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Rumänien im Schnelldurchlauf

Am Anfang war nur dieses eine Zugticket. Budapest – Timişoara, Freitag, 3. April, 7 Uhr, nur Hinfahrt. Keine Rückfahrkarte, keine Unterkunft, keine Busverbindung in die nächste Stadt. Und dann war diese eine Idee: Osterferien, Fünf Tage Rumänien, eine Erkundungstour durch ein Land, das nicht viel weiter entfernt von Eger liegt als Budapest; und dessen Bild im allgemeinen Bewusstsein – in Deutschland wie in Ungarn – häufig von Stereotypen geprägt ist.

Es war also eine Reise ins Ungewisse, die Clara – meine Mitfreiwillige aus Budapest – und ich an diesem sonnigen und ziemlich windigen Freitagmorgen in Budapest-Keleti antraten. Eine Zeitumstellung und meine erste Grenzkontrolle innerhalb der Europäischen Union (wie sich schnell herausstellte, ist Rumänien tatsächlich noch nicht Teil des Schengen-Raums, auch wenn der Beitritt zeitnah geplant ist) später erreichten wir unser erstes Ziel, Timişoara, das uns mit einer warmen und frühlingshaften Stimmung begrüßte: Im Gegensatz zu Eger blühten viele Bäume im Park schon in voller Pracht!

Es frühlingt

Es frühlingt!

Vor unserer Abfahrt waren wir gewarnt worden, dass die Stadt im Moment eine einzige Baustelle sei – und das war nicht untertrieben: Von den drei Hauptplätzen der Innenstadt waren zwei vollständig aufgerissen. Wo sich normalerweise wohl die Menschen vor der großen Pestsäule sonnen, türmten sich nun meterhohe Berge aus Pflastersteinen auf. Dankenswerterweise war trotzdem die gesamte Fußgängerzone zugänglich, notfalls bahnte man sich einfach einen Weg zwischen den Bauarbeitern und dem nächstgelegenen Erdhaufen hindurch. Und vielleicht kam die Baustelle für uns sogar zur richtigen Zeit, denn genau der Reiz des Unperfekten machte diese Stadt so interessant und faszinierend: barocke Prachtbauten hinter einem riesigen Berg Baumaterial; eine schicke und sehr gemütliche Kaffeebar neben einem verfallenen Wohnhaus, das wohl schon vor Jahrzehnten sich selbst überlassen wurde; eine der angesagtesten Bars der Stadt über einem Innenhof, in dem vier Kumpels an einer Maschine herumschrauben. Diese Liste könnte man noch ewig fortführen.

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Am Abend klärte sich schließlich auch die Frage nach unserer Unterkunft, denn ein „Host“, den wir über Couchsurfing angeschrieben hatten, meldete sich tatsächlich per Telefon bei uns und nur kurze Zeit später fanden wir uns in seiner Wohnung beim Verkosten des lokalen (und selbstverständlich selbstgebrannten) Obstbrandes wieder. Um unser Timişoara-Erlebnis vollends perfekt zu machen, fehlte jetzt nur noch das Nachtleben, dem wir uns anschließend alle gemeinsam auch ausführlich widmeten.

Ihr seht schon: Timişoara würde nur schwer zu toppen sein. Allenfalls noch durch die verrückte Idee unseres Gastgebers, uns am nächsten Tag in ein drei Stunden entferntes Skigebiet mitzunehmen, die allerdings am Wetter scheiterte (auch darf man sich die berechtigte Frage stellen, ob Skifahren bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und Wind ohne Handschuhe und mit Jeans wirklich die beste Idee ist). Jedenfalls nahmen wir am Nachmittag den Bus nach Sibiu und fanden unseren „Host“ dort noch viel kurzfristiger als am Vortag: Nachdem wir am Abend etwas frustriert die gesamte Fußgängerzone nach einem vernünftigen Ort mit Wifi abgesucht hatten, sprachen wir einen Straßenmusiker an, ob er uns einen solchen Ort empfehlen könne. Der konnte uns zwar bei dieser Frage nicht weiterhelfen, bot uns aber kurzerhand an, dass er uns doch für eine Nacht beherbergen könne. Ein echter Ausdruck von spontaner Gastfreundschaft!

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Am nächsten Tag konnten wir uns dann auch der Stadt selbst ausführlicher widmen, die zwar auf dem Papier mehr als doppelt so groß wie Eger ist – viel mehr als hier war aber an diesem Sonntag dort auch nicht los. Dafür ist die historische Innenstadt wirklich wunderschön und wir erklommen den Ratsturm, von dem aus man einen hervorragenden Blick auf das Geschehen von oben hatte.

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Dass Sibiu eine multiethnische Stadt ist, konnten wir an diesem Sonntag besonders gut beobachten. Denn schon von Weitem hörten wir eine Blaskapelle aus Richtung der evangelischen Kirche und – als wir uns dem Geschehen näherten – immer mehr deutsche Sprachfetzen. Sibiu war tatsächlich (unter dem Namen Hermannstadt) einmal das Zentrum der deutschen Minderheit in Rumänien und eine kleine deutsche Gemeinde existiert dort bis heute. So sahen wir sogar die Darbietung eines aufgeregten Kinderchors, der vor der Kirche einige deutsche Osterlieder zum Besten gab. Nur wenige Straßen weiter hatte sich gleichzeitig die orthodoxe Gemeinde versammelt (und mit ihr unzählige Palmzweig-Verkäufer an der Straße), um den Palmsonntag zu feiern.

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Am Nachmittag ging es dann per Anhalter weiter nach Cluj. Die Stadt wurde den Erwartungen vollständig gerecht, war sie uns schon im Vorhinein nicht unbedingt als touristische Perle, sondern eher als Großstadt mit viel Leben angekündigt worden. Und genau so war es: Wir absolvierten bei dauergrauem Regenwetter (das Wetter hatte sich leider deutlich verschlechtert, am nächsten Tag sahen wir vom Bus aus sogar Schnee!) zumindest ein kleines Sightseeing-Programm und erklommen unter anderem einen schönen Aussichtspunkt, widmeten uns sonst aber eher der lebhaften Café- und Barszene der zweigrößten Stadt Rumäniens.

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„Überdimensionierte Stadien bauen? Was die Ungarn können, können wir schon lange!“

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So viel zum Thema Stereotypen: Anzeige für eine „Public German Party“ des „Deutschsprachigen Wirtschaftsklubs Nordtranssylvanien“. Wir waren leider nicht dort, fragen uns aber, ob dort wirklich Damen in einem Schwarzwald(?)-Kleid mit einer Maß Bier in der Hand herumlaufen.

Nach einer kleinen Odyssee zum Busbahnhof (aka: Wer kann denn wissen, dass die Haltestellenanzeige im Linienbus um eine Station vorgeht?) erreichten wir auf die Minute genau den Kleinbus, der uns zur letzten Station unserer Tour führen sollte: Oradea. Und offenbar meinte es das Schicksal an diesem Tag zumindest ein bisschen gut mit uns, denn wir konnten tatsächlich die letzten zwei freien Sitzplätze im Bus ergattern.

Durch die Nähe zu Ungarn – immerhin ist ein Viertel der Bevölkerung Oradeas ungarischsprachig – war endlich auch wieder die Kommunikation in einer halbwegs vertrauten Sprache möglich. Zwar ist Rumänisch eine romanische Sprache und daher für Einsteiger wie uns, die des Französischen und des Pseudo-Italienischen mächtig sind, deutlich einfacher als Ungarisch zu Beginn. So konnten wir uns die Bedeutung vieler Schilder erschließen, doch sobald es zur Kommunikation überging, waren wir in den anderen Städten auf Englisch angewiesen. Zur meiner großen Überraschung sprach die Dame an der Bahnhofsinformation von Oradea dennoch kein Ungarisch, dafür half mir eine unglaublich freundliche wartende Rentnerin weiter, die sogar ihr Ungarisch auf ein einfaches Niveau herunterbrach, sodass ich alle wichtigen Informationen verstehen konnte. Sie schickte uns schließlich dann einem Freund hinterher, der uns die richtige Straßenbahnhaltestelle zeigte. Toll!

