It's Ghana be great

Meine Zeit am Goethe-Institut in Accra

1. Dezember 2015
von Elisa Teichmann
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Rwandaful Tales of a Zwischenseminar

Zum Glück bin ich soeben fertig geworden mit meinem Projektplanpackpapier, denn hier in Kigali ist gerade ein el niño artiger Regen am Werk und lässt eine immer größer werdende Pfütze unseren Seminarraum fluten. Heute ist schon Donnerstag und das Seminar ist fast vorbei. Wider Erwarten war es bisher extrem cool, wie eine Klassenfahrt ohne Bettruhe und strenge Unterstufenlehrerinnen.
Aber bevor ich weiter ins Detail gehe und alles schön chronologisch von vorne aufziehe, möchte ich doch gern von Kathis und meiner abenteuerlichen Reise auf der von Opodo als „verdächtig“ eingestuften Reiseroute von Accra nach Kigali berichten.
Kurz nachdem ich den letzten Eintrag veröffentlicht hatte, bekamen Kathi und ich eine Benachrichtigung darüber, dass unser Flug nach Nairobi auf kurz vor Mitternacht verschoben wurde. War an sich kein Problem, wenn da nicht der Anschlussflug am Samstagmorgen nach Kigali gewesen wäre, den wir leider nicht mehr bekommen würden.
Nach jeweils zwei Anrufen bei Travelgenio und Kenya Airways und einer überaus inkompetenten Flüsterfrau fanden wir heraus, dass nichts mehr für uns getan werden konnte und die Herrschaften am Flughafen das schon richten würden.
Am Abend fuhren wir dann also tatsächlich los, gegen 21 Uhr war das Taxi da und wir waren trotz einiger Nervereien noch hoch motiviert. Zumindest bis meine Mama anrief und uns mitteilte, dass unser Flug nochmals nach hinten verschoben diesmal auf 8:30 Uhr am nächsten Morgen. Okay. Klasse. Die Motivation sank schlagartig, aber wir wollten trotzdem noch nicht vollkommen den Glauben an eine Reise nach Rwanda verlieren.
Wir hatten Glück, denn anders als in Twi wird in Suaheli das Wort Kulanz offenbar besonders groß geschrieben. Kenya Airways entschuldigte sich zunächst für die Unannehmlichkeiten und steckte uns Fluggäste anschließend in einen Bus, der uns zu einem Luxushotel mit Pool und Buffet bringen sollte. Keine Vorleistung, keine Fragen, kein Schimmel – weiße, gestärkte Bettlaken, kleine Badezimmerpröbchen und ein Abendbrot- und Frühstücksbüffet, was sich sehen lassen konnte. Croissants und frisches Obst, gebackene Bohnen und Eier, wir kosteten unseren ungeplanten Zwischenstopp so richtig aus, bis es dann mit dem kleinen Shuttlebus wieder zum Flughafen ging und wir nun endlich unsere Reise antreten konnten.
Der Flug war lang, aber angenehm. Großzügig wurden Getränke ausgegeben, das Essen war lecker und sogar Filme brachten sie, da kann sich die TAP mal eine Scheibe von abschneiden.
In Nairobi angekommen, bleiben und um die sechs Stunden bis zum Weiterflug nach Kigali, aber auch hier ließ uns unsere Airline nicht im Stich und bot kostenlose Snacks am Gate 17 an. Wir vertrieben uns die Zeit mit ein bisschen Souvenirshoppen, Snackklatsch und der Analyse von verschiedenen anderen Wartenden.

Es sind schon wieder Tage vergangen, man kommt auf Reisen so schlecht zum Schreiben, es ist Montag und ich sitze im Büro und habe eigentlich kaum wieder Zeit zum Schreiben, warum wird alles und überall just nach dem ersten Advent immer so stressig und viel? Naja, keine Zeit zu jammern, ist ja auch blöd, also erzähle ich mal weiter.

Wo war ich? Ach ja, Gate 17 in Nairobi. Spulen wir mal vor zu unserer Ankunft in Kigali, endlich waren wir da, der glänzende Marmorfußboden sah tatsächlich nach einem Land aus, was sehr viel Wert auf sein Äußeres legt, Plastiktüten verbietet und durch kaum vorhandene Korruption auf sich aufmerksam machen will. Schön war, dass man plötzlich notwendigerweise auf Französisch los sprudeln konnte, das ging schon los im Taxi, bis vor fünf Jahren etwa war le Francais nämlich Amtssprache. Wir wussten nicht wirklich, warum die Dame in dem Bed and Breakfast, was der freundliche Taxifahrer für uns ausgesucht hatte, heulte, als wir das Formular ausfüllten, aber mein Französisch fühlte sich zu glatteisig an, als dass ich da einen auf tröstenden Touristen gemacht haben wollte. Es war spät, wir hatten ein günstiges Zimmerchen gefunden und schliefen zufrieden ein, nach einem kleinen 20-Hunde-Bell-Konzert.
Am Morgen ging es auf zu unserem ersten ruandischen Frühstück, „African Tea“ mit viel Milch und Gewürzen, ich liebe dieses Zeug und habe schon Sehnsucht danach. Dann gab es noch Chapati mit Ei und eine andere Teigspezialität, deren Namen ich vergessen habe, Kathi war im siebten Himmel ob ihrer Kenia-Erinnerungen. Kurz danach schwebte auch ich im siebten Freiheits- und Speedhimmel, denn unsere erste Moto-Taxi-Fahrt hatten wir angetreten, jeder vorne und hinten ein Backpack und ab ging das durch den Nieselregen, der schließlich so stark wurde, dass man sich irgendwo unterstellte. Zufälligerweise war dies genau der Sonntag der „Tour de Rwanda“, die genau durch unsere Strecke führte. Wir wurden also von ruandischen Armstrings und deren Zujublern noch eine Weile aufgehalten, hatte aber durchaus was, zumal wir das Ganze beim Frühstück noch im Fernsehen bestaunt hatten.
Schließlich kamen wir bei Alessa an und da waren auch schon alle Ruandillas, eingesnuggelt, sich vor dem Dauerregen schützend, der besonders uns Ghanaern ordentlich schaffen machte, es wurde uns einfach viel zu kalt. Mit einem kleinen Drink und dem Dschungelbuch verbrachten wir auf der Couch eingekuschelt den Nachmittag, fuhren anschließend Essen zur Mall und besuchten dann das Programm „Carte Blanche“ in einem fancy Hotel, was einen auf Flughafen machte (zumindest der Sicherheitskontrolle nach zu urteilen). Ich mochte das Französisch, ich mochte die ostafrikanischen Gesänge, die mich so an „König der Löwen“ erinnerte. In Kigali sprach man vorwiegend Kinyarwanda, das klang schön und melodisch. So hörte sich auch der Gesang der letzten Truppe an, irgendwann war es vorbei und es ging wieder heim, endlich mal pennen und ausschlafen, ging auch gut zu dritt im Bett.

Kleinstlebewesen krabbeln über den Bildschirm meines Laptops, ich musste angeekelt feststellen, dass auch dieser in den letzten Tagen von Schimmel befallen wurde und offenbar auch noch andere Amigos sich an seinem Plastik ergötzten. Naja, was soll’s, ich bin jetzt in ein anderes Zimmer umgezogen, nachdem mich einige Seminarteilnehmer gefragt hatten, warum mein Halstuch denn so nach Gift stinke. Schimmel, Sporen, Kleinstlebewesen, Elisa – eine Symbiose. Yippie!
Das Internet will mal wieder nicht funktionieren und deswegen schreibe ich mal ins Blaue, weil ich mich gar nicht genau daran erinnere, wo ich vorhin aufgehört habe. Ich glaube, die letzte Nacht vor dem Seminar war das. Ja, am Montagmorgen gab es bei Alessa dann ein sehr liebevolles Frühstück mit vorzüglichster Guacamole, richtig gutem Käse (davon liegt jetzt ein Rädchen auch in unserem Kühlschrank) und anderen ruandischen Spezialitäten. Wir waren optimal gestärkt für den ersten Seminartag und kurz darauf ging es mit dem Moto wieder in die Stadt, zu unserer Heimat für die kommenden vier Tage. Ja, es hatte alles ein bisschen was von Klassenfahrt, aber eben sehr cool, wie wir dann wieder auf die Motos aufsteigen und in meinem Kopf so ein alter 90er Jahre Mario Kart-Film abgespielt wurde, das war wirklich immer die erste Assoziation, wenn dann zu zehnt auf die Motos gestiegen wurde und sie sich langsam ihren gemeinsamen Weg durch Kigalis Straßen bahnten.

Das Guesthouse war süß und angenehm, das Personal auch, nach einer mittelschweren Kakerlakenplage am ersten Abend (bei drei jeweils Zehn-Zentimeter-Oschis, wovon einer aus der Klopapierrolle gehopst kommt, bleibt wohl keine Kehle still, muss ich zu meiner Verteidigung sagen) kam der gute Herbergspapa auch gleich an, fragte, ob er uns irgendwie helfen könnte und verfrachtete uns dann ohne viel Federlesen in das beste Zimmer am Platz, ein eigenes kleines Ferienhaus mit Wohnzimmer, Küche, zwei Bädern und drei Schlafzimmern, unser kleines kigalisches Feriendomizil, für Kathi und mich, in dem wir Gäste empfangen und Filme sehen konnten.

Ich kann die Seminarinhalte vorweg dahingehend zusammenfassen, dass ich sehr froh bin, dass unser Coach so flexibel war und seinen geplanten Karteikarten-Pädagogenstil nur bedingt durchgezogen hatte. Er ließ uns wirklich viel Freiraum und das war auch genau das, was das Ganze so schön locker und angenehm machte. Am Dienstagabend besuchten wir das dortige Goethe-Institut und lernten auch Alessas Boss kennen, der mehr als gewöhnungsbedürftig war und den ich am besten mit einem Satz aus „Wir sind keine Engel“ beschreibe: „So was wie Sie sehe ich heute zum ersten Mal“, Vampir, könnte aber auch den typischen Psycho-Deutschen aus einem Film wie „The Human Centipede“ spielen. Es gibt wirklich extrem seltsame Leute auf dieser Welt.
Abgesehen davon war der Abend sehr schön, wir sahen uns einen Film am Institut an und gingen anschließend in die Stadt, auf das Dach eines kigalischen Wolkenkratzers, das hatte so einen leichten Beigeschmack von Zwielichtigkeit in diesem so perfekt geordneten Kigali, dann ging was rum und einer holte die Gitarre raus und dann wurde gesungen und dazu funkelten Kigalis Lichter in den 1000 Hügeln dieses Landes. Ich hatte wahnsinnige Höhenangst, aber die Mauer war hoch und Gefahr gab es nicht. Nicht in diesem Moment, nicht an diesem Abend, alles war friedlich und schön.

