Meine Taschen sind gepackt, mein Film ist fertig und meine Vorfreude auf Dienstag ist nunmehr unbeschreiblich. „Du freust dich echt auf ihn, eh?“ war das letzte, was ich von Francis hörte, bevor ich sein Apartment ein letztes Mal verließ. Ja, das tue ich und jetzt sind es nur noch 48 Stunden. Ich fühle mich ein bisschen surreal, als würde meine eigene Vorfreude sich gemeinsam mit der Zeit der letzten fünf Monate überschlagen und selbst nicht so recht wissen, was eigentlich passiert. Ich muss denken an die letzte Szene in „Mathilde“ und bin nicht weniger nervös als sie.
Meinen Sonntag nutzte ich zum Ausschlafen, so gut es ging, mit dem Kirchenchor, der pünktlich um 6 Uhr einsetzte. Heute Morgen erinnerte ich mich an mein erstes Mal davon geweckt werden, das ist nun genau 19 Wochen her. Ich fand ein bisschen altes Baguette vom letzten Wochenende im Kühlschrank, was zu meinem großen Erstaunen noch essbar war, und machte mir mit Nutella einen Brunch daraus. Anschließend schnappte ich mein Zeug und nahm ein Taxi zu Francis. Die Taxifahrer schmunzeln immer ein bisschen, wenn ich ihnen den Namen des Hotels nenne, einfach nur Orientierung, weil hier keiner Straßennamen kennt oder benutzt. Meine kleine Nachmittagsaffäre, die ich werktags pünktlich 13 Uhr und am Wochenende etwas später treffe. Nein, es wird einfach nur gearbeitet und ich für meinen Teil verhalte mich professionell.
Mein Yoda allerdings öffnete mir die Tür heute nur in Jeans gekleidet, wie ein Ghanaischer Grey stand er da vor mir im Türrahmen seiner Bude, eine nackte Glühbirne hinter ihm fungierte als einzige Lichtquelle des Raums, der sonst vom Tageslicht abgeschnitten war. Einen Arm lässig an der Tür und schief grinsend bat er mich herein und einmal mehr kam ich mir vor wie ein kleines, unsicheres Mädchen, was mit allen Mitteln versucht, nicht auszusehen wie ein kleines, unsicheres Mädchen. Ich weiß, wie man Untertitel einfügt. Ich kenne Premiere Pro besser, als du. Das fing an, nachdem er meinen Film abgenommen hatte und meinte „Er gefällt mir nicht“, mich lange forschend ansah, sich in seinem Bürostuhl niederließ, ohne seinen Blick abzuwenden und sich auf die Unterlippe biss. Das gefällt ihm. Er mustert gern. Ich blieb so cool wie möglich, ich hatte ihm gesagt, ich wollte seine ehrliche und ehrlichste Meinung, also sagte ich nur „Also?“, woraufhin er mir die Hand hin reichte und mir gratulierte. Offenbar gefiel er ihm doch, obwohl er mir eine Note von 65% gab. Wie kommt der überhaupt dazu, mir Noten zu geben? Vorher stritten wir noch leidenschaftlich über ein von mir verwendetes Bild, was er zu gewagt fand, aber ich meinte nur „Dann sollen sie sich bei mir beschweren, ich weiß, was ich zeigen will“, da lachte er sein viel zu lautes Lachen und zollte mir irgendwie Respekt. Er zeigte mir dann ein paar von seinen Dokumentationen und am liebsten hätte ich geheult. Super Timing, klasse ausgespielt, oh ja, sonne dich im Lichte deiner Perfektion und der Faszination deines kleinen Protégés gegenüber deiner großen Werke. Aber ehrlich, das war extrem gut. Das zeugte von unglaublichem Talent, einer schon unheimlichen Präzision und Beobachtungsgabe. Ich sagte nichts. Später sagte ich dann, er wäre jetzt mein Yoda, aber ich denke, er hätte genug Bewunderer und bräuchte nicht noch einen. „You’re so vain“ deklarierte ich dann als seinen Song und er fand es witzig. Das war’s dann jetzt. Leb wohl, Yoda.
Es ist jetzt also soweit. Eh man sich’s versehen hatte, war die Zeit gekommen. Am Dienstag ziehe ich aus hier. Dann bin ich erstmal da, wo man mich weder finden, noch erreichen kann und dann irgendwo in Ghana.
Ach! Ich gehe nach Paris im April. Für ein halbes Jahr. Das ist wohl gerade mein persönlicher Surrealismus. Alles wirkt irgendwie wie Elisa Show. Jemand sagt was, da passiert jetzt das und das, Achtung, noch zwei Minuten, zack, dann kommt’s auf einmal, man ist mittendrin und das Adrenalin treibt dich einfach so weiter, ohne, dass du es wirklich merkst. Ich will in einer kleinen Bude unterm Dach leben, mit einer alten Schreibmaschine und sonst nichts, na vielleicht noch ne Katze und ne alte Matratze, wie Julián Carax, nur nicht so verloren und herzgebrochen. Einmal in Paris leben, das war mein Traum und jetzt mach ich das plötzlich. Abgefahren, abgefahren…
Am Freitagabend waren wir in der Alliance Francaise, im Amphitheater wurde eine Dokumentation gezeigt, die mich über die Maßen fasziniert und inspiriert hat und die ich jedem nur sehr warm ans Herz legen möchte. Wenn ich groß bin, dann will ich mal genau solche Filme machen: https://www.youtube.com/watch?v=vdb4XGVTHkE
Becky und ich teilten uns eine Pizza, die tatsächlich innerhalb von drei Minuten fertig war und Mubarak wollte ich davon überzeugen, dass er mich doch in Paris besuchen sollte, schließlich hatten wir uns ja im Französischkurs kennen gelernt, dann würde sich der Kreis irgendwie schließen.
Eigentlich möchte ich jetzt schnell schlafen und durchschlafen bis Dienstagabend. Nee, wobei. Gibt noch viel zu tun und viel zu sehen. Meine Augen sind ganz trocken von zu vielen Untertiteln, die ich heute eingetippt habe. Die Mangosaison hat jetzt begonnen und die Mangos schmecken herrlich und kosten nichts mehr.