Dass war auch dringend notwendig, denn auch Oradea ist eine wirklich schöne Stadt, glich aber (fast noch ein bisschen mehr als Timişoara) einer einzigen gigantischen Baustelle. Selbst der Straßenbahnbetrieb in der Innenstadt war durch die Arbeiten nahezu vollständig zum Erliegen gekommen. Dennoch fanden wir die berühmte Passage des schwarzen Adlers, in der sich eine Bar an die nächste reiht, und machten es uns in einer von diesen gemütlich, denn: Wir hatten von sage und schreibe 19 Couchsurfern noch keine Antwort erhalten. Leichte Panik mache sich breit: Wir hatten keinen Plan B, das einzige Hostel der Stadt wurde gerade – richtig geraten – umgebaut.

Gegen 23 Uhr dann der erlösende Anruf einer portugiesischen Erasmus-Studentin, die „selbstverständlich“ noch Platz für uns auf ihrer Couch hatte! Und so fand der Trip sogar in der ungarischsprachigen Moszkva-Bar noch ein würdiges Ende.

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Nicht übel: Morgendlicher Ausblick auf Oradea aus der Wohnung unserer Couchsurferin

Abschließend sollte erwähnt werden, dass uns Rumänien auf jeden Fall sehr positiv in Erinnerung geblieben ist. Natürlich gibt es sie, die unschönen Ecken, wenn man über das Land fährt – große, schmutzige Fabriken; sichtbare Armut in manchen Dörfern; riesige Betonskelette, die unvollendet mitten in der Stadt stehen. Doch diese Eindrücke könnte man in fast jedem Land gewinnen, wenn man sich nur allzu sehr darauf konzentriert. Viel mehr beeindruckt haben uns die überwältigende (und häufig sehr spontane) Gastfreundschaft, eine durchaus beachtliche Bereitschaft, Englisch zu sprechen; die Landschaft (Berge, Berge!) und nicht zuletzt die Schönheit und Vielfalt der Städte, die wir besucht haben. Eine gelungene Rumänien-Reise im Schnelldurchlauf!

Für noch mehr Infos geht’s hier direkt zu Claras lesenswertem Blogpost.

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Masken. Masken. Masken.

Mohács, Sonntag, 17 Uhr. Es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis der Winter endgültig erledigt ist. Zwei Busós im traditionellen Kostüm – einem ausladenden, hellen Fell und einer kunstvoll ausgearbeiteten Maske, die auch die schrecklichsten Dämonen zu vertreiben weiß – erklimmen den Scheiterhaufen. Die Menge jubelt, grölt und tanzt; der Feind, symbolisch festgekettet an einen Holzrahmen, kann seinem Schicksal nicht mehr entrinnen. Die beiden Busós tanzen ausgelassen auf dem riesigen Heuhaufen. Plötzlich entzünden sich zwei Flammen, die sich mit jeder Sekunde mehr und mehr Stroh einverleiben, mit jeder Sekunde einen Zentimeter weiter vordringen zu ihrem Opfer. Es gibt kein Zurück mehr. Der Winter ist tot.

Das Feuer wird entzündet

Das Feuer wird entzündet

Der Winter hat nur noch wenige Minuten zu leben

Der Winter hat nur noch wenige Minuten zu leben

Das große Feuer am Faschingssonntag ist mit Sicherheit der Höhepunkt des farsang (Fasching) im beschaulichen Mohács in Südungarn. Eigentlich ein Dorf mit 20.000 Einwohnern, wächst die Bevölkerung in der zweiten Februarwoche auf ein Vierfaches an, denn aus ganz Ungarn (und aus dem Ausland) strömen scharenweise Touristen in die südlichste Donaustadt des Landes, um dieses ganz besondere Fest mitzuerleben.

Das Event stand ziemlich weit oben auf meiner inoffiziellen „can’t miss“-Liste und war ganz nebenbei sogar im kulturweit-Sinne ausgesprochen wertvoll. Rückblick: Sechs Monate zuvor, im August, hatten wir uns im Auswärtigen Amt in Berlin ganz brav einem Vortrag zum immateriellen Erbe der Menschheit angehört, und auch wenn die Präsentation durchaus interessant und interaktiv war, ist es noch einmal etwas ganz anderes, eine solche Tradition einmal selbst mitzuerleben.

Meinen (immerhin dreitägigen) Skiferien sei Dank hatte ich mich schon am Donnerstag in den Süden aufgemacht, um Pécs noch einmal auf eigene Faust ausführlich zu erkunden. Dieses Mal spielte mit strahlendem Sonnenschein sogar das Wetter mit! Voll motiviert bestieg ich also beide Hügel, auf denen je eine Kapelle gepaart mit einer wunderschönen Aussicht über die Stadt untergebracht sind, dazu ein brutalistisches Siegesdenkmal aus der kommunistischen Zeit – seht selbst!

Pécs aus der klassischen "Touriperspektive"

Pécs aus der klassischen „Touriperspektive“

Brutalismus in Reinform.

Brutalismus in Reinform.

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Nach einem kleinen Rundgang durch die Innenstadt stieg unsere Aufregung (unsere multinationale Gruppe – zwei Deutsche, eine Französin und eine Schweizerin – war inzwischen auf vier angewachsen), denn zum ersten Mal in unserem Leben hatten wir unsere Unterkunft über Couchsurfing organisiert. Das Ergebnis, kurz und bündig: Es war ein unvergessliches Erlebnis. Ein unfassbar netter Host, eine Unterkunft in einem wunderschönen Haus am Stadtrand, geduldige Begleitung bis in den frühen Morgen hinein und ein riesiges ungarisches Frühstück am nächsten Tag! Das wird sicher nicht meine letzte Couchsurfing-Erfahrung gewesen sein.

Dann ging es aber endgültig weiter in die Stadt, wegen der wir eigentlich in den Süden gekommen waren – 40 Kilometer, also eine Stunde mit dem schnellen (!) Bus, nach Mohács. Schon am Samstagmittag erwartete uns dort die geballte Ladung Kultur: Ein großer ungarischer Markt, auf dem von kolbázs (Innereien-Wurst, mmmmh, lecker!) über lángos über Kartoffelschäler bis hin zu hübschen Trianon-Holztafeln fürs heimische Wohnzimmer alle Ungarn-Reiseführer-Klischees feilgeboten wurden (OK, vielleicht ist der Kartoffelschäler hiervon auszunehmen). Dazu traten zahlreiche Volkstanzgruppen auf, auch aus den deutschen und kroatischen Minderheiten, und natürlich kreuzte hin und wieder der eine oder andere Busó mit einer Flasche pálinka den Weg.

Lángos (rechts) und weniger nachhaltiges Essen (links)

Lángos (rechts) und weniger nachhaltiges Essen (links)

Busó, hier in typischer Haltung mit einer Flasche pálinka in der Hand

Busó, hier in typischer Haltung mit einer Flasche pálinka in der Hand

Der eigentliche Höhepunkt aber stand am Sonntag an. Noch vor dem Feuer zogen alle Busó-Gruppen (insgesamt waren es 3000 Teilnehmer!) mit eindrucksvoll dekorierten Wagen durch die Hauptstraße. Dabei muss man sich einmal komplett von der deutschen Vorstellung des „Uff-da-da“-Faschingszugs verabschieden und sich vorstellen, dass hier keine überdimensionierten Wägen mit Bonbons werfenden Karnevalisten durch die Straßen kurven, sondern vielmehr die Dorfjugend offenbar eine riesige Freude daran hatte, ein paar alte Trabis in „traditionelle“ Gefährte umzuwandeln. Das ist auf jeden Fall mehr als gelungen!

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Auch die Damen haben ihren Spaß

Auch die Damen haben ihren Spaß

Hier hat die Dorfjugend ganze Arbeit geleistet

Hier hat die Dorfjugend ganze Arbeit geleistet

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Nach einem standardgemäßen (und sogar ziemlich guten) lángos und einem Sonnenuntergangs-Bier an der Donau ging es zum Höhepunkt: dem Feuer. Und wirklich, es wirkte – zumindest ist das Wetter seitdem spürbar wärmer und sonniger geworden. Der Winter ist tot, es lebe der Frühling!

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Raus aus der Kälte!

Hochnebel, Tristesse, hier und da ein Mensch, der seinen Hund ausführt. Sonst ist nicht viel los auf den Straßen von Eger, der kalte Nordostwind pfeift mir an diesem Januartag schonungslos ins Gesicht und ich frage mich, warum ich eigentlich noch einmal genau mit dem Fahrrad zum Einkaufen fahren musste.