Am nächsten Tag bestiegen wir Mount Kigali, zum Glück nicht mit der Besteigung des Villarica zu vergleichen (vielleicht sollte ich an dieser Stelle einen Link zu eben diesem Blogeintrag vor ungefähr anderthalb Jahren setzen). Es war gemächlich, die Sonne schien warm auf den Pelz, der Ausblick war nicht zu erstaunlich, weil wir nicht wirklich hoch kamen. Ich glaube, die Kleinstlebewesen haben jetzt auch die Kontrolle über meinen Körper übernommen, es kribbelt überall. Was muss das immer so eklig sein. Am Nachmittag nutzten wir die Zeit für ausgiebiges Souvenirshoppen und sahen uns einen chinesischen Supermarkt an, den sie „Plastic Paradise“ nannten und spätestens der Geruch darin ließ den Namen absolut gerechtfertigt erscheinen. Da gab es Spazierstöcke neben Elektroöfen, Küchenutensilien aller Art neben Plastikblumen, man hätte dort einen Rundumschlag für die Einrichtung seines eigenen Plastikpalastes veranstalten können.

Für Donnerstagvormittag war die bedrückendste Episode des Seminars geplant, ein Besuch des Genozide Memorial. Das war das erste Mal, dass ich tatsächlich geweint habe bei dem Besuch eines Museums. Ich war sehr dankbar über diese Einheit, weil man dieses Thema so, wie es dort dargestellt war, wohl an keinem anderen Ort der Welt besser nahe gebracht bekommen kann. Am Ende wurde man durch eine Sektion geführt, die über Genozide aller Epochen informierte. Trotz dieser sehr vielen sehr tiefgründigen Informationen ist es mir absolut schleierhaft, wie Menschen aus Fleisch und Blut mit Herz und Seele dazu in der Lage sind, ihre eigenen Freunde und Familienmitglieder mit einer Machete abzuschlachten, nur, weil sie einer anderen Gesellschaftskategorie angehören.
Selbstverständlich waren alle Teilnehmer nach dieser Einheit sehr berührt, bedrückt und fassungslos. Es fällt mir auch jetzt noch schwer, wieder den Bogen zum nächsten Thema zu finden. Donnerstagnachmittag. Das war der Zeitpunkt, an dem dieser ganze in Einzelteile aufgeteilte Eintrag angefangen hat, bei der kleinen Überschwemmung. Wir kümmerten uns um unsere Projekte. Und das erinnert mich an meinen Zeitdruck. Ich will einen Film machen, klein und fein, 7-10 Minuten, ein Porträt mit drei Protagonisten, psssst, mehr verrat ich nich. Sag ich nich! Damit sollte ich jetzt mal beginnen. Habe schon technisch was in die Wege geleitet heute. Ich bleibe dran und naja, ihr seht ja dann hier, ob ich nen Link poste oder nicht. 😉

Der Freitag zeichnete sich vor allem durch Kathis und meine Tour zum Kimironko Markt und unser anschließendes Teekränzchen aus, rote Erde und ein Gefühl wie auf der Vega Grande in meinem heiß geliebten Santiago…als wir mit dem Moto nach Hause kamen, waren die anderen schon in vollen Partyvorbereitungszügen, da wurde gebacken und geduscht, wenig später standen wir beim Beerpongtisch und zogen die Kerle ab. Oh, Beerpong. Eins der wenigen Spiele auf dieser Welt, das ich wirklich mag. Nein, ich bin kein Alkoholiker und ich würde das auch mit Wasser spielen. Es geht mir mehr um dieses Erfolgsgefühl, wenn der Ball direkt in den Becher fällt, zielsicher und geschmeidig. Reiche Leute haben Tennis, wir haben Beerpong. Fertig. Es gab dann auch Avocadowein, man probierte auch vom Ingwer- und Bananenwein, man erzählte viel und wollte Katzenpfoten waschen, ohne böse Absichten. Es gab mehr Kuchen und irgendwann wurde man ganz müde, dann ging man den ganzen Weg über Hügel und Matschtäler, bis man zufrieden ins Bettchen fallen konnte.
Doch Zeit zum Ausschlafen blieb nicht, am nächsten Morgen ging es nach einem weiteren First Class Frühstück in Alessas Bude zum Lake Kivu, um die drei Stunden eingequetscht zwischen Backpacks und Radkappe in einem Kleinbus, der mich wieder einmal an Bolivien erinnerte. Der Ausblick war traumhaft und malerisch, ich muste regelmäßig an diese Szene in „König der Löwen“ denken, in der Timon und Pumbaa Simba ihren Lebensraum zeigen, wie sie dann diesen Lianenvorhang da wegheben und dann sieht man etwas Paradiesisches. So war das, als ich da mit großen Augen tiefe Abhänge mit diesen hübschen grünen Treppenterrassen bewunderte. Das Guesthouse am See war bestens gelegen, danke an Alessa an dieser Stelle (um mich nochmal ganz herzlich zu bedanken, Danke, wirklich, Danke 😉 :p xD), wir sahen dann hinaus auf den See und saßen einfach und genossen und abends gab es ein typisch ruandisches Buffet. Es machte sich dann ein Brummschädel bemerkbar, ich fiel in einen tiefen Schlaf und am Morgen ging es schließlich wieder zurück nach Kigali, zum Flughafen und heim, nach Hause in die Wärme, die stickige Luft, die einem den Dreck unter die Fingernägel treibt, aber wir waren wieder da und glücklich.

Zum Abschluss des Ganzen kam es am Flughafen schließlich zu einer kleine, wie soll ich sagen, „Rosamunde-Pilcher-unter-Palmen“-Situation, das trifft es ganz gut: wir wurden da abgeholt von einem Freund von Talitha, ein Oboruni mit Mammutfaktor, na ihr wisst schon, so Mogli sieht ein anderes Menschenkind und denkt sich „Was ist das? So etwas habe ich noch nie gesehen.“, vielleicht sah mein Gesicht auch genau danach aus, jedenfalls wäre dieser Oborunikandidat der perfekte Pilcher-John-Wayne-Typ gewesen, kommt da ganz lässig an, mit einem Handbruchhändedruck, Twi perfekt beherrschend, plötzlich einen Landrover dabei habend, schon zwei Jahre hier wohnend, alles total cool und lässig. Und dabei war der jünger als Kathi und ich, was dem ganzen so eine gute Portion Pilcher-Ironie aufsetzte.

Jetzt sind wir wieder hier und vorhin habe ich den Weihnachtsbaum geschmückt. Fröhlichen ersten Advent nachträglich, übrigens. Ich habe auch gestern ganz viel Geburtstagspost bekommen, einen herzlichen Dank an alle lieben Sender. 🙂 Ich muss mal meine Fotos sortieren, dann kommen wieder welche. Jetzt stürze ich mich mal wieder in die Vorweihnachtsgeschäftigkeit. Besucht ein paar Weihnachtsmärkte für mich mit!

20. November 2015
von Elisa Teichmann
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Ein dickes Walross

Da sind wir also angekommen, am Tag der Abreise zu unserem Zwischenseminar. Weil die Zeit sich so beeilt, sind jetzt bereits 10 Wochen unseres kostbaren Praktikums hier vorüber. Zeit, ein bisschen zu resümieren? Vielleicht schon etwas spät, denn ich habe eben gerade ausgerechnet, dass mir jetzt nur noch so um die acht Arbeitswochen hier verbleiben, neben Weihnachten, Ausgleichstagen und Urlaub. Aber es geht ja auch darum, das Land kennen zu lernen. Accra kennen wir jetzt ganz gut, das ist jetzt eine Heimat, wir wissen, was wir wie wo machen müssen und wo wir wie was finden. Soweit, so gut. Da gibt es aber noch so so so viel zu sehen und zu entdecken. Wir finden, wir möchten hier nicht eher gehen, als bis wir einen ordentlichen und ausgewogenen Gesamteindruck gewonnen haben. Und den kriegt man ja nicht nur von einer Stadt und ein oder zwei Wochenendhupferln in die nähere Umgebung. Nein, nein, nein, wir wollen mehr sehen und deswegen ist es gut, dass auch noch ein bisschen Zeit für Adventure Time bleibt.
Dabei ist ja hier eigentlich immer Adventure Time. Ohne zu lügen, kann ich sagen: das ist der coolste Job, den ich je hatte. Hier habe ich nie dieses Gefühl entwickelt, auf die Uhr zu schauen und zu denken „Jetzt noch zwei Stunden bis zur Mittagspause und danach noch mal 4 und dann kann ich endlich gehen“. Nope. Das ist ganz anders hier. Man kommt gerne zur Arbeit und man arbeitet gern, das Non-plus-Ultra an Tagesinhalt, früh aufstehen hat nicht diese bitterfiese Beinote, man macht das gern, hüpft ins TroTro, diskutiert so lange mit dem Mate und nimmt in der Endkonsequenz noch Mitfahrer zu Hilfe, bis man endlich das korrekte Wechselgeld ausgehändigt bekommt, dann sitzt man im Französischkurs und freut sich über sein Vorankommen, en fait je suis très contante que dans seulement quelques semaines je me suis améliorée tant que maintenant je peux avoir entières conversations avec Jérémy en français. Anschließend läuft man zum 37, kauft sich ein bisschen Obst und steigt ins Nafti-Taxi zur Arbeit, wo man dann in sein Büro tritt, die Sonne scheint vom Balkon her durchs Fenster, man darf die gestrig gemachten Fotos durchsehen und veröffentlichen, man darf mit Künstlern in Kontakt treten, deren Konzerte und Ausstellungen besprechen und organisieren, man ist Herr des Social Media oder man informiert höchst professionell wirkend auf Messen. Das Ganze kann man sich vielleicht so vorstellen wie eine dieser typischen Filmszenen in amerikanischen Komödien, in denen positive, motivationale Musik gespielt wird und erfolgreiche Entwicklungen in mehreren Wochen innerhalb eines Songs zusammengefasst werden, mit typischen Szenen aus dieser Zeit, die ineinander übergehen und dem Zuschauer vermitteln, dass es jetzt wieder bergauf geht. Was wäre mein Themesong? Ich glaube, ich würde mir „The man“ wählen, von Aloe Blacc, davon habe ich seit dem Wochenende in Cape Coast einen Ohrwurm und außerdem ist das was zum auf die Kacke hauen. I am the woman, yes I am. Klingt doch super.

