Zum Glück bin ich soeben fertig geworden mit meinem Projektplanpackpapier, denn hier in Kigali ist gerade ein el niño artiger Regen am Werk und lässt eine immer größer werdende Pfütze unseren Seminarraum fluten. Heute ist schon Donnerstag und das Seminar ist fast vorbei. Wider Erwarten war es bisher extrem cool, wie eine Klassenfahrt ohne Bettruhe und strenge Unterstufenlehrerinnen.
Aber bevor ich weiter ins Detail gehe und alles schön chronologisch von vorne aufziehe, möchte ich doch gern von Kathis und meiner abenteuerlichen Reise auf der von Opodo als „verdächtig“ eingestuften Reiseroute von Accra nach Kigali berichten.
Kurz nachdem ich den letzten Eintrag veröffentlicht hatte, bekamen Kathi und ich eine Benachrichtigung darüber, dass unser Flug nach Nairobi auf kurz vor Mitternacht verschoben wurde. War an sich kein Problem, wenn da nicht der Anschlussflug am Samstagmorgen nach Kigali gewesen wäre, den wir leider nicht mehr bekommen würden.
Nach jeweils zwei Anrufen bei Travelgenio und Kenya Airways und einer überaus inkompetenten Flüsterfrau fanden wir heraus, dass nichts mehr für uns getan werden konnte und die Herrschaften am Flughafen das schon richten würden.
Am Abend fuhren wir dann also tatsächlich los, gegen 21 Uhr war das Taxi da und wir waren trotz einiger Nervereien noch hoch motiviert. Zumindest bis meine Mama anrief und uns mitteilte, dass unser Flug nochmals nach hinten verschoben diesmal auf 8:30 Uhr am nächsten Morgen. Okay. Klasse. Die Motivation sank schlagartig, aber wir wollten trotzdem noch nicht vollkommen den Glauben an eine Reise nach Rwanda verlieren.
Wir hatten Glück, denn anders als in Twi wird in Suaheli das Wort Kulanz offenbar besonders groß geschrieben. Kenya Airways entschuldigte sich zunächst für die Unannehmlichkeiten und steckte uns Fluggäste anschließend in einen Bus, der uns zu einem Luxushotel mit Pool und Buffet bringen sollte. Keine Vorleistung, keine Fragen, kein Schimmel – weiße, gestärkte Bettlaken, kleine Badezimmerpröbchen und ein Abendbrot- und Frühstücksbüffet, was sich sehen lassen konnte. Croissants und frisches Obst, gebackene Bohnen und Eier, wir kosteten unseren ungeplanten Zwischenstopp so richtig aus, bis es dann mit dem kleinen Shuttlebus wieder zum Flughafen ging und wir nun endlich unsere Reise antreten konnten.
Der Flug war lang, aber angenehm. Großzügig wurden Getränke ausgegeben, das Essen war lecker und sogar Filme brachten sie, da kann sich die TAP mal eine Scheibe von abschneiden.
In Nairobi angekommen, bleiben und um die sechs Stunden bis zum Weiterflug nach Kigali, aber auch hier ließ uns unsere Airline nicht im Stich und bot kostenlose Snacks am Gate 17 an. Wir vertrieben uns die Zeit mit ein bisschen Souvenirshoppen, Snackklatsch und der Analyse von verschiedenen anderen Wartenden.
Es sind schon wieder Tage vergangen, man kommt auf Reisen so schlecht zum Schreiben, es ist Montag und ich sitze im Büro und habe eigentlich kaum wieder Zeit zum Schreiben, warum wird alles und überall just nach dem ersten Advent immer so stressig und viel? Naja, keine Zeit zu jammern, ist ja auch blöd, also erzähle ich mal weiter.
Wo war ich? Ach ja, Gate 17 in Nairobi. Spulen wir mal vor zu unserer Ankunft in Kigali, endlich waren wir da, der glänzende Marmorfußboden sah tatsächlich nach einem Land aus, was sehr viel Wert auf sein Äußeres legt, Plastiktüten verbietet und durch kaum vorhandene Korruption auf sich aufmerksam machen will. Schön war, dass man plötzlich notwendigerweise auf Französisch los sprudeln konnte, das ging schon los im Taxi, bis vor fünf Jahren etwa war le Francais nämlich Amtssprache. Wir wussten nicht wirklich, warum die Dame in dem Bed and Breakfast, was der freundliche Taxifahrer für uns ausgesucht hatte, heulte, als wir das Formular ausfüllten, aber mein Französisch fühlte sich zu glatteisig an, als dass ich da einen auf tröstenden Touristen gemacht haben wollte. Es war spät, wir hatten ein günstiges Zimmerchen gefunden und schliefen zufrieden ein, nach einem kleinen 20-Hunde-Bell-Konzert.