Nein, der Januar ist objektiv gesehen wirklich nicht der schönste und erst recht nicht der spannendste Monat in Eger. Viele Sehenswürdigkeiten schließen im Winter, aber im Januar ging es sogar noch darüber hinaus: Vom türkischen Zelt (meinem Lieblingscafé) über den Rock-Club unter der Basilika bis hin zur Sandwich-Bar – alle haben sie im Januar geschlossen und ich stelle mir vor, wie die Besitzer vielleicht gerade irgendwo Urlaub machen, wo die Sonne zumindest einmal in der Woche kurz durch die Wolkendecke hindurchspitzelt.

Schöne Wintersonne, leider an nur genau einem Tag im Januar

Schöne Wintersonne, leider an nur genau einem Tag im Januar

Es könnte also nahe liegen, dass der Januar auch in meinem kulturweit-Jahr nicht gerade einen Höhepunkt darstellte. Doch das war keineswegs der Fall – man muss nur das beste daraus machen!

Rückblende, Montag, 22. Dezember. Frierend, aufgeregt und erschöpft zugleich stehe ich am Bahnhof in Wien-Meidling. Es ist einer dieser überlangen Umsteige-Aufenthalte, natürlich an einem Bahnhof, der nicht einmal den Luxus einer Bäckerei bietet. Mein großer Rucksack, bepackt mit allerlei ungarischen Spezialitäten und ganzen vier Flaschen egrischen Rotweins für die Familie, macht sich langsam auf dem Rücken bemerkbar. Ich fühle, dass ich Richtung Heimat komme, die Sprache wird vertrauter, es sind nur noch ein paar Stunden; und doch ist dieses Nachhausekommen eigentlich nur ein Urlaub im Laufe meines Freiwilligenjahres. Es ist ein ungewöhnliches Gefühl, das ich so zum ersten Mal überhaupt erlebe, und ein tolles zugleich – es zeigt, dass Ungarn schon jetzt zu meiner zweiten Heimat geworden ist. Es ist kein Heimweh, das hier durch meinen Kopf schwirrt, sondern etwas viel positiveres: Freude, meine Familie und meine deutschen Freunde wiederzusehen.

Die Weihnachts- und Silvesterfeiertage waren toll, aber ich erspare euch hier ausführliche Beschreibungen von Feiern, Wiedersehen und fränkischem Krustenbraten, weil a) dieser Blog schließlich Eger gewidmet ist und ich b) sonst beim Schreiben zu viel Hunger bekomme. Jedenfalls habe ich meine zwei Wochen voll ausgenutzt und kehrte erschöpft, aber glücklich wieder nach Eger zurück.

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Dort ging es mit viel Arbeit wieder direkt in den Schulalltag hinein, denn die mündlichen Prüfungen zum deutschen Sprachdiplom (gemeinhin „DSD“, aber nicht zu verwechseln mit DSDS) standen an. Es hieß also: Präsentationstexte korrigieren, viel Feedback zu hervorragenden oder weniger gelungenen Powerpoint-Folien geben, meine Schüler mit möglichst „prüfungsnahen“ Fragen bombardieren, eine nächtliche Generalprobe mitbetreuen und – last but not least – meine doch eher begrenzten psychologischen Fähigkeiten möglichst gewinn- bzw. motivationsbringend einsetzen. Auch wenn die Ergebnisse der ganzen Prüfung noch nicht endgültig feststehen, war ich am Ende schon ein bisschen stolz auf meine Schüler, die es in großer Zahl auf das anspruchsvolle C1-Niveau geschafft haben. Glückwunsch! Dann: Halbjahr, neuen Stundenplan arrangieren, und jetzt mit den Elftklässlern (der nächsten DSD-„Generation“) zusammenarbeiten. Inzwischen habe ich unter anderem begonnen, einmal in der Woche ein Rhetorik-Training zu veranstalten. Meine Befürchtung Anfang des Jahres, ich könnte ab Januar quasi beschäftigungslos werden, entbehrte also jeglicher Grundlage.

Doch nicht nur in der Schule war viel geboten. Nachdem ich mich im alten Kalenderjahr noch lautstark bei meinen Freunden darüber beschwert hatte, dass ich von Ungarn wortwörtlich bisher nur Eger und Budapest gesehen hatte, machte ich mich daran, meine guten Vorsätze in die Tat umzusetzen und fuhr spontan nach Debrecen. Die zweitgrößte Stadt Ungarns ist zwar keine ausgewiesene Touristenmetropole (Zitat Reiseführer: „Debrecen lassen wir hier außen vor, dort gibt es nur eine große Kirche und am 20. August den berühmten Blumenkarneval“), bietet aber im Januar natürlich deutlich mehr (Nacht-)Leben als Eger. Ich war aber nicht nur von den Bars in Debrecen sehr positiv überrascht, sondern auch vom weitläufigen Nagyerdő (großer Wald), der sich wie eine grüne Oase an das Universitätsviertel anschmiegt und den ich ausführlich erkundete. Ein insgesamt also sehr gelungenes Wochenende!

Wie man sieht, war es kalt und grau. Aber der Park war wirklich schön.

Wie man sieht, war es kalt und grau. Aber der Park war wirklich schön.

Besagte große Kirche

Stadionbau gilt neuerdings als eine der ungarischen Spezialitäten

Stadionbau gilt neuerdings als große ungarische Spezialität

Nur drei Tage später konnte ich meinen Augen kaum trauen: Es schneite! Eigentlich wäre das in Eger nichts Berichtenswertes, doch war es in diesem Winter tatsächlich das erste Mal, dass es mehr als nur ein paar Flocken vom Himmel wehte. Gut, dass ich mich sofort mit meiner Kamera auf nach draußen machte, denn nur wenige Stunden später war der Spuk schon wieder vorbei, und am nächsten Morgen begrüßte mich vor meiner Tür der gut vertraute Schneematsch, der zur Begrüßung erst einmal meine Halbschuhe flutete. Toll.

Schnee!

Schnee!

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Vier Tage vor Weihnachten – und alle denken nur an Knöpfe

16 Uhr. Ich muss mich ein bisschen beeilen, denn im Anzug wird es ziemlich ungemütlich kalt an diesem Samstagabend. Die Sonne verabschiedet sich schon wieder an einem der kürzesten Tage des Jahres, noch bevor dieser überhaupt richtig begonnen hat. Es sind noch vier Tage bis Weihnachten, und eigentlich sollte auch niemand mehr in der Schule sein, denn es sind ganz offiziell bereits Ferien! Jetzt kreuzen aber ganze Heerscharen junger Menschen, die sich ordentlich in Schale geworfen haben, die Straße vor der Schule. Die Aula selbst ist schon bis zur obersten Etage gefüllt mit Eltern, Verwandten und Freunden der Abiturienten (und ja, glücklicherweise sind auch die Lehrer eingeladen), denn es ist für sie das größte Fest des Schuljahres: gombavató.

Gombavató, wörtlich übersetzt etwa „Knopfweihe“ (ja, das deutsche Wort ist nicht halb so schön wie das ungarische), wird hier kurz vor Weihnachten begangen und ist schon einmal ein mentales Abschiednehmen für die Abiturienten – etwa ein halbes Jahr, bevor ihre Schullaufbahn dann wirklich für immer Geschichte ist. Mit dazu gehören natürlich ein großer Tanz, eine selbsterdachte „Performance“ der Schüler, höfliche Danksagungen an die Klassenlehrer und ein großes Festessen. Aber von vorne.

Einige Lehrer hatten das Fest im Vorhinein insgeheim doch ein bisschen verflucht, denn es bedeutete für sie: Schreibtische aufräumen, und zwar komplett! Wer einmal das Lehrerzimmer gesehen hat, weiß, dass diese Herausforderung nicht so einfach auf die leichte Schulter genommen werden kann. Als aber auch diese Hürde erfolgreich gemeistert war, strömten eifrige Mittelstüfler ins Lehrerzimmer und dekorierten die Tische. So wurden wir sofort, noch bevor das eigentliche Programm des gombavató begann, mit kleinen Kuchen-Häppchen begrüßt.