Na jedenfalls bin ich hier zufrieden wie ein dickes Walross. Das ist mein Resümee. Wir haben jetzt Plantain, ghanaische Schokolade und natürlich Wengeze im Gepäck, um unseren fellow Seminarteilnehmern in Kigali dann mal zu seigen, die der Snackhase hier so läuft. Gestern war mal wieder pünktlich zum Rucksack packen Stromausfall, als ich gerade dabei war, den komplett in Schimmel eingebauschten Rucksack mit Spiritus einzureiben, gingen Licht und Ventilator aus und ich blieb zurück in meiner feuchtwarmen Grotte und sah die Hand vor Augen nicht. Zum Glück haben wir ja eine kleine Vorsorge für derartige Fälle, Max‘ batteriebetriebene Lampen, die so ein bisschen ein altes Burgfeeling vermitteln, die nimmt man dann immer in die Hand und läuft damit durch die dunklen Gänge, in die Küche oder zum Zähneputzen. Im fahlen Licht der Notlampe eröffnete ich außerdem das NoBite-Feuer auf die fiesen Mosquitos, die die Gunst der Stunde genutzt hatten, sich komplett in meinem Zimmer zu versammeln, einer der wenigen Lichtquellen im Umkreis. Ich kam also nicht wirklich zum Sachenpacken. Mein Boss machte mich außerdem darauf aufmerksam, dass mein Rucksack besser noch ein bisschen auslüften sollte, weil Brandbeschleunigergeruch am Gepäck beim Flughafenpersonal vielleicht nicht ganz so klasse ankommt und unsere Reiseroute ja außerdem sowieso schon als „verdächtig“ eingestuft wurde. Wir wollen niemandem was Böses, wir wollen einfach nur im Flugzeug sitzen und uns auf unsere Reise freuen. Gestern habe ich mir nochmal Charlie Chaplins wundervolle und weise Rede aus „The Great Dictator“ angesehen, die in diesen Zeiten wieder äußerst aktualisiert betrachtet werden kann: https://www.youtube.com/watch?v=CsgaFKwUA6g
Die Aufmachung in dem Clip sagt mir nicht ganz so zu, alles sehr pathetisch und plakativ, aber seine Worte bleiben die gleichen und ich musste mal wieder heulen. Vielleicht ist ein bisschen Hollywood-Pathetik manchmal gar nicht schlecht, um jemanden vom guten Kern der Menschheit zu überzeugen. „You have the love of humanity in your hearts! You don’t hate! Only the unloved hate – the unloved and the unnatural! Soldiers! Don’t fight for slavery! Fight for liberty!“ Wir sind schlau genug, um gar nicht erst Hass aufbringen zu müssen. Eigentlich.

Ansonsten bin ich in letzter Zeit auf der Suche nach einem Job für den zweiten Teil meines Gapyears, wenn ich dann im März nach Europa zurück gehe, „jung bin und das Geld brauche“. Habe jetzt fünf Bewerbungen abgeschickt, wenn noch jemand nen Tip hat, immer her damit. Ich kann Kommunikation, Marketing und Fernsehen und habe einen Hochschulabschluss. Cool, wa?

Manchmal vermisst man die kleinen, trivialen Dinge aus einer heilen Welt, wie zum Beispiel eine Waschmaschine, mit einem Bullauge, vor die man sich setzen kann und stundenlang zusehen könnte. Zumindest geht mir das so. Wir haben keine Waschmaschine, wir waschen in drei Bottichen mit Hand, meinen vorzüglichsten Dank an Max an dieser Stelle, das hat seinen Charme und seine Romantik, aber es ist hart anstrengend und die Sachen werden, bei aller Liebe, nur halbherzig sauber und riechen stets „neutral“. Wenn ihr das nächste Mal wascht – genießt den Duft von Waschmittel und Weichspüler, beobachtet, wie die bunten, wohlriechenden Flüssigkeiten langsam in die Kammern nach unten laufen, wie dann das Wasser zu rauschen anfängt, wenn ihr die Knöpfe und Rädchen betätigt und wie wunderschön die Wäsche duftet, wenn ihr sie dann auf den Wäscheständer hängt. Das sind wohl die kleinen Freuden des Alltags, die manchmal im janzen Scheißstress unterjehn.

So. Dann mach ich mal noch ein paar Stunden und hau dann rein mit Kathi. Bis Ruanda!

17. November 2015
von Elisa Teichmann
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Viel passiert immer und überall, manchmal irgendwo überraschender als anderswo

Eine Weile ist es her und ich merke, je mehr Tage vergehen, desto schwieriger ist es, wieder anzusetzen und auch einen ordentlichen, geeigneten Ansatzpunkt mit „Spritz und Drive“ zu finden. Gerade in dem Moment wischt sich Lischen mir gegenüber Rührungstränen aus den Augen, weil sie an ihre kleinen Klavierschülerinnen denken muss, sie hört gerade das Lied, was sie ihnen beigebracht hat. In den letzten Tagen haben wir oft geweint. Mal aus Trauer, mal aus Wut oder Rührung. Wir hatten auch oft Magenschmerzen oder fühlten uns schwach und konnten trotzdem nicht schlafen. Es ist viel passiert, jeden Tag passiert viel und in der menschlichen Natur im Allgemeinen und in der Nachrichtenwerttheorie im Besonderen liegt es, die Nähe zu einem selbst als ausschlaggebend für Relevanz und Reaktionen zu erachten, was weniger mit Ignoranz oder Desinteresse, sondern mit ungeheuchelter Ehrlichkeit zu tun hat. Das ist eine Meinung. Manchmal fühlt man sich eher allein.

Meine erste Urlaubswoche liegt hinter mir und meine Eltern sind gestern wieder nach Hause geflogen. Weil ich mal komplett die Beine baumeln lassen wollte, habe ich auch nichts von uns hören lassen. Ich wollte meinen Eltern mein Accra zeigen, mit all seinen Eigenheiten und Facetten und in all seinen Varianten und Ausmaßen. Das beinhaltete Sardinenquetsche-Tro-Tro-Fahrten, Schweiß- und Lärmmärsche über den Makola Market, brandheiße Verhandlungen mit hochchristlichen Taxifahrern, eine Abendbrotreise durch verschiedenste Köstlichkeiten, das Spiel „Wer kann am besten den nervigen Verkäufer ignorieren?“, rauschende Superströmungen mit gestrandeten Walrossmanövern, Kakerlakentänze in Strandjurten, „Inseln der Moderne“ sowie „Ghanaische Rohbauten“, von meinem Papa geprägt. Wir lachten viel zusammen, zankten viel zusammen und machten es uns in gewohnter Weise nicht immer leicht. Mein Geburtstag war der wunderschönste, wenn man diese von mir sehr gemochte „Wahnsinnig verliebt“-Filmstrategie verfolgt und bis zur ersten Hälfte des Films die Geschichte aus einer Perspektive erzählt. Leider gab es aus der Sicht der zweiten Hälfte ein paar wirtschaftsingenieurstechnischen Komplikationen, die mich zunächst sehr traurig, dann grübelig und schlussendlich wütend machten. Was lernt man daraus? Ich könnte jetzt sagen Toleranz und Gelassenheit. Allerdings bezeichne ich mich als einen toleranten Menschen und habe schon vor fünf Jahren mit der Gelassenheitsumschulung begonnen, also was soll’s, es würde wahrscheinlich immer wieder so laufen und irgendwie hat das ja auch etwas vom unüberbrückbaren „Weihnachtsstreitphänomen“. Allerdings gehöre ich eher zu den Leuten, die es als selbstverständlich ansehen, einen überaus geliebten Menschen einfach mal anzurufen an seinem Geburtstag.
Jedenfalls, um zur Sicht der ersten Hälfte zurück zu kommen, fuhren wir an den Strand in Kokrobite, stürzten uns in den lauwarmen Atlantik, speisten abends beim Franzosen burgundisches Rind und anschließend gab es noch eine Karaokesause mit meinen Mitbewohnern. Ich durfte singen und es wurde sogar für mich gesunden, der ganze Laden sag auf einmal und ich schlug die Hände strahlend vors Gesicht, es war süß und ich war zu diesem Zeitpunkt bereits 25 Jahre alt. Es war ein herrlicher Geburtstag, so will ich mich daran erinnern. Bin ich jetzt alt, muss ich jetzt heiraten und Kinder kriegen? 30 ist das neue 25, also trinke ich noch ein bisschen mehr Wasser und denke an mein Feuchtigkeitsfluid.

Am Wochenende sind wir dann nach Cape Coast gefahren, der Bus fuhr vier Stunden und zwei Stunden lang durften wir wieder einer Schreipredigt hören, anschließend verkaufte der Typ dann noch „Wunderpillen“, die Leute fuhren ab auf das Zeug wie nichts. Das war wieder aus psychologisch-soziologischer Sicht eine sehr lehrreiche Aktion, aber der HNO-Arzt hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen – viel zu laut und außerdem viel zu anstrengend für den Schreihals. Religion hat hier nichts mit Privatheit zu tun, die wird einem überall aufgedrängt und ins Ohr gebrüllt.
Wir hatten dann eine sehr interessante Führung durch Elmina Castle, Kwame wusste sehr viel über die Geschichte der ehemaligen Sklavenburg und vermittelte sein Wissen auf eine sehr sensible Art und Weise.
Wir wohnten dort in einem kleinen Paradiesresort, direkt am Meer, schliefen ein mit dem Meeresrauschen und dem entfernten Dudeln von „Daddy Cool“ von der Tanzfläche.
Ich habe das Gefühl, ich habe noch viel zu wenig erzählt von dieser schönen Urlaubswoche, aber ich belasse es bei der kleinen Zusammenfassung. Das war unsers. Danke, Mama und Papa, für die schöne Zeit.

Am Freitag wollen wir reisen nach Ruanda und haben noch immer unsere Pässe nicht. Es bleibt spannend und nervenaufreibend. Werden Sie ihre Pässe am Freitag haben? Wird das Visum verlängert worden sein? Werden wohl ominöse Strafzahlungen auf unsere beiden Reisenden zukommen? Schauen Sie demnächst wieder vorbei.

Das war heute ein relativ knackiges Update, gerade mal im Siebenhunderter Wortbereich.
Muss erst wieder zur alten Form zurück finden.

8. November 2015
von Elisa Teichmann
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High Tech und High Willkür

Planmäßig in drei einhalb Stunden landen meine Eltern hier in Accra und ich will mir lieber gar nicht vorstellen, wie nervös sie jetzt gerade sind. Als wir gestern Abend noch telefoniert hatten, standen sie kurz vor dem Herzinfarkt, als ich, leicht „scherzhaft“ meine Überraschung anteasern wollte, die dann leider ins Wasser fallen musste, um sie nicht komplett aus der Bahn zu werfen und in einem Anfall von Last-Minute-Panik doch wieder in Erwägung ziehen lassen sollte, irgendeine Botschaft zu konsultieren. Jedenfalls meinte ich nur noch, als letzte Bemerkung beim Telefonat: „Das ist jetzt ganz wichtig, hört bitte genau zu: Wenn ihr am Flughafen ankommt, sucht nur nach eurem Namen, lasst euch von niemandem ansprechen und vor allem nicht anfassen und mitzerren, egal, was derjenige sagt, schaut nur nach eurem Namen, okay?“ Gut, es kann sein, dass ich das ein wenig zu sehr im Agententhriller-Style ausgespielt habe, meine Eltern hörten sich jedenfalls stotternd-hysterisch an und fragten immer wieder völlig bestürzt „Was? Du bist dann nicht am Flughafen??? Du bist dann nicht am Flughafen???“. Ich musste also die Wahrheit auspacken, dass ich sehr wohl am Flughafen sein würde, dass ich allerdings einfach nur überraschungsmäßig so tun wollte, als wäre da jemand anderes, mit dem Schild, was ich extra vorbereitet hatte. Mein Vater sagte mir dann, er hatte mich schon in den Fängen nigerianischer Terroristen gesehen. Ironischerweise lag ich zum Zeitpunkt des Gesprächs in meinem Bett und schaute mir eine Sat1-Liebesschnulze auf Youtube an (Ja, darauf hatte ich halt mal Bock.).