Am Morgen ging es auf zu unserem ersten ruandischen Frühstück, „African Tea“ mit viel Milch und Gewürzen, ich liebe dieses Zeug und habe schon Sehnsucht danach. Dann gab es noch Chapati mit Ei und eine andere Teigspezialität, deren Namen ich vergessen habe, Kathi war im siebten Himmel ob ihrer Kenia-Erinnerungen. Kurz danach schwebte auch ich im siebten Freiheits- und Speedhimmel, denn unsere erste Moto-Taxi-Fahrt hatten wir angetreten, jeder vorne und hinten ein Backpack und ab ging das durch den Nieselregen, der schließlich so stark wurde, dass man sich irgendwo unterstellte. Zufälligerweise war dies genau der Sonntag der „Tour de Rwanda“, die genau durch unsere Strecke führte. Wir wurden also von ruandischen Armstrings und deren Zujublern noch eine Weile aufgehalten, hatte aber durchaus was, zumal wir das Ganze beim Frühstück noch im Fernsehen bestaunt hatten.
Schließlich kamen wir bei Alessa an und da waren auch schon alle Ruandillas, eingesnuggelt, sich vor dem Dauerregen schützend, der besonders uns Ghanaern ordentlich schaffen machte, es wurde uns einfach viel zu kalt. Mit einem kleinen Drink und dem Dschungelbuch verbrachten wir auf der Couch eingekuschelt den Nachmittag, fuhren anschließend Essen zur Mall und besuchten dann das Programm „Carte Blanche“ in einem fancy Hotel, was einen auf Flughafen machte (zumindest der Sicherheitskontrolle nach zu urteilen). Ich mochte das Französisch, ich mochte die ostafrikanischen Gesänge, die mich so an „König der Löwen“ erinnerte. In Kigali sprach man vorwiegend Kinyarwanda, das klang schön und melodisch. So hörte sich auch der Gesang der letzten Truppe an, irgendwann war es vorbei und es ging wieder heim, endlich mal pennen und ausschlafen, ging auch gut zu dritt im Bett.
Kleinstlebewesen krabbeln über den Bildschirm meines Laptops, ich musste angeekelt feststellen, dass auch dieser in den letzten Tagen von Schimmel befallen wurde und offenbar auch noch andere Amigos sich an seinem Plastik ergötzten. Naja, was soll’s, ich bin jetzt in ein anderes Zimmer umgezogen, nachdem mich einige Seminarteilnehmer gefragt hatten, warum mein Halstuch denn so nach Gift stinke. Schimmel, Sporen, Kleinstlebewesen, Elisa – eine Symbiose. Yippie!
Das Internet will mal wieder nicht funktionieren und deswegen schreibe ich mal ins Blaue, weil ich mich gar nicht genau daran erinnere, wo ich vorhin aufgehört habe. Ich glaube, die letzte Nacht vor dem Seminar war das. Ja, am Montagmorgen gab es bei Alessa dann ein sehr liebevolles Frühstück mit vorzüglichster Guacamole, richtig gutem Käse (davon liegt jetzt ein Rädchen auch in unserem Kühlschrank) und anderen ruandischen Spezialitäten. Wir waren optimal gestärkt für den ersten Seminartag und kurz darauf ging es mit dem Moto wieder in die Stadt, zu unserer Heimat für die kommenden vier Tage. Ja, es hatte alles ein bisschen was von Klassenfahrt, aber eben sehr cool, wie wir dann wieder auf die Motos aufsteigen und in meinem Kopf so ein alter 90er Jahre Mario Kart-Film abgespielt wurde, das war wirklich immer die erste Assoziation, wenn dann zu zehnt auf die Motos gestiegen wurde und sie sich langsam ihren gemeinsamen Weg durch Kigalis Straßen bahnten.