Sogleich begann die Walzermusik und die elegant gekleideten Paare liefen ein. Die Jungs hatten sich alle ein Jackett übergeworfen und eine Fliege angebunden; die Mädchen bewegten sich in diesem Moment mit enorm ausladenden Kleidern elegant in Richtung Tanzfläche. Jetzt wurde es ernst, für diesen Moment hatten sie über Wochen hinweg zweimal die Woche in Tanzstunden geübt. Eine Schülerin ließ sich sogar durch eine Knieverletzung, mit der sie zu Beginn kaum laufen konnte, nicht davon abbringen, noch am Tanz teilzunehmen. Das nenne ich mal Willensstärke! Nach einer Viertelstunde war der letzte Takt der Musik ausgeklungen und die Eltern machten noch stolz einige (manche durchaus auch hunderte) Fotos von und mit ihren Sprösslingen, bevor sie das Feld schon wieder räumen mussten, denn: Für den Rest der Veranstaltung waren nur noch Schüler und Lehrer zugelassen.

Weiter ging es mit den Präsentationen der Klassen, die meist aus (selbst getexteten) Gesangseinlagen mit nicht ganz ernst gemeinten Seitenhieben auf ihre Lehrer, kurzen Filmsequenzen und der obligatorischen Danksagung an die Klassenlehrer bestanden. Nicht ganz so spektakulär wie zwei Monate zuvor bei den Schülertagen, aber dennoch unterhaltsam. Natürlich durften schließlich die kleinen Knöpfe, denen das Fest seinen Namen zu verdanken hat, nicht fehlen. Jede Klasse hatte ihren eigenen Knopf („Anstecker“ ist vielleicht das treffendere Wort, denn die Dinger sind sicher um die fünf Zentimeter groß) entworfen, den sie nach den Präsentationen von ihren Klassenlehrern feierlich überreicht bekamen. Wie immer kamen kam auch der Gaumen nicht zu kurz, denn direkt nach dem Sektempfang mit Direktor und Kollegen eröffnete in der Aula ein riesiges Buffet, das reichhaltig mit allerlei ungarischen (Weihnachts-)Spezialitäten bestückt war. Mmmh, lecker!

Nach dem Essen wurde dann schon einmal ausgiebig in der Aula gefeiert und getanzt, auch wenn sich selbige relativ schnell leerte – denn ein wichtiger, wenn nicht gar elementarer Teil des gomavató stand noch bevor: die Afterparty in der Stadt. Böse Zungen, die behaupten, Eger besitze so gut wie kein Nachtleben, hätten sich das mal ansehen sollen – immerhin dauerte die Feier bis 4 Uhr morgens!

Leider konnte ich an diesem Abend keine eigenen Bilder machen, dafür möchte ich euch zum Abschluss ein paar Aufnahmen vom Vortag nicht vorenthalten. Ich war eigentlich nur auf der Suche nach winterlichen Postkarten von Eger (die die ansässigen Schreibwarenhändler natürlich nicht in ihrem Sortiment führten). Ich machte mich schließlich auf die Suche nach einem weiteren Laden am Eingang der Burg, den ich zwar nie erreichte, dafür fand ich mich auf einmal im Innenhof der Burg wieder, die normalerweise Eintritt kostet. An diesem lauen Dezemberabend hatte die Kasse aber bereits geschlossen, und – ahnungslos, was mich erwartete – traf ich auf diese geniale Aussicht auf die Stadt. Die überraschendsten Momente sind oft die schönsten!

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Zwischenseminar: Schnee, Pferde, Wanderungen, Kekse … und vieles mehr

Žarnovica, Montag, Punkt 15 Uhr. Wir kommen an, irgendwo in der Zentralslowakei, zweieinhalb Stunden entfernt von Bratislava. Der Himmel hat sein standardgemäßes November-Grau angenommen, es ist doch ziemlich kalt und der Wind trägt sein Bestes dazu bei, uns die Kälte unter die Jacken zu pusten. Der Busfahrer mustert uns genau, eine Gruppe deutscher Jugendlicher, die hier gerade mit großen Rucksäcken bepackt aus dem Bus klettert, und wird sich in diesem Moment die gleiche Frage stellen wie wir: „Was machen die eigentlich hier?“ Hier, in einer 6000-Einwohner-Kreisstadt, die einmal bei der Abstimmung einer Zeitung zum „letzten Loch der Slowakei“ in den Top 3 landete.

Und trotzdem sind wir euphorisch, aufgeregt und hervorragend gelaunt, denn wir haben gegenüber dem Busfahrer einen entscheidenden Wissensvorsprung: Es geht für uns noch weiter, einige Minuten mit dem Auto ins Mittelgebirge, an einer einsamen Abzweigung rechts ab, eine Schotterpiste, so steil, dass man hier im Winter locker mit dem Schlitten herunterheizen könnte, hinauf und wir sind da: Auf dem Berg. Beim Zwischenseminar, im Herzen der Slowakei.

Der erste Schnee des Winters am Seminarhaus!

Der erste Schnee des Winters am Seminarhaus!

Wir tauschen für eine Woche die Hektik der Stadt und des Alltags gegen ein urgemütliches Domizil in der Natur ein. Schon beim Aussteigen springt uns Hund Čaika entgegen. Und was uns im Haus erwartet, zaubert schon auf den ersten Blick ein Lächeln ins Gesicht: Zwei Kamine, in denen das Feuer für eine wohlige Wärme sorgt, ein gemütlicher Seminarraum, ein großer geselliger Esstisch, eine Kanne Tee und eine große Schüssel Kekse erwarten uns schon beim Ankommen. Falls noch jemand Zweifel hatte, eine Woche ohne Internet auskommen zu können, bei dem sollten diese spätestens jetzt beseitigt sein. Entschleunigung pur!

Besonders schön ist es, die anderen Freiwilligen aus der Region wiederzusehen, aber auch neue Gesichter kennenzulernen – wie erwartet, war es beim Vorbereitungsseminar doch ziemlich unmöglich, alle 200 Menschen kennenzulernen. Umso mehr können wir uns jetzt austauschen, bei einem Tee vor dem Kamin, bei Gesellschaftsspielen oder einfach beim gemütlichen Zusammensitzen bis spät in die Nacht. Natürlich geht es immer um unsere Erfahrungen und Erlebnisse, Sorgen und Probleme, aber auch um Politik, die Kultur unserer Länder oder einfach um Gott und die Welt. Ganz nebenbei spinnen wir viele Pläne für die nächsten Monate, vom Reisen über die „Was ich noch in Ungarn machen will“-Liste bis hin zu gemeinsamen Aktionen im Sommer.

Berge.

Berge.

Natürlich gab es beim Seminar auch ein „offizielles“ Programm, das sich aber als deutlich freier und entspannter als vielleicht befürchtet herausstellte. Schon am ersten Tag konnten wir unsere Fragen, Ideen und Themen aufschreiben, die dann von unseren sehr netten Seminarleitern Jörn und Maria zu einem Programm geordnet wurden. Natürlich ging es darum, den bisherigen Aufenthalt zu reflektieren, Projektideen weiterzuspinnen und in einen konkreten Plan zu verwandeln. Es ging aber auch um unsere Landessprachen, Geschichte und ernste Fragen wie den Status der Roma.

Natürlich haben wir unser gemütliches Haus auch ein paar Mal verlassen, denn auch ein Ausflug in das alte Bergbaudorf Banská Štiavnica (früher einmal die drittgrößte Stadt Ungarns – größer als Budapest, kann man sich das heute noch vorstellen?!) stand auf dem Programm. Durch den ersten Schnee des Winters stiegen wir über schöne Wanderwege mit Aussicht hinunter in das Dorf, nein, die Stadt.

Wandern!

Wandern!

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Banska Stiavnica

Banská Štiavnica

Und wenn man schon einmal ein Zwischenseminar auf einer Pferdefarm besucht, darf man natürlich die einmalige Chance nicht verpassen, zum ersten Mal im Leben das Reiten auszuprobieren! Und so machte ich mich in einer Mittagspause zusammen mit anderen neugierigen Freiwilligen zur anliegenden Reithalle auf, und auch wenn mein Pferd verhältnismäßig faul war, kann ich von zwei Erfolgserlebnissen berichten: Erstens, das Pferd hat mich nicht abgeworfen. Zweitens, es ist tatsächlich mehr als einmal auf mein Kommando hin schneller als Schritt gelaufen!

Das obligatorische Pferdefoto.

Das obligatorische Pferdefoto.