Übrigens ist die Ankunft in Accra normalerweise wirklich genau so, wie ich es beschrieben hatte, das war nicht mal übertrieben. Wenn man aus dem Gebäude heraustritt, dann ist das ein bisschen wie bei The Walking Dead, ich nenne das hier mal The Walking Taxifahrer, weil da dann so an die 50 Taxifahrer in einem Pulk stehen und im perfekten Reisverschlussprinzip deinen Ausweg versperren und dich empfangen mit „Ich habe schon auf dich gewartet, komm mit!“ oder „Ja, ich bin hier, um dich abzuholen!“ und dich am Arm packen. Das ist erstmal ein ziemlich origineller Empfang. Ich bin mal gespannt, wie ich mich nachher bei The Walking Taxifahrer eingliedern kann, ohne entweder einer von ihnen zu werden oder heillos unterzugehen.

Aber Mama und Papa, ihr nehmt mir das ja jetzt hoffentlich nicht böse, ich fand das eher sehr niedlich, ich freue mich auf euch mit genau der gleichen Freude wie in dieser einen denkwürdigen Situation in der Mondgruppe bei Benjamin im Wildhüterwegkindergarten, als die superstrenge Beate uns schon im Bulldozerton angeherrscht hatte „SO, IHR MACHT JETZT ABER AUCH SOFORT MITTAGSSCHLAF HIAR!“ und im allerletzten Moment Herr Wittlich als Held durch die Tür der Mondgruppe getrabt kam, um uns abzuholen. Ich glaube, ich habe ihn in diesem Moment tatsächlich in Slow Motion rennen sehen, ich erinnere mich auch an Benjamins und meine Freudenschreie nur noch in Slow Motion. Das sind so diese besonderen, heroischen Freudemomente im Leben und so freue ich mich auf euch. 🙂

Am Freitag hatten wir ein kleines Event am Goethe-Institut, was ich erstmals ganz allein organisiert hatte und somit auch der Conférencier der ganzen Sache war, mein Künstlerkumpel Jonathan und seine Kollegen kamen für eine Präsentation ihrer Erfahrungen beim African Futures Festival. Das war dann ziemlich cool, weil sich herausstellte, dass Jonathen die erste Firma in Ghana betrieb, die mit Virtual Reality arbeitete, ich löcherte ihn anschließend mit Fragen und dann durften wir auch alle das Google Cardboard ausprobieren, sogar Mr. Adom wollte mal und wurde fast nicht wieder. Für mich hatte das alles so etwas von nostalgische Futuristik, ich dachte die ganze Zeit daran, wie die Leute wohl auf den ersten Fernseher oder das erste Radio reagiert hatten, diese ganzen leicht zaghaften Bewegungen und Berührungen und Blicke, dieses Verzaubertsein von einer ganz neuen Dimension, es war herrlich und spannend und witzig. Jonathan fragte uns dann noch, ob wir zusammen mit ihm und seinen Kollegen ein Bierchen trinken würden und so saßen wir noch eine Weile zusammen im Hof. Kathi fand den Jonathan übrigens auch „sehr schön“, vielleicht erinnert ihr euch ja an mein erstes Treffen mit ihm bei dem Jamestown-Dreh, ja, der hat irgendwas…Weltmännisches? Liegt vielleicht daran, dass er in Kanada studiert hat, alterslos zu sein scheint, diesen eleganten, aber gleichzeitig casual Kleidungsstil hat und Atheist ist. Ein ghanaischer Atheist, in etwa so wahrscheinlich wie ein französischer Veganer. War uns allen jedenfalls sehr sympathisch.

Kathi und ich zogen dann noch weiter, weil wir endlich mal das „Buka“ ausprobieren wollten, ein sehr hoch gelobtes Restaurant mit ghanaischen und nigerianischen Spezialitäten (wahrscheinlich laut denen ausschließlich nigerianische Spezialitäten, weil die Nigerianer immer alles erfunden haben, immer und alles). Das hatte leider zu, als wir 21:34 dort aufschlugen. Na gut, dann wurde weiter gesucht, wir landeten bei einem Inder mit der leckersten Chicken Tikka Massala meines Lebens, ich wollte mich da einfach rein legen. Wir einigten uns darauf, dass wir unbedingt nach Indien wollten. Bea schwärmt auch immer so von Indien. Ich will unbedingt mal nach Indien! Na, erstmal einen Job finden ab März. Dann klappt das vielleicht nächstes Jahr. Am liebsten möchte ich nach Paris. Pah! Hahahaha. Mit einem sehr wohlwollenden B1-Level. Aber nur, wenn man alle Augen zudrückt. Unmöglich? Wahrscheinlich. Aber ich denke man einfach an diesen weisen, abgenudelten Brechtspruch.

Gestern war Flohmarkt am Goethe-Institut, aber nicht, wie man sich das so vorstellt, eher so High-End-Luxusflohmarkt mit allen möglichen hochwertigen Neuwaren. Wir hielten uns ungefähr drei Stunden dort auf, weil es einfach so viel zu sehen gab und zu stöbern und es war ja alles so schön, man konnte sich kaum zurück halten im Kaufrausch. Mein Bagelkumpel Solomon war wieder da, er freute sich, mich zu sehen, schenkte mir einen Zimtbagel und ich schwatzte ein bisschen mit ihm, fand heraus, dass er eigentlich aus Gambia war, ich sagte ihm, ich möchte gerne einen Film machen und würde mich freuen, wenn ich ihn interviewen dürfte einmal. Da kam mir dann nämlich die Idee für meinen Projektfilm. Aber das ist eine andere Geschichte.
Nachdem wir uns satt gesehen und -gekauft hatten, ging es weiter zum Makola Market, weil wir mal wieder neue Klamotten brauchten. Der Schimmel in meinem Zimmer hat bisher zwar nur meinen Reisepass, mein Mosquitonetz und meine Handtasche angegriffen, aber der Zerschleiß ist hier irgendwie sehr groß, durch fehlende Waschmaschinen. Ach, apropos Reisepass, da gab es ja noch eine freitägliche Episode vom Immigration Service. Wir mussten nämlich uns Vism verlängern. Klar, logisch, unser sechsmonatiges Multiple-Entry Visum reicht natürlich nicht. Ich erlaubte mir dann, den Official mal zu fragen, wonach sich denn das richte, wie viele Tage Visum man bei der Einreise nach Ghana erhält. Er meinte dann, ganz unverblümt und stolz zu mir: „Ja, das richtet sich nach dem Beamten bei der Einreise, der entscheidet das, das können 30 Tage, 60 Tage, aber auch nur ein paar Stunden sein“. Wie bitte? Der denkt sich dann also „Joa, Alde, wenn mir dein Gesicht nicht passt, dann kannst du dich mal ganz hinten hier anstellen, ich kann dir auch nur ein drei-Stunden-Visum erteilen, nje-heh-heh-heeeeh“. Bestens. Willkür wie im tiefsten DDR-Dickicht, aber hier noch ganz offiziell und freundlich zugegeben. Wir lernen also daraus, Ghana macht einen auf Berghain. Ganz offiziell. Da kann sich dann jeder drauf einstellen und hoffen. Es ist doch einfach nur ein großer Scherz. Freedom and Justice. Für. Den. Arsch.
Jedenfalls warten wir jetzt auf unseren Reisepass, ich habe dem Beamten freundlich erklärt, dass ich den aber spätestens am 20.11. wieder brauche, weil wir da das Land verlassen müssen. Er kann für nichts garantieren. Großartig. Einfach großartig.

So. Ich werde mich jetzt mal um meine Französischhausaufgaben kümmern. Und mich so langsam fertig machen zur Flughafenabfahrt. À plus!

4. November 2015
von Elisa Teichmann
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Fair-y-tales

Once upon a time, Yesterday, to be precise, I had my first encounter with the famous Malaria self-test. Not for me, though, but for my dear colleague and friend Lisa who could hardly stand up in the pharmacy especially when that old guy with those shaky hands needed three attempts to pinch her in the finger and press out some blood. I stood there in the almost darkness, holding his phone in my hands in order to provide some light and then, of course, one part of the test fell on the ground. Lisa was just hanging there in my other arm and this whole scene seemed way too bizarre to be true.

Negative is positive. It was a strange and yet embarrassingly familiar feeling, staring at this little plastic stick, hoping that the second line would not show. And it did not. So we thanked the guy (that I met again today in the TroTro, surprising me by asking in a very considerate way how she would feel today; yes, he was considerate but I didn’t like the way in which he insisted on prescribing her some medicine against Malaria – why would you fight the symptoms and deceive potentially further, necessary tests just because you believe in some kind of undisputed power of pharmaceutical industry?) and left, going back to her new place, where I left some bread and egg for her to gain back some strength. How I got this is another very lovely episode:

Yesterday I started working at WACEE fair (which actually has the slogan „not just another fair“ – after two days I still haven’t found out what this apparently „very special fair“ characteristic should be) at the International Conference Centre which is close to Lisa’s former apartment. I knew that she used to get the most delicious bread and egg which is another popular street food on the same level as Indomie (or as Döner in Berlin <3). So I was asking my way thorough, telling a shop assistant about my friend who might have malaria and feels very weak who then called her daughter to take me to a place where I could get her beloved bread and egg. Her daughter might have been 14, carrying her little sister of one and a half on her arm, talking very politely with me, gathering all my tiniest Twi-knowledge together. She led me into a narrow alleyway which ended in a little backyard where half a dozen women were sitting on little stools. I explained them, half Twi, half English, Lisa's situation and said that they would surely know her, an Oboruni just like me. They did know her and called her Adjoa, the Tuesday born, they even knew how she liked her bread and egg. I was stunned. I was sitting there among those women in this private backyard and they were chatting with me and treating me like I was an old friend, not the rude and spoiled Oboruni, but somebody they like to be nice with. I enjoyed that little, coincidental encounter, paid and took the bread and left onto the street.