Das Guesthouse war süß und angenehm, das Personal auch, nach einer mittelschweren Kakerlakenplage am ersten Abend (bei drei jeweils Zehn-Zentimeter-Oschis, wovon einer aus der Klopapierrolle gehopst kommt, bleibt wohl keine Kehle still, muss ich zu meiner Verteidigung sagen) kam der gute Herbergspapa auch gleich an, fragte, ob er uns irgendwie helfen könnte und verfrachtete uns dann ohne viel Federlesen in das beste Zimmer am Platz, ein eigenes kleines Ferienhaus mit Wohnzimmer, Küche, zwei Bädern und drei Schlafzimmern, unser kleines kigalisches Feriendomizil, für Kathi und mich, in dem wir Gäste empfangen und Filme sehen konnten.
Ich kann die Seminarinhalte vorweg dahingehend zusammenfassen, dass ich sehr froh bin, dass unser Coach so flexibel war und seinen geplanten Karteikarten-Pädagogenstil nur bedingt durchgezogen hatte. Er ließ uns wirklich viel Freiraum und das war auch genau das, was das Ganze so schön locker und angenehm machte. Am Dienstagabend besuchten wir das dortige Goethe-Institut und lernten auch Alessas Boss kennen, der mehr als gewöhnungsbedürftig war und den ich am besten mit einem Satz aus „Wir sind keine Engel“ beschreibe: „So was wie Sie sehe ich heute zum ersten Mal“, Vampir, könnte aber auch den typischen Psycho-Deutschen aus einem Film wie „The Human Centipede“ spielen. Es gibt wirklich extrem seltsame Leute auf dieser Welt.
Abgesehen davon war der Abend sehr schön, wir sahen uns einen Film am Institut an und gingen anschließend in die Stadt, auf das Dach eines kigalischen Wolkenkratzers, das hatte so einen leichten Beigeschmack von Zwielichtigkeit in diesem so perfekt geordneten Kigali, dann ging was rum und einer holte die Gitarre raus und dann wurde gesungen und dazu funkelten Kigalis Lichter in den 1000 Hügeln dieses Landes. Ich hatte wahnsinnige Höhenangst, aber die Mauer war hoch und Gefahr gab es nicht. Nicht in diesem Moment, nicht an diesem Abend, alles war friedlich und schön.
Am nächsten Tag bestiegen wir Mount Kigali, zum Glück nicht mit der Besteigung des Villarica zu vergleichen (vielleicht sollte ich an dieser Stelle einen Link zu eben diesem Blogeintrag vor ungefähr anderthalb Jahren setzen). Es war gemächlich, die Sonne schien warm auf den Pelz, der Ausblick war nicht zu erstaunlich, weil wir nicht wirklich hoch kamen. Ich glaube, die Kleinstlebewesen haben jetzt auch die Kontrolle über meinen Körper übernommen, es kribbelt überall. Was muss das immer so eklig sein. Am Nachmittag nutzten wir die Zeit für ausgiebiges Souvenirshoppen und sahen uns einen chinesischen Supermarkt an, den sie „Plastic Paradise“ nannten und spätestens der Geruch darin ließ den Namen absolut gerechtfertigt erscheinen. Da gab es Spazierstöcke neben Elektroöfen, Küchenutensilien aller Art neben Plastikblumen, man hätte dort einen Rundumschlag für die Einrichtung seines eigenen Plastikpalastes veranstalten können.
Für Donnerstagvormittag war die bedrückendste Episode des Seminars geplant, ein Besuch des Genozide Memorial. Das war das erste Mal, dass ich tatsächlich geweint habe bei dem Besuch eines Museums. Ich war sehr dankbar über diese Einheit, weil man dieses Thema so, wie es dort dargestellt war, wohl an keinem anderen Ort der Welt besser nahe gebracht bekommen kann. Am Ende wurde man durch eine Sektion geführt, die über Genozide aller Epochen informierte. Trotz dieser sehr vielen sehr tiefgründigen Informationen ist es mir absolut schleierhaft, wie Menschen aus Fleisch und Blut mit Herz und Seele dazu in der Lage sind, ihre eigenen Freunde und Familienmitglieder mit einer Machete abzuschlachten, nur, weil sie einer anderen Gesellschaftskategorie angehören.