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Nichts als weiß

Miskolc, Samstag, kurz vor 15 Uhr. Um eine Frage gleich vorneweg zu klären: Nein, es hat noch nicht geschneit. Stattdessen blicken wir etwas enttäuscht vom Aussichtsturm dorthin, wo sich eigentlich die viertgrößte Stadt Ungarns befinden sollte. Eigentlich. Denn eine dichte Nebelwand hat beschlossen, uns einen Strich durch die Rechnung zu machen und aus heiterem Himmel die Industriestadt in kürzester Zeit auf die Größe eines beschaulichen Dorfes zusammengeschrumpft. Jetzt drohen auch die letzten Häuser vom zähen Weiß verschlungen zu werden, ja selbst die Bäume, die den Turm auf der Bergseite umringen, verschwimmen langsam hinter weißen Schleiern.

Schlechtes Timing.

Schlechtes Timing.

Eigentlich war das Wetter schön an diesem Samstag, an dem ich mich aufgemacht hatte, einmal die nächste größere Stadt zu erkunden – immerhin ist die pulsierende 160.000-Einwohner-Metropole Miskolc nur gut 50 Kilometer von meiner beschaulichen Heimatstadt Eger entfernt und Marius, der dortige Freiwillige, hatte mich schon seit längerer Zeit einmal zu sich eingeladen. Laut Reiseführer beschränken sich die Sehenswürdigkeiten Miskolc zwar auf eine Handvoll Kirchen, eine Burg und ein Thermalbad, was aber nicht heißen muss, dass es dort tatsächlich nicht mehr gibt.

Also setzte ich mich in den Überlandbus, der für die etwa 65 Kilometer geschlagene eineinhalb Stunden brauchte – leider führte die Strecke entgegen meiner Erwartung nicht durch das Gebirge, sondern durch die Tiefebene. Schon von weitem war die Skyline von Miskolc am Horizont zu erkennen – eine gigantische Fabrik und die Ausläufer nicht enden wollender Plattenbausiedlungen, davor eine Bahnstrecke, die sich elegant zwischen den tristen Betonbrücken der Autobahn durchschlängelt.

Vor dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ war Miskolc eines der Industriezentren der Republik, der Stahl brachte zumindest einen bescheidenen Wohlstand in den unterentwickelten Nordosten des Landes. Heute sind viele Fabriken geschlossen, die Arbeitslosigkeit steigt, nur die Schornsteine ragen als stille Zeugen vergangener Zeiten noch immer in den Himmel.

Wir fahren noch einmal 20 Minuten durch Gewerbegebiete und vorbei an Wohnblocks, bis wir das Stadtzentrum erreichen. In dieser Zeit hätte man Eger locker komplett durchqueren können. Am Busbahnhof angekommen, kommt man tatsächlich schnell in den schöneren Teil der Stadt, die Fußgängerzone, von der die Miskolcer stolz behaupten, sie sei die längste Europas, die mit diesem Pflaster ausgestattet sei. Dort befindet sich außerdem das erste Theater in Ungarn, das aus Stein erbaut wurde – diese Touristenmagneten hatte mir der Reiseführer glatt verschwiegen! Mitten in der Innenstadt finden wir außerdem das Denkmal für den Stadthelden von Miskolc – ein Lawinenhund!

Der Stadtheld von Miskolc - ein Hund!

Der Stadtheld von Miskolc – ein Hund!

Als wir später am Abend wieder aus dem Nebel hervorgedrungen waren, war ich überrascht, welche tollen Cafés es in Miskolc gibt. Wir entschieden uns für das mit der mutmaßlich größten Auswahl und ich probierte einen sehr süßen armenischen Kaffee mit Orangengeschmack (und fragte mich gleich, ob meine Mitfreiwilligen in Jerewan dort das gleiche trinken). Natürlich war anschließend auch die Auswahl an Pubs und Kneipen größer als in Eger.

Nebel, Nebel, Nebel.

Nebel, Nebel, Nebel.

Am Sonntag erwartete uns schließlich das vom Reiseführer verheißungsvoll als Highlight angepriesene Höhlenbad, ein Thermalbad, das sich teilweise in einer natürlichen Höhle befindet. Obwohl es für meinen Geschmack etwas zu touristisch gehalten war, eine tolle Möglichkeit, einfach einmal für ein paar Stunden abzuschalten, sich im warmen Wasser treiben zu lassen und über Gott und die Welt zu reden. Trotz Nebel wurde es also ein schönes und gelungenes Wochenende. Und vielleicht hatte ich am Ende sogar mit dem Wetter Glück – in Eger empfingen mich zur Ankunft vor dem Bahnhof knöcheltiefe Pfützen nach einem Tag Dauerregen.

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Schülertage – Kuchenberge

Jedes Jahr im Oktober wird es ernst für die Zwölftklässler am Neumann-János-Gymnasium: Es wird lange und ausführlich über Drehbücher und Schnitttechniken diskutiert, ganze Tage und Nächte lang gefilmt; wochenlang jeden Nachmittag zwei Stunden länger in der Schule geblieben, um einen Tanz wieder und wieder bis zur Perfektion einzustudieren; über Essen gefachsimpelt und darüber, welches Programm man noch organisieren könnte, um am Ende möglichst viele Stimmen der anderen Schüler zu gewinnen.

Kurz: Die Schülertage stehen bevor. Über zwei Wochen lang herrschte auch diesen Oktober in den zwölften Klassen der Ausnahmezustand. Es gab in unseren Gesprächsrunden kaum noch ein anderes Thema als die Schülertage, denn auch die jüngeren Schüler warteten schon mit Vorfreude gespannt auf dieses Wochenende. Plötzlich mussten auch Stunden ausfallen, weil meine Schüler Drehbuch schreiben, ihren Tanz proben oder sogar mit der Kamera durchs Schulhaus rennen mussten. Und schließlich wurde ich sogar für eine kleine Nebenrolle in einem der Filme angeheuert, in dem ich ein von den Schülern kreiertes Bier anpreisen durfte (Anekdote am Rand: An den Schülertagen selbst wurde das Bier durch Apfelsaft ersetzt, da selbst der Verkauf von alkoholfreiem Bier strikt von der Schulleitung verboten wurde).

Nachdem ich aus meiner eigenen Schulzeit kein ähnliches Event kannte und ihr euch vielleicht schon die ganze Zeit fragt, was denn nun diese Schülertage eigentlich so sind, hier eine kurze Übersicht. An zwei Tagen treten alle zwölften Klassen der Schule (immerhin sieben Stück!) gegeneinander an, um am Ende die beste Klasse des Jahrgangs zu küren. Dabei gibt es vier Aufgaben: Jede Klasse muss einen eigenen Film mit 10 Minuten Länge drehen, eine Tanz-Choreographie entwickeln und aufführen, an einem büfé (Imbissstand) Essen verkaufen und weitere Programmpunkte organisieren – dabei war von Karaoke über eine „Riesen-Ice-Bucket-Challenge“ (bei der der Eimer spontan durch einen Feuerwehrschlauch ersetzt wurde) über Schüler-gegen-Lehrer-Fußball bis hin zu Konzerten alles dabei.

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Volles Haus.

Zum Auftakt gaben die Zwölftklässler beim Einlaufen einen ersten Vorgeschmack auf ihre Performance – und die Aula war bis zum Erdrücken gefüllt mit 1000 Schülern und Lehrern, die ihnen von drei Stockwerken aus begeistert zujubelten. Anschließend wurden die beeindruckenden Filme der Schüler vorgeführt. Wahnsinn, wie unglaublich kreativ und professionell die Projekte in so kurzer Zeit geworden waren! Einige Klassen hatten sogar eine Menge Geld in die Hand genommen, um dem Sieg (der einzige Preis ist übrigens Ruhm und Ehre) ein Stück näher zu kommen.

Am Freitagabend, zum Abschluss des Auftakttages, stand der Programmpunkt an, auf den sich viele Schüler aus den anderen Klassen am meisten gefreut hatten: Die große Schülerparty in der Aula der Schule!