Luckily, Lisa is feeling better now. I am convinced it was the power of the bread and egg which is way more powerful than any item of the pharmaceutical industry. And of course, the goodwill of those women.
Ironically I am feeling quite bad now, coughing, having a sore throat, even though I was running around with a scarf all day, looking terribly ridiculous. I shouldn't have watched "Hello" again, I was crying like a Baby, sobbing onto my pillows which slowly dissolve in mouldiness and an unbearable odour.

The fair has been a lot of fun, though. It is an experience. Especially when people approach you like this: "I want to ask you a question which is not work related: I want to marry a German lady. What am I supposed to do to make this happen?" Ohhh boy. You asked the wrong German lady. It was a feast of argumentation. I was in 7th debate heaven. At the latest when I said "So you say you want to marry a German lady because they are smart. So that means Ghanaian ladies are not smart or what?" and he began to struggle and stammer and look for words I knew that there was just missing one final hit to knock him out: "I am sorry but I think your approach is absolutely egoistic and irrational. You want to marry someone just because of their nationality which means just because of your own personal and professional advantages. This is pathetic and ridiculous, I am afraid I cannot help you." 1 for me, 0 for the lonely heart guy.
Then, of course, you have the polite but persisting guys that want to convince you of having a younger husband who cannot offer you anything is just not good for you. "You know what? Women in Germany do know very well how to take care of themselves. I don't need a man for that and moreover I like younger man because they are more fun. Thank you, see ya". Throughout the fair, this thing developed in some kind of game, a little race, a surreal debate that had a very controversial foundation. I haven't really got yet why so few people on that fair behave professionally. Or why professionalism here seems to have a completely different definition. Anyways, he have talked a lot within the last two days and also made a lot of really nice and relaxed contacts. There was this Chinese guy today, Michael, who couldn't really get over the fact that I did not have a German but a British accent just because I watched every episode of "The IT crowd" (which he actually knew and THIS was extremely likable). He told me that the Chinese go crazy about this one German series which I didn't even know, starring Martina Hill. He said we all should go for a beer sometime and I said as German I would always be in for a beer.

The lines are getting blurry now. I am really starting to feel dizzy. What is this, why are those tropical diseases or infections always so weird? I think I need a shower. And some tea. And a good night's sleep.

I was also crying today when I watched this video: https://www.youtube.com/watch?v=JozAmXo2bDE
Not because I was sad or felt reminded of some dark chapter hidden in a remote corner of my past but because I was just happy to see it. Because apart from all social, political, economic or ethical issues, those people created something big and unbelievably beautiful. They really kick ass. And they deserve so much that the band is actually playing for them tonight. You really know how to rock, Cesena. And how to move me.

1. November 2015
von Elisa Teichmann
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Oh Lord, won’t you take a picture with me?

Gestern Nacht habe ich Jesus getroffen und hätte nicht gedacht, dass der doch tatsächlich so viel Charme hat. Es ist schon wieder spät am Allerheiligensonntag. Wie gut, dass es dieses schöne Phänomen names Habituation gibt und ich die Ohrenbetäubungskriche ab 6:30 Uhr eigentlich gar nicht mehr wahrnehme. Meine halbe Abendbrotpapaya liegt leer gegessen neben mir auf dem Nachttisch und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich in meine Gemüsepfanne vorhin vielleicht doch nicht den Rest Brie und den Rest Butter als Kühlschrankentleerungsmaßnahme hätte rein rühren sollen. Ich muss planmäßig in 8 Minuten schlafen, also beeile mich mich mal lieber mit dem ganzen Palaver hier. Ich nenne das nicht so, nur Leute, die Dr. Gonzo nicht gelesen und/ oder verstanden haben, die nennen das so.

Obwohl ich ja Atheist/ Agnostiker bin, hat mich mein gestriges Kurzdate mit Jesus doch ziemlich geflasht. Ich meine, ich wusste nicht, dass Jesus doch so sexy ist. Und einen kalifornischen Akzent hat. Es war nämlich so, dass wir anlässlich der großen Jack-Skellington-Nacht ein gruseliges Club-Hopping veranstalten wollten, unsere eigene Halloweenparty wurde aus „privaten Gründen“ lieber gestrichen. Wir hatten auch kein Kostüm, was natürlich auch nicht ganz so von Vorteil war. Aber wie der Zufall oder eine ausgeklügelte Marketingstrategie es so wollten, stand da vor unserem ersten Club eine Truppe gut ausgebildeter Maskenbildnerinnen mit allerlei Schminkzubehör und Make-up-Vorlagen auf den Smartphones. Wir waren dann natürlich alle angetan, ich ging als etwas Undefinierbares, weiß gezacktes, Jérémy meinte, das wäre der Clown Pierrot, aber der hat meiner Meinung nach mehr Stil. Jedenfalls sahen wir dan alle ganz hinreißend furchteinflößend aus, Magnus floss das Blut aus den Augen und Becky verschreckte wirklich jeden, weil ihre Vampirvisage so unglaublich echt aussah. Im ersten Club waren die Leute dann mal wieder Fan vom Linedance, ich ja eher nicht so, hatte aber dennoch was Urdrolliges, den Papst beim sehr versierten Abdancen in der front row zu beobachten. Wir reihten uns dann natürlich irgendwie mit ein, eine schrittsichere Ghanaerin nahm mich dann beherzt bei der Hand und schob und zog mich in die jeweils richtige Position, ich fühlte mich wieder wie der letzte Körperklaus im Aerobickurs. Und dann war er da plötzlich, mit einem Heiligenschein und einer Schar Mädchen um ihn herum, strahlte einfach so, der Jesus. Wir waren hin und weg und wollten auch in die Gunst seines Zaubers kommen, der machte dann aber den Abgang zur nächsten Venue, wir ließen uns aber nicht abschütteln und sagten einem herbei eilenden Taxifahrer „Follow Jesus!“. Das tat der dann auch und wir fanden ihn wieder im Fire Fly, wo wir durch den Extra-Gruseleingang rein durften, ob unserer angsteinflößenden Gesichter. Es wurden dann erstmal Hochglanzfotos von uns zusammen mit dem Staff gemacht, dann schoben wir uns in die berstende Menge und hielten Ausschau.

Erstmal aber waren da zwei Typen mit leicht russischem Akzent, die uns einfach auf Deutsch anquatschten und dann meinten, mein Beutel hätte uns verraten, ja, der hübsche emeraldfarbene Uni-Jena-Beutel hat es wohl drauf. Die Heren luden uns dann nämlich ungefragt auf ein paar Drinks ein, an der Seite hatten sie eine kleine Privatbar aufgebaut, man hatte es offenbar. Heute Morgen fand ich dann eine Visitenkarte einer der Herren in meinem Beutel, eins von zwei Fünf-Sterne-Hotels in Accra, das wurde mir jetzt erstmal bewusst, ich hatte im Eifer des Gefechts und zwischen dem ganzen lauten Gewummere kaum etwas verstanden. Wir fanden Jesus wieder und fassten ihn mal kurz an, er hielt dann seine hand über einen jeden von uns und strahlte mit seinen weißen Zähnen und leuchtenden Augen. Jesus hatte noch weitere Fans abzufrühstücken, also tanzten wir ausgelassen und irgendwann schenkte uns so ein Kerl ein paar Stückchen Torte, da hatte wohl gerade jemand Geburtstag, manchmal hilft Wünschen eben doch. Wie lange schon hatte ich nicht mehr derartig luftig fluffige Erdbeercremebiskuittorte gegessen…yummy.

Irgendwann stolperten wir wieder nach draußen, dort warteten Hassan und Toffic, vielleicht erinnert man sich an die Gentlemen, die sind ja nun schon zum festen Bestandteil unserer Ausgehnächte geworden, früher oder später tauchen die auf mit ihrer Familienkutsche, nie ein Tropfen Alkohol, immer zurückhaltend und freundlich. Dann war der Moment, in dem wir tatsächlich ein Foto mit Jesus machen durften, wir fragten einfach und er lachte nur und stand bereit. Ich hätte mich ja gerne noch weiter mit Jesus unterhalten, aber der Kerl ist eben busy, er verschwand in der Nacht und später sahen wir ihn noch die Oxfordstreet entlangschlendern mit einem Mädchen, „I bet Jesus is getting laid tonight“. Nachdem Magnus dann im Club erkannt hatte, dass sein Tinder-Date eine ziemliche Enttäuschung war, machten wir nen Abgang zur nächsten Location, quetschten uns in die Familienkutsche und trällerten ein bisschen zusammen.
Jesus war nicht mehr da und unsere Schminke fühlte sich nunmehr trocken und fahl an, irgendwann hatten wir keine Lust mehr und dann gab es Egg and Bread, das tat gut und schmeckte unglaublich. Wir wurden am Danquah Circle abgesetzt, legten eine ausgiebige Bürgersteig-Tanzsession mit einer Barbesitzerin zu unserem Lieblingssong „My woman, my everything“ ein und unterhielten die Umsitzenden. Dann gab es ein paar obligatorische Gute-Nacht-Indomie und ich kriege schon wieder Hunger darauf. Das war ein Halloween der besonders spirituellen Art.

Am Nachmittag hatten wir noch eine weitere spooky time, mit meinem Französischkumpel Mubarak fuhren wir nämlich ins Planetarium und nahmen an ein paar „gruseligen Experimenten“ teil, das ganze war als Familienevent ausgeschrieben und wir dachten uns, dass das doch bestimmt ganz cool werden konnte. Das war es dann auch, nach dem ersten kleinen Schock darüber, dass wir die einzigen Volljährigen ohne direkten Kinderanhang waren. Wir bastelten Thaumatrope, die mich an X-Factor und Jonathan Frakes erinnerten und sahen im Anschluss noch einen kleinen Film über die Unbeständigkeit des Universums in der Planetariumskuppel. Ich liebte das wirklich und hätte da noch Stunden drin sitzen bleiben können.

Jetzt ist es schon viel zu spät, ich muss ins Bette, hopp hopp.
Je dois me lever trop tôt demain.
A plus, bonne nuit, gros bisous.
Amen.

29. Oktober 2015
von Elisa Teichmann
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Versuch und Irrtum

Adele hat gute Chancen, den Youtube-Hit des Jahres zu landen. Das hatte ich gerade gelesen und mir gedacht, na gut, dann höre ich mir das doch mal an, so in der Pause, ist gerade niemand da, also Kopfhörer auf, Vollbild an und bitte. Nach der zweiten Songzeile schluchzte ich bereits hemmungslos. Ich frage mich, wann ich das letzte Mal so haltlos und leidenschaftlich und befreiend geheult habe. Anscheinend geht das ja noch mehr Leuten so, wenn die Gute bereits mehr Klicks hat als der neue Star-Wars-Trailer. Ist ja auch irgendwie beruhigend und weniger schmalzig, wenn man so bei sich denkt: „Okay, gut, die besingt nicht nur genau deinen Kram, das geht auch noch gut einer Million anderen Leuten so“. Leider kommt man dann doch auf sehr schmalzige Ideen. Wenn Geburtstag und Weihnachten näher rücken, dann hängt halt immer so ein sehr großer Zwangsgleichgewichtsdruck in der Luft, alles will man schön und bereinigt haben und da passen so Adele-Texte und jede Nacht fieser zubeißende Alpträume eben gerade nicht so. Versuchen ist gut und Zeit vergehen lassen auch aber uncool, wenn man doch nur so im luftleeren Raum hängt.