Selbstverständlich waren alle Teilnehmer nach dieser Einheit sehr berührt, bedrückt und fassungslos. Es fällt mir auch jetzt noch schwer, wieder den Bogen zum nächsten Thema zu finden. Donnerstagnachmittag. Das war der Zeitpunkt, an dem dieser ganze in Einzelteile aufgeteilte Eintrag angefangen hat, bei der kleinen Überschwemmung. Wir kümmerten uns um unsere Projekte. Und das erinnert mich an meinen Zeitdruck. Ich will einen Film machen, klein und fein, 7-10 Minuten, ein Porträt mit drei Protagonisten, psssst, mehr verrat ich nich. Sag ich nich! Damit sollte ich jetzt mal beginnen. Habe schon technisch was in die Wege geleitet heute. Ich bleibe dran und naja, ihr seht ja dann hier, ob ich nen Link poste oder nicht. 😉
Der Freitag zeichnete sich vor allem durch Kathis und meine Tour zum Kimironko Markt und unser anschließendes Teekränzchen aus, rote Erde und ein Gefühl wie auf der Vega Grande in meinem heiß geliebten Santiago…als wir mit dem Moto nach Hause kamen, waren die anderen schon in vollen Partyvorbereitungszügen, da wurde gebacken und geduscht, wenig später standen wir beim Beerpongtisch und zogen die Kerle ab. Oh, Beerpong. Eins der wenigen Spiele auf dieser Welt, das ich wirklich mag. Nein, ich bin kein Alkoholiker und ich würde das auch mit Wasser spielen. Es geht mir mehr um dieses Erfolgsgefühl, wenn der Ball direkt in den Becher fällt, zielsicher und geschmeidig. Reiche Leute haben Tennis, wir haben Beerpong. Fertig. Es gab dann auch Avocadowein, man probierte auch vom Ingwer- und Bananenwein, man erzählte viel und wollte Katzenpfoten waschen, ohne böse Absichten. Es gab mehr Kuchen und irgendwann wurde man ganz müde, dann ging man den ganzen Weg über Hügel und Matschtäler, bis man zufrieden ins Bettchen fallen konnte.
Doch Zeit zum Ausschlafen blieb nicht, am nächsten Morgen ging es nach einem weiteren First Class Frühstück in Alessas Bude zum Lake Kivu, um die drei Stunden eingequetscht zwischen Backpacks und Radkappe in einem Kleinbus, der mich wieder einmal an Bolivien erinnerte. Der Ausblick war traumhaft und malerisch, ich muste regelmäßig an diese Szene in „König der Löwen“ denken, in der Timon und Pumbaa Simba ihren Lebensraum zeigen, wie sie dann diesen Lianenvorhang da wegheben und dann sieht man etwas Paradiesisches. So war das, als ich da mit großen Augen tiefe Abhänge mit diesen hübschen grünen Treppenterrassen bewunderte. Das Guesthouse am See war bestens gelegen, danke an Alessa an dieser Stelle (um mich nochmal ganz herzlich zu bedanken, Danke, wirklich, Danke 😉 :p xD), wir sahen dann hinaus auf den See und saßen einfach und genossen und abends gab es ein typisch ruandisches Buffet. Es machte sich dann ein Brummschädel bemerkbar, ich fiel in einen tiefen Schlaf und am Morgen ging es schließlich wieder zurück nach Kigali, zum Flughafen und heim, nach Hause in die Wärme, die stickige Luft, die einem den Dreck unter die Fingernägel treibt, aber wir waren wieder da und glücklich.
Zum Abschluss des Ganzen kam es am Flughafen schließlich zu einer kleine, wie soll ich sagen, „Rosamunde-Pilcher-unter-Palmen“-Situation, das trifft es ganz gut: wir wurden da abgeholt von einem Freund von Talitha, ein Oboruni mit Mammutfaktor, na ihr wisst schon, so Mogli sieht ein anderes Menschenkind und denkt sich „Was ist das? So etwas habe ich noch nie gesehen.“, vielleicht sah mein Gesicht auch genau danach aus, jedenfalls wäre dieser Oborunikandidat der perfekte Pilcher-John-Wayne-Typ gewesen, kommt da ganz lässig an, mit einem Handbruchhändedruck, Twi perfekt beherrschend, plötzlich einen Landrover dabei habend, schon zwei Jahre hier wohnend, alles total cool und lässig. Und dabei war der jünger als Kathi und ich, was dem ganzen so eine gute Portion Pilcher-Ironie aufsetzte.
Jetzt sind wir wieder hier und vorhin habe ich den Weihnachtsbaum geschmückt. Fröhlichen ersten Advent nachträglich, übrigens. Ich habe auch gestern ganz viel Geburtstagspost bekommen, einen herzlichen Dank an alle lieben Sender. 🙂 Ich muss mal meine Fotos sortieren, dann kommen wieder welche. Jetzt stürze ich mich mal wieder in die Vorweihnachtsgeschäftigkeit. Besucht ein paar Weihnachtsmärkte für mich mit!