Aber das war natürlich noch nicht das Ende der Schülertage: Am Samstag (um sich den Brückentag in der folgenden Woche zu verdienen, hatten die Schüler an diesem Tag sowieso Schulpflicht) war die ganze Schule mit großen Plakaten dekoriert, um den hungrigen Gästen den Weg zu den büfék zu weisen. Das Essen war übrigens genial, von lángos (mehr darüber demnächst) über palacsintá (Pfannkuchen) bis hin zu großen Kuchenbuffets war alles mit dabei. Zwei Englisch-Lehrer, die ursprünglich aus Großbritannien kommen, bereiteten sogar ein englisches Frühstück zu. Am Ende verließ ich also gut gesättigt und zusätzlich mit einem vollen Teller Kuchen, den mir eine zwölfte Klasse geschenkt hatte („Nimm ruhig, soviel du kannst“) glücklich die Schule. Auch das Programm war wirklich so gut, wie es sich angehört hatte, auch wenn leider so viel parallel lief, dass ich nicht einmal alle Hauptattraktionen sehen konnte.

"Kleines" Kuchenpräsent der 12.B

„Kleines“ Kuchenpräsent der 12.B

Insgesamt war es ein tolles Wochenende und eine tolle Möglichkeit, diese einmalige Tradition an meiner Schule kennenzulernen!

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Top of Hungary

Eger, Busbahnhof, Samstag, 9 Uhr. Die Sonne strahlt, schönstes Herbstwetter, das bunt gefärbte Laub glänzt unter dem blauen Himmel. Ich ziehe die Jacke aus, denn es wird schon jetzt bei diesen Temperaturen zu warm: Zeit für meine erste richtige Wandertour in Ungarn!

Zusammen mit zwei meiner Lektoren-Freunde (in der Schule werde ich im Allgemeinen als „Lektor“ bezeichnet – „kulturweit-Freiwilliger“ wäre doch etwas zu kompliziert) mache ich mich mit dem Bus auf in das kleine Dorf Recsk am Fuße der Mátra, dem höchsten Gebirge Ungarns. Bevor wir dort einige Freunde aus Budapest treffen, die unseren Ausflug auf die Beine gestellt haben, haben wir noch etwas Zeit, uns in der Ortschaft umzuschauen.

Recsk, Ausgangspunkt unserer Wanderung

Recsk, Ausgangspunkt unserer Wanderung

Recsk ist ein typischer kleiner ländlicher Ort, eine Hauptstraße mit ein paar kleinen Bushaltestellen, ein Bahnhof, an dem schon seit Jahren kein Passagier mehr ein- oder ausgestiegen ist; eine freundliche und offenbar frisch sanierte Kirche am Ortsrand. Im Zentrum gibt es einen Lebensmittelmarkt, ein minimalistisches Elektrogeschäft, natürlich eine Dorfkneipe und einen kleinen Platz, auf dem an diesem Tag ein Markt stattfindet. Sofort treffen wir einen älteren Mann, der sogar ein wenig Deutsch spricht (nebenbei auch eine gute Gelegenheit, unsere noch recht begrenzten Ungarisch-Kenntnisse einzusetzen) und der uns an einem Stand eine große Tüte mit Äpfeln und anderen Snacks in die Hand drückt (was sich dahinter verbarg, dazu später mehr).

"Off the beaten path"

„Off the beaten path“

Etwas gestärkt geht es – immer noch bei schönstem Sonnenschein – los, unser Ziel: Kékestető, mit stolzen 1014 Metern der höchste Berg Ungarns! Nachdem wir noch jung und zumindest halbwegs fit sind, entscheiden wir uns für eine Route abseits der großen Touristenströme – und das lohnt sich. Zunächst müssen wir auf einem Fahrweg etwas Strecke machen, bis wir auf dem eigentlichen Wanderweg ankommen. Durch Wälder, über Wiesen, auf denen sich das heruntergefallene bunte Laub sonnt, durch mannshohes Gras, das den Weg schon beinahe verschlungen hat, und durch unzählige Dornsträucher und Brennnesseln, schlängelt sich unser Weg bis zu unserem ersten Pausenplatz. Wir sind auf dem Gebirgskamm angekommen, von wo aus wir eine tolle Aussicht auf unseren Ausgangspunkt Recsk und die umliegende Landschaft haben!

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Von nun an führt uns unser Weg weiter auf dem Kamm, es geht gefühlte 50-mal auf und wieder ab und ich bin froh, dass ich mir am Morgen in einer meiner Lieblingsbäckereien in Eger noch eine kakáos csiga (Kakaoschnecke) als Essens-Backup zugelegt habe. Die geniale Aussicht bleibt uns jedoch treu und wird mit jedem Aussichtspunkt schöner, die warme Herbstsonne scheint uns weiter ins Gesicht und es entwickeln sich tolle und interessante Gespräche den neuen Freunden aus Budapest.

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Aussicht auf die Weiten der Mátra

Nach gut 16 Kilometern und einem halben Tag Wanderung ist das Ziel unserer Tour in Sicht: Links von uns tut sich aus dem dichten Wald ein Fernsehturm hervor und nach wenigen Minuten erreichen wir erschöpft, aber glücklich unser Ziel. Natürlich ließen wir uns zur Belohnung die Aussicht vom Fernsehturm auf den Sonnenuntergang nicht entgehen.

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Auch wenn der Kékes sicher nicht zu den größten Herausforderungen in der Geschichte des modernen Alpinismus gehört, war ich doch ziemlich erstaunt, als ich auf dem Gipfel einen großen geteerten Parkplatz, viele Touristen-Stände und sogar zwei Skilifte antraf. Später erfuhr ich, dass man mit dem Bus und sogar mit dem eigenen Auto praktisch bis auf wenige Meter an den Gipfel heranfahren kann! Trotz dieses kleinen Schocks zum Ende :) war es ein rundum gelungener Ausflug und eine perfekte Möglichkeit, mit tollen Leuten das schöne Herbstwetter noch einmal richtig auszunutzen. Obwohl es heute am Nationalfeiertag bei 8° regnet, hoffe ich, dass das nicht die letzte Wandertour für dieses Jahr war.

Sonnenuntergang am höchsten Punkt Ungarns - 1014 m

Sonnenuntergang am höchsten Punkt Ungarns – 1014 m

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Ankommen. Loslegen. Schon sechs Wochen vorbei?!

Seit über sechs Wochen bin ich nun schon in Eger. Sechs Wochen! Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht! Wenn ich noch weiter zurückdenke, habe ich vor knapp zwei Monaten aufgeregt meinen überdimensionierten Koffer für unser Vorbereitungsseminar am Werbellinsee gepackt. Vor zweieinhalb Monaten mich beim Abistreich endgültig von meiner alten Schule verabschiedet. Noch einmal einen Monat zuvor mein Abiturzeugnis in den Händen gehalten. Und schon viereinhalb Monate ist es her, dass ich den letzten Strich unter meine letzte Abiturprüfung gesetzt habe.

Nur manchmal wird man sich bewusst, wie schnell die Zeit eigentlich verrinnt. Und weil auch hier in Ungarn das Leben keineswegs langsamer und weniger aufregend ist als in Deutschland, ist nun schon mehr als ein ganzer Monat vergangen, ohne dass ich mein Versprechen, alle „Daheimgebliebenen“ regelmäßig über meinen Blog mit Neuigkeiten zu versorgen, eingelöst hätte. Zuerst soll es daher einmal nur um meine Eindrücke aus den ersten beiden Wochen gehen. Dann mal los!

Für alle, die diese Seite nur kurz beim Vormittagskaffee zwischen Tür und Angel lesen, hier die Kurzfassung meiner ersten zwei Wochen voller neuer Eindrücke, neuer Freundschaften und Erinnerungen: Ich habe nicht ganz freiwillig drei Stunden mehr als geplant mit dem Bahnfahren verbracht, bin völlig übermüdet in mein neues Zuhause gestolpert, war bei der besten Mentorin der Welt zu Hause eingeladen, habe typisch Ungarisch gegrillt, die wunderschöne Innenstadt von Eger kennengelernt, das nördlichste türkische Minarett Europas (wirklich!) über die mutmaßlich engste Minarett-Treppe Europas bestiegen, bin zum ersten Mal in einem Lada mitgefahren, habe eine ganze Palette ess- und trinkbare Spezialitäten gekostet, mehrere Wörter Ungarisch mehr oder weniger korrekt ausgesprochen, mit der „kulturweit“-Ungarn-Crew Budapest unsicher gemacht und natürlich vor allem – viele unfassbar tolle Menschen kennengelernt.