Normalerweise schiebe ich das ja auch ganz gekonnt weg, es gibt ja so viel zu organisieren. Dienstag stand nun das große Konzert an, das dann doch nicht ganz so groß ausfiel, weil kaum Leute gekommen waren. Ich glaube, der deutschen Band zumindest war das nicht ganz so genehm, obwohl sie sich natürlich höchst professionell nichts anmerken ließen. Die Kinder waren goldig wie immer, tanzten und sangen auf ihre entzückende, leichte Art und Weise und strahlten mich an und mal traute eine sich auch, was zu sagen „You are beautiful!“, das hört man hier oft aber ihr kaufte ich das tatsächlich ab, obwohl sie mit ihren goldenen Ohrringen und dem strahlenden Lächeln natürlich viel schöner war. danach bekamen alle Jollof Rice und Chicken und eine Fanta und Becky erklärte mir, dass einige von den Kids vielleicht nie Chicken bekommen und auch sie damit aufgewachsen ist, dass es sowas eigentlich nur an Weihnachten gab. Ich war umso glücklicher, dass wir den Lieben eine derartige Freude bereiten konnten. Manchmal kann man eben doch genau das Richtige machen.

Gestern Abend konnte ich endlich mal wieder Spanisch sprechen, eine ganze Stunde lang, mit meiner lieben Petra, mit der ich ein halbes Jahr in Chile in unserer Knuta zusammen gewohnt hatte. Das war wieder mal eine dieser seltsamen Weltvermischungen, wir waren uns einig, dass wir der Zeit stetig, aber ungewollt nachtrauerten und wussten, dass sie einmalig und unwiederbringlich ist. Das fühlt sich schal an, aber wir versuchen ja, das Beste daraus zu machen, wie gesagt. Vor genau zwei Jahren hatten wir unsere Trampertour durch Chilóe und schwelgten in Erinnerungen. Wie das so ist mit den Erinnerungen, beziehen die ja leider auch immer Ecken mit ein, die nunmehr tabu sind und in die man sich wirklich nicht verkriechen will aber dann wird etwas erwähnt und dann ist es schon da und man hat es gehört und will eigentlich gleich wieder zurück und das vergessen und verhören aber der Magen krampft sich schon ganz widerlich zusammen. Na jedenfalls geht es weiter, alles dreht sich weiter und wir gehen weiter. Wir sind ja nicht vorbei. Und damit hatte ich dann an einem Tag vier Sprachen gesprochen und war glücklich darüber. Man ist hier eben viel beschäftigt. Das ist das richtige Leben jetzt, mit 40-Stunden-Woche Plus und auf eigene Faust. Ich bin oft für mich, aber nicht einsam. manchmal ist es gut, einfach für sich zu sein. Viel Nachdenken. Und dann über den Berg kommen.

Es gab dann hier eine Lesung von Prof. Anyidoho, der diese begann, indem er eine indigene Weise sang, die angeblich von seinem Onkel komponiert wurde. Ich war hin und weg und stellte mir einen deutschen Professor vor, der seine Lesung mit „Theo, spann den Wagen an“ beginnt. Warum wird so wenig gesungen, im akademischen Kontext? Warum hat Gesang so einen niedrigen Stellenwert in meiner Kultur? Oder, vielleicht keinen niedrigen, aber einen so auf einen breiche festgelegten, warum gibt es da keine Überlappungen in andere Bereiche? Das war jedenfalls der genialste Icebreaker aller Zeiten. Alles war still. Der Professor hatte nun die ungeteilteste Aufmerksamkeit. Das einzige Geräusch kam von den ab und zu über uns her flatternden Fledermäusen. Kleine Batmans. Mir gefiel seine Lyrik und die Art und Weise, wie er sie vortrug. Ein weiser, alter Mann, der über sich selbst lachen konnte und sich selbst auch sehr kritisch sah. Mubarak war gekommen, ein äußerst sympathischer Kerl aus meinem Französischkurs, „Bonsoir Elisa“ hörte ich auf einmal von hinten und dann setzten wir uns gemeinsam an den Tisch und lauschten und ich erklärte ihm meine Canon und jetzt möchte er auch gerne so eine.

Irgendwann schlief ich dann später in meinem Büro auf dem Schreibtisch ein, eigentlich wollte ich nur die Kamera wegbringen und dann auf Becky und ihren Fahrer warten, aber ich hielt nicht mehr wirklich meiner Müdigkeit stand. Schließlich nahm mich der Soundtechniker im Auto mit, vorher hatte ich noch erfahren, dass einer unser Wachmänner, ein sehr groß gewachsener, den ich noch nach seiner Größe fragte, er darauf aber nur schüchtern wegschaute und lächelte (anscheinend ist es hier peinlich, um die 2 Meter zu sein), einen Doktor gemacht hatte, ein Ingenieur war, aber nun viel zu teuer für den Arbeitsmarkt sei, das meinte Becky. Das tat mir in der Seele weh, ich wollte ihn anschreien und ihm sagen „Meine Güte, Sie sind ein so kluger und sympathischer Kerl, ich flehe Sie an, bitte machen Sie etwas aus sich und vertun nicht ihr Leben in diesem weißen Security-Shirt!“, da kam dann das Auto und nahm mich mit in die Nacht. Am gleichen Tag meinte mein Twi-Lehrer Chambas zu mir: „Freiheit gibt es nicht in Ghana“. Ich habe gestern viel gelernt.

„At least I can say that I’ve tried“.

26. Oktober 2015
von Elisa Teichmann
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Weißes Pulver und leichte Mädchen

Meine erste ghanaische Schokoladentafel ist fast alle und ich erinnere mich an die ghanaische Schokolade in Paris, bei Patrick Roger, 75%ige Wuchermasse, hier ganz bescheiden und mit einem weißen Film überzogen, erinnert an Kuchenglasur, meinte Kathi. Stimmt, da zündet dann einfach wieder das alte Rodolphe-Lindt-Conge-Argument. Ich esse sie trotzdem und denke dabei an Weihnachtskalenderschokolade, bald ist es ja wieder soweit, aber zunächst erst mal Halloween. Wir schmeißen eine Party am Samstag, das soll ganz groß werden, mit vielen Wurstfingern und blutigen Tüchern und was sonst noch dazu gehört. Vielleicht kriegen wir es ja sogar hin, einen traditionellen Kürbis zu schnitzen. Kathi haut erst mal rein am Mittwoch und kommt erst Samstag wieder, das ist natürlich schade, weil sie eigentlich Hauptinitiatorin war, aber wir machen das schon alles irgendwie, hier klappt das auch immer ohne viel Vorbereitung.

Als wir uns dann am Samstag so langsam aus den Betten rollten, auf der Veranda den Gossip der letzten Nacht austauschten und einen ausgiebigen Snack zu uns nahmen, ging es daran, die nächste Night out zu planen. Diesmal sollte es nach Kokrobite gehen. Insgeheim spielte ich ja immer noch mit dem Gedanken, einfach doch als Roadie mit nach Takoradi zu fahren, der Hipsterdrummer hatte mir dann tatsächlich noch geschrieben und mir gesagt, wann ich wo sein sollte, das hatte alles schon wieder was sehr Cineastisches. Aber ich wollte nur pennen, ich wollte nicht dort um 10 auf der Matte stehen und wollte auch nicht mit den eher arrogant und dünkelig wirkenden anderen beiden Bandmitgliedern in ein Auto gepfercht werden und mir deren Selbstbeweihräucherung anhören. Also drehte ich mich nochmal um und entschied mich doch für Kokrobite. Dort sollte nämlich eine dicke, fette Oboruniparty steigen, erst später erfuhren wir, dass ein gewisser Tony zu seinem 40. Geburtstag lud. Das hörte sich erst mal nach einer „10 nackte Friseusen“- Ballermannparty an, entpuppte sich dann aber zu etwas ziemlich Magischem. Aber dazu später mehr.

Als erstes besuchten wir nämlich am Nachmittag die 10th annual Vegfair in Osu und waren sehr überrascht von der recht üppigen vegetarischen community, die sich doch in Accra aufzuhalten schien. Es gab Schokoladen- und Kokosbrot, frischen Ananassaft und Tofukekse, die an Tassensuppenpulver erinnerten. Wir saßen dann ein bisschen in der Sonne und tankten unsere Batterien auf, weil es ja schon bald darauf nach Kokrobite gehen sollte.

Herausgeputzt und aufgebrezelt machten wir uns schließlich auf den Weg, Kathi, Beatriz und ich, wartend auf eine französische Freundin von Bea, die schon bald so nervte, dass ich mir gewünscht hätte, mich irgendwie anders im Taxi hingesetzt zu haben. Nach über einer Stunde fragwürdigem Gequatsche und noch fragwürdigeren Witzen von meiner rechten Seite her, zwischenzeitlich gepaart mit grobschlächtigen Anremplern hatte ich die Alte sowas von satt und war überrascht und absolut erleichtert, als Kathi sich, endlich am Ziel angekommen, dankbar in meinen „Die Alte nervt mich ja so unglaublich“-Kanon mit einreihte. Wir kamen dann zu dem Schluss, dass man nun, mit Mitte Zwanzig, eine zumindest so gut ausgebaute Menschenkenntnis hat, dass man bei manchen Leuten einfach auf Anhieb weiß „Die sind einfach bescheuert“. Ohne Vorbehalte, mit sehr gutem Willen, man lässt sich ja gern drauf ein und fragt nach und ist ganz freundlich, aber wo nur Scheiße kommt, da ist halt nicht gut Kirschen essen. Wir hielten dann eher unseren Abstand, nahmen noch einen kleinen Indomie-Snack, der mir beinah den gesamten Mundraum wegbrannte (wie machen die Ghanaer das?) und dann ging es auch schon zu Tonys Party. Die war High End. Es gab Koks und Nutten. Und das ist nicht metaphorisch oder figurativ gemeint. Es gab einfach Koks und Nutten, Letzteres wurde mir mehrmals angeboten, ich lehnte dankend ab. Die Party war also alles andere als Ballermann, eher so Californication-Beachparty-Style. Wir waren nämlich tatsächlich direkt am Meer, am Strand, die Musik dröhnte mit wohlbekannten Mainstreamklängen auf Englisch und Französisch, das Wasser war warm und man dachte an alte Zeiten an der Copacabana. Da gab es eine kleine Insel, da konnte man tanzen, es wurden dann Lampions angezündet und die stiegen in den tiefschwarzen Himmel hinauf, vom Rauschen der Wellen begleitet.

