisch zu sprechen; die Landschaft (Berge, Berge!) und nicht zuletzt die Schönheit und Vielfalt der Städte, die wir besucht haben. Eine gelungene Rumänien-Reise im Schnelldurchlauf!
Für noch mehr Infos geht’s hier direkt zu Claras lesenswertem Blogpost.































































![04-02-volles-haus[1]](https://kulturweit.blog/goeasteger/files/2014/11/04-02-volles-haus1.jpg)






