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Das nördlichste türkische Minarett Europas

Aber von vorne: Eger, Ungarn, Bahnhof, 22 Uhr 34. Soeben habe ich mich noch im Zug mit einem gut englisch sprechenden ungarischen Nachwuchs-Basketballer unterhalten, kommt der Schienenbus nach überraschend kurzer Fahrt schon in Eger an. Gedanken: Wie bekomme ich diesen Riesen-Koffer, meine zwei Rucksäcke und mich selbst heil und in einem Stück aus der engen Zugtür? Werde ich meine Mentorin erkennen? Warum war ich so naiv und habe mir in Budapest nichts zu essen gekauft? All diese Fragen sollten sich innerhalb von Sekunden klären, denn meine Mentorin stand mit einem strahlenden Lächeln direkt vor der Zugtür, nahm mir sogar beim Aussteigen den Koffer ab, brachte mich mit dem Auto in meine neue Wohnung und zauberte als Highlight der Ankunft noch ein Abendessen – und: Kuchen! – aus ihrer Tasche. Besser konnte mein Aufenthalt nach dieser langen Zugfahrt nicht losgehen.

Am nächsten Morgen hatte mir meine Mentorin bereits das Wochenende gerettet, als sie mich zu sich nach Hause zum Grillen einlud! Während ich mir darunter einen Nachmittag vorgestellt hatte, bei dem ein paar Würstchen auf den Rost gelegt wurden, war ich umso erstaunter, als sie mir sagte, ich könne einfach in ihrem (durchaus geräumigen) Haus übernachten. So genoss ich gleich am ersten Tag eine unglaubliche Demonstration der vielbeschworenen ungarischen Gastfreundschaft, denn meine Mentorin kochte ein köstliches Paprikahuhn (paprikás csirke) für mich! Danach ging es ans Garten bestaunen, auf dem örtlichen Pflaumenfest Pflaumenspezialitäten probieren und mit ihren Kindern Tischkicker und Uno spielen. So erweiterte ich gleich meinen bis dahin noch nicht vorhandenen Ungarisch-Wortschatz um die Wörter zöld (grün) und piros (rot) – da ich die Wörter für die beiden anderen Farben sofort wieder vergaß, musste ich mich also beim Wünschen beschränken. Am Abend kamen schließlich einige Nachbarn vorbei und wir grillten Würste und Speck mit Stöcken über dem offenen Feuer – lecker! Nicht fehlen durfte mein erster Schluck pálinka, ein ziemlich stark brennender Schnaps, den man wohl als ungarisches Nationalgetränk bezeichnen dürfte. Die Nachbarn waren unglaublich nett und freuten sich über einen Gast aus Deutschland – dazu muss man anmerken, dass etwa die Hälfte von ihnen auch noch super Deutsch sprach. Ganz zu schweigen von meiner Mentorin und ihrem Mann, die sich fließend mit mir unterhalten konnten.

Nachdem ich am nächsten Vormittag glücklich eine kleine Erkundungstour mit dem Fahrrad durch das Dorf meiner Mentorin machen durfte, hieß es auch schon wieder: In Schale werfen und auf in die Schule. Denn die offizielle Eröffnung des Schuljahres stand an. Zugegebenermaßen fühlte ich mich mit weißem Hemd und Jeans gegenüber den Schülern, die fast ausnahmslos im Anzug erschienen, ziemlich underdressed – meine Mentorin wusste mich aber mit den richtigen Worten zu beruhigen, denn ich sei ja schließlich kein Schüler und müsse mich auch ein bisschen unterscheiden! Ich wurde zwischen Tür und Angel kurz dem Schulleiter vorgestellt, der mir versprach (denke ich zumindest, er spricht leider nur Ungarisch), mich als neuen Lehrer mit vorzustellen. Fünf Minuten später wurde ich aber erneut nach meinem Namen gefragt. Egal, wird schon.

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Mein neuer Arbeitsplatz, ausnahmsweise einmal ohne Schüler

Kurz darauf begleitete mich meine Mentorin nach unten in die große Aula, die bis an den Rand mit Stühlen gefüllt war. Ich durfte mich auf die extra für die neuen Lehrer vorgesehenen Plätze setzen, die waren aber bisher noch leer. Zum Glück gesellten sich am Ende doch noch ein paar Kollegen zu mir dazu, die Aula füllte sich schnell. Es ging los, und zwar mit der ungarischen Nationalhymne. Als der erste Ton gespielt wurde, verstummte die Aula. Mit einem Schlag standen alle (mehr oder weniger synchron) auf, manche begannen zu singen, andere andächtig zu schweigen. Eine übliche Tradition zum Schuljahresanfang, wie ich erfuhr.

Dann kamen zwei Schülersprecher und schließlich der Schulleiter auf die Bühne. Nervosität machte sich breit bei mir: Wird er mich überhaupt aufrufen? Wann im Laufe seiner Rede? Werde ich meinen Namen überhaupt erkennen in einem undurchdringbaren Fluss unverständlicher Wörter dieser fremden Sprache? Es wurde ernst, die erste neue Lehrerin stand auf. Die sah ziemlich jung aus. Wurde ich etwa schon aufgerufen und habe meinen Einsatz verpasst? Ungefähr fünfmal hatte ich schon gedacht: das Wort hört sich aber so ähnlich wie mein Name an. Der nächste Name. Nur kurz aufstehen, versuchen zu lächeln, sich wieder setzen. Gut, das sollte ich hinkriegen. Nur der Einsatz wird schwer.

Es wurde dann doch nicht so schwer, denn der Schulleiter tat mit den Gefallen, alle neuen Lehrer in der Sitzreihenfolge aufzurufen. Geschafft! Anschließend gab es den etwas schöneren Teil der Veranstaltung, eine schön anzusehende Volkstanz-Vorführung der Schüler und ein Video des Kennlern-Sommercamps der Schule. Zum Abschluss wurde dann tatsächlich noch einmal die Nationalhymne gespielt, wieder standen alle auf – ich nenne es mal patriotische Stille.

Nachdem ich allen acht (!) Deutschlehrern der Schule vorgestellt wurde (ja, die Schule ist ziemlich groß), trat ich zum ersten Mal ohne großen Schlafentzug den Weg zu meiner neuen Wohnung an. Strategisch liegt sie relativ günstig, gerade einmal gute fünf Minuten zu Fuß von der Schule und – wie ich am nächsten Tag herausfinden konnte – auch nur 20 Minuten vom barocken Stadtzentrum entfernt. Hier sei im Voraus erwähnt, dass in Eger praktisch alles fußläufig ist und ich bisher überhaupt nur zweimal Bus gefahren bin. Eine Barockperle ist mein Wohnblock jedoch nicht, sondern eher ein Zeugnis der kommunistischen Bau“kunst“ des 20. Jahrhunderts. Entgegen meines ersten Eindrucks kann man jedoch sowohl die kleine Küche als auch die Waschmaschine tatsächlich benutzen – gewöhnungsbedürftig sind auch nach über einem Monat nur noch die unfassbar dünnen Wände, durch das man jedes Wort der Nachbarn (sofern man denn Ungarisch spräche) versteht.

Zurück zu meinen ersten Tagen. Offiziell war hier der 1. September der erste Schultag, jedoch nehmen die ganzen organisatorischen Sachen (wie das in der Schule eben so ist) hier gleich zwei Tage in Anspruch. So hatte ich an meinen ersten Tagen ein wenig Zeit, die Schule und das Lehrerzimmer näher zu erkunden sowie die Internetverbindung im Lehrerbüro zu nutzen (zu Hause wurde das Netz erst nach einer Woche freigeschaltet!). Durch einen sehr glücklichen Zufall war noch am selben Tag mein Vor-vor-Vorgänger hier, der gerade seine Ungarn-Ferienreise in Eger beendete und seiner ehemaligen kulturweit-Schule einen Besuch abstattete. Ein sehr glücklicher Zufall deswegen, weil er mir direkt die Stadt und sogar einige Orte zum Ausgehen zeigte. Darüber aber an späterer Stelle mehr!

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Das barocke Stadtzentrum von Eger – wunderschön!