Zunächst wurden wir von drei Indern angequatscht, das heißt, von einem zunächst, der meinte, seine Kumpels würden uns doch so toll finden und verkuppelte uns dann leicht peinlich mit denen. Die gaben dann erst mal eine Runde Gin Tonic, nachdem wir ein bisschen gequatscht hatten und ich den einen wiedererkannte, der bei seinem A1-Examen die ganze Zeit über den Eindruck machte, zu spicken. Irgendwie sah der auch eher aus wie so ein kleiner Latino, Kathi hatte den größeren Modeltypen an der Backe, es wurde angestoßen und die Luft war sehr warm, die Musik laut, man schrie und amüsierte sich. Irgendwann löste sich diese Runde dann auf, wir ließen unsere Blicke durch die Menge schweifen und Kathi wies mich dann auf einen blonden Oboruni hin, der ihrer Meinung nach mein Typ zu sein schien. Jajaja, mal ganz ruhig, wir hatten ja alles unter Kontrolle, außerdem habe ich hier Folgendes gelernt „I don’t need to take a second look at another man because I already have got the best“. Das stimmt ja auch. Also nehmen wir immer nur einen Blick und das war’s dann. Dieser blonde Oboruni entpuppte sich als ein Deutscher, der so stralle war, dass wir zunächst dachten, der wäre vielleicht gar nicht in Deutschland aufgewachsen, weil seine Sprache so seltsam war. Der drückte mir dann den obligatorischen Backenschmatzer auf, als der eine Franzose, den wir liebevoll Udo Jürgens nannten (aber in seinen guten Jahren und ohne Schmalzattitüde), mich beobachtete. Keine Chance, der Babbelbade, der sich aber doch eher wie ein Göttinger anhörte, hatte mich fest im Plaudergriff und irgendwann ging es dann tanzen, wir tanzten mit dem Inder und dem Baden und nem anderen bärtigen Deutschen einfach so, als wären wir alte Schulfreunde, schnell machten wir klar, dass wir nicht einen auf sexy Lapdance machen wollen, also war die Stimmung ausgelassen und bro-zone-ig.
Da war dann noch dieser eine Typ, der sah aus wie ein Schauspieler aus „12 years a slave“, der plauderte dann mit mir und wollte mir irgendwelche Pillen andrehen, nachdem ich ihm von „der verrücktesten Sache, die ich je gemacht habe“ erzählt hatte. Der war eigentlich ganz cool und hatte lange in England gelebt, dachte das auch von mir und später sah ich ihn noch mit nem anderen Schnuffbruder verstohlen aus dem Klo kommen. Der Tony war ganz happy über seine Klientel an diesem Abend, glaube ich. Auf jeden Fall kann er dann später, wenn er groß ist, mal erzählen: „Ja, so war also mein 40. Geburtstag“. Wir jedenfalls hatten Spaß, am Ende holte ich mir noch einen Burger und setzte mich glücklich und satt ins Taxi, die Alte, die wir pb der schönen Eignung zum „reinhauen“ Wortspiel kurzerhand Ryan getauft hatten, saß wieder neben mir, hielt sich aber zum Glück zurück und ich schlief auf Beas Schulter ein, die Nacht immer noch warm, der Fahrtwind angenehm auf unserer Haut.

Gestern war dann Dumsor den ganzen Tag, da gab es neulich erst einen ganz interessanten Spiegel-Artikel drüber, Ghanas Energieversorgungsproblem, könnt ihr ja mal googlen, denn mein Internet ist gerade passenderweise so lahm, das nichts wirklich funktioniert. Das Ganze war natürlich etwas nervig, weil wir für 24 Stunden von jeglichem Strom abgeschnitten waren und das bei konstanten 30 Grad, also nichts mit Ventilator oder so. Mein Zimmer schimmelt beständig und auch der Spiritus, den ich mir zur Bekämpfung geholt habe, hält leider nicht lange vor. Aber das bleibt eben nicht aus bei einer Luftfeuchtigkeit von 80%.
Wir rückten dann näher zusammen, Max’ Kumpeline Vivianna hatte für uns alle gekocht, eine deutsch-ghanaische Familie mit zwei süßen Kidern war auch am Start, genauso wie ein Deutsch-Ghanaisches, frisch verheiratetes Ehepaar, wir saßen da also im Dunkeln, hatte eine kleine taschenlampenartige Lichtquelle und ließen es uns schmecken, ein Hoch auf den Gasherd. Das Ganze hatte dann etwas von einer ruhigen Zombieapokalypsenszene, vielleicht habe ich auch nur zu viel „The Walking Dead“ gesehen. Jedenfalls ist der Strom jetzt wieder da, aber das Internet möchte noch nicht so recht, glaube ich.

Jetzt lebt ihr übrigens nur noch eine Stunde getrennt von mir in der Zukunft. Ich mach mir jetzt mal ein Omelette oder sowas. Das war der zweite Streich für heute, der nächste kommt dann schätzungsweise in drei Tagen. Jetzt will ich mich doch wirklich mal wieder an meinen Rhythmus halten.

26. Oktober 2015
von Elisa Teichmann
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Roadies küsst man nicht

Dies ist die Geschichte von dem Abend, an dem ich fast Ghana-Roadie einer Deutsch-Luxemburgischen Hipsterband wurde. Wenn ich nicht diese praktischen Kein-Kater-Gene hätte würde ich euch jetzt wahrscheinlich erzählen, wie sehr mein Kopf brummt. Aber ist alles okay. Mein Sachet-Wasser schmeckt nur leider ein bisschen stark nach Raumduft, weil ich es zu nah an eben diesen gelegt hatte. Also die Geschichte beginnt nun.

Von meinem Boss hatten wir vier Freikarten für dieses extrem coole Konzert gestern Abend bekommen, zu dem wir sowieso gegangen wären. Eine Art Elektro-Festival, das muss man unserer eingefleischten Berliner Partyseele nicht zwei Mal sagen, wir waren beim ersten Anblick des Flyers bereits Feuer und Flamme. Nach einer kleinen Quetsch-Taxifahrt zu sechst kamen wir fast pünktlich gegen acht an der Alliance an, es gab kleine Cocktails für umgerechnet nen guten Euro, die erinnerten mich an meine geliebten Terremotos. Es ging dann auch schon los, aber die Band kannten wir nicht, wir hatten uns nur ein Video vorher angesehen und waren recht angetan. Als sie dann spielten, fühlten wir uns ein bisschen wie zu Hause, ich liebte es und wippte und war dankbar für diesen kleinen europäischen Input. Keine Frage, ich steh auf Ghanaischen Highlife und man hat auch schon so seine Lieblingsohrwurmmelodien, aber es geht doch nichts über diese sanft-dröhnenden, heimischen Elektroklänge mit diesem Beat, der die Ghanaer etwas zu verwirren scheint (die tanzten dazu in einem ziemlich abgehackten Robotdance-Style). Die Band erinnerte mich an Phoenix oder Woodkid, ich liebte die Mucke so sehr, dass ich denen im Anschluss gleich ne CD abkaufte. Ja, im Anschluss ging dann unsere Aktion Celebrity so richtig los. Nach dem ein oder anderen Bier war man nicht mehr ganz so eingeschüchtert von dieser Aura der C-Prominenz, die die drei Jungs umgab. Ich quatschte also mal den Drummer an, den Luxemburger, der war cool und lachte so schön und ich machte meine blöden Faxen. Wir erzählten viel und es gab Wein, wir erzählten so lange, bis die Alliance die Musik ausmachte und alle höflich rausschmiss, dan verabschiedeten wir uns irgendwie, aber verabredeten uns für die Republic Bar, die sich eigentlich schon zu einer Art Stammkneipentanzwumme herauskristallisiert hat. Wir stiegen ins Auto zu den spanischen Kumpels von Beatriz, ich quatschte ein bisschen Spanisch mit chilenischem Akzent, wir fuhren durch die heiße Nacht und Javier’s Auto fuhr schnell und zackig.
Plötzlich standen wir vor der Bar und da war dann auch wieder der Drummer, der wich mir dann den Abend über nicht von der Seite, ich mochte seine grünblauen Augen, irgendwas hatte der von Hugh Grant, ich schätzte ihn auf 23, obwohl der 27 war und wir machten uns einen Spaß daraus, Leuten, die uns einfach so anquatschten, was vom Pferd zu erzählen. So war ich halb Norwegerin, halb Dänin, aber mein Opa war aus England und er war eigentlich Russe, hatte aber französische und luxemburgische Wurzeln. Irgendwie sowas, das hielten wir gut durch, auch, als einer plötzlich norwegisch quatschte und ich ihn korrigierte, mit meinen nicht vorhandenen Norwegischkenntnisse, viel aber anscheinend nicht auf. Ich fragte ihn, wie so das Leben auf Tournee ist, wie sich das so mit den Groupies verhält, und er lachte immerzu und antwortete höflich. Irgendwie waren wir plötzlich allein auf dem Dancefloor, leicht peinlicherweise kam immer wieder Hassan dazu (ihr erinnert euch vielleicht, der andere Gentleman von vor ein paar Wochen) und legte ein seltsames Platzhirschverhalten an den Tag, fasste mir immer wieder um die Hüfte und machte einen auf besorgten Boyfriend, oh Mann, sowas kann ich ja gar nicht leiden. Wären wir Sims gewesen, so wären da zwei dicke Minus Minus über meinem Kopf gewesen, bei jeder seiner Aktionen. Aber irgendwann wurde es ihm dann anscheinend doch zu blöd, Kathi wurde von zweien belagert und ich dachte, es wäre nun an der Zeit, einen gepflegten polnischen Abgang an den Tag zu legen, also flüsterte ich ihr zu „Kathi, ich glaube, ich muss mich gleich übergeben, wollen wir den polnischen machen?“, ihr kam das ganz recht, also verabschiedete ich mich von meinem Kavalier, der sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ, irgendwie an meiner Wange zu kleben und mir ein für die später Stunde doch sehr höfliches, aber dennoch über die Maßen peinliches „Darf ich dich küssen?“ ins Ohr zu hauchen. Meine Logik zu der Stunde war natürlich auf Level 1000, sodass ich dann sehr wortgewandt „Ich kenn dich doch gar nicht!“ herausbrachte, er lachte nur wieder, der Mann mit dem Kreuzberger Waschbär auf dem T-Shirt, und rief mir hinterher, ich solle doch Morgen um 10 auf jeden Fall mit nach Takoradi kommen. Kathi und ich verschwanden in der schwülen Accraer Nacht, in der ich lauthals „You look WAO!“ schreiend durch die Gegend wackelte und gackerte, wie ich das von meinem Mentor Papa Joe gelernt hatte. Das heißt übrigens „Du siehst betrunken aus“, auf Twinglisch, und zumindest zu dieser späten Stunde und mit meiner sowieso völlig rationalen 3-Uhr-morgens Logik dachte ich, das könnte ja vielleicht potentielle Räuber abschrecken. Das tat es dann wohl auch, wir kamen ganz easy in unserer Danquah-Circle-Nachbarschaft an und ich fiel zufrieden in mein Bettchen.

