Jesus hat seinen Hintern an mir gerieben und ich mochte es. Klingt vielleicht nach nem sehr seltsamen Christenfetisch-Softporno-Textfetzen, ist aber tatsächlich so passiert Samstagnacht. California Jesus, den wir nach Halloween nie wieder gesehen hatten. Auf einmal stand er da auf der Tanzfläche, zeigte auf mich und rief „I remember your face!“. Wenn es so etwas gibt, dann habe ich mich in dem Moment tatsächlich ein bisschen gesegnet gefühlt. Sowas passiert aber auch nur im gefühlt christlichsten Land der Welt.
Am Donnerstag kam Becky aus Winneba vorbei und da ich die ganze Woche hart an meinem Film gearbeitet hatte, musste mal wieder ein bisschen los gelassen werden. War übrigens ne ziemlich coole Zeit, ich fühlte mich so wohl in dieser abgewrackten WG, mit all dem Krach und der selbst gemachten Musik, der Kunst an den Wänden und auf den Bildschirmen, Francis, der sein Essen mit mir teilte und sich in langen Gesprächen mit mir verlor. Dann sitzt man da und fühlt sich wieder wie damals, Mentor-Protegé, und dann erzählt man so vor sich hin und merkt plötzlich, wie sehr einem doch noch gewisse Erinnerungen, die ja noch viel weiter zurück liegen, weh tun und sich plötzlich wieder alles nach 2012 anfühlt. Aber Déjà-vûs halten uns ja zum Glück so fabelhaft davon ab, in Cola in der Wüste Illusionen zu verfallen und dann sitzt man da, ganz kühl aber wissend, triumphierend und irgendwie mitleidig, fasziniert und doch abgeschreckt, weil Form der Füße und Farbe des Nagellacks plötzlich viel zu viel krankhafte Aufmerksamkeit bekommen.
Freitagabend also ließ ich mich in ein Wochenende fallen und zog hinaus mit Becky, Magnus und seiner Freundin, um Mubarak zu treffen, der im Republic schon auf uns wartete. Oh, wie sehr werde ich diese über die Maßen charmante Bar, mit ihrem kleinen Open-Air-Dancefloor und diesen roten Abfüllerdrinks, vermissen. Wie die Lieder so spielten und die Leute sich mischten und die Zeit so verging, meinte ich irgendwann, es sei jetzt wohl der richtige Zeitpunkt, Mubarak zu fragen, ob er denn überhaupt eine Freundin haben darf, als Moslem. Rückblickend betrachtet erscheint mir das natürlich absolut indiskret, aber ich glaube, er hat einiges erzählt und das auch eigentlich ganz locker aufgenommen. Für den einen Abend war er unser beider Husband, weil plötzlich zwei den Rotdrink-Trick bei uns angewandt hatten und wild jubelnd um uns herum tanzend doch ein wenig zu nah kamen. Als ich dann irgendwann in Mubaraks Auto schlafen wollte und mein Kopf auf der Veranda gegen ihn fiel, war natürlich alle Etiquette dahin und ich kam mir, rückblickend betrachtet, wie der absolute Frevler vor. Ich glaube, diese ganzen Religionen hier gehen mir irgendwie ans Gemüt. Zum Glück war er auch in diesem Fall lockerer, als ich dachte, der Engel Mubarak, der nichts trinkt und raucht und anfasst.
California Jesus war da schon etwas heidnischer am Start, als wir ihn etwa 24 Stunden später im gleichen Club antrafen. Ja, da war er also wieder, seine weiße Kutte abgelegt, die Haare nach hinten genommen und in einem karierten Hemd steckend, ein Johnny-Depp-Jesus all the way from Los Angeles, Baby. Becky hatte ihn einfach angequatscht, wie man das mit einem Promi macht, wenn man sich traut. Und dann kam er plötzlich und strahlte und dann kam besagte Segen-Szene. Francis stand die ganze Zeit daneben, ganz in schwarz gekleidet, ein skurriler Antagonist am Rande, der uns durch die Holzbretter der Tanzflächenbegrenzung beobachtete. Wir tanzten ausgelassen, Sara und Anna waren noch mit dabei, zwei neue Lehrerinnen. Irgendwann war die Tanzfläche leer, Jesus war fort, nicht, ohne unseren Kontakt mitzunehmen, wir fanden ihn aber kurze Zeit später schon wieder, das ist wohl die Standard-Osu-Route, ausm Republic raus direkt ins Firefly, aber wir nehmen ja alles mit, wir nehmen alles mit, denn wir sind noch jung und knackig und können ausschlafen. Im Firefly fand uns Jesus dann wieder und feierte den Moment mit besagter Nahtanzanschmiegung, ich lachte nur und genoss das kleine Semi-Promi-tête-à-tête. Francis hatte sich dann doch überlegt, den Dancefloor zu rocken und irgendwann war auch hier wieder eine Alarmstufe erreicht, die Becky und mich schließlich abziehen ließ, Francis im Schlepptau, leicht bedeppert, so zogen wir durch das nächtliche Osu nach Hause, wo wir, auf einmal wieder ganz gentleman, als hätte es nichts gegeben, verabschiedet wurden.
Ich fiel in einen langen Schlaf, der sich in Etappen bis etwa 14 Uhr zog. Achja, am Samstag hatten wir auch endlich das Danksagungsdinner mit meinen beiden Joes, den Engeln. Naja, der eine zumindest war ein Engel, der andere meinte, dass ich mir mit meiner Bänderzerrung ein bisschen mehr Mühe hätte geben können und von Anfang an den Fuß hätte belasten sollen, aber da ich ja ein Mädchen bin, ist das vielleicht auch anders. Lieber Joe. Ein Bein ist ein Bein. Ein Fuß ist ein Fuß. Bei Frau oder bei Mann oder bei Kind. Fuß ist Fuß. Bänderzerrung heißt Fuß muss Ruhe haben. Wenn du deinen Fuß in dem Fall gerne belasten möchtest und vielleicht ein bisschen Basketball spielen oder an nem Marathon teilnehmen willst, bitte. Zwar bezweifle ich, dass du dazu in der Lage sein wirst, aber so eine OP mit nem richtig schön zerdepperten Fuß hat doch bestimmt auch seine Vorzüge. Mir blieb der Bissen im Hals stecken und ich hätte ihm gerne mit meinem gesunden Fuß einmal schön gegen sein gesundes Schienbein getreten unterm Tisch. Ich verkniff es mir und beließ es bei einer ganz sachlichen Erklärung. Seiner Meinung nach sind auch nur Männer dazu im Stande, mehrere Frauen gleichzeitig zu haben, mehrere Männer zur gleichen Zeit könne eine Frau ja gar nicht im Griff haben. Als Becky in schallendes Gelächter ausbrach und meinte, Männer wären vielleicht sogar unkomplizierter im Griff zu haben, als Frauen, und ich ihm erzählte, dass es sogar möglich ist, an einem Wochenende drei Männer parallel zu haben, meinte er nur mit verklärter Miene, er hätte uns nicht verstanden. Gleiches Recht für alle, mein Freund. Und vor allem für alle Füße. In Ghana ist meine Diskussionslust noch mal um einiges angewachsen.
Jetzt ist es schon wieder spät irgendwie. Meine Tage am Institut sind langsam gezählt. Mir bleiben vielleicht noch zwei Wochenenden in Accra. Gemischte Gefühle machen sich immer breiter. Es ist heiß und zu viele Mücken sind hier. Malaria auf den letzten Metern wäre scheiße. Ich mache Musik an und singe laut dazu.