An meinem ersten Mittwoch wurde es dann ernst: In der Schule ging der „echte“ Unterricht los. Nachdem ich die Herausforderung, das Nebengebäude im Gewerbegebiet zu finden, erfolgreich gemeistert hatte, durfte ich in einer Deutsch-Stunde der 9. Klasse hospitieren (die Grundschule dauert in Ungarn in der Regel acht Jahre – es handelte sich also um eine Anfängergruppe!). Als erstes lernten die Schüler gleich eine Kuriosität im Deutschen – das scharfe s. Aber auch entfernte Gemeinsamkeiten stellten die Schüler (und ich) mit Freude fest, denn auch in Ungarn verwendet man zum Beispiel Servus (geschrieben: „szervusz“) als Gruß. Nach der Stunde zu den Begrüßungen machten wir mit den Zahlen weiter, und meine Mentorin meinte plötzlich: „Ja, das kann doch dann Oliver mal machen!“ Ich war natürlich erst einmal ziemlich überrascht und die Einheit war auch nicht besonders spannend für die Schüler, denn ich konnte ja in Ermangelung von Ungarisch-Kenntnissen nichts zusätzlich erklären. Also habe ich einfach die Zahlen an die Tafel geschrieben, langsam vorgesprochen und die Schüler nachsprechen lassen. Ja, ziemlich langweilig ;)

Die erste Schulwoche war schnell vorbei und so ging es am Samstag mit dem Zug nach Budapest. Der Plan: Mit der gesamten „kulturweit“-Ungarn-Crew die Stadt unsicher machen. Nach dem Aussteigen aus dem Zug erlebte ich auch schon meinen ersten „Kulturschock“: Nach einer Woche im beschaulichen Eger (und davor zwei Wochen am Werbellinsee) musste ich mich nach dem Aussteigen aus dem Zug erst einmal wieder an die abgasgesättigte Stadtluft, den Lärm, die riesigen Straßen und die vielen gestressten Menschen um mich herum gewöhnen.

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Sonst muss ich aber dem zustimmen, was mir viele Freunde und Bekannte schon gesagt hatten: Budapest ist wirklich eine wunderschöne Stadt und wurde nicht ganz zu unrecht das „Paris des Ostens“ getauft. Die Aussicht von der Fischerbastion, die wir über Umwege als erste Attraktion erklommen, war einfach phänomenal! Hier sagen Bilder mehr als 1000 Worte:

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Ausblick von der Fischerbastion

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Im Gegensatz zu Eger ist in Budapest tatsächlich jeden Tag in irgendeiner Ecke der Stadt etwas geboten, so auch an diesem frühherbstlichen Samstag: Ein Lehrer unseres Mitfreiwilligen aus Tata hatte uns spontan alle dazu animiert, zu einem Hip-Hop-Festival mitzukommen. Eigentlich nicht hundertprozentig mein Geschmack, habe ich am Ende doch festgestellt, dass man auch zu deutschem (das haben wir natürlich erst nach Ende des Konzerts festgestellt, denn niemand von uns kannte die Band und sie haben auf Englisch gesungen) Untergrund-Hip-Hop sehr gut tanzen kann! Auch das Nachtleben, die schöne Innenstadt, die Donau mit ihren ästhetischen Brücken und das Parlament sind einen Besuch wert, auch wenn wir nicht nur in letzterem vor verschlossenen Türen standen (auch die deutschen Botschaft wollte uns leider nicht zu Besuch reinlassen). Mehr über Budapest aber in einem eigenen Beitrag!

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Unsere ganze Ungarn-Crew in Budapest (Photo credits: Lotte)

Denn nicht nur in Budapest, sondern auch in meiner neuen Heimat Eger gibt es einiges zu sehen. Für den Moment schon einmal ein bisschen unnützen Wissen: In diesem Ort von knapp 60.000 Einwohnern gibt es sage und schreibe 33 Kirchen, darunter die (je nachdem, wen man fragt) zweit- oder drittgrößte Ungarns, eine Burg, die im 16. Jahrhundert Schauplatz einer ungarischen Nationallegende wurde, das nördlichste türkische Minarett Europas und einen Marktplatz, der in den letzten 20 Jahren zweimal saniert wurde. Umrahmt wird die Stadt von zwei Mittelgebirgen, nicht weit entfernt ist der höchste „Berg“ Ungarns (stolze 1014 m), das größte zusammenhängende Waldgebiet und der größte künstliche See des Landes. So viel erstmal zur Werbung ;)

Zu guter Letzt möchte ich natürlich noch einmal über meine Arbeit berichten. Nach meiner kurzen Eingewöhnungsphase, in der ich hauptsächlich hospitieren durfte, bin ich jetzt voll im Konversationstraining eingespannt. Insgesamt gibt es in der Schule drei Klassen, die sich auf das Deutsche Sprachdiplom (DSD) vorbereiten und mit denen ich meistens in Zweiergruppen Deutsch trainiere – von den Wochenendplänen über den Schulalltag bis hin zu Prüfungsthemen wie „Demographischer Wandel“ oder „Migration“ diskutieren wir alles. Außerdem unterstütze ich in ein paar Anfängerklassen die schon etwas fortgeschrittenen Schüler, damit sie nicht zum fünfzehnten Mal die Begrüßungen wiederholen müssen. Die Schüler und auch die meisten Lehrerkollegen sind super freundlich – es lässt sich also sehr gut leben mit meinem Job.

So, damit habe ich also schonmal sämtliche guten Vorsätze für meinen Blog (schön regelmäßig berichten, kurz und bündig und immer nur über ein Thema pro Beitrag) über Bord geworfen und hoffe zumindest, dass ich euch bald auch regelmäßig mit Updates versorgen kann.

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Prolog. Die deutsche Bahn macht nicht mit.

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Budapest-Keleti, 19 Uhr, ich wuchte meinen Gefühlt-30-Kilo-Koffer aus dem Zug und trabe den endlos langen Bahnsteig entlang. Ich blicke in eine unglaubliche große und schöne Bahnhofshalle, Menschen mit Schildern stehen schon auf dem Bahnsteig, dahinter hat sich eine noch größere Traube aus Wartenden, Abfahrenden und orientierungslosen Travelern gebildet.

Planmäßig wäre ich schon seit einigen Minuten in meinem Einsatzort Eger angekommen, etwa 140 km von hier, aber die Deutsche Bahn hat nicht mitgemacht. Mein erster Zug in Deutschland hatte bereits 90 Minuten Verspätung angesammelt. Also bleib mir noch viel Zeit zum Verabschieden von der Familie, bevor sich die Türen schlossen und sich mein ICE quietschend in Richtung Wien in Bewegung setzte.

Nächste Station: St. Pölten. Ein bisschen Verspätung aufgeholt, so blieb mir mehr Zeit, meine Ungarn-Vorfreude mit einem netten österreichischen Rentner zu teilen. Nachdem ich die Herausforderung, meinen Koffer in ein maximal enges Gepäck-Abteil zu quetschen, erfolgreich gemeistert hatte, ging es komfortabel nach Budapest. Leider konnte man vom Zug aus nicht allzuviel von der schönen Donau und auch nur wenig von der Hauptstadt sehen, doch das wird zeitnah nachgeholt! Immerhin konnte ich durchs Fenster die Abendsonne, die sich bei der Überquerung in der Donau spiegelte, ins Gesicht scheinen lassen.

Die Servicewüste Deutsche Bahn holte mich ein letzte Mal in Budapest ein, als ich feststellen musste, dass sie mir zwar ein maßlos überteuertes Ticket von Budapest nach Eger angedreht hat, ich aber damit nicht einmal den IC benutzen darf. Also ab in den Bummelzug!

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Kurz vor dem Ziel: Kleiner Aufenthalt im kleinen Vámosgyörk

Meine erste Fahrt in einem ungarischen Zug entpuppte sich prompt als sehr spannend, denn man konnte nicht nur wegen der Dunkelheit keine Schilder mehr am Bahnsteig erkennen, sondern es gab auch keine Ansagen im Zug. Stattdessen durfte ich mich in der Aussprache des Bahnhofs Füzesabony üben, Halte mitzählen und schließlich der Auskunft eines jungen Mannes („Ich steige in Hatvan aus, das ist der nächste Bahnhof. Danach der dritte Halt.“) vertrauen und an einem fast unbeleuchteten Bahnhof aus dem Zug springen. Wieder den Bahnsteig entlang rennen, meinen Koffer die Treppe hinunterwuchten und auf der anderen Seite wieder nach oben. Geschafft! Die letzten 20 Kilometer durfte ich in einem niedlichen Schienenbus, der tatsächlich mit jungen, netten Menschen gefüllt war, zurücklegen und kam schließlich mit einer Verspätung von fast vier Stunden (wie sich herausstellte, war das der letzte Zug des Tages) in Eger an. So viel zur abenteuerlichen Anreise, mehr demnächst!

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