Aber naben all dem Rumgepartye gab es ja auch noch ein bisschen Arbeit, so war ich am Donnerstag bei einem Workshop in einer Schule in Kotobabi, da bringt eine deutsche Band den Schulkindern gerade bei, wie man mit selbstgebastelten Didgeridoos coole Mucke macht. Die Kinder waren goldig und lachten und tanzten und waren ganz entzückt von uns Oborunis, das war schon ziemlicher Bilderbuch-Kolonialstil, deswegen lag die ganze Zeit eine leicht unangenehme Peinlichkeit in der Luft, aber zum Glück sehen kleine Kinder ja noch nicht den bösen weißen Ausbeuter in dir, also fuhren sie mir nur duch meine Haare und kicherten und sahen mich an mit ihren großen Kulleraugen. Ich habe wieder ganz viele Fotos gemacht und heute, ja heute, da klappt das dann hoffentlich mal mit dem Hochladen, denn gestern war der Dumsor wieder am Start, abner davon erzähle ich gleich mehr. Eigentlich wollte ich euch generell alles schon viel früher erzählen, mittlerweile ist Montag und noch viel mehr passiert, also mache ich an dieser Stelle Schluss und erzähle woanders weiter. Dies hier war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich.

Liebe Mami, nachdem Benjamin und Papa schon Geburtstag hatten, warst du ja jetzt auch dran und ich möchte natürlich nicht, das dein Tag hier zu kurz kommt. Also, nachdem du dir das jetzt alles durchgelesen hast und vielleicht nicht ganz so begeistert über meine nächtlichen Touren warst (ich bin aber auch nicht mehr 21, ich bin jetzt groß und anständig, siehst du doch), möchte ich doch ganz offiziell noch mal sagen: Alles Gute nachträglich zum Geburtstag. Danke für all das und noch viel mehr.

21. Oktober 2015
von Elisa Teichmann
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Lieber auf seine eigene Stimme hören

Gerade komme ich aus einem Meeting mit einem sehr kleinen Franzosen, der mich unwillkürlich an eine sehr haarige Version von Phil Collins erinnerte, und seiner Kollegin, die mir besonders sympathisch wurde, als sie bei dem Satz „Bei kulturellem Eventmanagement schaut man immer in die Zukunft!“ gedankenverloren ins Leere blickte. Ich habe sicherlich genauso gedankenverloren drein geblickt, gelegentlich, denn ich glaube, ich werde in der Gesellschaft von Franzosen immer ein bisschen gedankenverloren. Dann denke ich an meinen eigenen Franzosen und an den Tag, an dem wir uns wiedersehen. 98 noch. Zweistellig. 18 bis 80. Bis zur Hälfte.
Meine Ebony-and-Ivory-Schokolade ist leider alle, Lisa und ich haben gerade die letzten beiden Stücke verputzt und wir haben beide schon wieder Hunger. Ich gehe wohl gleich vor dem Twi-Kurs nochmal zur Obst-Uschi, wie wir sie liebevoll getauft haben. Und ich bin müde. Gestern bei der Tagesschau bin ich einfach eingeschlafen, seitlich gequetscht auf meinem Kopfhörer, schöner Abdruck auf der Backe, sieht ja um die Zeit zum Glück eh keiner mehr. Ich habe mal gezählt: all meine Veranstaltungen eingerechnet bin ich jetzt bei einer 48,5-Stunden-Woche. Darauf muss ich mich wohl erst mal einpegeln. Das läuft so noch bis zum 15. Dezember. Geht.

Ich hatte noch gar nicht von meiner freitäglichen Christenepisode erzählt. Ich saß da so in meiner Bibliothek, na eigentlich stand ich gerade, weil ich mir ein Buch ansah, aus dem Regal der Neuzugänge, da kam ein Ghanaischer Künstler, mit dem wir hier im Rahmen einer Ausstellung zusammenarbeiten. Der hat mich dann ungefähr eine Stunde lang zugelabert. Ich wurde im Vorhinein schon gewarnt, dass sich bereits viele andere ghanaische Künstler und Kollegen von ihm abgewandt hatten, weil er wohl allen ein bisschen zu sektenmäßig drauf ist. Ich setzte also meinen sehr durchdringenden „Ich bin ein toleranter, aber überzeugter Atheist“-Blick auf und ließ erst mal wie Großmutter Weide alles auf mich einwirken. Zunächst schenkte er mir eine Ananas. Hatte etwas Komisches, im Sinne von etwas Lustiges. Dann ließ er sich darüber aus, wie positiv meine Ausstrahlung doch sei und dass immer, wenn er in meiner Aura stünde, er in eine Art tranceähnlichen Zustand versetzt würde. Ich bedankte mich höflich und erklärte das damit, dass ich eben versuche, stets das positive in Situationen zu sehen, da man ja nur ein Leben hätte und das nicht mit mieser Laune verplempern sollte. Er stimmte mir eigentlich bei jeglichen meiner Aussagen zu. Das Prediger-Zepter wurde also zwischen uns immer hin- und her gereicht. Er schien mich zu analysieren, meinte dann, er hätte einen Hintergrund in Psychologie. Irgendwann sagte er dann unvermittelt, man müsste auch dazu in der Lage sein, sich selbst zu vergeben: wenn man eine innere Stimme hörte, die sagte „Es ist jetzt Zeit, du kannst dir nun vergeben“, dann sollte man dieser nachgeben. Auch, wenn das alles so eine leichte Aura der Christenbekehrung hatte, brachte mich das Gespräch dennoch irgendwie weiter. Ich habe fast täglich Alpträume, weil ich dieser inneren Stimme offenbar noch nicht nachgeben kann. Soll das jetzt eine Art Absolution für mich sein? Ich weiß es nicht. Ich finde nur, es ist endlich Zeit für bessere Träume.

Gut, für den einen Alptraum war ich neulich selbst verantwortlich, der war aber auch nicht einer von den typischen, wiederkehrenden, mit dem gleichen bärtigen Gesicht. Ich war hoch oben und hing an einer Strickleiter, meine Füße rutschten und eigentlich war es unmöglich, sich mit seiner reinen Körperkraft dieses letzte Stück da hochzuziehen. Ich hasse diese Vertigoträume. Aber wie gesagt, ich bin selbst schuld, oder vielleicht war es auch einfach der Leuchtturm selbst. Leuchttürme sind ja auch sehr beliebte Horrorfilmmotive, spätestens seit „The Ring“. Am Sonntag hatten wir nämlich einen sehr schönen Vormittag, weil uns der deutsche Soldat, ein alter Haudegen und Junggeselle, aus unserem Twi-Kurs zu einer kleinen Accra-Tour in seinem Militärjeep eingeladen hatte (der kurzerhand die Rolle einer Trockensauna übernahm, alter Schwede, das ich so schwitzen kann, war mir auch noch nicht bewusst). Der Soldat wusste viel und wir genossen die Fahrt und die Insidertips, demnächst muss ich unbedingt einen der Kunstmärkte aufsuchen. Unsere kleine Spritztour endete nach ungefähr zwei Stunden mit dem Leuchtturm von Jamestown, dessen Stufen wir dann 40 Meter in die Höhe wanderten. Leider war die Wendeltreppe sehr schmal und hatte auch kein wirkliches Geländer und ganz oben stand dann so eine nicht ganz so zuverlässig erscheinende Wackelholzleiter für die letzten Meter bis zur Aussichtsplattform. Meine Beine schlotterten also, mein Herz raste und meine Atmung schnappte. Es war nicht schön. Aber dafür hatte es sich dann gelohnt (ich muss endlich mal diese Bilder hochladen).

Am Samstag hatten Kathi und ich vor unserem zweiten Theaterstück an diesem Wochenende eine besonders große Ehre, da wir von unserem Boss und ihrem Mann zum Pizzadinner eingeladen wurden. Das hatte etwas besonders Niedliches, wie wir da so saßen, alle vielleicht etwas unbeholfen ob der peinlichen Situation, wenn man also diesen Rahmen des Professionellen verlässt und plötzlich Businessmeeting gegen Pizzadinner und Cheesemuffin eintauscht. Ich könnte mich ja noch in stundenlange Ausschmückungen dieses Abends verlieren, aber für den Moment belasse ich es dabei: ich finde es schön, wenn man einen Boss hat, der so was auch mal machen kann. Jedenfalls ging es danach wieder ins bereits wohlbekannte Nationaltheater, der Bass der Lifestylefair wummerte schon oder immer noch und diesmal wurde mein Brecht verwöhntes Theaterherz auf eine noch härtere Probe gestellt. Zwei Worte: Product Placement. Im Theaterstück. Und zwar ohne irgendeine künstlerische Intention, rein kommerziell und mit der Faust in die Magengrube. Das tat wirklich weh. Das geht einfach nicht. Bei der Kleinbürgerhochzeit packt auch keiner seine Clubmateflasche aus, da hängt auch dann kein großes Schild davon rum, und erwähnt beiläufig, wie gut die schmeckt. Es war einfach nur traurig mit anzusehen. Jaja, ich erwähnte ja schon, keine Subventionen für Kunst, aber muss man diese dann derartig auf die Straße schicken? Ich weiß es nicht, ich fand alles fragwürdig, natürlich bin ich offen gewesen für dieses Stück und über den einen Kandidaten musste ich auch wirklich regelmäßig lachen. Es war sehr interessant zu sehen, wie Theaterkultur hier verstanden wird. Ich sagte das bereits, aber gerade bei diesem Stück war das nochmal höchst interessant. Wenn Theater die Position des Kinos eingenommen hat. Wenn Leute hinter dir mit Popcorn rascheln und die Typen auf einmal zu pfeifen anfangen oder obszöne Zwischenrufe los lassen, wenn eine Schauspielerin lediglich die Bühne betritt. Ich wollte weinen und der Popcorngeruch bewirkte einen Brechreiz. Aber was soll ich sagen, ich beschwere mich nicht, ich beobachte nur und nehme zur Kenntnis. Ich möchte niemanden bekehren, jeder nach seiner eigenen Façon.

Heute Abend beginnt hier ein Filmfestival, ich hoffe allerdings, dass ich mich pünktlich um 17 Uhr hier davon schleichen kann, weil wir heute gerne ins Honeysuckle gehen wollten, mit Beatriz‘ Spaniern, ich will endlich mal wieder Spanisch sprechen (nachdem mich neulich ein Ghanaischer Bibliotheksbesucher auf Spanisch anquatschte und wir kurz plauderten), da läuft heute eine Partie fútbol. Cruzenme los dedos, chiquillos! 😉

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